„oxygen will flow …“
Über die Sicherheitsbelehrungen im Flugzeug. [Nachtrag]
Unzählige Male habe ich die Sicherheitsbelehrungen im Flugzeug über mich ergehen lassen. Es gab mal eine Zeit, da gaben sich Fluglinien besondere Mühe, die irgendwie schick, außergewöhnlich oder witzig zu machen. Beispielsweise mit Schauspielern aus Herr der Ringe in Kostümen. Oder als abgefahrene Tanznummer im Flugzeughangar. Oder auch im Liegestuhl am Traumstrand mit blauem Himmel, bei dem aus dem Nichts plötzlich Sauerstoffmasken herunterfallen. Oder mit Musik. Oder gerendert. Und oft auch einfach mit Personen in der jeweiligen Landestracht. Um irgendwie noch originell zu sein oder wie auch immer noch Aufmerksamkeit zu erlangen. Auch das hat sich etwas abgenutzt. Inzwischen machen das wieder die Stewardessen, und gelegentlich sieht man noch sehr nüchtern-sachlich-dröge Aufklärungsvideos. Manchmal versucht die Cabin-Crew, das noch irgendwie witzig zu machen „Wir machen Ihnen jetzt dat Sicherheitsballett (kölsch)“. Es ist da wohl auch eine Art Wettbewerb zwischen den Airlines entstanden, wer das abgefahrenste Sicherheitsvideo macht, seit die Dinger nicht nur im Flugzeug gezeigt werden, sondern in den Social Media und auf Youtube zu sehen sind. Manche sammeln die auch, dieser Channel zum Beispiel, obwohl ich die besten, die ich kenne, da nicht mal gesehen habe. Viele geben sich da große Mühe, aber die Airline, die mir mit den besten aufgefallen ist, ist Air New Zealand, weil die anscheinend von der dortigen Filmproduktionsfirma hergestellt werden, sie diesen oder diesen, diesen oder diesen. Oder den im Altersheim.
British Airways hat es mal als Making Of von sich selbst mit prominenten Schauspielern inszeniert.
Es ist eine eigene Kunstform geworden, man hat aus der Not eine Tugend gemacht, die sich die Fluglinien einiges kosten lassen und mit denen sie auch im Wettbewerb stehen. Es ist erstaunlich, aber so etwas Dröges wie Safety Videos wurde tatsächlich zum Marketing-Instrument, und die Dinger werden tatsächlich auf Youtube angesehen. Man kann da Stunden damit verbringen, sich Safety-Videos anzusehen, weil manche davon wirklich kleine Kurzfilme sind, und in gewisser Weise so ein kleines bisschen auch die Funktion witziger Fernsehwerbung übernommen haben.
Letztlich aber kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fluglinien versuchen, die Leute irgendwie noch dazu zu bewegen, sich das Unanschaubare trotzdem noch anzuschauen. Die Leute sind einfach unbelehrbar. Allein in den letzten 3 Monaten habe ich es dreimal auf verschiedenen Flügen erlebt, dass die Cabin Crew barsch und im Ton durchaus ungehalten über die Lautsprecher Passagiere anschnauzte, dass sie sich gefälligst sofort wieder hinsetzen und anschnallen sollten, weil die schon aufsprangen und an die Gepäckfächer wollten, als das Flugzeug noch fuhr, einer davon sogar noch auf der Landebahn.
Auffällig dabei ist, dass auch wenn sie nur inhaltlich, aber nicht von den Formulierungen dasselbe sagen, da gewisse Redewendungen immer wieder auftauchen: Geht es um die Schwimmwesten, dann haben die nahezu ausnahmslos immer „a light and a whistle to attract attention“, und immer sagen sie, dass wenn die Sauerstoffmasken herabfallen, man sich über den mageren Beutel nicht sorgen solle „Don’t be alarmed, if the bag does not inflate. Oxygen will flow.“ Der erste Teil variiert, der hintere ist immer gleich. Als ob es einen kleinen Katalog von Formulierungen gebe, die sein müssen, und die Fluglinien das dann außenrum ausschmücken.
