Ansichten eines Informatikers

Warum die SPD in Panik ist

Hadmut
16.1.2024 23:03

Ein Leser liefert einen plausiblen Grund.

Er meint, die Antwort sei auf www.wahlkreisprognose.de zu finden. Eigentlich kenne ich die nicht und weiß auch nicht, wer das ist. Das Impressum ist fehlerhaft, weil es überhaupt keine Rechtsform angibt, aber jemanden als Vertreter angibt. Auf welcher Rechtsgrundlage soll aber eine Vertretung möglich sein, wenn die Rechtsform nicht bekannt ist oder gar nicht existiert?

Die ZEIT hatte mal einen Artikel über das „Startup“ und seinen geheimen Wunderalgorithmus zur Vorhersage, der oft falsch liege, aber auch schon erstaunliche Prognosentreffer geschafft habe: Die Grenzen des Berechenbaren

Wenn ich das so lese, würde ich darauf eigentlich so gut wie gar nichts geben. Der Punkt ist aber: Es geht ja nicht darum, was ich darauf gebe. Es geht darum, was die SPD auf deren Prognosen geben. Es ist ja völlig egal, ob das stimmt. Es geht ja hier nur darum, dass die SPD das glaubt, um in Panik zu verfallen. Placebo-Effekt.

Schreibt die ZEIT:

Trotzdem war es Vida, der am Wahlabend jubelte. Eine Überraschung – aber nur für jene, die vor der Wahl nicht auf die Internetseite wahlkreisprognose.de geschaut hatten.

Das Berliner Start-up nämlich hatte seinen Erfolg prophezeit. Und jetzt, mitten im Bundestagswahlkampf, ist es längst kein Geheimtipp mehr. Viele Politiker, aber auch Journalisten und Bürger verfolgen dessen Internetseite. Denn das Unternehmen will vorhersagen können, welcher Direktkandidat seinen Wahlkreis gewinnt.

Die Frage ist nur, wie seriös das Unternehmen arbeitet, wie zuverlässig die Trends sind. Und ob Treffer wie in Barnim II eher einem Zufall geschuldet sind – oder tatsächlicher Demoskopiekunst.

Völlig egal. Hauptsache, die Politiker glauben das, was die sagen. Wie bei Voodoo.

Und dass Politiker zahlen:

Es gibt da also eine Marktlücke. Und die versucht das Start-up zu nutzen. Es analysiert nicht nur, wer in welchem Gebiet vorn liegt. Die Macher bieten etwa Politikern weitergehende Informationen an. Für einen vierstelligen Betrag bestellte auch Péter Vida Daten beim Unternehmen, darunter eine Analyse, wo im Wahlkreis die meisten seiner Sympathisanten wohnen könnten. Aber wie kommt die Firma, die nicht einmal eine Handvoll Mitarbeiter hat, zu solch detaillierten Informationen?

Ein Co-Working-Space, mitten in Berlin. Hier feilt Valentin Blumert an den nächsten Trends. Die Räume nutzt das Unternehmen nur ab und zu. “Unsere Leute arbeiten viel von zu Hause aus”, sagt er. Valentin Blumert, 26 Jahre alt und studierter Wirtschaftsinformatiker, hatte die Idee für sein Unternehmen vor der Abgeordnetenhauswahl 2016. Er, ein Berliner SPD-Mitglied, sei damals als Wahlkämpfer unterwegs gewesen und habe die Nase voll gehabt, er habe wissen wollen: Bringt das, was ich mache, überhaupt etwas? “Ich kannte zwar den Bundestrend”, sagt Blumert. “Aber zur politischen Stimmung in meinem Kiez gab es keine Daten.”

Also programmierte Blumert drauflos, nächtelang, so schildert er es. Er erschuf einen Algorithmus, das Herzstück des Start-ups. Die Idee: Wenn man schon nicht erfragen kann, wem die jeweilige Bevölkerung eines Wahlkreises ihre Stimme geben will – vielleicht kann man es errechnen?

Auch die ZEIT hat nicht verstanden, was ein Algorithmus ist.

Aber das Genosse SPD-Mitglied scheint einen Weg gefunden haben, anderen SPD-Leuten Wunderdaten anzudrehen. Also werden die SPD-Leute es auch glauben.

