Abenteuer beim Zoll
Ich habe die Sache mit Bedacht etwas liegen gelassen, um da nicht so einen direkten Personenbezug zu machen.
Lange Jahre hatte ich hier im Blog eine Rubrik „Ich und die Flughafensicherheit“ über meine Abenteuer und Erlebnisse bei der Sicherheitskontrolle. Heute mal was anderes. Heute mal Zoll.
Ich war doch neulich in Japan, also außerhalb der EU. Da gelten dann die Zollgrenzen, bis zu denen man etwas frei einführen darf.
Die hatte ich allerdings schnell überschritten, weil ich mir in Japan ein paar Schuhe (Made in Portugal) gekauft hatte, außerdem noch einen zweiten Koffer, weil der Koffer auf dem Hinweg schon voll war und ich dort noch Sachen eingekauft hatte, außerdem habe ich Speicherkarten gekauft (weil ich versehentlich zu langsame eingepackt hatte), einen Adapter, den es in der EU noch nicht gab, einen Polfilter, und noch einigen Kleinkram, wie die japanischen Ohrkratzer.
Insgesamt lag ich über der Freigrenze von 430 Euro. Oder genauer gesagt: Der Freibetrag reichte gerade so, um den Privatkram abzudecken, und den Fotokram nicht mehr. Allerdings gilt für freiberuflich verwendete Sachen sowieso kein Freibetrag, das muss man alles angeben und verzollen (genauer gesagt: Einfuhrumsatzsteuer entrichten), was aber auch nichts macht, denn das kann man sich ja erstatten lassen. Effektiv, typisch deutsch eben, ein Riesen-Verwaltungsaufwand und Bürokratismus, um am Schluss eigentlich keine Steuern zu zahlen, und sich das alles wieder erstatten zu lassen, aber einen enormen Verwaltungs- und Arbeitsaufwand zu erzeugen.
Hatte ich erwähnt, dass die Sache in Japan unerwartet pragmatisch verlaufen war? Ich hatte mich vorher informiert und mir aus verschiedenen Quellen im Internet und in Reiseführern herausgesucht, dass das in Japan eigentlich genauso läuft, wie in den meisten anderen Ländern: Man geht, frühestens einige Tage vor der Abreise, in einen Laden seiner Wahl, der auch „duty free“ verkauft, zeigt seinen Pass mit Einreisestempel, dass man also Tourist ist, der gleich wieder geht und nicht etwa Visainhaber, Student oder sowas, zahlt dann die Mehrwertsteuer (dort 10%), lässt sich die Tüte versiegeln, damit man die Ware nicht in Japan benutzen kann (weil dann ja Steuer anfiele) und kann dann am Flughafen bei der Abreise unter Vorlage des Tickets, der Quittung und der versiegelten Ware eine Erstattung beantragen.
Jo, Pustekuchen. War viel einfacher. Ich hatte mich nämlich noch gewundert, warum die mich bei den Schuhen, beim Koffer und auch bei den Speicherkarten im Laden nach meinem Reisepass gefragt hatten. Ich hatte gar nicht erwartet oder versucht, die duty free zu kaufen, weil ich die ja alle noch vor Erreichen des Flughafens benutzen wollte, also die Mehrwertsteuer zahlen müsste. Anscheinend aber wurde das stark vereinfacht, denn der Einreiseaufkleber im Reisepass mit QR-Code reichte, dass ich das Zeug gleich ohne Mehrwertsteuer kaufen konnte, obwohl ich es unversiegelt direkt bekam (und die Schuhe auch gleich anbehielt und intervenieren musste, dass der Verkäufer meine alten Schuhe nicht gleich direkt in den Müll gab). Da gab es dann auch nichts zu beantragen. Anscheinend ist man dort auf den Trichter gekommen, dass sich der ganze Aufwand nicht lohnt, und man das einfacher machen kann.
Weil mich die deutschen Behörden als Blogger aber sowieso auf dem Kieker haben, dachte ich mir, ich lasse es auf nichts ankommen, zumal es mich ja auch nichts kostet, ich muss das halt zahlen, aber bekomme es später mit der Steuererklärung wieder erstattet.