Seit Jahren schreibe ich, dass meine größte Flugangst nicht im Versagen der Technik, Schlamperei oder bei den Piloten liegt, sondern in der Dummheit, Unkontrolliertheit und Emotionalität der Passagiere, die sich irrational verhalten und durchdrehen, wenn irgendwas nach Notfall aussieht. Und dann versuchen, ihr Gepäck auszuladen. Es ist im Rettungswesen bekannt, dass Menschen in Panik versuchen, ein Gebäude auf demselben Weg zu verlassen, auf dem sie reingekommen sind, statt auf dem kürzesten. Ich habe das mal in Karlsruhe in einem Kino erlebt. Bei einer Lasershow in einem anderen Saal hatten sie zuviel künstlichen Nebel verwendet, der die Rauchmelder ausgelöst hat, großer Feuer- und Evakuierungsalarm im Kino. Fehlalarm, aber mal gut zu sehen. Obwohl der Kinosaal am unteren Ende einen Notausgang hatte, mit dem man direkt vom Gebäude weg, direkt an die frische Luft und in Sicherheit kommt, nur noch eine Stahltreppe runter muss, wies das Personal (das, wie ich dann erfuhr, überhaupt nicht eingewiesen war) die Leute an, den normalen Ein- und Ausgangsweg zu nehmen, also hoch, nach innen ins Gebäude, in das große Innentreppenhaus, wo im Brandfall alles verraucht gewesen wäre und die Leute sich gegenseitig niedergetrampelt hatten, außerdem jede Menge Stolperfallen wie Filmwerbungsaufsteller herumstanden. Geht nicht in die Birne, dass man bei Gefahr von der Gefahr weg muss und nicht zur Gefahr hin. Ist evolutionär, denn dasselbe Problem gibt es bei Wildschweinen. Es kommt häufig zu Angriffen, weil Leute versuchen, Wildschweine aus Gärten usw. zu vertreiben, aber nicht wissen, dass Wildschweine im Konfliktfall zwar fliehen wollen, aber nur auf dem Weg, auf dem sie gekommen sind. Und wenn der versperrt ist, weil Menschen einen anderen für besser halten, geht es rund. Und dazu gehört wohl auch, dass Leute unbedingt ihr Gepäck mitnehmen wollen, wenn sie fliehen, weil sie es ja auch mit reingebracht haben. Ich habe vor Jahrzehnten mal irgendwo ein Foto gesehen, bei dem Leute im Katastrophenfall, Brand oder sowas, über die mittleren Notausgänge auf die Tragfläche gestiegen sind und dann da versucht haben, mit zwei Koffern in den Händen von der Tragfläche zu springen. In Russland gab es mal einen Fall, in dem Menschen verbrannt sind, weil das (etwas kleinere, deshalb mit weniger Notausgängen ausgetattete) Flugzeug hinten brannte, man nur noch vorne rauskam, die Passagiere der ersten Klasse aber darauf bestanden, ihr Gepäck aus den Fächern zu holen, und deshalb kaum noch jemand rauskam. Das Gegenteil hat Japan bewiesen, wo neulich bei einer Kollision auf der Landebahn ein großes Flugzeug in Brand geriet und vollständig evakuiert werden konnte, weil die Leute so völlig diszipliniert sind und genau das machen, was sie sollen.
Seit einigen Jahren fällt mir deshalb auf, dass es in manchen Sicherheitsvideos auch die Anweisung gibt, die es früher nicht gab: „in case of emergency, leave your luggage behind“. Was meines Erachtens viel zu nebensächlich und am Rande erwähnt wird, als dass die Leute das kapieren.
Ich persönlich würde Safety-Videos ganz anders machen. Ich würde Flugzeugkatastrophen zeigen. Brennende Flugzeuge, Tote, Realitätsschock. Flugzeuge können brennen. Diese Leute sind gestorben, weil ein paar Ididioten ihre Koffer mitnehmen wollten. Schauen Sie dagegen nach Japan: Denen ist nichts passiert, weil sie sich vernünftig benommen haben und schnell und geordnet das Flugzeug verlassen haben. Würde ich ein Safety Video machen, es wäre ein Horror Film. Keine Gnade.
Warum?
Damit es im Hirn ankommt. Habe ich bei meinen Sicherheitsbelehrungen immer so gemacht: Anweisungen im anekdotischen Gedächtnis einpflanzen, da halten sie am längsten. Ach, der Danisch wieder, mit seinen Gruselgeschichten. Aber: Die Gruselgeschichten haben sie nie wieder vergessen. Andere Sicherheitsbelehrungsinhalte wussten sie schon 10 Minuten später nicht mehr.
Die Evolution hat das Gehirn so gebaut, dass es aus schlechten Erfahrungen (auch anderer) lernt: So stirbt man. Also merken wir uns, es so nicht zu tun. Und wenn man möchte, dass etwas so im Hirn bleibt, dass es auch in einer Panik- und Krisensituation abrufbar ist, dann kann man es nicht tanzen und nicht singen, sondern es geht nur über den Horror-Schocker, weil das Gehirn dazu eigene Gedächtnistaschen hat, um in Horrorsituationen zu reagieren. Hier, Flugzeugunfall: Diese Leute sind gestorben, weil sie … Anderer Unfall: Diese Leute haben überlebt, weil sie ….
Und dass die Tanzvideos und so weiter zwar schöne Werbung sind, aber im Notfall nicht gut funktionieren, sieht man an einem aktuellen Beispiel von heute:
BIG NEWS Japan Airlines Boeing 737 descends 26,000 feet in 10 minutes.
Shaken Passengers began writing down their wills and sending messages to loved ones like insurance information.
Plane was going from Shanghai to Tokyo and had 191 people on board.
Flight attendant… pic.twitter.com/bogOt4Hgyx
— Times Algebra (@TimesAlgebraIND) July 3, 2025
WATCH – pic.twitter.com/QfTDLZL0nd
— Times Algebra (@TimesAlgebraIND) July 3, 2025
Da gab es in einer 737 einen Druckabfall, angeblich auch nicht schlagartig, sondern langsam.
