Ansichten eines Informatikers

Von doppelten Maßstäben und der Freiheit des Dichters und der Rhetorik

Hadmut
23.4.2024 18:06

Zwischendurch etwas Humanistisches.

Es sind nicht die Maßstäbe, die mich so besonders ankotzen. Es sind die doppelten.

Kennt Ihr den (Doppel-)Satz? Gehört zu meinen wiederkehrenden Sprüchen.

Ein Leser stört sich daran und schreibt mir

SgH Danisch,

nur eine Bitte, deren Anlaß (siehe nachfolgend) jedoch mein Sprachgefühl schon seit Jahren stört, wenn ich lesen darf

> Es sind nicht die Maßstäbe, die mich so besonders ankotzen. Es sind schon wieder die doppelten.

Ich bin ja schon dankbar wenn ich das Wort Maßstäbe nicht auf schweizerdeutsch (Massstäbe) lesen muß (alte Regel: ohne nachfolgenden Vokal wurde/wird Doppel-S als ß geschrieben). Ich bin Ende der 1960er eingeschult worden und habe über viele Jahre hinweg mühsam ein wenig Deutsch gelernt, das wenige jedoch erst lange nach dem Abitur – genauer: nach meiner Rückkehr zur rechten Schreibung, also nach dem Jahr 2000 (~ 2003/4). Dennoch ist etwas aus der Schulzeit (versehentlich?) bei mir hängen geblieben: Ein Satz ist ein Gedanke – Punkt; an die Stelle eines Punktes kann auch ein Ausrufe- oder ein Fragezeichen treten.

Im obigen Zitat sind der erste und der zweite Satz sowohl grammatikalisch als auch semantisch unvollständig, was sich auf einfache Weise dadurch beheben ließe (ß ist unabhängig von obiger Regel eine (lautmalerische?) Folge der früheren (<1998) Beugung des Verbes lassen), wenn nach dem “ankotzen” ein Komma anstelle des Punktes eingefügt und folglich “Es” klein geschrieben würde.

Ich möchte noch hinzufügen daß ich mir nur deshalb herausgenommen habe auf diese sprachliche Lässlichkeit hinzuweisen, weil diese von jemanden niedergeschrieben worden war der gelegentlich aber ausdrücklich auf seine humanistische (also (alt-) sprachliche, also, siehe Latein, auch grammatikalische) Bildung hinweist.

Wenn schon ganze Staatengemeinschaften daran arbeiten unsere Sprache als Möglichkeit uns auszudrücken zu … unterminieren, scheint es höchste Zeit sich der eigenen sprachlichen Möglichkeiten (rück-) zu besinnen.

mfG
[..]

P.S. Wenn Sie es wünschen sollten dürfen Sie meine Bitte selbstverständlich aber bitte ohne mich zu nennen veröffentlichen.

Und meine Antwort darauf:

Sehr geehrter Herr … ,

Ihr Hinweis ist in dieser Allgemeinheit so auch nicht richtig und gilt nur für prosaischen Fließtext. Es ist im Deutschen durchaus möglich und als Stilmittel zulässig, selbst grammatikalisch erforderliche Satzteile, wie auch Bezüge (Jener, Derselbe usw.) auf hintereinanderfolgende Sätze zu verteilen. Das Ende eines Satzes und die Satzteile im Allgemeinen sind dazu da, den Gedankengang zu steuern und ihm zu helfen. Aber nicht, ihn zu erzwingen. Es ist durchaus zulässig und im Rahmen des Stilmittels erlaubt, Gedankengänge, selbst grammatikalische Strukturen, satzübergreifend zu bauen.

Es ist zwar richtig, dass das in normalem prosaischem Fließtext nicht üblich ist und dort nicht hingehört. Aber es ist (so, wie auch dieser Satz mit einem Aber anfängt, obwohl diese Konjunktion normalerweise einen Nebensatz einleitet, kann aber als Konjunktion gedanklich auch zwei Sätze miteinander verbinden) durchaus möglich, das dann einzusetzen, wenn man Aussagen besonders hervorheben möchte und genau das, nämlich dass das Gehirn eine Fortsetzung erwartet, als Stilmittel nutzen.

Ihnen wird sicherlich aufgefallen sein, dass ich diesen Satz in den allermeisten Fällen nicht als Teil des fließenden Textes, sondern als insoliert stehende Aussage und Wertung platziere. Eben weil ich das absichtlich so haben will und nicht als Teil des normalen Fließtextes gesehen haben will. Eben weil es eine isolierte Aussage und kein prosaischer fließender Text ist.

