Touchscreens sind schlimmer als Alkohol
Endlich sagt’s mal einer.
Es ist eine ganz schreckliche Entwicklung, alles nur noch elektronisch, per Touchscreen zu steuern, statt über dedizierte, mechanisch-haptische Bedienelemente wie Schalter – obwohl viele Leute darauf stehen und das für „modern“ halten.
Mir ist das Phänomen erstmals so um 1991 untergekommen. Ich hatte mir als Student die Minolta Dynax 7000i, mit der ich technisch sehr zufrieden war, an denen mich aber sehr störte, dass sie noch keine Drehräder hatte, sondern vorne so einen komischen hin- und her-Schalter. Wenn man also die Belichtungszeit oder Blende ändern wollte, musste man ganz oft den Schalter verschrieben, für jeden Schritt einmal.
Einige Jahre später kam die 7xi heraus, die noch viel besser sein und fuzzy logic haben sollte, angeblich die Kamera, die alles kann, die modernste Kamera auf dem Markt. Ich weiß noch, wie ich damals in Karlsruhe bei Photo Glock deren erstes Exemplar gekauft hatte, und sie noch sagten, dass es für sie äußerst mühsam war, überhaupt eines zu ergattern, eines der ersten Exemplare in Deutschland, und dann extrem genervt waren, als ich gleich wiederkam, um sie zu reklamieren, weil das Exemplar defekt war. Ich weiß nicht mehr was, aber irgendwas ganz Wichtiges war kaputt, die Kamera unbrauchbar. Auch als ich dann einige Zeit später ein Austauschexemplar bekam, trat schnell Ernüchterung ein: Das Ding war nicht nur so grottenhässlich, dass man kein ordentliches Portrait hinbekam, weil die Leute beim Anblick der Kamera das Gesicht verzogen, sondern die Bedienung über irgendwelche LCD-Menüs so umständlich, was man als modern, fortschrittlich, „technically advanced“ hingestellt hatte, dass man das Ding praktisch nur mühsam, und vor allem, nicht schnell genug bedienen konnte. Die Kamera war bis zur Unbrauchbarkeit „modern“. Die einzige Kamera, die ich in meinem Leben gleich wieder verkauft habe, die war gar zu schlecht.
Immerhin hat man daraus gelernt, den Fehler hat Minolta danach wieder deutlich zurückgenommen und Kameras wieder mit Schaltern und dedizierten Tasten ausgestattet, auch wenn die die Herstellung der Kamera durchaus teurer machten.
Heute haben Digitalkameras viel mehr Funktionen und richtige LCD-Displays mit Menüführung und riesigen Menübäumen. Trotzdem ist das bei den profesionellen Kameras so, dass die übersät sind mit Tasten, Knöpfen, Schaltern, um wichtige Funktionen „direkt“ zu bedienen – und oft die Schalter nach Wunsch konfigurierbar sind, weil man weiß, dass die Leute ihre häufig verwendeten Funktionen gerne im „Direktzugriff“ haben wollen.
Dabei bemühen sich die Hersteller, die Tasten und Schalter „haptisch eindeutig“ zu machen, weil man bei Befragungen und Beobachtungen herausgefunden hat, dass es für Fotografen – vor allem Profis – enorm wichtig ist, den Schalter auch im Dunkeln bedienen zu können, und ohne hinzuschauen, während man den Sucher am Auge hat.
Anfangs hatte man das noch mit beleuchteten Tasten versucht, was im Dunkeln helfen soll, und möglich ist, seit man winzige, weiße, billige und stromsparende LEDs bekommt, aber dafür muss man ja auch hinsehen. Und man hat herausgefunden, dass es einem auch gar nicht so viel nutzt, zu sehen, dass auf der Taste „s1“ oder „Fn1“ oder sowas steht, weil die Taste beliebig belegbar ist, sondern es darauf ankommt, dass die Finger sich daran gewöhnen. Und Finger können weder lesen, doch Tastenbeleuchtung würdigen.
Manche Kamerahersteller versuchen das zu lösen, indem sie die Tasten über die Kamera verteilen, damit jede Taste an einem deutlich anderen Ort ist, während andere das Konzept verfolgen, die Tasten fühlbar zu machen, also eine glatt, eine mit einem Höcker, andere geriffelt, herausstehend oder flach, hart oder aus Gummi, und so weiter.
