Ansichten eines Informatikers

Die Physik des Zusammenpralls

Hadmut
13.5.2024 16:09

Was man vom Scheppern wissen sollte.

Ich hatte doch gerade erwähnt, dass ich in einem Flugzeug einen nahen Vorbeiflug beobachtet und danach darüber siniert hatte, ob man im Falle eines frontalen Zusammenstoßes davon noch etwas mitbekommen würde.

Die Piloten sehen es vermutlich auf sich zukommen, aber die Passagieren können ja (außer in den modernen Flugzeugen mit Kameras, deren Bild man auf dem Unterhaltungsbildschirm anzeigen kann) nicht nach vorne sehen. Sitzt man, wie ich an dem Tag, in Reihe 3, wird man sicherlich keine Wahrnehmung mehr entwickeln können. Die Frage ist aber, wie es der Reihe 30 ergeht. Ob nämlich der Ruck, der durch das Flugzeug geht, so stark ist, dass es die hinten auch gleich in Stücke zerreißt, bevor sie fühlen, sehen und denken können, oder ob die Massenträgheit des Flugzeuges die Beschleunigungswerte derart dämpft, dass man zumindest noch für einen kurzen Moment wahrnehmen könnte, wie das Flugzeug zusammengestaucht wird. Was natürlich die Frage aufdrängt, wie sich 9/11 aus dem Flugzeug angefühlt hat, wobei da ja noch dazu kam, dass sie weder gegen einen Berg, noch gegen ein entgegenkommendes Flugzeug geprallt sind, sondern gegen ein Gebäude, das genug nachgegeben hat, dass erst einmal das ganze Flugzeug durchgegangen ist, das also nicht völlig abrupt auf 0 runterbeschleunigt wurde. So wie Germanwings 9525 gegen die französischen Alpen. Da gibt es keinen Bremsweg außer dem, den das Flugzeug durch die eigene Struktur mit dabei hat. Berg ist Berg, und der steht hinterher genau da, wo er vorher stand (spitzfindige Detailphysiker würden einwenden, dass das so auch nicht stimmt, dass der Berg zwar wohl sicherlich gegenüber der Erde recht fest steht, das Flugzeug aber damit seinen Impuls an die ganze Erde weitergibt, und sich damit die Dreh- und wohl auch Raumbewegung der Erde minimal ändert. Dem würde ich wieder entgegenhalten, dass das das Flugzeug ohnehin auch bei einer normalen Landung getan hätte, denn runter kommen sie alle und letztlich stehen sie dann alle still am Flughafen, die Sache mit dem Impuls ist also immer ein Nullsummenspiel, solange man die Erde nicht in den Weltraum verlässt (was es ja als typischen bekloppten Katastrophenfilm der 70er/80er Jahre mal gab, Starflight One handelte von einem Flugzeug, das irgendwie falsch abgebogen und versehentlich in den Weltraum geflogen war).

Nun hatte ich da erwähnt, dass ich den frontalen Zusammenstoß mit einem anderen Flugzeug mit dem frontalen Flug gegen einen Berg gleichsetzen würde.

Dazu kommt von einem Leser der Einwand, der oft kommt:

Close Encounter

Hallo Hadmut,

es lässt mir keine Ruhe. Ich glaube schon, dass man die beiden Geschwindigkeiten aufaddieren muss.
Fall eins: Flugzeug fliegt mit 900 km/h gegen eine Berg – Aufprall mit 900 km/h.
Fall zwei: Berg rast mit 900 km/h gegen ein stehendes Flugzeug – Ergebnis gleich.
Fall drei: Flugzeug und Berg rasen mit jeweils 900 km/ aufeinander zu- Impact 1800 km/.

Oder, ich schieße mit einem Gewehr auf ein auf mich zukommendes Flugzeug, dann ist der Schaden größer als auf ein fliehendes Flugzeug.
Wenn das Flugzeug so schnell flieht, wie die Kugel schnell ist, gibt es keinen Schaden.

Schönen Sonntag

Nein.

In der Physik haben wir das, irgendwann in der Mittelstufe, mal als den sogenannten „elastischen Stoß“ und den „unelastischen Stoß“ gelernt. Merkmal ist, dass beim elastischen Stoß keine Energie verloren, sondern nur umgelenkt wird, und beide Körper danach wieder getrennter Wege gehen, weil sie optimal abprallen, wie Gummidopsbälle, während der unelastische Stoß die Kollisionsenergie komplett aufnimmt, beide Körper aneinanderbleiben (und verformt werden, die Energie sich also in Verformung und Wärme umwandelt) und nicht abprallen, sich die Sache danach nur noch bewegt, wenn Impuls übrig ist.

Ein Flugzeug, das gegen irgendetwas prallt, das verhält sich nahezu ideal wie ein unelastischer Stoß, denn dass die abdopsen wäre von Flugzeugen nicht berichtet worden, und Aluminiumlegierungen fehlt es generell an Elastizität. Ganz abgesehen davon, dass ein elastischer Zusammenprall zweier Gummiflugzeuge, die danach quasi unbeschädigt wieder auseinanderdopsen zwar eindrucksvoll, aber dem Überleben der Passagiere garantiert auch nicht zuträglich wäre, es also schlicht am beeindruckbaren Publikum fehlte.

Ich habe bei meinen Ausführungen stillschweigend unterstellt, dass es um zwei gleich große, gleich schwere Flugzeuge geht, die exakt zentral und frontal aufeinanderstoßen.

