Ansichten eines Informatikers

Vom Straßenverkehr zunehmend überfordert

Hadmut
21.5.2024 17:29

Beobachtungen beim Linksabbiegen.

Es war mal wieder so weit. Ich bin wieder an jener Berliner Kreuzung links abgebogen, über die ich anlässlich des Linksabbiegens schon mal was gebloggt hatte.

Eine unscheinbare Kreuzung. Eigentlich ganz gewöhnlich, fast ganz einfach. Jeweils ein Fahrstreifen für jede Richtung. Dazu jeweils eine Linksabbiegerspur.

Aber: Keine Linksabbiegerampel, kein Linksabbiegerpfeil in der Ampel. Was, wie man ja in der Fahrschule schon lernt, bedeutet, dass man nicht einfach drauflosablinksen kann, sondern sowohl auf den Gegenverkehr achten und den durchlassen muss, also auch auf die Fußgänger, die parallel zur ursprünglichen Fahrtrichtung ebenfalls grün haben. Man fährt also abbiegenderweise über den Fußgängerweg, wo die gerade grün haben, und muss natürlich warten, bis es frei ist, bis die alle durch sind. So die Theorie. In der Praxis nutzt einem auch eine Abbiegerampel nicht viel mehr, weil sich Radfahrer und Fußgänger in Berlin an keine Verkehrsregeln mehr halten und man ausnahmslos immer gucken muss, ob da einer rumläuft.

Aber es war nun einmal so, dass ich links abbiegen wollte, auf dem Linksabbiegerstreifen war, selbst grün hatte, und sich im Gegenverkehr eine lange Lücke auftat, weil die schnellen PKW schon durch waren, und in der Ferne ein großer, schwerer LKW kam, der da Probleme hatte, an irgendwas vorbeizukommen. Extrabreit ausreichende Gelegenheit, um in aller Gemütsruhe auch ganz langsam links abzubiegen.

Den auf dem Fußgängerweg links der Fahrbahn kam aus der Gegenrichtung gerade eine Frau, die den Fußgängerüberweg betrat. Darf sie ja auch, hat ja auch grün, und man wartet halt kurz, bis die durch ist. Die Frau war etwas älter, grauhaarig, aber körperlich fit (da muss ich aufpassen, was ich sage, denn ich muss mich damit abfinden, dass viele der Leute, die so richtig alt aussehen, jünger sind als ich, und ich mir noch nicht sicher bin, ob ich das gut oder schlecht finden soll), dem Aussehen nach vielleicht so Mitte, Ende 50, vielleicht Anfang 60, sah sehr eindeutig nach weißer Deutscher aus, dem Stil nach sehr nach Grünen-Wählerin. Aber selbst die fährt man ja auch nicht über den Haufen.

Im Hirn plant sich mir das so, wer sie wie wo und wohin bewegt, und zusammen mit der Erfahrung im Autofahren meldet das Gehirn: „Alles gut!“ Bis wir (also mein Auto und ich) bei diesem Fußgängerstreifen angekommen sind, hat die mindestens die Hälfte des Weges hinter sich, und wir können da bequem durchfahren, noch Ewigkeiten bevor der entgegenkommende LKW an der Kreuzung ankommt, also ein Linksabbiegen der leichtesten Sorte. Das hätte völlig einfach und problemlos funktioniert, alles bestens und mit ausreichend Sicherheitsabstand in jeder Hinsicht.

Aber, ach.

Die grünverdächtige Alte achtete nicht auf den Straßenverkehr und ihre Umgebung. (Haben wir eigentlich damals von den Eltern und in der Grundschule gelernt, dass man sich umschaut, wenn man über die Straße geht, und gab es da nicht schon im Struwwelpeter die Geschichte vom Hanns-Guck-in-die-Luft?) Sie guckte auf ihr Handy.

Was nicht weiter problematisch gewesen wäre, wenn sie einfach linear und gleichmäßig weiter gegangen wäre. Es hätte alles gepasst.

Sie wurde aber erst langsamer, und blieb dann stehen, offenbar weil sie auf dem Handy irgendetwas gesehen hatte, das sie so sehr ablenkte, dass sie dabei vergaß, weiter zu gehen.

Blieb einfach mitten auf der Fahrbahn stehen und guckte auf das Handy.

Inzwischen war ich mit dem Auto an der Markierung des Fahrstreifens angekommen und kurz vor ihr stehen geblieben, und erwartete, dass die weiter ging. Noch hatte ich nicht gehupt, weil ich davon ausging, dass die das merkte, dass ein Auto direkt vor ihr stand. Das tat sie auch. Sie merkte es.

Aber anstatt zu merken, dass sie im Weg steht, und einfach weiterzugehen, womit immer noch alles gut gewesen wäre, guckt sie erst völlig irritiert zur Ampel, um sich zu vergewissern, dass sie grün hat, und glotzt mich dann stehenbleibenderweise an wie eine Kuh, wenn’s blitzt und donnert.

