Ansichten eines Informatikers

Wie die KI das Denken und Wissen verdrängt

Hadmut
20.7.2025 12:38

Eine Beobachtung.

Gerade aus einem Twitter-Gefecht um die Verfassungsrichterkandidatinnen:

Viele sehen nur die Bilder im Fernsehen, mit 8 Richtern in roten Roben und dem bekannten Gerichtssaal, in dem sie ihre Verhandlungen abhalten und manchmal auch Urteile verkünden, wissen aber nicht, dass die Verhandlung mit 8 Richtern im großen Saal und mit Urteil die Ausnahme ist.

Die meisten Entscheidungen am Bundesverfassungsgericht sind Kammerentscheidungen durch drei Richter, die einstimmig entscheiden müssen, beispielsweise eine Verfassungsbeschwerde nicht anzunehmen, sie als unzulässig oder unbegründet zu verwerfen oder ihr stattzugeben. Und die sind immer dann die Regel, wenn sich die Entscheidung aus bestehendem Verfassungsrecht ergibt, nur eine Anwendung früherer Urteile ist, oder die Rechtsfortbildung naheliegend und relativ einfach ist. Erst wenn die Kammern das wegen das Gewichts für nötig halten oder sich nicht einig sind, geht die Sache an den ganzen Senat.

So weit die Theorie. In der Praxis ist das dann so, dass der „Berichterstatter“, also der zuständige Richter das alleine macht und die anderen beiden auf Gegenseitigkeit nur dazu nicken, wenn ihnen das oberflächlich nicht gegen den Kram geht. Faktisch werden viele Entscheidungen, vor allem die negativen, vom Einzelrichter nach Gutdünken getroffen, obwohl das eigentlich nicht erlaubt ist.

Nun könnte man sich fragen: Na, und? Wen juckt das, wenn da draußen irgendeiner die Details am Bundesverfassungsgericht nicht kennt?

Nun ja, dieser Max Waibel ist Redakteur beim MDR, Ressort Innenpolitik, und weiß nicht, wie das Bundesverfassungsgericht funktioniert, hat noch keine der vielen Kammerentscheidungen gesehen:

Der eigentliche Brüller ist aber nicht, dass er das nicht weiß, sondern dass er da die KI fragt und der blind glaubt. Und die hat ihm die falsche Auskunft gegeben, weil er nicht gefragt hat, wieviele Richter da über einen Antrag entscheiden, sondern wieviele in einem Senat sitzen.

Das ist zwar in Bezug auf ein AfD-Verbot nicht relevant, weil eine solche gewichtige Entscheidung natürlich im ganzen Senat mit großer Sitzung und Tamtam und keinesfalls in eier Kammer erfolgen würde, zumal das ja keine normale Verfassungsbeschwerde, sondern ein Antrag des Bundestages (oder Bundesrates) wäre, die – glaube ich – gar nicht erst durch die Kammern laufen, sondern gleich das große Programm anstoßen. Es ändert aber nichts daran, dass korrupte und inkompetente Richter auch in den Kammerentscheidungen sehr, sehr viel Unheil anrichten können.

Und hier war es ja so, dass er sogar meinen Hinweis, dass in den Kammern drei Richter sitzen, als falsch weggewischt hat.

Ich beobachte das schon lange, dass die Leute geistig degenerieren und immer stärker auf KI setzen. Ich bekomme jede Menge Zuschriften, ich solle doch dieses und jenes in die KI einfüttern und sie dazu befragen, gerade jetzt auch zu der betrachteten Dissertation kam so eine Anfrage rein.

Es ist erstaunlich, wie schnell und wie sehr die Leute KI-gläubig wurden, denn diese KI-Systeme, die man befragen kann, gibt es ja noch gar nicht so lange. Die Leute scheinen sich aber sofort darauf gestürzt zu haben, als hätte man Terminkalender und Adressbuch neu erfunden und könnte sie endlich aufschreiben, statt sie sich merken zu müssen.

Mir ist ein ähnlicher Effekt in Japan aufgefallen: Ich hatte doch berichtet, dass es so unerwartet schwer war, sich dort mit Englisch zu verständigen. Ich habe aber gemerkt, dass viele, vor allem ab etwa mittelalte Japaner sich da auch keine Mühe mehr geben wollen, weil sie sagen, es gibt doch jetzt Übersetzerapps für alle Sprachen. Warum soll ich mich damit abmühen, eine Sprache zu lernen, wenn die Apps das in alle übersetzen? Die sind zwar noch ziemlich schlecht und fehlerhaft, aber die lernen schneller als ich es könnte.

Auch Restaurants machen sich nicht mehr die Mühe, ihre Speisekarte auf Englisch anzubieten. Da gibt es einen QR-Code mit einer Bestellseite, auf die man mit dem Handy gehen muss. Die bieten sie nur noch selten mit Sprachwahl an, die allermeisten sind nur noch japanisch, und dann soll man die Übersetzerfunktion des Handy-Browsers verwenden – was erstaunlich gut funktioniert, denn wenn die App nicht gesprochene Sprache erkennen muss, sondern sie schriftlich bekommt, wird die Übersetzung sehr gut. Die Sprach-Übersetzer-Apps haben ja kein Problem mit der Übersetzung, sondern mit dem Verstehen. Auf einmal sieht man die Speisekarte auf deutsch, spanisch, italienisch, koreanisch, …

Ich hatte vor über 10 Jahren beschrieben, dass ich auf den Journalistenkonferenzen Leute erlebt habe, die sagten, sie müssten eigentlich gar nicht mehr recherchieren, nach Themen suchen, das Haus verlassen – sie schrieben einfach über das, was ihnen Twitter reinspült.

Dieselbe Gattung von Journalisten scheint nun auch alles Wissen und Lernen aufzugeben und zu allem die KI zu befragen.

Es erinnert mich an elektrische Fahrräder. Plötzlich wollen alle nur noch elektrische Fahrräder, weil es ihnen mit deren Verfügbarkeit ganz plötzlich zu anstrengend geworden ist, selbst zu treten.