Theoretisch also würden die exakt gerade zusammenknallen, sich zu einem Haufen Schrott verwandeln, der zunächst an exakt dieser Stelle einfach stehen bleibt, und dann als Opfer der Schwerkraft vertikal nach unten fällt. Theoretisch könnte man zwischen zwei zusammenstoßende Flugzeuge ein Blatt Papier halten, das nicht von seiner Stelle bewegt würde. Die Praxis ist natürlich anders.

Der Punkt ist, dass sich bei zwei Flugzeugen, die aufeinanderprallen, die Geschwindigkeiten nicht insofern addieren, dass es wäre, wie mit 1800 km/h gegen eine Wand zu fliegen, obwohl sie sich relativ zueinander mit 1800 km/h nähern.

Ich will es mal so erklären:

Fliegt man mit 1800 km/h gegen die Wand, wird man von 1800 auf 0 gebremst.

Fliegt man mit 900 km/h gegen die Wand, wird man von 900 auf 0 gebremst. Das liest sich jetzt zwar so, als wäre das Ergebnis gleich, nämlich 0, weil man ja in beiden Fällen hinterher steht, aber die Energie ist 1/2 m·v2, man nimmt also im ersteren Fall die vierfache Energie auf und hat den vierfachen Schaden. Einfaches Beispiel: Fahrt mal mit 9 km/h mit dem Auto gegen die Wand, und dann mit 90. In dieser Reihenfolge, denn andersrum fährt’s dann nicht mehr. Obwohl das Ergebnis beidesmal ist, dass das Auto hinterher steht, fühlt und hört es sich unterschiedlich an.

Bei Flugzeug gegen Berg oder Berg gegen Flugzeug sind die Gewichtsverhältnisse so wesentlich unterschiedlich, dass (unter Vernachlässigkung der oben angesprochenen Haarspalterei) das Gesamtergebnis daraus hinterher im Wesentlichen die Gewindigkeit des Bergs annimmt, der Berg also seine Geschwindigkeit innerhalb der Messtoleranz beibehält.

Deshalb ist das Beispiel, dass Flugzeug und Berg mit je 900 km/h auch ein schlechtes Beispiel, weil eigentlich dasselbe gilt: Beide kleben aneinander und haben danach die Geschwindigkeit des Berges, das Flugzeug wird also von 900 km/h auf -900 km/h umbeschleunigt, weshalb es wie 1800 km/h kracht, eben weil das Flugzeug nicht nur auf 0, sondern in die Gegenrichtung beschleunigt wird. (Interessant zu betrachten aus der Sicht des Beobachters, der mit dem Flugzeug, mit dem Berg mitfliegt oder ruhig zwischen beiden steht, ist nämlich alles relativ zum Beobachter.)

Knallen aber zwei gleich schwere Flugzeuge (oder Autos oder Feministinnen oder Schwiegermütter) unelastisch zusammen, dann ist das ja nicht so, dass die abprallen und in die Gegenrichtung beschleunigt werden oder wegen stark ungleicher Massenverhältnisse der Gesamtschrotthaufen ungefähr auf die Geschwindigkeit des schwereren gebracht wird, sondern in beiden Fällen, ob nun Flugzeug gegen stehenden Berg oder Flugzeug gegen entgegenkommendes Flugzeug das Flugzeug von 900 auf 0 runtergebremst wird und damit der Crash beschrieben ist.

Auch energetisch ist das klar: Fliegt ein Flugzeug gegen den Berg, dann hat das Flugzeug die Bewegungsenergie 1/2 m·v2 (Masse mal Geschwindkeit im Quadrat, und das sieht nicht nur nach einem Integral aus, sondern das ist eines, nämlich Integral über die zum Beschleunigen des Körpers aufgewandte Arbeit).

Fliegen zwei Flugzeuge mit je 900 aufeiander zu, haben sie insgesamt die doppelte Energie (gleiche Masse, gleiche Geschwindigkeit, nur entgegengesetzte Richtung, das Vorzeichen quadratet sich raus) und nicht etwa die vierfache eines Flugzeuges, das mit 1800 gegen die Wand fliegt. Zwei Flugzeuge, die aufeinander zufliegen, setzen beim Aufprall also doppelt soviel Energie frei, wie eines, das mit 900 gegen die Wand fliegt, und nicht viermal so viel wie eines mit 1800 gegen die Wand. Aber: Die doppelte Energie verteilt sich eben auch auf die doppelte Masse mit dem Resultat der doppelten Menge Aluminiumschrotts, pro kg Flugzeug wird also die gleiche Energiemenge frei.

Deshalb ist der Flug mit 900km/h gegen die Wand also wie der Zusammenprall mit einem anderen 900km/h-Flugzeug, weil sowohl die Impulsänderung gleich ist (von 900 auf 0) und die Energiemenge, die man abbekommt (nämlich 1/2 m·v2 mit m=Ein Flugzeug und v=900 km/h), und nicht wie bei 1800.

Ist schwer zu verstehen, weil man ja aus dem Cockpit ein anderes Flugzeug mit 900, also subjektiv 1800 km/h auf sich zurasen sieht, aber es ist eben nur ein Flugzeug und kein Berg, hat also viel weniger Impuls und nimmt selbst Energie auf.

War früher mal praktisches Wissen, als wir noch als Schüler mit den Mädels auf dem Rummelplatz heftig Boxauto gefahren sind. Frontal gegen einen anderen rummst genauso wie frontal gegen die Bande. Für ersteres bekommt man aber Beifall, für letzteres Gelächter. Vermutlich ist das dann bei Piloten im Flugzeug ähnlich.