Es war überaus offensichtlich, dass die Frau die Verkehrssituation nicht verstand. Sie hat zwar nichts gesagt, aber man hat ihr sehr deutlich angesehen, dass sie das überhaupt nicht verarbeiten konnte, dass sie doch ersichtlich Fußgängergrün hatte, und da trotzdem ein Auto kommt und quer über den Fußgängerweg will. Und sie war auch trotz Augenkontakt und Handzeichen von mir nicht in der Lage zu erkennen, dass ich ihr nicht etwa den Weg abschneiden oder sie über den Haufen fahren, sondern warten will, bis sie gegangen ist, und sie als Fußgängerin nicht einfach mitten auf der Straße herumzustehen hat.

Das kapierte sie aber nicht. Stand da wie eine Salzsäule. Nicht in der Lage, die Situation zu verstehen. Nicht in der Lage, eine Lösung zufinden, nicht mal mit Hilfe meiner Handzeichen.

Und nun eskalierte das.

Denn inzwischen war besagter Baustellen-LKW an der Kreuzung angekommen, und ich stand ihm im Weg, weil ich ja in Erwartung eines normalen Verkehrsgeschehens und als noch genug Zeit und Abstand war, links abgebogen war, aber wegen der Frau dann stehen bleiben musste. Und dem LKW-Fahrer gefiel das nicht, dass er stehen bleiben musste, der hatte es offenbar eilig, und der hupte.

Und der hatte so eine richtige Hupe. Eine, die keiner Lok hätte peinlich sein müssen, und die auch kleineren Schiffen gut gestanden hätte. So richtig Bööööö-ööööö-öööööppp!

Die Alte bekam einen Mords-Schreck, denn Lärm führte da zu noch mehr Stress und dazu, dass sie die Situation noch weniger einschätzen konnte. Körperlich durchaus fit, sprang sie – aber leider nicht nach vorne, wo wie hingehörte, sondern wieder zurück, an den Straßenrand, von dem sie gekommen war, blieb aber auch da nicht stehen, sondern zuckte vor und zurück, hin und her, wie ein Kind, das gar nicht mehr weiß, was es tun soll.

Das war ein Problem. Denn nicht nur habe ich in beiden Fahrschulen, PKW und LKW, gelernt, sondern es entspricht auch meiner Lebenserfahrung, dass man es tunlichst, insbesondere, wenn man sie nicht sehr zuverlässig einschätzen kann, niemals vor Fußgängern quer fährt, sondern immer erst dahinter, eben weil man nie weiß, vor allem bei Kindern, ob die nicht doch unvermittelt und situationswidrig einfach nach vorne losrennen. Obwohl ich theoretisch vielleicht hätte fahren können, war mir die hibbelige unberechenbare Zappelalte zu gefährlich, weil die ja völlig außer Kontrolle war. Nachher hat man die noch auf der Motorhaube, und dann heißte es, „Rechter Killerblogger überfährt Grünen-Wählerin“ oder sowas. Die konnte sich aber auch nicht entscheiden, was sie wollte, ob sie jetzt vor oder zurück, rauf oder runter wollte, völlig mit der Situation überfordert, zumal der LKW nachlegte: Bööööö-ööööö-öööööppp! Der wollte vorbei, und war im Recht. Also habe ich mitgehupt und meinen grimmigsten Gesichtsausdruck aufgesetzt, bis die Alte völlig entsetzt zurück auf den Gehweg flüchtete, von dem sie gekommen war, und es mir nun vertretbar erschien, über den Fußgängerüberweg zu fahren.

Und ich fand es überaus bedenklich.

Denn eigentlich war es ja keine unvorhersehbare Sondersituation, in der ich dann einem Kind zugestanden hätte, damit nicht fertig zu werden, auch mangels Überblick.

Es war eine hundsgewöhnliche Alltagssituation ohne jede Schwierigkeit. Es war nicht mal viel Verkehr. Völlig banal: Grün in einer Richtung für Autos und Fußgänger, ein Auto will links abbiegen. Tageslicht gut, kein Blaulich oder Martinshorn, keinerlei Bedrohungs- oder Gefahrenlage. Und die Tante scheitert komplett daran, einfach über die Straße zu gehen, wenn’s grün wird.

Die hätte nichts machen und nichts verstehen müssen, außer einfach nur loszulatschen, wenn’s grün wird. Sonst nichts.

  • Aber sie verstand schon nicht, dass man beim Überqueren einer Straße auf den Verkehr achtet und nicht aufs Handy guckt.
  • Sie verstand nicht, dass man eine Straße zügig überquert und nicht mitten auf der Straße stehen bleibt.
  • Sie verstand nicht, dass Linksabbieger durchaus den Fußgängerüberweg queren können, auch wenn die Fußgänger grün haben.
  • Sie war nicht in der Lage, aus der Situation heraus einen Ausweg zu finden, obwohl einfach weiterzugehen der einfachste Ausweg gewesen wäre.
  • Sie konnte auf das Gefahrensignal des Hupens schon gar nicht mehr richtig reagieren, da kam nur noch so eine Art Angstflucht.