Kurz: Die Kamerahersteller haben begriffen, wie Bedienung geht. Obwohl es nicht gefährlich für Fotografen ist, wenn die Kamera schlecht zu bedienen ist, wohl aber für den Umsatz des Herstellers.
Die im Prinzip selbe Sache kann man in Flugzeugcockpits beobachten, und war ja neulich beim Flugzeugabsturz in Indien auch großes Thema: Wie gestaltet und platziert man wichtige Bedienelemente, damit der Pilot sie eindeutig und ohne zu suchen und hinzusehen, zu lesen, bedienen kann. Es gibt zwar moderne Flugzeuge mit Touchscreen, aber die sind auch eher für die Phase am Boden oder Bedienung durch den gerade nicht fliegenden Piloten vorgesehen. Alles, was der fliegende Pilot tatsächlich braucht, ist mit direkten Schaltern und anderen Bediengeräten so gebaut, dass man es nicht suchen muss oder verwechseln kann. Alles mechanisch, alles haptisch, alles eindeutig, alles so, dass man nicht suchen, nicht hinschauen muss.
Das Problem Auto
Denselben Fehler, den Minolta damals gemacht hat, hat auch die Automobilindustrie gemacht, allen voran Tesla.
Man wollte eine junge Generation ansprechen und das Design modern und reduziert halten, weshalb da ein riesiger Touchscreen mit ganz vielen Informationen prangt, und man im Gegenzug alle möglichen Schalter und Tasten eliminiert hat.
Rein technisch ist das sogar verständlich. Denn während früher ein Auto wirklich noch mit elektrischen Schaltern und mechanisch bedient wurde, ist das längst vorbei. Früher war das Gaspedal noch ein Hebel an einem Bowdenzug, ähnlich wie eine Fahrradbremse, mit dem man eine Drosselklappe unter dem Vergaser betätigte. Längst ist es nur noch ein elektronisches Eingabegerät, das sich nur noch so anfühlen soll wie früher.
Ich hatte als Kind doch die Vorliebe, alle möglichen (kaputten oder ausgemusterten) Geräte zu zerlegen und reinzuschauen, um zu verstehen, wie sie funktionieren. Weil meine Marotte bekannt war, schenkte mir jemand mal einen defekten Tacho aus einem VW Käfer. Ich fand heraus, dass das Ding einen Anschluss für eine mechanische Übertragungswelle hatte, die an die Achse oder das Getriebe angeschlossen ist, und in der sich ein flexibler Draht oder so etwas tatsächlich drehte und die Drehungen bis ins Armaturenbrett übertrug, weil der Tacho hinten einen Schraubanschluss für etwas hatte, was sich innen drehte. Im Tacho drinnen steckte darauf ein Magnet, der durch Induktion oder Magnetkraft eine Mitnehmereffekt auf eine federgelagerte Anzeigenadel hatten.
Doch das ist alles schon lange nicht mehr so. Im Fahrzeug herrscht der „CAN-Bus“, ein elektronisches Bus-System, auf dem Befehle übermittelt werden. Das Gaspedal zieht kein Drahtseil zur Vergaserklappe mehr, sondern übermittelt dem Motorcomputer per CAN-Bus, wie es der Fahrer bitt’schön gerne hätte. Die Motorelektronik und die Radsensoren übermitteln dagegen die Fahrgeschwindigkeit, und der Tacho ist nur noch eine Anzeigeeinheit, die die Daten vom CAN-Bus graphisch umsetzt. Auch der Blinker und der Schweibenwischerhebel schalten nichts mehr, sondern geben nur noch die Befehle auf dem Bus aus. Und wenn das Radio leiser wird oder die Rückfahrkamera anzeigt, wenn man den Rückwärtsgang einlegt, dann ist das auch kein direkter Schalter am Getriebe mehr, der das Radio informiert und das Rückfahrlicht einschaltet, sondern der CAN-Bus, auf dem die Befehle und Statusinformationen übertragen werden. Deshalb muss auch das Navi keinen Draht zum GPS-Empfänger mehr haben, sondern: CAN-Bus.
Deshalb ist es naheliegend, alle Elemente des „Benutzerinterfaces“ des Autos, Ein- und Ausgabe, zu überprüfen, ob man sie nicht einsparen oder verändern kann.