Davon ganz abgesehen stehen mir hier auch die sogenannte Dichterische Freiheit und die Rhetorik zur Verfügung. Es ist erlaubt, einer Aussage durch Bruch der Regeln eine besondere Dramatik zu verleihen, wie etwa „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Das ist durchaus erlaubt. Und ich habe das hier auch bewusst gewählt, ebenso wie das Wort „ankotzen“, das eigentlich kein gutes Deutsch ist, das ich aber gewählt habe, um der Aussage Brachialität zu verleihen. Und diese Wirkung wäre vergeudet, wenn dieses harte Wort inmitten eines Satzes untergehen würde. Deshalb steht es da, wo es hingehört, nämlich da, wo es die stärkste Wirkung hat: Am Anfang oder am Ende des Satzes. Und gerade weil der Satz unvollständig endet, wird das Gehirn gezwungen, darüber nachzudenken.

Und wenn Sie schreiben, dass es sie sprachlich stört – dann ist das genau die rhetorisch beabsichtigte Wirkung. Denn dieser Doppelsatz soll ja herausstehen, soll ja gerade zum gedanklichen Stolpern bringen. Das ist ja gerade der springende Punkt, dass Ihnen der Doppelsatz und seine Wiederholung auffällt. Deutsch ist auch keine Behördenvorschrift. Man darf Regeln verletzen, nur eben nicht grundlos oder aus Unkenntnis. Und man muss auch nicht so schreiben, dass es sich liest, wie man Apfelmus isst. Sprache, besonders Deutsch, ist auch dazu da, dem Leser etwas zum Kauen und zum Denken zu geben. Außerdem mag ich das Stilmittel, Sätze abzuhacken und im nachfolgenden Satz oder Satzfragment zu ergänzen.

Mein bekanntester Ausspruch ist „Geliefert wie bestellt“. Dieser Satz hat im engeren Sinne kein Verb. Im weiteren Sinne sogar zwei als Partizipien, die damit den Satz auf das zusammenkürzen, was er aussagt, nämlich zwei Verben ins Verhältnis zu einander zu stellen. Dem Satz fehlt auch das Subjekt. Das wäre grammatikalisch eigentlich falsch, ist aber – insbesondere im Deutschen – durchaus erlaubt, weil es genügt, wenn das Subjekt gedanklich klar ist, es muss nicht explizit genannt sein. Der Kontext gibt dann immer vor, worauf sich das bezieht. Gerade das ist ja der rhetorische und schriftstellerische Witz daran, dass das Hirn daran etwas zu knabbern hat und sich überlegen muss, worauf das bezogen ist, und nicht einfach nur die Sprache verkonsumieren kann. Man sieht das sehr deutlich daran, dass ich mit dieser Aussage in den Social Media zwar sehr oft zitiert werde, aber meistens falsch. Viele Leute zitieren mich mit „wie bestellt, so geliefert“. Das habe ich so (außer eben jetzt hier) nie gesagt. Es zeigt aber, dass die Leute das im Kopf gedanklich umsortieren und in eine Kausalreihenfolge bringen. Einerseits ist es unschön, falsch zitiert zu werden. Andererseits ist es aber erfreulich zu sehen, dass man nicht nur sprachlich und mit Sprüchen, sondern gedanklich ankommt.

Und gerade deshalb ist (oder war) Deutsch die Sprache der Dichter und Denker, weil es eine überaus mächtige und ausdruckstarke Sprache ist, die einem weit mehr Ausdrucksmöglichkeiten als viele andere Sprachen bietet.

Und ja, so etwas lernte man damals auf einem humanistischen Gymnasium.

Viele Grüße

Hadmut Danisch

Dazu hier für diesen Blogartikel noch folgende Ergänzung:

Grammatik, Satzbau, Orthographie sind keine Verwaltungsvorschriften, sondern Mittel zum Zweck, nämlich dem Empfänger, Hörer, Leser das Verstehen der Sprache zu erleichtern und zu ermöglichen. Und auch dem Sprecher oder Schreiber zu helfen, sich über die Satzstruktur im Klaren zu werden. Es gibt Sprachforscher, die der Meinung sind (und das erscheint mir überaus plausibel), dass Sprache nicht willkürlich entsteht, sondern entlang der Hirnstrukturen. Warum haben wir so etwas wie Verben und Substantive, Satzstrukturen wie Subjekt – Prädikat – Objekt, und nicht etwas völlig anderes? Man geht davon aus, dass die Sprache dem Denkschema des Gehirns folgt, und das sogar bei höheren Tieren so ist.

Menschliche Sprachen sind keine präzisen, strikt regelbasierten Sprachen wie Computersprachen in der Informatik, obwohl ausgerechnet einer Vordenker in der Informatik zum Thema Sprachen und Sprachkategorien, Noam Chomsky, Linguist ist, aber die Informatik genutzt hat, zu verstehen, was Sprachen sind und wie man sie klassifizieren kann. Nicht umsonst heißt eine zentrale Vorlesung, ein wichtiges Thema der theoretischen Informatik Sprachen und Automaten, weil man Sprachen und deren Akzeptoren, deren automatisiertes Verstehen, zusammen betrachtet.