Also bin ich in Japan vor der Abreise abends im Hotel noch alle Kreditkartenzahlungen und Kassenzettel durchgegangen, habe das alles schön in eine Tabellenkalkulation eingetragen, getrennt nach privat und beruflich, und das auch noch aufs Tablet übertragen und die Quittungen ins Handgepäck getan, damit das alles schön abläuft. Ich habe ja früher schon bei der Einreise Sachen angemeldet, ich kenne das von früher (dachte ich).
Ich kam also in Berlin an, und wie das so üblich ist, kommt man nach dem Abholen der Koffer vom Gepäckband zum Zoll, wo es zwei Ausgänge gibt: Den Grünen (nichts anzumelden) und den Roten (anzumelden). Und wer bei grün geht und danach aussieht, als hätte er eingekauft, kann gefilzt werden und Ärger bekommen. Und ich als Alleinreisender mit einem deutschen und einem japanische Koffer sehe natürlich ganz tierisch wie einer aus, der dort eingekauft hat.
Es geht nicht.
Also wollte ich, wie geplant, durch den roten Gang, um zu signalieren: Ich habe etwas, ich möchte etwas anmelden und die Einfuhrumsatzsteuer entrichten.
Aber, ach.
Ging nicht.
Das ist nämlich am BER nicht wie andereswo ein breiter roter Gang an einem Tisch vorbei, sondern eine Eingangstür in den Zollbereich. Und die war zwar nicht verschlossen, aber von innen hatte man so eine Dreiersitzbank, wie sie am Flughafen rumstehen, so vor die Tür gestellt, dass keiner reinkam, man da nicht durch konnte.
Und keiner da.
„HALLO!?“
Keiner da.
Stell Dir vor, Du musst zahlen, und keiner geht hin.
Was tun? Soll ich jetzt hier auf alle Ewigkeit warten? Oder soll ich einfach nach dem Motto „Wenn sie nicht wollen…“ bei Grün durchgehen? Und dann geschnappt werden? Spätestens, wenn ich die Sachen in der Steuererklärung angebe, könnte das Finanzamt fragen, warum die die nicht versteuert habe.
Und wenn ich ertappt werde? Vor meinem geistigen Auge: „Hohes Gericht, ich bin unschuldig! Ich wollte ja verzollen, aber es ging nicht. Die haben mich nicht reingelassen, die wollten mein Geld nicht!“ – „Angeklagter, das ist die dümmste und unverschämteste Lüge, die uns hier je aufgetischt wurde, dafür gibt es ein Jahr im Steinbruch bei Wasser und Brot zu den drei Jahren wegen Steuerhinterziehung obendrauf!“
Geht nicht.
Sowas glaubt mir doch kein Mensch.
Vorsorglich mal ein Foto gemacht:
Alle anderen, die ich aus dem Flieger wiedererkannt hatte, waren längst weg. Alle durch den grünen Ausgang.
Was also tun?
Vielleicht einfach mal beim Zoll anrufen?
Da sehe ich in der Entfernung einen rumlaufen. Uniform wie Polizist, Pistole, Schussweste, aber auf dem Rücken groß „ZOLL“.
„Hallo! Sie da! Ja, Sie! Nicht weglaufen! ICH MÖCHTE VERZOLLEN!“
Er wollte erst nicht und so tun, als hätte er mich nicht gehört, aber nachdem ich das laut und penetrant machte und alle gucken, was da jetzt abläuft, kam er mürrisch an.
„Das ist jetzt aber gerade ungünstig, wir haben das eigentlich verschlossen …“
„Komme ich ungelegen?“
Ja, also, das sei heute ganz ungünstig, sie hätten heute ganz viel zu tun und ganz wichtige Dinge, die anstünden, und zuwenig Personal und irgendwer ist noch krank, sie hätte für sowas heute gar keine Zeit und kein Personal.
Nun, fragte ich, so treudoof-schräg-provokant, was ich denn nun tun solle. Soll ich morgen nochmal wieder kommen und das Gepäck nochmal mitbringen? Oder soll ich einfach bei grün durchgehen, mich strafbar machen und Sie sagen es keinem? Was soll ich denn jetzt machen?