Der Tacho ist heute eben keine Messnadel für Umdrehungen mehr, sondern einfach nur ein LC-Display mit einem Mikroprozessor, das am CAN-Bus hängt und die da übermittelten Daten auf dem Bildschirm anzeigt – ob nun als gezeichnete Nadel, als Zahl oder was auch immer, und mit anderen Informtionen, etwa vom Navigationsrechner. Oder nachts anders als bei Tageslicht. Oder auf der Autobahn anders als im Stadtverkehr oder beim Einparken. Beim Einparken braucht man keine Geschwindgkeitsanzeige, aber dafür die Daten der Abstandssensoren und so weiter.
Also bietet sich das technisch an, auch Eingabegeräte wie Blinker, Scheibenwischer, Belüftung, Radiolautstärke, die alle keine echten Schalter und mechanischen Stellglieder mehr sind, und auch (noch) echte Schalter wie die der Innenbeleuchtung zu vereinheitlichen und zu ersetzen, indem man sie einspart und alle auf den Touchscreen verlagert, was aufgeräumter aussieht, einheitlicher, „elektronischer = moderner“ und zudem Geld spart. Mir sagte mal jemand von einem Autobauer, warum sie an manchen stellen so geizen: Wer es schafft, bei der Herstellung eines Autos 1 Euro einzusparen, der spart dem Unternehmen bei der Herstellung von einer Million Autos eben 1 Million Euro, und bekommt dafür eine entsprechende Prämie. Deshalb haben die so viele Leute, die darauf aus sind, irgendwo einen Euro einzusparen. Und so ein Schalter kostet eben auch mehr als einen Euro.
Außerdem muss man sich nicht so viele Gedanken über die Sinnhaftigkeit der Schalter und ihrer Ausführung und Platzierung machen, weil man nun alles per Firmwareupdate aktualisieren, korrigieren, verbessern kann. Deshalb ist es für Hersteller wie Tesla ein enormer Anreiz, ihre Autos so zu bauen.
Aber, ach.
Man hat herausgefunden, siehe Golem, dass die Verlagerung von Bedienelementen auf Touchscreens hochgefährlich ist:
Die nahezu flächendeckende Einführung von Touchscreens in Fahrzeugen geht auf Teslas Model S zurück, das erstmals ein großes zentrales Display zur Steuerung der meisten Fahrzeugfunktionen einsetzte. Diese Designphilosophie verbreitete sich schnell in der gesamten Branche – Hersteller ersetzten traditionelle Knöpfe und Schalter durch elegante digitale Oberflächen.
Studien sollen jedoch zeigen, dass die Bedienung von Touchscreens während der Fahrt die Aufmerksamkeit der Fahrer erheblich beeinträchtigen kann. Die schwedische Automobilpublikation Vi Bilägare führte dem Bericht nach Tests durch, bei denen mit Touchscreens ausgestattete Fahrzeuge mit herkömmlichen knopfgesteuerten Autos bei Autobahnfahrten mit 110 km/h verglichen wurden.
Die Ergebnisse zeigten bemerkenswerte Unterschiede bei den Ausführungszeiten. Fahrer mit dem herkömmlichen knopfgestützten Bedienkonzepten erledigten grundlegende Aufgaben wie Radiosendersuche und Temperatureinstellung innerhalb von zehn Sekunden. In dieser Zeit legte ihr Fahrzeug etwa 300 Meter zurück.
Moderne Touchscreensysteme schnitten in denselben Tests erheblich schlechter ab. Das schwächste Fahrzeug, ein MG Marvel R, benötigte 45 Sekunden für identische Aufgaben – während dieser Zeit fuhr das Auto 1,4 Kilometer weit. Selbst bei den besten Touchscreenmodellen von Volvo und Dacia brauchten die Tester noch mehrere Sekunden länger als beim traditionellen Bedienungssystem.
Die norwegische Forschungsorganisation Sintef nutzte dem Bericht nach Eye-Tracking-Technologie zur Messung der Fahrerablenkung bei Touchscreennutzung. Ihre 2024er-Studie ergab, dass selbst einfache Temperaturanpassungen dazu führten, dass Fahrer durchschnittlich 3,5 Sekunden lang von der Straße wegblickten. Komplexere Aufgaben erwiesen sich als noch ablenkender: Radiosenderwechsel erforderten elf Sekunden Aufmerksamkeit, Navigationseingaben sogar 16 Sekunden.
