Ansichten eines Informatikers

Reisebloggen braucht ein Verhältnis von mindestens 3:1

Hadmut
29.6.2025 19:19

Wie kann man Reisebloggen?

Weil es auch Rückmeldungen und Rückfragen gab: Reisebloggen und -youtuben macht zwar grundsätzlich Spaß, es ist aber eigentlich nicht die Wahrheit, weil man, genau genommen, gar nicht gleichzeitig reisen und youtuben oder viel bloggen kann.

Es gibt Leute, die sagen, dass sie im Urlaub, auf Reisen, keine Kamera mitnehmen, weil diese den Blick verändere.

Ich mache es andersherum. Ich nehme die Kamera mit, gerade weil sie den Blick verändert.

Viele Leute halten das zwar für schrecklich, entsetzlich, und fast so deutsche wie weiße Socken in Birkenstocksandalen unter kurzen Hosen, mit der Kamera um den Hals in Urlaub zu gehen, daber dagegen habe ich ein probates Mittel: Ich trage a) keine Socken in Sandalen und nehme b) erst gar niemanden mit, der mich schrecklich finden kann. Wenn man alleine ist, kann man bei Bedarf nämlich auch weiße Socken in Sandalen tragen.

Vielen ist das heute nicht mehr geläufig, da hat sich das Klischee schon abgetragen, aber das Bild vom Deutschen stammt eigentlich aus den 1950er und 1960er Jahren, als die Deutschen nach dem Krieg ihr Wirtschaftswunder hatten, endlich wieder etwas und jemand waren, und das Reisen nach Italien, Frankreich, Spanien entdeckten, weil sie auch endlich – wieder oder erstmals – Autos hatten. Wenn auch die einfachsten Mühlen. Wer das nicht weiß: Manche Leute mussten die Alpen rückwärts, im Rückwärtsgang hoch fahren, weil bei den niedrigstmotorisierten Einfachstautos jener Zeit die Motorleistung (teils nur 20 Ps oder noch weniger) so gering war, dass selbst der erste Gang noch zu hoch übersetzt war. Der Rückwärtsgang ist nämlich normalerweise noch niedriger übersetzt als der erste Gang.

Caterina Valente 1956:

Und aus dieser Zeit manifestierte sich das Bild des Deutschen im Urlaub: Geblümtes, weites Hemd (Vorläufer des Hawaii-Hemdes), kurze, bornierte, beamtenmäßige Hose, Strohhut auf dem Kopf, Sandalen und eben Socken. An allem rummosern und überall deutsches Essen, deutsches Bier, deutsche Reiseleitung erwarten. Und dicker Bauch, denn es war Wirtschaftswunder und man war ja wieder wer, man hungerte ja nicht mehr, wie im und nach dem Krieg.

Und – und da waren die Deutschen damals Spitze, bis die anderen aufholten – alles Fotografieren. Und zwar am liebsten mit einer Rolleiflex, die Zweiäugige mit der Klappe oben, die man vor dem Bauch hängen hatte und in die man von oben reinguckte, was schon so stinklangweilig aussah, oder mit irgendeiner Kleinbildkamera im Metallgehäuse samt damals obligatorischem braunen Lederfuteral.

Das ist das eigentliche, ursprüngliche Bild des Deutschen im Urlaub – als Gegenpol zum Deutschen in Uniform beim Kolonialisieren oder Morden – das sich so lange und so hart manifestiert hat. Weil aber schon lange niemand mehr weiß, was eine Rolleiflex ist, 6×6-Filme aus der Mode sind, und andere gewaltig aufholen, und heute jeder wie bekloppt Handy-Fotos macht, das also nicht mehr als Aufreger taugt, hat sich das auf weiße Socken in Sandalen reduziert.

Wenn Ihr mal wieder irgendwo eine hört, die sich darüber aufregt, dass deutsche Männer in Sandalen und weißen Socken in Urlaub gingen – fragt sie mal, wieviel sie über Rückwärtsgänge und Rolleiflex weiß.

Es kommt auf die Kamera an. Und was man damit macht. Wenn man den Eindruck vermittelt, dass man eine ordentliche hat und damit umgehen kann, kann einem das eine Menge Türen und Gelegenheiten eröffnen, die man sonst nicht hat. Denn in vielen Ländern hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass in den Social Media aufzutauchen eine sehr wirksame und dennoch kostenlose Werbung ist. In manche Länden in Japan, besonders bei Daiso, aber auch vielen privat geführten Läden hängen Schilder, die es ausdrücklich erlauben, den Laden und die Waren zu fotografieren – nur die Mitarbeiter und die Kunden solle man nicht fotografieren. Das haben die auch mitbekommen, dass das mehr Vor- als Nachteile bringt.

