Ansichten eines Informatikers

Presserecht auch für Blogger

Hadmut
29.8.2023 17:07

Das Verwaltungsgericht Minden hat anders entschieden als das Verwaltungsgericht Berlin.

Schöne Entscheidung!

Ich hatte das schon beschrieben, dass das Verwaltungsgericht Berlin daran festhält, dass Presse nur der ist, der auf physische Vervielfältigungsstücke publiziert (Papier, CDROM, Steintafeln, Pyramiden, …)

Nun geht gerade eine Entscheidung des VG Minden herum, VG Minden, Beschluss vom 16.08.2023 – 1 L 729/23, und damit womöglich noch nicht rechtskräftig.

Der Beschluss argumentiert so, wie ich gegenüber dem Verwaltungsgericht Berlin:

1. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG war von Anfang an auf eine umfassende Erfassung jeglicher Medien angelegt. Seine Beschränkung auf Presse, Rundfunk und Film ist allein historisch bedingt.

2. Allen neuen Medien, die sich nicht als Rundfunk oder Film darstellen, ist zumindest auf der Rechtsfolgenseite ein Schutz wie der Presse zu gewähren. Dies gilt nicht nur für die digitale Transformation klassischer Zeitungsangebote im Internet (“Online-Zeitung”), sondern auch für sonstige Informationsangebote im Internet, wie z.B. Blogs oder Videoplattformen.

3. Um vom persönlichen Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG erfasst zu werden, ist eine gewisse Strukturierung der Informationsweitergabe erforderlich, so dass z.B. bloße Äußerungen in einem Chat-Room nicht unter die Presse-, sondern unter die Meinungsfreiheit fallen.

4. Ob Pressevertreter über einen Presseausweis verfügen, ist für ihre Einbeziehung in den persönlichen Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG unbeachtlich.

5. Pressevertretern ist die Mitnahme der für ihre Berichterstattung erforderlichen Geräte in ein Gerichtsgebäude zu gestatten.

6. Die Absicht eines Pressevertreters, über ein ihn selbst betreffendes Gerichtsverfahren zu berichten, schließt eine Berufung auf die Pressefreiheit nicht aus.

7. Weder Ziffer 6 des Pressekodex noch den übrigen Maßgaben des Pressekodex lässt sich ein “Verbot” der Berichterstattung in eigener Sache entnehmen.

8. Jedenfalls vereinzelte Verstöße gegen den Pressekodex führen nicht zu einem Verlust des Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG.

9. Ob für einen von einem Pressevertreter beabsichtigten Beitrag ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht, ist in Bezug auf die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG rechtlich unerheblich.

10. Ein Pressevertreter kann nicht pauschal darauf verwiesen werden, er könne außerhalb eines Gerichtsgebäudes filmen oder schriftlich über den Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens berichten.

Bei einigen Punkten könnte man meinen, die hätten mein Blog oder meine Schriftsätze gelesen, aber vermutlich haben sie einfach nur gründlich die Rechtslage gelesen und Schlüsse gezogen.

Was erstaunlich ist, denn da ging es um eine einstweilige Anordnung, also eine Entscheidung unter Zeitdruck. Die Richter müssen sich früher schon einmal und vertieft mit dem Thema beschäftigt haben.

aa. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG war von Anfang an auf eine umfassende Erfassung jeglicher Medien angelegt. Seine Beschränkung auf Presse, Rundfunk und Film ist allein historisch bedingt, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst alle zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Grundgesetzes bekannten Medien.

Vgl. Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 262 ff. (Stand: Januar 2018); Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023).