Das britische Transport Research Laboratory veröffentlichte dem Bericht nach 2020 Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass Touchscreenbedienung die Reaktionszeiten der Fahrer stärker beeinträchtigt als Fahren über der gesetzlichen Alkoholgrenze. Diese Ergebnisse veranlassten Sicherheitsorganisationen dazu, aktuelle Trends im Automobildesign zu überdenken.
Touchscreens gefährlicher als Fahren unter Alkohol.
Das schlägt sich dann garantiert auch auf die Versicherungsprämien durch, denn die Versicherer lesen solche Erkenntnisse immer ganz genau.
Eigentlich ist das klar und aus anderen Bereichen – Flugzeug, Kamerabau,… – längst bekannt.
Und noch viel eigentlicher ist das eigentlich (schon wieder eigentlich, aber bei diesem Thema braucht man großen Bedarf an eigentlichs) auch eine Schnapsidee, wichtige Funktionen auf Touchscreens zu verlagern.
Ich kann mir das nur so vorstellen, dass dort
- viele junge Leute (Gen X, Gen Z) arbeiten, die vom iPhone geprägt sind, aber sehr wenig oder gar keine eigene Fahrerfahrung haben (vgl. meine Kritik am Ford Ka, der zwar an anderen Symptomen krankte, die aber dieselbe Ursache hatten)
- das Problem herrscht, das ich aus vielen anderen Bereichen kenne, etwa auch von Kameras, dass nicht mehr die Techniker und Macher über die Produkteigenschaften bestimmen und entscheiden, sondern irgendwelche bekloppten Produktmanager und Marketingarmleuchter, die das Produkt irgendwo am Markt platzieren wollen, wie neulich die Woke-Gehung von Jaguar.
- jeder will natürlich seine Prämie dafür haben, dass er irgendwo einen Euro eingespart hat.
- Zeitgeist-Design: Alles muss glatt, konturlos, eigenschaftlos, informationslos sein.
- der Disruptionsgedanke alles bestimmt, und man meint, dass man als neuer Hersteller den Markt nur erobern kann, indem man alles radikal anders macht und versucht, die anderen Hersteller, die mit den vielen Tasten und Schaltern, alt aussehen zu lassen.
- vielen Käufern heute einfach die Fahrpraxis fehlt, um entscheiden zu können, was sie brauchen, und einfach kaufen, was modern und cool aussieht und mit iPhone-App daherkommt.
Aber eigentlich ist es nur Zeitgeistmüll wie damals die Minolta 7xi. Die wollte dann ziemlich schnell auch keiner mehr haben.
Mich erinnert das an etwas anderes, die Story habe ich auch schon erzählt.
Vor ungefähr 20 Jahren, noch zu meiner Zeit in Dresden, ist mir auf einer IT-Konferenz, wo ich einen Vortrag gehalten hatte, etwas Ungewöhnliches passiert. Ich wollte nach der Pause zurück zu den Konferenzvorträgen, das war aber – irgendwo in den „neuen Bundesländern“ – so ein riesiges Hotel- und Konferenzzentrum, in dem ganz viele Veranstaltungen stattfanden und man dort eben große und kleine Säle mieten konnte. Und weil alles gleich aussah und ich in Gedanken nicht so drauf geachtet hatte, bin ich versehentlich durch die falsche Tür gegangen und landete in einer Verkäuferschulung von Volkswagen. Eine Chefin und Ausbilderin wollte gerade den nächsten Teil ihrer Ausbildung für junge Verkäufer, lauter Leute so Anfang, Mitte 20, anfangen, und ich hatte sofort um Entschuldigung gebeten, Tür verwechselt, wollte auch gleich wieder raus, weil die mich gleich alle so anguckten, als wäre ich als lebender Mensch in ein Vampirseminar geraten. Ob ich nicht Lust hätte, ihnen was zu helfen, wurde ich gleich gefragt. Äh, ja, gern – was denn?