Nun ist das Gehirn aber kein Z80-Prozessor der 80er Jahre, und deshalb müssen wir nicht in Sprachen auf Niveau Chomsky-2 oder Chomsky-3 reden. Allerdings tun wir dies inzwischen manchmal, wenn wir mit Spracherkennungssystemen wie Alexa reden, und man hat bei Kindern, die Alexa häufiger als ihre Eltern sehen, schon beobachtet, dass die sich sprachlich daran anpassen. In den USA hat man Spracherkennungssysteme (ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob das Alexa war) auf Druck von Eltern und Erziehern schon dazu gebracht, auf Höflichkeit zu achten und die Kinder aufzufordern, „Bitte“ und „Danke“ zu sagen. ChatGPT ist dagegen ein Beispiel für ein spracherkennendes System, was sich einen Kontext merken und Sätze darauf beziehen kann.

Deshalb ist es durchaus zulässig und sprachlich möglich, so zu sprechen und zu schreiben, dass der Kontext, der aktuelle Zustand des Empfängers, genutzt wird. Ich muss bei „geliefert wie bestellt“ nicht dazusagen, worauf es sich bezieht, obwohl das grammatikalisch unvollständig ist, weil der Leser ja gerade den Kontext gelesen hat und weiß, worauf es sich bezieht. Und wenn ich schreibe „Es sind nicht die Maßstäbe, die mich so besonders ankotzen. Es sind die doppelten.“ dann kann ich es nicht nur erwarten, dass im ersten Satz der Leser merkt, dass der Satz nicht vollständig ist und noch etwas kommen muss, und im zweiten Satz merkt, dass der zum ersten gehört und den fortsetzt, ich kann es auch rhetorisch ausnutzen, um den Lesern zum Nachdenken zu bringen und vielleicht zu zwingen.

Das sind übrigens auch Prinzipien, wie man bei Vorträgen erreicht, dass die Zuhörer wach bleiben und einem zuhören.

Nichts ist schlimmer, als so ein Sing-Sang, in dem grammatikalisch alles stimmt und alles leicht zu verstehen ist und widerstandslos durchs Hirn geht, weil es dem Hirn soviel Mühe erspart, dass es einschläft. Sprache, Satzbau, Grammatik dienen zwar eigentlich dazu, das Verständnis, das Hören und Lesen zu vereinfachen, zu erleichtern, dem Hirn die nötigen Hinweise zu gegeben, und das auch noch rechtzeitig, damit das Gehirn das gut verstehen kann. Man darf es aber auch nicht unterfordern, es zu leicht machen, denn dann wird es einfach langweilig.

„Nachts ist es kälter als draußen!“ – das ist ein gutes Beispiel für so eine Hirnstolperfalle, weil zwar grammatikalisch richtig, aber das Hirn das nicht einordnen kann, weil es nachts und draußen nicht in einen Gegensatz setzen kann, der einen Komparativ tragen könnte.

„Unkaputtbar“ – eine der genialsten Werbeanzeigen, damals zur Einführung der Plastikflasche. Grammatikalisch Schrott, aber gerade deshalb genial, weil das Hirn über die Grammatik stolpert, deshalb nachdenken muss, und daraus den Aha-Effekt zieht. Das Ding kriegst’e nicht kaputt. Leider hat das mit dazu geführt, dass dieses *-bar in die Sprache einzog und heute jeder Polit-Honk ständig in Deppensprache davon redet: Etwas ist verhandelbar, regelbar, änderbar oder auch unumkehrbar. Schrecklich. Und sprachverkrüppelt.

Es ist – zumindest im Deutschen – tatsächlich so, dass man Satzteile und bezüge, die grammatikalisch erforderlich sind, tatsächlich weglassen kann, wenn man sich hinreichend sicher ist, dass der Kontext sie gedanklich ergänzt. Etwa durch das Thema des Textes („geliefert wie bestellt“). Oder durch Aufzählung: Er schlug den Hinz. Den Kunz. Und sogar den Meier. Da fehlen grammatikalisch Subjekte und Verben, und trotzdem ist es klar, was gemeint ist. Und es wäre eine andere Aussage, wenn man statt Punkt ein Komma setzen würde: Er schlug den Hinz, den Kunz und sogar den Meier. Das hört sich anders an, als wären sie jetzt zusammen in einem Rennen gelaufen, als wäre es nur ein Vorgang. Warum? Weil hier nur ein Satz mit einem Verb steht. In den drei Sätzen ergänzt das Hirn aber zu drei Verben und macht drei Vorgänge daraus.

