Wann und warum schlafen Computer in Hessen?
Ein Lehrer fragt an. [Update]
Server mit Arbeitszeitbeschränkung
Sehr geehrter Herr Danisch,
bin Lehrer in Hessen.
Zu diesem Termin müssen wir die Zeugnisnoten zum ersten Mal direkt in die Landesschuldatenbank eintragen.
Für die Verwaltung eine gute Sache.
Aber!!!! In Hessen arbeiten die Server dafür nur von 6.00 – 23.00 Uhr.
Ich bin Laie, bin einfach zufrieden, wenn mein Rechner macht was ich will.Können Sie mir erklären, wozu das gut sein soll?
Amazonserver u.a. arbeiten doch auch rund um die Uhr.
Ja, kann ich.
Obwohl: Genau weiß ich es nicht, das kann viele Gründe haben, und Blind-Ferndiagnosen sollte man sich verkneifen, sowas geht leicht schief. Ich erkläre einfach mal ein paar grundsätzliche Dinge.
Geld
Rechner laufen zu lassen kostet einen Haufen Geld. Strom. Klimaanlage. Wartungspersonal. Das kann durchaus sein, dass die die nachts einfach abschalten, um Strom zu sparen. Die werden sich denken, unsere Lehrer sind Beamte, die haben nachts vorschriftsgemäß zu schlafen, wozu also die Server laufen lassen?
Das kann man auch etwas bodenständiger formulieren. Ich weiß von Firmen, die ihre gesamte Infrastruktur in der Cloud bei Cloudprovidern betreiben – und dafür natürlich nach Nutzungszeit und Zahl der Rechner zahlen. Jeden Abend, so gegen 19:00 Uhr, löschen und kündigen die fast alle ihre virtuellen Rechner. Die werden dann über Nacht für andere Kunden, in anderen Zeitzonen eingesetzt. Jeden Morgen, kurz vor Arbeitsbeginn, werden die Server alle neu bestellt, installiert, aufgesetzt. Was nicht nur ein Qualitätskriterium ist, das ich persönlich außerordentlich hoch schätze, wenn man seine ganze Infastruktur innerhalb weniger Minuten voll automatisiert reproduzieren kann (und damit zwangsläufig auch vollständig und reproduzierbar dokumentiert hat und das täglich neu nachweist, so etwas gefällt mir sehr), sondern eben auch Geld sparen: Statt 7×24 = 168 Stunden zahlen sie nur ungefähr 5*12 = 60 Stunden pro Woche. Fast zwei Drittel Ersparnis (hängt vom Tarif ab, wie sich das auswirkt).
Selbst wenn Hessen die Server selbst betreibt, könnte ich mir gut vorstellen (oder würde das als Betreiber selbst so machen), dass die Rechner, die ja auch Geld und Wartung kosten, und durch abgeschaltetes Rumstehen ja auch nicht billiger werden, nachts nicht untätig rumstehen, sondern anderes machen, beispielsweise Aufgaben mit hoher Rechenleistung abarbeiten, die auch nachts stattfinden können. Aufgaben gibt es dafür genug: Klimamodelle durchrechnen, Filme rendern, Number-Cruncher-Aufgaben der Universität, und so weiter.
Ein Knackpunkt ist nämlich: Server abzuschalten ist eine ganz dumme Idee. Das tut denen nämlich gar nicht gut, wenn die abkühlen und dann wieder angeworfen werden, so etwas verkürzt die Lebensdauer enorm. Das ist ähnlich wie bei den Glühbirnen: Die meisten gehen beim Einschalten kaputt. Habe ich schon unzählige Male erlebt, dass Rechner jahrelang tadellos laufen, sich aber nach einer Abschaltung und Abkühlung nicht mehr einschalten lassen. Das hat vor allem mit den alterndern Kondensatoren in den Netzteilen zu tun, aber auch drehende Teile (Lüfter, Festplatten) stecken das schlecht weg, wenn die anhalten und wieder anlaufen müssen, und schon etwas ausgeleiert sind. Dann laufen die nicht mehr exakt zentrisch, eiern und schlagen aus. Oder setzen sich fest, wenn der Dreck im Lüfter mit dem Schmieröl festbackt und so weiter. Und dann kommen noch die Lastspitzen beim Einschalten dazu, und Klimaanlagen und Notstromversorgung, auch die normale Stromversorgung (der Versorger) mögen das gar nicht, wenn man nachts die Last abschaltet.