Es gab Landtagswahlen, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg etwa, bei denen das Start-up Erfolge feiern konnte. Fast jeder lokale Trend saß. Manchmal stimmen die Vorhersagen aber auch nicht. Bei der Thüringer Landtagswahl 2019 lag das Start-up in 19 von 44 Wahlkreisen daneben. Also in fast jedem zweiten. Und im Mai dieses Jahres, wenige Tage vor der Wahl in Sachsen-Anhalt, sah das Unternehmen die AfD in bis zu 18 Wahlkreisen vorn. Am Ende gewann die Partei nur einen einzigen.

Nu, und was sagen die jetzt?

Die sagen was zu „Trends im Bund“. Die sagen – und geben als Quelle der Graphik den Bundeswahlleiter an – dass die Direktwahlergebnisse 2021 so ausgesehen hätten:

Gut, hinterher weiß ich’s ja auch. (Loriot, Pferderennbahn.)

Für den Stand, die Tendenz 4.1.2024 geben sie aber das an:

SPD nur noch in Emden und vielleicht in einem Teil von Köln. Ansonsten: Weg.

Und da ist es ganz egal, wie seriös oder wie richtig diese Daten sind: Wenn das SPD-Mitglied, dem die Genossen vertrauen, eine solche Prognose abgibt, dann ist in der SPD Panik angesagt.

Und das ist wohl nicht der einzige, aber ein wesentlicher der Gründe, warum die bei der SPD gerade durchdrehen. Denn viele der SPD-Abgeordneten, die bisher im Bundestag sitzen, weil sie in „ihrem“ Wahlkreis die Mehrheit holen, würden auf einer Liste nicht mehr auftauchen und damit reihenweise rausfliegen. Dann wären nur noch Jusos und irgendwelche Spinner im Bundestag.

Da steckt aber noch viel mehr versteckte Musik drin.

Nach dem alten Wahlrecht nämlich hätten dann CDU/CSU und AfD praktisch alle Direktmandate abgeräumt. Selbst mit geringen Prozentanteilen hätten dann SPD und Grüne zusätzlich zu den Listen viele Ausgleichsmandate bekommen müssen, weil CDU/CSU und AfD überproportional viele Sitze hätten, der Bundestag damit ziemlich groß werden müsste. Nun haben aber auch die Ampel an der Wahlreform gebastelt, dazu etwa Deutschlandfunk:

Dem Gesetzesbeschluss zufolge bleibt es wie bisher bei 299 Wahlkreisen und zwei Stimmen. Die Erststimme für den Direktkandidaten, die Zweitstimme für eine Parteienliste. Die Zweitstimmen entscheiden dann darüber, wer im Bundestag vertreten ist. Den Direktkandidaten aus der Erststimme wird das Mandat nur zugeteilt, wenn das durch das Ergebnis der Zweitstimme gedeckt ist.

Anfang Juni 2023 unterzeichnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz. Die CSU und Die Linke haben allerdings dagegen vor dem Verfassungsgericht geklagt, weil sie befürchten, dass sie wegen der neuen Regeln nicht mehr in den Bundestag kommen.

Das heißt, dass die SPD dann nicht ihre Liste noch über Ausgleichsmandate für Überhangmandate noch etwas aufpappen kann, weil man ja genau das abgeschafft hat, um CSU und Linke abzuservieren. Die CSU erreicht in Bayern viele Direktmandate, kann aber, weil sie ja nur in Bayern antritt, im Zweitstimmenanteil nicht viel holen. Wenn die SPD aber in den Wahlen so abstürzt und dann keine Ausgleichsmandate bekommt, dann heißt das, dass viele der SPD-Abgeordneten dann schlicht arbeitslos sind. Oder sagen wir mal einkommenslos, denn Arbeiten tun viele von denen ja auch jetzt schon nichts. Und dann gehen die mörderischen Schlachten um die Listenplätze los.

Und das Schönste: Die SPD kann noch nicht einmal was dagegen sagen oder klagen, weil sie das Gesetz ja selbst mitgetragen hat.

Die haben nicht einfach nur Panik. Die haben richtige Existenzangst.