Ansichten eines Informatikers

Vorratsdatenspeicherung, nächste Runde

Hadmut
4.4.2024 19:55

Hä!?

Vor gerade mal einem halben Jahr habe ich als Sachverständiger per Gutachten dem Bundestag vorgetragen, dass es zwar inhaltlich gute Gründe für eine Vorratsdatenspeicherung gibt, der aber

  • technische Probleme entgegenstehen und
  • Deutschland die rechtlichen Auflagen des EuGH nicht erfüllen kann.

wir das also zwar wollen, aber weder können, noch dürfen.

Das war ein Antrag der CDU, der abgelehnt wurde, und ich müsste es jetzt nachschauen, aber wenn ich mich recht erinnere, war auch nur die CDU/CSU dafür (für ihren eigenen Antrag), die anderen aber alle dagegen. Habe ich das jetzt richtig in Erinnerung? Nochmal beim Bundestag nachgucken:

Der Bundestag hat am Donnerstag, 18. Januar 2024, einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt, der „IP-Adressen rechtssicher speichern und Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen“ (20/3687) wollte. Gemäß einer Beschlussvorlage des Rechtsausschusses (20/9527) stimmten alle übrigen Fraktionen gegen die Initiative.

Ja, so hatte ich das in Erinnerung. Alle übrigen Fraktionen stimmten dagegen.

Jetzt kommt Heise mit Führende SPD-Politiker fordern Vorratsdatenspeicherung – FDP kontert​

SPD-Politiker gehen nach dem Anschlag auf eine Veranstaltungshalle bei Moskau im März von einer erhöhten islamistischen Terrorgefahr im Vorfeld der Fußball-EM hierzulande aus und drängen auf einen neuen Anlauf zur bereits mehrfach gerichtlich gestoppten Vorratsdatenspeicherung. Sie appellieren vor allem an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), endlich mitzuziehen. “Es ist nur folgerichtig, dass die Zeitenwende auch innenpolitisch gesetzgeberische Maßnahmen für unsere Sicherheitsdienste nach sich zieht”, betonte Dirk Wiese, Vize der SPD-Bundestagsfraktion, gegenüber dem Handelsblatt. “Es kann nicht vom Telekommunikationsanbieter abhängen, ob schwere Straftaten verfolgt werden können”, ergänzte der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci. Der Bundestagsabgeordnete wirbt daher für eine gesetzliche Pflicht zur befristeten Speicherung von IP-Adressen.

War die SPD nicht gerade noch dagegen? Und hat gegen den Antrag der CDU gestimmt? Müsste ich jetzt nochmal raussuchen, aber mir war so.

Anscheinend weiß da aber die eine Hand nicht, was die andere tut, denn der – Dirk Wiese – fordert ja die Speicherung von IP-Adressen. Das war aber ein ganz zentrales Thema der Diskussion vor einem halben Jahr, und es wurde sogar in der Bundestagsdebatte auf mein Gutachten verwiesen, dass das gar nicht so einfach ist, und das Speichern von IP-Adressen eben nicht reicht, weil es Provider mit Provider-NAT gibt, und man dazu sehr viel mehr Daten in sehr viel höhere Frequenz speichern muss, die dann groteske Überwachungsmöglichkeiten böten (wie Anfragen an Provider: Listen Sie uns alle ihre Kunden, die schon mal das Blog von Hadmut Danisch besucht haben!)

Oder ist es vielleicht genau andersherum? Habe ich mit meinem Gutachten die Faeser-SPD erst auf die Idee gebracht, genau das zu tun? Sind das die neuen Wünsche von Haldenwang?

Oder ist es vielleicht ganz anders, dass denen so ganz plötzlich in Sachen Islamismus der Kittel in einer Weise brennt, in der er vor einem halben Jahr noch nicht gebrannt hat?

Was geht da vor sich, dass man die Vorratsdatenspeicherung erst ablehnt und sie dann ein halbes Jahr später vehement fordert?

Ach, nochmal auf die Bundestagsseite gucken:

Das bislang von der Koalition vorgeschlagene „Quick Freeze“-Verfahren sieht die Union mit Verweis auf die „einhellige Einschätzung der Ermittlungsbehörden“ als untauglich an. „Denn: Daten, die nicht mehr vorhanden sind, können nicht eingefroren werden“, hieß es im Antrag. Entsprechend begrüßt die Fraktion, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Möglichkeiten aus dem EuGH-Urteil nutzen wolle.

Aha. Die SPD-Fraktion stimmt gegen die Vorratsdatenspeicherung, Nancy Faeser ist aber dafür und will „die Möglichkeiten aus dem EuGH-Urteil nutzen“ – über die ich geschrieben hatte, dass wir sie nicht nutzen können, weil Deutschland weit davon entfernt ist, die Bedingungen dafür zu erfüllen.

Wie praktisch, dass der Anschlag in Moskau ein neues Begründungsmuster liefert, nachdem die Kinderpornographie nicht mehr läuft.