Es könnte natürlich sein, dass die in Hessen schon mal üben, wie es ist, wegen Windrädern und Solarzellen nachts keinen Strom zu haben, aber aus meiner Berufspraxis kann ich sagen, dass man das normalerweise unter allen Umständen vermeidet, Rechenzentren nachts physisch abzuschalten und morgens wieder hochzufahren, das ist die Hölle. Sowas tut man sich nicht an, die physische Schadensbilanz ist auch zu hoch.
Deshalb ist anzunehmen, dass diese Server als virtuelle Server laufen und die nur virtuell abgeschaltet werden, damit die darunterliegenden physischen Server nachts andere Aufgaben erfüllen und ihre Stromkosten reinholen können. Ich hielte es für naheliegend und äußerst empfehlenswert, die Server nachts und am Wochenende, wenn sie dienstlich nicht genutzt werden, andere Dinge machen zu lassen, etwa Rechenjobs für Universitäten abzuarbeiten und so weiter. So würde es jeder machen, der ein physisches Rechenzentrum verwaltet und versucht, das kosteneffizient und mit möglichst gleichbleibender Stromlast zu betreiben.
Es kann nämlich auch sein, dass das mit dem Stromsparen gar nicht so funktioniert, wie man sich das vom Abschalten vorstellt, weil der Stromversorgen bei solchen Großabnehmern normalerweise auch die Infrastruktur, also die Bereitstellung, zahlen lässt, und sogar Mindestabnahmen vereinbart, weil der das nicht abbilden kann, wenn ein Rechenzentrum mal ein und mal ausgeschaltet wird.
Amazon
Der Leser verweist auf Amazon, die ihre Rechner nachts auch nicht abschalten.
Das ist das perfekte Stichwort.
Amazon gilt nämlich als der Erfinder der Cloud im großen Stil. Aber wie und warum haben die das erfunden?
Amazon hatte viele Server gekauft, um die hohe Bestelllast im Weihnachtsgeschäft abbilden zu können. Und stand vor dem Problem, dass sie einen Haufen teurer Rechner und Rechenzentren haben, die sie nur im Dezember brauchen und die dann 11 Monate im Jahr tot rumstehen. Also stellte man sich die Aufgabe, irgendetwas zu finden, womit man die hohen Kosten dieser Rechner wieder reinholen kann, und kam auf den Gedanken, diese Rechner zu vermieten, etwa als Rechensklave für Universitäten, oder zum Rendern von Kinofilmen und solches Zeug. Darüber kam man auf die Virtualisierung und schließlich zur Cloud.
Dazu muss man natürlich wissen, dass die USA über mehrere Zeitzonen verteilt sind, die also diese Nacht-Situation wie in Deutschland so nicht haben, und Amazon sowohl als Händler, als auch als Cloud-Anbieter sowieso weltweit anbietet, es für die also keine „Nacht“ gibt.
Hessen
Ich weiß aber nicht, wie das in Hessen ist. Was ich geschrieben habe, ist nur meine Berufserfahrung, mein IT-Wissen.
Vielleicht sind das in Hessen alles Beamte, die abends, wenn sie gehen, eben einfach alles ausschalten wie das Licht im Büro. Oder sich schlicht gar nicht vorstellen können, was Computer nachts treiben sollten.
Vielleicht steckt da einfach gar kein Gedanke, keine Absicht, keine Überlegung, kein Grund dahinter, sondern einfach so ein „Das haben wir schon immer so gemacht“ und „Wo kämen wir hin …“.
Vielleicht hat es irgendeine Gewerkschaft durchgesetzt, dass man nachts – als Admin oder als Lehrer – nicht arbeiten darf und kann.
Oder vielleicht ist es frauendiskriminierend, Rechner nachts laufen zu lassen.
Oder vielleicht fehlt ihnen nachts einfach der Strom.
Update: Ein Leser schreibt dazu
SLA!
Ich arbeite ja auch für eine Behörde, und die Nichtverfügbarkeit ist nich außerhalb der SLA-Zeiten gewährleistet.
Aber weil das nicht jeder versteht, schreibt man Lehrer oder anderen IT-Unwissenden einfach so ein Quatsch als Begründung
Eigentlich nein. Denn das SLA ist an sich kein Grund, die Server außerhalb des SLA abzuschalten. Das SLA regelt Reaktions- und Wiederstellungs- und nicht Betriebszeiten.
Es könnte aber natürlich sein, dass die das Ausgeschrieben haben, und in der Ausschreibung oder im Vertrag als Anforderung „6.00 – 23.00 Uhr“ drin stand, und sich irgendein Dienstleister denkt „gut, wenn da so im Vertrag steht, dann machen wir das so“, und seine Rechner nachts anderweitig vermietet.
Es könnte tatsächlich ein dusseliger Vertrag mit einem Dienstleister sein.