Was machen die Piloten? Eben das, was zu tun ist. Weil die Sauerstoffvorräte ja nur ein paar Minuten reichen, gehen sie innerhalb von 10 Minuten von 36.000 Fuß runter auf 10.000 Fuß, also etwa 3000 Meter, weil man auf 3000 Metern normal atmen kann. So ist das gedacht. Notlandung auf dem Osaka Kansai Airport. Sonst nichts passiert. Laut Videoaufnahmen saßen die auch alle schön brav da und hatten die Masken auf.
Die Rede ist aber auch von Panik und davon, dass die alle die Handys gezückt und sofort Abschiedsnachrichten an ihre Verwandtschaft geschickt haben, weil die dachten, sie müssen jetzt alle sterben.
Japan Airlines Boeing 737 drops 26,000 ft in 10 mins on Shanghai–Tokyo flight.
191 passengers on board — panic, oxygen masks deployed, people sent last messages.
Plane landed safely. pic.twitter.com/u6RBgpBWlp
— Prashant (@prashant10gaur) July 3, 2025
Und das, weil irgendwo eine Dichtung undicht war.
Trotz eines vergleichsweise harmlosen Vorgangs – Sauerstoffmangel ist übel, aber das Problem ist durch passende Maßnahmen kontrollierbar, wie man es hier ja auch getan hat – bereiten sich die Leute auf den Tod vor. Statt sich beispielsweise umzuschauen, wo der nächste Notausgang ist.
Weil die Realität eben doch anders ist als im Schmusevideo.
Und nun überlege ich:
Was ist besser? Den Leuten Schmuse- und Tansvideos zu zeigen, und zu sagen, Hauptsache, sie haben die Maske auf, lass sie halt Abschiedsnachrichten schreiben, dann sind sie eben beschäftigt, und wenn sie sterben, sterben sie halt dumm? Oder würde es doch etwas bringen, den Leuten vorher gute und schlechte Flugzeugunglücke zu zeigen, und einzuhämmern, wenn Ihr überleben wollt, macht das?
Oder geht es vielleicht gar nicht darum, beim Unfall die, die überleben, gegen die, die sterben, abzuwägen, sondern die Videos so zu gestalten, damit die Leute möglichst ruhig bleiben, solange nichts passiert, und dann, wenn etwas passiert, zu sagen, jetzt ist es eh egal, soll halt ein Flieger voll verbrennen, auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an, Hauptsache die Leute verhalten sich im Normalbetrieb ruhig?
Sind diese Sicherheitsvideos im Endeffekt also gar nicht für den Notfall gedacht, sondern dafür, dass die Leute sich informiert fühlen, solange es keinen Notfall gibt, und im Notfall sowieso alles egal ist, es nur darauf ankommt, dass die Piloten fliegen können und die Cabin Crew die Türen aufkriegt, ohne die falschen Türen aufzumachen?
Sind diese Saftey-Videos also nicht für den Notfall, sondern eher für den Normalfall gemacht, und die Notfälle überlässt man dann sich selbst, weil die Leute sowieso durchdrehen?
Wenn es um Safety geht: Warum kann man dann überhaupt einfach so in ein Flugzeug steigen? Warum werden Tickets nicht auf die beschränkt, die nachweisen, in den letzten 2 Jahren an einer Sicherheitsunterweisung teilgenommen zu haben, in der man das Verhalten, das Evakuieren und so weiter erlernt und geübt hat? Einmal in der Rauchkammer den Boden entlang krabbeln und die Rutsche runter und so weiter, wie das auch die Cabin Crew üben muss, für 20 Euro?
Nachtrag: Jetzt habe ich vor lauter Schreiben vergessen, wie ich überhaupt auf den Vorgang kam.
@hadmut Haben Sauerstoffmasken, die hier wohl als Vorsichtsmaßnahme ausgeklappt wurden, auch den Sinn Tumulte und insb. Gespräche und Schreie zu verhindern? Quasi eine psychische Maßregelung?
— Donner Stag (@denkbooster) July 4, 2025
So eine Art Halt’s-Maul-Deckel?
Gut möglich, dass sie diesen Effekt haben, sicherlich ist das so.
Aber: Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Da wird es im Cockpit einen Alarm gegeben haben, dass der Druck nicht stabil ist, und dann machen die das, wozu sie ausgebildet und im Simulator gedrillt wurden, nämlich strikt und stur nach Checkliste vorgehen, steiler Abstieg, Sauerstoffmasken raus, Notruf. Falls die Masken nicht sowieso automatisch ausgelöst werden. Ich glaube nicht, dass die da solche Features wie „bring die Passagiere zum schweigen“ haben. Zumal das sicher teuer ist, weil die die Sauerstoffflaschen und die Masken und Schläuche alle austauschen müssen.
Es hat auf jeden Fall aber den Nutzen, dass die Passagiere auf ihrem Platz bleiben müssen und nicht im Flugzeug rumrennen können. Insofer ist ein bisschen Lebensangst wohl nützlich, weil die Leute dann alle an der Maske bleiben.