Ansichten eines Informatikers

Von Hirnfehlern, fehlenden Außenspiegeln, fiesen Handgranaten und einem ganz blöd verstorbenen Polizisten

Hadmut
13.6.2025 22:00

Erleuchtendes vom Nordpol.

Zu den Anekdoten mit den Kapriolen, wenn das Hirn eingespielte Abläufe abarbeitet, obwohl man das nicht bewusst will, etwa im Cockpit die falschen Hebel bedienen.

Ein Leser weist darauf hin, dass die Cockpit-Crew damals den Flug Air Canada 621 sehr außergewöhnlich spektakulär gecrasht und die Trümmer wirklich weit verteilt hat, wobei da noch die Kombination mit eigenmächtigen Abweichungen von den Checklisten und missverständlicher Kommunikation dazu kam. Aber ein Flugzeug so hart auf die Landebahn knallen zu lassen, dass einem dabei ein Triebwerk abfällt, dann durchzustarten und erst 2 Minuten später zu merken, dass einem ein Triebwerk komplett fehlt und auf der Landebahn liegt, und der brennende Sprit aus der Tragfläche läuft, und dann gleich drei Explosionen in der Luft hinzulegen, macht enorm Eindruck beim zuschauenden Publikum.

Ein anderer Leser:

Da ist mir einmal etwas Verblüffendes passiert. Ich habe zum Überholen angesetzt und wollte in den linken Außenspiegel schauen. Der fehlte aber. Das lag daran, dass ich nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß unterwegs war.

So etwas ist mir mal im Studium passiert. Da hat man ja im Grundstudium und die ersten Semester danach so eine Phase, in der man 24×7 Informatik und sonst wirklich gar nichts anderes mehr macht. Außer hin und wieder doch auch was essen. Ich habe mich ertappt, wie ich vor dem Kühlschrank stand und statt den Kühlschrank einfach zu öffnen intensiv darüber nachdachte, wie ich den Ablauf des Öffnens und Herausnehmens in Maschinensprache programmiere und die möglichen Fehlerfälle abfange.

Handgranaten

Ein dritter Leser:

Flugzeugabsturz, Hirnroutinen

Hallo Herr Danisch,

zu den Hirnautomatismen, besonders unter Stresssituationen, kann ich einen kleinen Beitrag leisten:

Ich war Angehöriger einer Polizeispezialeinheit.
In den 90er Jahren wurde die Schießausbildung aufgrund eines Ereignisses in den USA angepasst.

Ein amerikanischer Polizist wurde in einem Feuergefecht erschossen.

Dieser Polizist gab 5 Schüsse ab, entnahm das Magazin, zog den Verschluss nach hinten, verließ die Deckung und zeigte die entladene Waffe vor, wie schon hunderte Mal bei der Schießausbildung „geübt“.

Vermutlich kennen Sie diese Routine noch von Ihrer Zeit bei der Bundeswehr.

Gar nicht mal so sehr, wir wurden damals nicht auf Vorzeigen gedrillt, sondern darauf, und ständig selbst vom Zustand der Waffe zu überzeugen.

Mir ist aber ein ähnlicher Effekt von der Handgranatenausbildung bekannt, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, sondern nur aus der Erzählung der Unteroffiziere aus deren Lehrmaterial, was sie uns damals zur Handgranatenausbildung erzählten.

Die Handgranatenausbildung – eigentlich gibt es da nicht viel auszubilden, es geht darum, es erklärt zu bekommen, mal zu üben und am Schluss einmal mit einer richtigen, scharfen Handgrante zu machen – läuft so ab:

Man übt das zunächst (wie alles, was mit Munition zu tun hat) mit Exerziermunition, Exerziergranaten. An denen kann nichts losgehen, da ist kein Sprengstoff und kein Zünder drin, das sind nur Dummies, an denen man die Abläufe übt, ebenso wie Exerziermunition für Gewehr und Pistole nur ein Stück Metall sind, in dem kein Pulver ist. Da kann nichts losgehen.

Wenn man das kann, darf man an die blaue Übungsmunition, die nur aus Plastik besteht und ganz wenig Pulver enthält, die macht nur ein bisschen Puff und man kann mit dem Gewehr damit so 40 oder 50 Meter weit schießen (aber nicht sehr genau), oder es kommt statt einem Brandsatz nur Kreidestaub raus (Handflammpatrone), damit man sieht, wo es gebrannt hätte, wenn es gebrannt hätte, oder die berüchtigten „Negerpfeile“ (wie sie damals hießen, Übungsmunition) für die Panzerfaust. Und sowas gibt es auch als Handgranate. Da kommt ein Zündplättchen rein wie früher in die Kinderpistolen, und dann macht das so ein bisschen „Puff“.

Und wenn man das alles kann, dann darf man einmal eine so richtig echte, böse, tödliche Handgranate werfen (und einmal so eine richtige böse, echte Panzerfaust abfeuern usw.)

Man übt das also einige Male, wiederholt das, bis es es „sitzt“: Handgranate in die rechte Hand nehmen, und zwar so, dass die vier Finger den Auslösehebel fest umfassen und festhalten, die Granate mit dem Daumen umschließen.