Sie erklärten mir, wer sie sind und was sie da machen, und ob ich einige Minuten meiner Zeit entbehren könnte, um in der nächsten Pause unten in der Tiefgarage in einem gespielten Verkaufsgespräch den „Kunden“ spielen wollte, der ein Auto kauft. Sie hätten das Problem, dass sie sich da in ihren Übungen ständig gegenseitig Autos „verkauften“ und das ausleiert, wenn der „Kunde“ selbst die Schulung mitmacht, und sie deshalb Kundendarsteller von außen bräuchten. Na klar, bei sowas bin ich immer gerne dabei.
Ich also in der nächsten Pause (die hatten da Veranstaltungsübergreifend feste Zeitpläne wegen Caterings, weil auf den Gängen einfach Catering für alle geboten wurde), runter in die Tiefgarage. Die standen schon alle da, Chefin mit Videokamera, feixten, und sie bat, dass sie das für ihre Schulungen auf Video aufnehmen darf, und einer von ihnen hatte die Aufgabe bekommen, mir den Dienstwagen dieser Chefin, einen nagelneuen Passat Kombi, das ganz neue Modell, zu „verkaufen“. Was wunderbar passte, weil eben jeder Passat Kombi das einzige Modell von VW war, das mich interessierte. (Tatsächlich bekam ich damals zu dieser Zeit einen eigenen Dienstwagen und hatte die Wahl zwischen einem nackten Audi a? Kombi oder einem gleich teuren, aber voll ausgestatteten Skoda Oktavia Kombi, alles derselbe Konzern, und hatte mich für den Skoda mit Navi, Klimaanlage usw. entschieden, Passat gab es aber nicht, weil zu teuer. Ich war mit dem Skoda dann sehr zufrieden. )
Sie hatten da also einen ausgesucht, der die schreckliche Aufgabe hatte, vor laufender Videokamera mir (Informatiker, ganz schwierig) dieses Auto zu verkaufen.
Er wollte also anfangen, mir die Vorzüge zu beschreiben, wozu ich dann sagte „Ja, ja, ich kenne den Passat“, und mich – an ihm vorbei – gleich reinsetzte, mir den Sitz zurechtrückte, Spiegel usw. einstellte, und – für mich ganz wichtig – die Schaltung ausprobierte, ob die auch gut und sauber flutscht und mir die Gänge angenehm liegen, ob ich alle Schalter finde und so weiter. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon bemerkt, dass die Verkäuferazubis immer wieder in schallendes Gelächter ausgebrochen sind, die Chefin das mit der Kamera immer wichtiger fand und dem „Verkäufer“ immer mehr der Kittel brannte. Der hatte dabei das Problem, dass er draußen war und ich drinnen und die Tür zugemacht hatte. Also machte er sie wieder auf und versuchte, mir im Innenraum Vorzüge anzupreisen, indem er mir erklärte, dass die Tachometeranzeige blau beleuchtet sei, statt wie üblich rot, worauf ich so etwas in der Art gesagt hatte, dass ich a) das Offensichtliche schon selbst gesehen hatte (weil der Schlüssel steckte, hatte ich die Zündung eingeschaltet, damit das Auto „lebt“) und das b) völlig egal sei, ob rot oder blau. Und dann habe ich mir die Innenbeleuchtung angesehen und ausprobiert, während der draußen hilflos wartete, was wohl von außen sehr, sehr komisch ausgesehen haben muss, weil die sich da draußen schier ausschütteten vor Lachen.
Ich also wieder aus, ihm erklärt, dass der Kofferraum für mich noch ganz wichtig wäre und wir uns den mal ansehen müssten. Ja, gut. Und wieder schallendes Gelächter, als ich von hinten gleich ganz in den Kofferraum (Kombi) gestiegen und drinnen verschwunden bin, um mir das von innen anzusehen. Die müssen sich fast zu Tode amüsiert haben, während der arme „Verkäufer“ völlig verdattert war und Schweißausbrüche hatte und dann auch noch daran scheiterte, die Rückbank umzulegen, was ich dann herausfand.
Abschlussgespräch: Ich sagte, dass mir das Auto sehr gefällt (der Passat ist ja auch ein sehr gutes Auto), und ich es (den weit überteuerten Preis ignorierend, weil es ja kein echtes Gespräch war) sofort kaufen würde, mich aber ein 2-Euro-Detail davon abhalte, nämlich die Dachantenne (damals waren die alle noch so ca. 30 bis 40 Zentimeter lang, heute nicht mehr). Die hat kein Gelenk zum Flachlegen. Ich sagte, dass ich das Auto deshalb zuhause nicht in meinen Doppelparker bekäme.