Nein, natürlich nicht, sagte er. Sein Blick sagte was anderes. Ich verstand ihn so wie „Du Depp, kannst Du nicht einfach durchgehen, schmuggeln wie alle anderen, und uns in Ruhe lassen?“
Er überlegte.
Ja, meint er, ich müsse rüber in den anderen Bereich. Zum anderen Zoll.
Ich, etwas irritiert, wie, da gibt es noch einen? Hörte sich an, als schickte er mich zur Konkurrenz, als würde man von LIDL zu ALDI geschickt. Nein, nebenan gäbe es den gleichen Ankunftsbereich noch einmal, da sei aber nichts los, die hätten Zeit.
Also gut, ich also mit Rucksack und zwei Koffern quer durch die Ankunftshalle in die gezeigte Richtung, und tatsächlich, da gab es, ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich da rüber kam, noch mal so eine Ankunftshalle, wie der das beschrieben hatte.
Nur: Keiner da. Alles totenstill. Szenerie wie im Film, kurz bevor die Zombies kommen. Oder die Szene mit Michael Douglas in „The Game“, als ob ich plötzlich der einzige Mensch im Flughafen sei. Hoffentlich komme ich hier jemals wieder raus.
Ich gehe also, Stimmung wie in einem Horror-Movie, in Richtung des dortigen Zolls. Sieht genauso aus, nicht mit einer Bank versperrt, aber keiner da. Niemand wird Dich hören, wenn Du hier schreist. Niemand wird gucken.
„Hallo?“
Es brennt das Licht, aber es ist niemand da. Ich hatte ja in der Zeitung vom Konstruktionsfehler des BER gelesen, dass sie vergessen hatten, Lichtschalter einzubauen und man deshalb das Licht nicht abschalten kann.
„HAAALLLOOO!“
Nichts.
Ah, doch. Ein Geräusch.
Eine Tür geht auf, es kommt einer in Uniform raus.
„Was willst Du denn?“
Guck mich tadelnd an, als hätte ich mich verlaufen. So nach dem Motto, was denn der Zivilist in einem unbenutzten Teil des Flughafens verloren habe. So „Wer stört uns in unserer ewigen Ruhe?“
Um die Sache vorwegzunehmen: Er duzte mich das ganze Gespräch über. Was mich sehr gestört hätte, wenn es mir nicht völlig egal wäre und mich deshalb nicht stört. Also, es hat mich nicht gestört, aber es hätte mich gestört, wenn es mich gestört hätte. Es fiel mir nur so auf, weil man in Deutschland ja gleich angeklagt wird und die Tür eingetreten bekommt, wenn man einen Polizisten duzt.
„Ich möchte was verzollen, und Ihr Kollege drüben schickte mich her, weil die für sowas heute keine Zeit hätten.“
So, ja, äh, dann kommen sie mal rein. (Blick, von mir interpretiert wie: Na, dem werd ich nachher was erzählen…)
Die haben da drinnen solche abgetrennten Edelstahltische, auf denen sie dann Koffer sezieren und obduzieren können. An so einen wurde ich geführt und wollte schon meinen Koffer da auspacken (Blick: Untersteh Dich, Deinen Scheiß hier auszupacken.)
Ich so, happy und motiviert, kooperativ, energiegeladen, freudestrahlend: Alles vorbereitet. Alles in der Tabellenkalkulation, hier auf dem Tablet, aufgeschlüsselt nach privat und beruflich, nach Yen und Euro. Als der „Yen“ hörte, war die Laune gleich im Keller, und als ich ihm ein Büschel Kassenzettel auf japanisch entgegenhielt, war gleich alles vorbei.
Laune am Tiefpunkt.
Er holte einen Stift und einen kleinen Zettel aus der Tasche, und wollte nur die Summenzeile sehen, die beiden Beträge für privat und beruflich wissen.
Sie hätte da nämlich ihren eigenen Wechselkurs, den sie eruieren müssten. Und ich habe zwar eine Zoll-Nummer, die hatte ich aber nicht parat, hatte ich verpennt, weil ich ja vorzeitig abfliegen musste.