Dann: Das rechte Bein etwas nach vorne, leichter Ausfallschritt. Handgranate in der Faust mit ihrem Boden auf dem Oberschenkel abstellen und dort fixieren, damit sie einem beim Ziehen des Sicherungssplintes nicht wegrutschen oder herunterfallen kann. Denn der sitzt stramm, da muss man schon was hinlangen. Dann also greift man mit dem Mittelfinger der linken Hand in den Schlüsselring am Splint und zieht ihn mit Kraft und einer Drehbewegung raus. Dann tut sich noch nichts, so lange man die Granate in der Hand und den Hebel fest hält. Und dann schmeißt man sie irgendwann gen Feind, und weil man dabei den Hebel loslässt, gibt der den Zünder frei, der eine Verzögerungsladung entzündet und nach ein Sekunden macht es so richtig bumm.

Und wenn man damit so weit ist, dass man einmal die echte Granate werfen darf, dann sitzen die alle im Bunker und der Übungsleiter schaut durch ein Panzerprisma zu, damit dann, wenn etwas schief geht, es a) nur zwei Tote gibt und b) die anderen wissen, was schief gelaufen ist.

Wenn man also dran ist, geht man an den Bunkerausgang, lässt sich aus dem Koffer mit den Granaten eine geben, und geht damit zu dem Vorgesetzten (Feldwebel oder so etwas), der das Werfen baufsichtigt. Da steht man dann mit dem an einem so etwa bauchnabelhohen Erdhügel als Deckung, und bekommt seine Befehle. Der steht rechts neben einem und erklärt einem, dass der fiktive Feind da in dem großen Matschloch hinter diesem Hügel haust, und dass man den Befehl habe, den Feind zu bekämpfen. Deshalb nun also die Granate entsichern solle. Dann macht man das, genau wie ausgiebig geübt, rechtes Bein vor, Granate in der rechten Hand, auf den rechten Oberschenkel, und mit der Linken am Ring den Splint herausziehen.

Und dann folgt ein wenig belanglose Konversation, etwas Plaudern. Weil man zeigen und der sich vergewissern soll, dass man das auch kapiert und verinnerlicht hat, dass die Granate nicht schon mit dem Ziehen des Splintes, sondern erst mit dem Loslassen des Hebels hochgeht. Dass man also in der Lage ist, das Ding zu entsichern und dann zu halten, bis der Befehl kommt, das Ding zu werfen.

Dann kommt der Befehl, und man pfeffert das Ding in hohem Bogen über den Hügel hinweg gen Feind. Ich habe mich damals sofort in Deckung geworfen und gar nicht mehr geschaut, wo das Ding landet, während der Feldwebel die Ruhe weg hatte und noch schön geguckt hat, wo das Ding gelandet ist. Dann geht der auch in Deckung, und dann macht es „Bumm“ und eine Ladung Matsch kommt geflogen.

Dann geht man dreckig zurück zum Bunker, bekommt seine Bewertung („Sahne, Danisch!“) und das war es.

Aber, ach,

Es gab irgendwo einen Übungsplatz, der war anders aufgebaut.

Da stand nicht ein Werfer links und der Feldwebel als Vorgesetzter rechts, sondern der Vorgesetzte in der Mitte und zwei Werfer, einer links und einer rechts von ihm.

Und das führte dazu, dass der, der rechts vom Vorgesetzten stand, das alles spiegelverkehrt machen sollte und musste, ohne das aber im Drill geübt zu haben.

Und es passierte dann, wie es unweigerlich irgendwann passieren musste: Einer machte es wie eingeübt, und warf mit der rechten Hand den Ring in den Matsch und behielt in der linken die Granate.

Das an sich wäre noch nicht schlimm gewesen, denn wie gesagt: Solange man die Granate fest hält, passiert nichts, und den Ring mit dem Splint wegzuwerfen, ist unschädlich. Der merkte das aber nicht gleich und wunderte sich, warum es nicht „Bumm“ machte. Auch der Feldwebel wunderte sich, der hatte aber gemerkt und gesehen, dass der einen Ring und keine Granate geworfen hatte.

Dann bemerkte der Werfer, dass er in der linken Hand eine scharfe, entsicherte Handgranate hielt und sie noch nicht geworfen hatte. Und anstatt sie einfach zu werfen (dann wäre alles in Ordnung gewesen) starrte der entsetzt in seine Hand, warum da eine Handgranate war, bekam einen Panikanfall, war nicht mehr kontrollfähig, ließ die Granate vor Schreck fallen und trat sie auch noch unten in den Matsch.

Der Feldwebel hatte sehr schnell reagiert, sich zu dem Unglücksraben geworfen, die Granate im Matsch gefunden und noch oben geworfen und sie beide zusammen runtergedrückt.

Das wäre an sich tödlich gewesen, aber sie hatten unfassbares Glück, denn die Granate explodierte über ihnen, und stand dabei exakt senkrecht in der Luft. Und die Wirkung geht zu den Seiten, die haben oben und unten einen toten Winkel, und genau der hatte sie gerettet.

Zeigte aber sehr gut, wie verheerend eine nicht trainierte Abweichung von einem stur einheitlich trainierten Ablauf sein kann.