Und deshalb setze ich in „Es sind nicht die Maßstäbe, die mich so besonders ankotzen. Es sind die doppelten.“ einen Punkt. Weil es die Aussage spreizt und sie zu zwei getrennten Aussagen macht. Es ist etwas deutlich anderes, ob ich sage „Ich mag keine Kirschen, ich mag Erdbeeren.“, oder ob ich sage „Ich mag keine Kirschen. Ich mag Erdbeeren.“

Und Sprechen und Schreiben heißt eben nicht, immer unter Beachtung aller Regeln sauber und korrekt zu sprechen und zu schreiben. Das ist gut, wenn man einen langen Sachtext schreibt, aber nicht, wenn man Leute ansprechen will. Sondern es heißt zu wissen, wie die Regeln wirken und was sie bewirken, und davon auch abzuweichen, wenn man genau von dieser Wirkung abweichen will. Beispielsweise, wie hier, den Denkfluss bewusst unterbrechen will. Deshalb bleiben solche Sätze ja auch in Erinnerung und flutschen nicht vorne rein und hinten wieder raus, ohne kleben zu bleiben.

Und genau das ist der Vorwurf, den ich der Genderdeppenschaft mache.

Dieser ganze Genderschrott kommt von Leuten, darunter nicht wenige Linguisten, „Sprachwissenschaftler“ und sogar „Linguistik-Professoren“, die von Sprache so gar keine Ahnung haben und per linker Gesinnung auf die Schwätzerposten kamen. Dieses ganze Gendergeschwätz ist so unfassbar, so brachial dumm, so sprachunfähig, so endlos ungebildet, dass man sofort merkt, dass diese Leute niemals irgendetwas gelernt haben können, was mit Sprache zu tun hat, weil sie glauben, dass die – an sich schon strunzdummen – Regeln des Marxismus, Kommunismus auch als Regeln für Sprache aufgezwungen werden können als würde man die Schilder an den Klotüren austauschen. Weil Sprache für diese Leute eben auch nicht mehr ist als eine Klotür. Eine Rolle Klopapier hat mehr Blätter zu bieten als deren Wortschatz Bedeutungen. Deshalb reden die auch so gerne auf *-bar, weil das den Sprachschatz und den Hirnaufwand verringert. Und wer jetzt aufgepasst und mitgedacht hat, weiß, warum ich diesen Vergleich wähle, nämlich weil das Gehirn nicht einfach so aus dem allgemeinen Tagesgeschwätz heraus Klopapier und Gendersprecher in Beziehung setzen kann, sondern überlegen muss, wie meint der das jetzt. Und genau das sind die Stellen, in denen man in einem Vortrag rhetorische Pausen einlegen muss, damit auch der bewusste, rationale, aber langsame Teil des Gehirns etwas zum Denken bekommt.

In einem Text macht man stattdessen einen Absatz.

Oder stellt einen Satz isoliert.

Und deshalb bleibe ich dabei. Da gehört ein Punkt hin. Und kein Komma. (Wie auch hier zwischen Punkt und Komma der Punkt und nicht das Komma steht.)

Nicht nur, weil es sonst eine andere andere, langweiligere Aussage wäre.

Nicht nur, weil es im Deutschen eben so ist, dass man vermeintlich zwingende Satzteile auch satzübergreifend platzieren oder gedanklich ergänzen kann, und ich das auf dem humanistischen Gymnasium auch mal so gelernt habe.

Sondern weil Sprache, weil Grammatik und Satzbau keine festen Regeln sind, an die man sich zu halten hat, sondern eine Kunst, fast hätte ich Handwerk gesagt, aber es ist Mundwerk und Denkwerk, die man einsetzt, um einen Zweck zu erreichen, und von der man – Freiheit des Dichters und Denkers – auch abweichen kann, um eine andere Wirkung zu erzielen. Und das dann aber auf eigenes Risiko. Es ist wie beim Kochen: Man ist auch nicht gezwungen, sich strikt an ein Kochrezept zu halten, aber ob es den Gästen dann schmeckt, ob es auch ankommt, ist eine andere Frage. Das sieht man dann.

Und so ist das bei der Sprache. Es kommt darauf an, ob es die beabsichtigte Wirkung erzielt, ob es ankommt, ob es funktioniert, ob es schmeckt. „Geliefert wie bestellt“ funktioniert. Gendersprache funktioniert nicht.

Und das Ergebnis ist, dass man sich meistens an die Regeln halten sollte, vor allem in fließenden, sachlichen Texten, damit sie verständlich bleiben und leicht verstanden werden, aber den Leuten ab und zu auch was zum Knabbern hinstellen muss. Gendersprache macht es umgekehrt: Die verhunzt den normalen Textfluss bis in die völlige Unverständlichkeit, und bietet gar nichts zum Denken an.