Die alle geplättelt vom vielen Lachen (irgendwas muss ich völlig anders gemacht haben als sie in ihren Rollenspielen), und die Chefin fragte noch, ob ich für die Kamera noch erklären könnte, was ich an der Innenbeleuchtung gemacht und gesucht hätte, das hätte sehr lustig ausgesehen, aber sie hätten nicht verstanden, was ich da machte. Ich habe es erklärt: Ich hatte damals einen Ford Escort Kombi, ein einfaches, aber zufriedenstellendes Auto (das ich mir im Gegensatz zum Passat von meinem Uni-Gehalt hatte leisten können), dessen Innenbeleuchtung ein enormes Ärgernis, weil in jeder Hinsicht katastrophal schlecht war, falsch positioniert, für mich nicht zu erreichen, sehr trübe Funzel in der Wagenmitte, praktisch ohne jeglichen Nutzen. Nie wieder würde ich ein Auto mit einer solchen Scheiß-Innenbeleuchtung kaufen, und ich hätte erfreut und begeistert festgestellt, was für eine sehr gute Innenbeleuchtung dieser Passat habe, die hätte mich sofort überzeugt.
Abends oder am nächsten Tag habe ich ein paar von denen in einer Kantinenschlange wieder getroffen und sie gefragt, warum sie eigentlich ständig so laut gelacht hätten.
Sie erklärten es mir.
Der „Verkäufer“ hätte sich – gemessen an ihrer Ausbildung – an mir total blamiert, und Blut und Wasser geschwitzt, und auch die Chefin habe völlig danebengelegen, die das aber sehr amüsiert genommen und als wertvoll auf Video aufgenommen hatte, denn mein Verhalten habe da einfach komplett alles über den Haufen geworfen, was sie da tagelang gelernt hatten.
Die Aufgabe des Verkäufers sei gewesen, mir von vorne links beginnend die Fahrzeugsilhouette zu lobpreisen und mir zu zeigen, was für ein schönes Auto das sei. Und ich habe den völlig aus seinem mühsam antrainierten Verkaufskonzept gebracht, als mich das überhaupt nicht interessiert hatte, wie das Auto aussieht, ich an ihm einfach vorbei gegangen bin, mich reingesetzt und die Tür zugemacht hatte, und er völlig hilfslos draußen stand und gar nichts mehr tun konnte, und man dann von außen gesehen und gehört hatte, dass ich da sämtliche Schalter und Gänge ausprobierte, alles einstellte, mich rein auf das Funktionale beschränkte, und dann auch noch mit hohem Komikfaktor die Innenbeleuchtung untersucht und dabei sehr komisch ausgesehen hatte, was in ihrem Verkauskonzept überhaupt nicht vorkam und als irrelevant angesehen wurde. Es war für sie äußerst kurios, dass all die erlernten teuren Besonderheiten dieses Autos bedeutungslos waren und für mich eigentlich billige Details wie die Innenbeleuchtung, die Dachantenne und die Schalter wichtig waren und ich mir statt der Fahrzeugsilhouette den Kofferraum von innen angesehen hatte.
Ich hätte da in ein paar Minuten ihre gesamte Ausbildung über den Haufen geworfen. Und vor allem: Den Verkäufer eigentlich gar nicht beachtet, mir das Auto alleine angesehen.
Deshalb sei das für sie auch so wichtig und wertvoll gewesen, dass sie sich nicht selbst den ausbildungskonformen Käufer in Rollenspielen spielten, sondern mal einen „echten“ bekommen hätten.
Es zeigte aber vor allem eines, weshalb die Begebenheit für mich selbst dann auch wieder wichtig war und mir viel Spaß gemacht hatte:
Mir ist dadurch (erstmals) bewusst geworden, wie man Produkte und den ganzen Marketing-Prozess künstlich auf Aussehen und Design hin auslegt und optimiert, und man schon den Kotflügel darauf optimiert hatte, dass man sich von vorne links dem Fahrzeug nähere und die Silhoutte, die Fahrzeugform, wahrnehmen solle, und man wissen müsse, dass die Armaturenbrettanzeigen um den Tacho herum blau beleuchtet sind, und der Passat mit solchen Eigenschaften überzeugen sollte, und ihr komplettes, in der Schulung antrainiertes Verkaufskonzept völlig in sich zusammenfiel, als einer wie ich kam, den das Aussehen überhaupt nicht interessierte, sondern der nur wissen wollte, ob die Bedienelemente alle gut liegen, ob ich mit dem Fahrzeug auch bei Dunkelheit gut klarkomme und nicht (wie die Innenbeleuchtung des Ford Escort) so liegen, dass ich nicht einmal dran komme. Dass mir Funktion und Bedienung wichtiger als Design und Aussehen sind.