Er verschwand für eine Weile, eine ziemliche Weile, und kam dann mit dem fertigen Bescheid/Rechnung zurück, alles ausgefüllt. Das habe ich dann an der Kasse bezahlt.
Beim Bezahlen waren dann plötzlich ganz viele da, um zuzuschauen und mit mir zu sprechen. Entweder wollten die gucken, was das für ein komischer Vogel ist, der freiwillig bezahlt und nicht schmuggelt, oder sie hatten gegoogelt und – hey, ist das der Blogger? Der steht draußen? Mal gucken.
Als alles fertig war und es an die freundliche Verabschiedung ging – es hatte so lange gedauert, dass wir inzwischen alle gute Freunde geworden waren – kamen wir auf das Thema, warum das in Deutschland eigentlich so kompliziert sei. Das sei es eigentlich gar nicht, sagten sie, es gäbe da tatsächlich im Web beim Zoll die Möglichkeit, das vorher das Webformular auszufüllen, und dann nur noch die Nummer zu sagen und zu bezahlen. Eigentlich hören sich deutsche Webformulare nach noch viel mehr Bürokratie an, aber ich sagte, das sei prima, ich hätte es nur nicht gewusst. Das wäre doch mal eine Idee, das in den Abflugbereich zu schreiben (ich kann mich erinnern, dass in Frankfurt – oder München, jedenfalls nicht in Berlin – im Abflugbereich eine Tafel hing, die die Reisenden vor ihrer Abreise über die Freigrenzen aufklärt, was eine gute Sache ist), denn es bringt ja nur etwas, wenn man das vorher weiß.
Ja, hieß es. Die Idee sei toll. Aber wenn man das jetzt vorschlage, dann hinge diese Tafel frühestens in 20 Jahren dort.
Was mir auffiel: Obwohl nur der zweite Teil des Flughafens leer und tot war, der erste Teil, in dem ich angekommen war, aber rappelvoll war und da ganz viele Leute waren, und das bei mir lange dauerte, war ich offenbar der Einzige, der etwas verzollen wollte. Sonst war da niemand. Der einzige Nicht-Zöllner, den ich da in der ganzen Zeit gesehen habe, war ein Flugkapitän mit seinem kleinen Kabinentrolley, der an mir vorbeigelaufen kam und den Zoll auf Gegenseitigkeit ignorierte. Dass die anderen alle die Grenzen einhielten, dürfte enorm ausgeschlossen sein.
Es scheint, als sei das allgemein so, dass sich keiner an die Freigrenzen hält, da breit geschmuggelt wird, und der Zoll so überlastet, unterbesetzt und überbürokratisiert ist, dass denen das in gewisser Weise sogar lieber sein könnte, weil sie für solchen Kleinkram keine Zeit haben.
Sagen wir es so:
Der Aufwand, den ich da verursacht habe, steht nur knapp in einem Verhältnis zur Steuer, die ich da gezahlt habe. Das könnte die Kosten gerade so decken. Aber nicht mehr, wenn ich mir die Einfuhrumsatzsteuer wieder erstatten lasse. Dann war es ein großer Aufwand für eine Nullnummer.
Was soll der ganze Scheiß eigentlich?
Als ich dann im Zug saß, ging mir durch den Kopf, dass die Japaner sich wohl genau das gedacht hatten und den ganzen Mist für die Ausreise anscheinend komplett abgeschafft haben, weil der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag steht. Dort habe ich – ab einem bestimmten Kaufbetrag, ich glaube, es waren 5.500 Yen oder etwas in der Gegend, in Läden mit Duty-Free-Lizenz bei Vorlage meines Reisepasses mit Touristeneinreisemarke (sie haben OCR-Leser und lesen den Barcode ein, irgendwas geht da online) die Sachen ohne Mehrwertsteuer, und zwar auch unversiegelt und obwohl ich sie gleich benutzt habe.
Wenn man da seine Steuern zahlt, steht man da und kommt sich irgendwie verarscht vor.
Und ich hatte den Verdacht: Die auch.