Nun weiß ich nicht, ob die Frau nicht irgendwelche geistigen Beeinträchtigungen hatte, generell irgendwelche Probleme. Aber so sah sie nicht aus. Die sah einfach nach Grünenwählerin aus.

Die machte nicht auf mich den Eindruck, als hätte sie irgendwelche individuellen psychischen Probleme, sondern als sei der Straßenverkehr für sie so etwas wie eine Fremdsprache, die sie nicht versteht. Und das ist ein Eindruck, den ich in Berlin öfter habe: Weil immer mehr Leute das Auto ablehnen und nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, oder auch mit dem Fahrrad, und dann alle Verkehrsregeln ignorieren, weil sie meinen, die gälten nur für Autos, sich dieses egozentrische Weltbild breit macht, in dem man nur noch selbst Ansprüche wie von einer grünen Ampel hat, und alle anderen verpflichtet seien, einen zu respektieren und für das Wohlergehen zu sorgen, sind, so mein Eindruck, immer mehr Leute nicht mehr in der Lage, an einem städtischen Straßenverkehr teilzunehmen.

Ich habe zunehmend den Eindruck, dass immer mehr Leute mit dem Straßenverkehr einfach überfordert sind – weil der nicht mehr geübt, sondern nur noch abgelehnt und bekämpft wird.

Man könnte sogar die Frage stellen, ob die Fahrradspuren, die überall hingemalt werden, nicht letztlich analog das zum Straßenverkehr sind, was die „Einfache Sprache“ zu einem normalen Buch ist. Ob das ganze Fahrradding und ÖPNV-Gehampel vielleicht nicht einfach nur ökologische Gründe hat, sondern irgendwie auch für die gemacht wird, die vom Straßenverkehr intellektuell überfordert sind.

Und das hatte ich ja neulich schon, dass die Fahrlehrer Ähnliches berichten, dass die Leute immer mehr Prüfungen zum Bestehen brauchen und viele Leute eigentlich mit dem Führerschein und dem Fahren eines Autos überfordert sind.

Nun grüble ich, ob der Krieg gegen das Auto nicht nur ideologisch und ökologisch geführt wird, sondern auch aus Lobbyismus für eine Bevölkerungsschicht, die schlicht nicht Auto fahren kann, sich aber nicht diskriminiert fühlen will.

Denkt mal drüber nach: Wenn man jemanden fragt, warum er kein Auto oder keinen Führerschein hat, wird er/sie/es wohl kaum sagen „Sorry, das ist mir zu schwer, ich kapier’ das mit dem Autofahren einfach nicht“. Lieber erzählt man einen vom Klima, von Natur, von vollgeparkten Städten und vom Kapitalismus.

Obwohl: Meine Großmutter hatte nie einen Führerschein. Das sei nichts für sie, das könne sie nicht. Außerdem sei das Männersache. (Was sie nie davon abhielt, meinem Opa zu sagen, wie er zu fahren habe, und alles besser wissen zu wollen.) Aber sie war noch von einer Generation, von einer Gattung, die sagte, sie kann nicht Auto fahren, also lässt sie es auch bleiben. Nicht aus Öko, nicht aus Umwelt, sondern weil sie sich dem nicht gewachsen fühle.

Ich hatte einiges zum Gehirn geschrieben, und davon, dass ich immer wieder den Eindruck habe, dass es vielen Frauen schwer fällt, automatisiert, absichtslos, die Bewegungsrichtungen und -absichten anderer zu erfassen und zu extrapolieren. Dass sie dafür aber die Gesichtsausdrücke anderer sofort erkennen. Genau so eine Situation war das heute. Die hat überhaupt nicht verstanden, worum es da verkehrstechnisch ging, worin das Problem lag. Sie hat aber sofort gemerkt, dass erst ich böse guckte und dann der LKW-Fahrer noch sauer war, Gottogott, mach’ ich was falsch, was wollen die alle von mir, ich hab’ doch grün … Nur dass sie das eben noch mehr verwirrte, statt zu einer Lösung zu führen.

Die hätte einfach nur ganz normal, ganz gewöhnlich über die Straße gehen müssen, als die Ampel für sie grün wurde. Und alles wäre gut gewesen.

Es gibt in Asien Städte, in denen auch Ampeln im Boden eingelassen sind, damit die, die ständig nach unten auf die Handys gucken, auch sehen, wann es grün wird.

Ich fände es besser, wenn es da irgendwelche Signalgeber gäbe, die Handys totschalten, solange man über die Straße geht. Dann würden die nicht nur nicht aufs Handy gucken, sondern sie würden sich auch beeilen, über die Straße zu kommen.