Es würde mich interessieren, aber ich habe es nie erfahren, ob dieses Video, das sie da selbst als sehr wertvoll und aufschlussreich eingestuft hatten, Eingang in deren Schulung fand, oder im Giftschrank verschwand. Wäre ich Ausbilder, würde ich es sogar als wichtig ansehen, den Leuten nach der Schulung ein Video zu zeigen, wie das alles wie Kartenhaus zusammenfällt und schief geht, weil das Verkaufsgespräch individuell ist, Überraschungen und inviduelle Anforderungen birgt und man als Verkäufer einfach lernen muss, die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu „lernen“. Wenn also einer so wie ich nach der Innenbeleuchtung schaut, muss dem Verkäufer klar sein, dass diesem Kunden das wichtig ist, und er muss die Innenbeleuchtung erklären statt hilflos dazustehen, weil er sein Konzept nicht durchziehen kann.
Hätte der Passat damals einen Touchscreen statt Schaltern gehabt hätte, die ich ausprobieren konnte, wäre ich gar nicht mehr bis zum Kofferraum gekommen.
Das ist mir bei dieser Begebenheit erst klar geworden, wie sehr sich meine Anforderungen an ein Auto von den Vorstellungen der Designer unterscheiden.
Und ich halte es für völlig unvertretbar, wenn der Fahrer während der Fahrt auf einen Bildschirm schauen und in Menüs herumsuchen oder auf einer glatten Scheibe nach der richtigen, nicht fühlbaren Stelle zum Drücken suchen muss, weil der Blick und die optische Wahrnehmung einfach auf die Straße gehören.
Deshalb halte ich schon solche Autos für eine Fehlkonstruktion, bei denen der Tacho nicht vor dem Fahrer, sondern in der Mitte der Konsole zwischen den Sitzen sind, was irgendwie chic sein soll, aber nur dumm ist. Denn der Blick runter zum normalen Tacho ist kein Problem, weil man die Position nicht suchen muss (zwischen den Händen) und der Weg einfach ist (genau runter, einfach ca. 20° nach unten), während eine in der Mitte befindliche Konsolenanzeige keine haptische Orientierung bietet und man sie in zwei Dimensionen suchen muss.
Das Problem unserer Zeit ist, dass das Design um des Designs willen und unter Missachtung der Funktion und Bedienung selbst zur Mode wurde, und eine Generation iPhone schon gar nichts anderes mehr kennt. Mal ehrlich: Wer von denen kann noch eine Kamera bedienen und fotografiert nicht mit dem Handy am ausgestreckten Arm? Wer von denen kann eine Boeing oder einen Airbus fliegen? Sie konsumieren nur noch Benutzermenüs auf dem Bildschirm, weil sie gar nichts anderes mehr kennen. Mir sagten schon Leute aus der Industrie, dass sie Bewerber mit Abi hatten, die keinen Computer mehr bedienen konnten und nicht mal eine Maus richtig kannten, sondern nur noch auf Tablets und Handys herumwischen können.
Es gab mal ein Design-Konzept, das da lautete „form follows function“.
Und irgendwo gab es mal eine Ausstellung von Designer-Sitzmöbeln, das man bewusst unter die Regel „Das Auge darf verletzt werden. Aber das Sitzfleisch nicht.“ stellte, weil man den Designern sagen musste, macht, was Ihr wollt, aber man muss auf dem Ding noch sitzen können.
Aber wie will eine Generation das machen können, die die Funktion nicht mehr kennt?
Es wird nicht mehr lange dauern, und sie werden unter „Benutzerfreundlichkeit“ Bildschirme mit Glassorten verstehen, auf denen der Finger möglichst leicht und angenehm rutscht.