Und für mich eröffnet das eine besondere Sichtweise, achte ich auf Blickwinkel, Kontraste, Farben, Formen und sowas alles, woran man sonst achtlos vorbei gehen würde. Also gerade das, was manche nicht mögen und gerade deshalb keine Kamera mitnehmen. Es ist für mich so ähnlich wie der Effekt, den ich gerade beschrieben hatte: Fahre ich in einem Auto als Beifahrer mit, kann ich mir den Weg nicht merken, den wir gefahren sind. Ich muss ihn selbst fahren. Und so ist nicht nur das Foto an sich, sondern schon der Vorgang des Fotografierens, der Auswahl des Motivs, ein Weg, mir Reiseerinnerungen besser ins Hirn zu befördern, weil so etwas länger im Kopf bleibt.

Aber, ach.

Man schleppt halt schon eine Menge Zeug mit sich herum, obwohl das inzwischen deutlich besser geworden ist. Und man ist eben ständig beschäftigt, im Prinzip auch immer zu langsam, rennt der Gruppe bei Führungen usw. immer hinterher.

Das größte Hindernis ist aber, dass einem eigentlich die Zeit fehlt, um alles zu machen. Man kann nicht

  • Fotografieren Tele
  • Fotografieren Weitwinkel
  • Videos aufnehmen
  • Vielleicht noch Ton aufnahmen
  • die Umgebung beobachten und mitbekommen, was eigentlich passiert, etwa Reiseführern zuhören
  • sich in der üblichen Geschwindigkeit von Führungen oder wanderden Gruppen mitbewegen
  • und dabei auch noch Urlaub machen.

Eigentlich ist es Arbeit für drei, vier Leute, und das hat seinen Grund, warum Fernsehteams auch aus so vielen Leuten bestehen.

Und wenn man sich da mal die typischen Influencer und Reiseyoutuber/tiktoker anschaut, die die großen Zuschauerzahlen haben: Das ist Fake. Die machen da nicht Urlaub, die machen da eine Videoproduktion, und haben ihre eigenen Fotografen, Kameraleute und so weiter dabei, und tun dann nur so, als wären sie da gerade ganz allein und die Kamera schwebe eben einfach so in der Luft.

Es ist auch schwierig, sich selbst zu filmen, wenn es mehr als die am ausgestreckten Arm gehaltene Selfie-Kamera sein soll. Stativ geht noch. Es gibt auch Drohnen, die einem automatisch folgen können und dabei, wenn auf richtige Höhe eingestellt, durchaus den Eindruck erwecken, als gäbe es einen fahrenden Kameramann.

Aber letztlich ist das alles nur Krücke.

Und: Bild- und Videobearbeitung kosten sehr viel Zeit und sind echte Arbeit – von der man sich im Urlaub ja eigentlich erholen wollte.

Im Prinzip müsste man im Verhältnis 1:3 oder 1:4 Urlaub zu Reisezeit setzen:

Mindestens einen Tag
mit zwei Leuten das Ziel ausbaldowern, besuchen, Touren mitmachen, einer fotografiert Tele, einer Weitwinkel, Planen, Audioaufnahmen.
Mindestens einen Tag
Videoaufnahmen machen, einer im Bild, einer Kameramann,
Ein bis zwei Tage
Bildnachbearbeitung, Videoproduktion (Schnitt usw.)

Damit ordentliche Qualität herauskommt. Mit „Urlaub“ hat das dann allerdings nicht mehr viel zu tun.

Obwohl: Wenn man damit genug Geld reinholt, um die Mehrkosten zu decken, also Hotel und Kosten vor Ort, wäre das durchaus ein Ansatz, an jedem Urlaubsort einfach vier- bis fünfmal so lange zu bleiben.

Es ist die Frage nach einem Arbeitsmodell, wie man – allein oder zu zweit – möglichst effizient, möglichst praktikabel, Reisevideos mit hinreichender Attraktivität und Wirkung erstellen, die als Geschäftsmodell tragfähig sind und den „Urlaub“ nicht zum Arbeitsstress werden lassen.

Und ein Schritt in diese Richtung ist, dass es inzwischen deutlich besser dafür geeignete Kameras als noch etwa vor drei oder fünf Jahren gibt.

Aber: Die Vorstellung, Urlaub zu machen und dabei so nebenbei noch Urlaubsyoutuber zu sein und Videos zu produzieren, das geht im Allgemeinen nicht. Das sind vielleicht so ein paar Sache, die man nebenbei filmen kann, schau mal, das Essen. Urlaub ist Urlaub, Videos zu machen ist Arbeit, und beides sind verschiedene Dinge.