Und ein großes Problem ist der asiatische Markt. Immer mehr wird für den asiatischen Markt gebaut, und das ist schlecht. Mir sagte mal jemand auf einer Fotomesser, um wieder zu Kameras zurückzukommen, dass sich der Markt völlig verändert habe, weil man früher für den europäischen/westlichen Markt gebaut habe, nunmehr aber für den asiatischen.
Europäische Kamerakäufer erwarteten eine funktionale, robuste Kamera, die mindestens 5 Jahre fehlerfrei und zuverlässig funktioniert, weil sie darauf Wert legten und frühstens nach 5 Jahren bereit seien, sich eine neue zu kaufen. (Zur Zeit chemisch-mechanischer Kameras lagen die Produktzyklen bei 10, später 5 Jahren.)
Asiatische Kamerakäufer wollten aber irgendwelche Bells und Whistles, Schnickschnack und Tinnef, der ihnen bald langweilig werde, weshalb sie schon nach 2 Jahren eine neue Kamera mit neuen Gimmicks wollen, weshalb die schnelle Zyklen brauchen, die Kamera aber nicht mehr lange halten und unterstützt werden muss.
Nun hatte sich das aber durch den fast völligen Wechsel zur Handy-Fotografie sowieso erledigt, der Kameramarkt war zwischenzeitlich weitgehend zusammengebrochen, wurden Kompaktkameras weitgehend eingestellt und aus dem Programm genommen.
Beachtlicherweise sind jetzt Kompaktkameras wieder im Kommen, die Handy-Fotografie ist augereizt, zwar sehr gut, aber am Ende angekommen, und die Leute kaufen wieder „echte“ Kameras. Mit Schaltern und Knöpfen.
Sehr erstaunlich ist auch, und da hatte ich mich in meiner Einschätzung auch geirrt, dass „Retro-Kameras“ nun solchen Erfolg habe. Nikon hatte vor Jahren schon mal eine Retro-Kamera, die Nikon Df von 2013, im Design einer 70er-Jahre Spiegelreflexkamera (wie Nikon F3 oder Fm-Serie), womit man versucht hatte, alle notorischen Film-Benutzer einzufangen, weil man die analogen Kameras einstellen und auch den sturen alten Fotografen eine Digitalkamera verkaufen wollte, die sich wie eine analoge Kamera bedient, mit so richtigen mechanischen Drehrädern aus Metall. Und die nur Foto konnte, kein Video. Zielgruppe: „Alter weißer Mann“, der noch viele Objektive hatte und nicht auf digital umsteigen wollte. War wohl nicht so erfolgreich.
Umso erstaunter war ich, als Nikon vor ein paar Jahren mit der Zfc wieder so ein Retro-Ding rausbrachte, eine moderne spiegellose, aber eben auch nur eine Z50 im anderen Gewand, mit mechanischen Schaltern, dafür etwas teurer und mit Metall-Gefühl.
Ich war sehr verblüfft, dass die damit einen Verkaufsschlager gelandet haben, weil – entgegen meiner Einschätzung – ziemlich viele Leute mit den Menüs und elektronischen Bedienelementen hadern und es gerne einfach, haptisch und unmittelbar haben wollen. Ein Drehrad, auf dem man die Belichtungszeit einstellt. Eines für die Empfindlichkeit. Eines (am Objektiv oder am Drehrad) für die Blende. Wie früher.
Ich hätte nicht gedacht, dass das so vielen Leuten gefällt, und es dafür noch eine Zielgruppe gibt – aber das tut es. Sie haben sogar ein weiteres Modell (Zf, Vollformat) herausgebracht, die sehr beliebt ist. Viele haben keine Bock auf Menüs und Displayanzeigen.
Und die Chinesen bedienen diesen Markt sehr ausführlich, indem dort inzwischen ganz viele Firmen sehr schöne (oft sogar sehr preisgünstige) Retroobjektive anbieten, wie in den 1950er Jahren, noch so richtig aus Metall und zum Drehen und manuellen Einstellen, die sich noch nach Objektiv und nicht nach Plastik und Elektronik anfühlen.
Es scheint, als neige sich die Ära der Menüs und Touchscreen-Oberflächen einem gewissen – Ende wäre zuviel gesagt – Umbruch zu, ist ausgelutscht und ausentwickelt.