Dementsprechend müssen alle seitdem hinzugekommenen, insbesondere digitale Massenkommunikationsmittel in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einbezogen werden. Da die Rundfunkfreiheit angesichts der vom Bundesverfassungsgericht identifizierten Besonderheiten einen Sonderstatus innehat

– vgl. Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 200; Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023) –

und diese wie die Filmfreiheit spezifisch auf die Verbreitung einer Kombination von Ton und bewegten Bildern ausgerichtet ist, ist allen neuen Medien – die sich wie die Tätigkeit des Antragstellers – nicht als Rundfunk oder Film darstellen, zumindest auf der Rechtsfolgenseite ein Schutz wie der Presse zu gewähren. Dies gilt nicht nur für die digitale Transformation klassischer Zeitungsangebote im Internet (“Online-Zeitung”), sondern auch für sonstige Informationsangebote im Internet, wie z.B. Blogs oder Videoplattformen wie z.B. YouTube.

Vgl. mit im Einzelnen unterschiedlichen Konturierungen Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 188 ff.; Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 245 und 250 ff. (Stand: Januar 2018); Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023).

Der entwicklungsoffene Wortlaut des Art. 5 Abs.1 Satz 2 GG

– vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 68; Kühling, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Art. 5 GG Rn. 88 (Stand: Februar 2023) –

steht dem nicht entgegen.

Vgl. Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 262 (Stand: Januar 2018).

bb. Der persönliche Schutzbereich der so verstandenen Pressefreiheit erfasst alle Personen, die Informationen beschaffen, sie aufbereiten und sodann unter Nutzung medialer Verbreitungswege einem unbestimmten Personenkreis zugänglich machen.

Vgl. Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 220 (Stand: Januar 2018).

Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Personen hauptberuflich, nebenberuflich oder ehrenamtlich tätig sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1996 – 1 BvR 1183/90 -, BVerfGE 95, 28 (juris Rn. 25); Grabenwarter, in: Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 5 Rn. 220 (Stand: Januar 2018).

Eine besondere Qualifikation ist ebenso wenig zu fordern

– vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 75a –

wie ein journalistisches Mindestniveau.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 1 BvR 1602/07 u.a. -, BVerfGE 120, 180, Rn. 42; Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 205, 210, und 212.

Genau das hatte ich auch in Berlin vorgetragen, allerdings nicht oder nur teils mit diesen Quellenangaben, sondern selbst aus der Entwicklung des Rechts recherchiert. Aber wie mir schon so viele Juristen schrieben: Es kommt mehr darauf an, wer etwas sagt, als was man sagt, bei es bei den Juristen kein richtig und falsch, sondern nur vertretbare und nicht vertretbare Meinungen gibt, und die Vertretbarkeit vom Rang als Jurist abhängt. Von wegen rechtliches Gehör.

Erforderlich ist allerdings eine gewisse Strukturierung der Informationsweitergabe, so dass z.B. bloße Äußerungen in einem Chat-Room nicht unter die Presse-, sondern unter die Meinungsfreiheit fallen.

Auch so etwas hatte ich vorgetragen, dass ein gewisse geschäftsmäßige, nachhaltige (und nicht nur gelegentliche oder einmalige) Tätigkeit erforderlich sei, und die Leute das auch regelmäßig und systematisch lesen können und nicht nur zufällig mal irgendwo finden.

Danach hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, als Pressevertreter tätig zu sein. Er betreibt seinen Angaben zufolge, die sich durch Recherchen im Internet bestätigt haben, einen YouTube-Kanal (…) und zumindest einen Blog (…). Für diese Plattformen beschafft der Antragsteller Informationen, bereitet sie auf und macht sie auf diesen Plattformen als medialem Verbreitungsweg einem unbestimmten Personenkreis zugänglich. Soweit dies in der Kürze der für die Entscheidung des Gerichts zur Verfügung stehenden Zeit geprüft werden konnte, leistet der Antragsteller auch ein gewisses Mindestmaß an Strukturierung der Informationsweitergabe. Dass der Antragsteller neben einigen eigenen Beiträgen vielfach “nur” Beiträge Dritter verlinkt

– hierzu Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 205 –

und zumindest mit seinem YouTube-Kanal angesichts der Anzahl der dort dokumentierten Abonnenten und Aufrufe wohl nur über eine beschränkte Reichweite verfügt, steht seiner Glaubhaftmachung, er sei Pressevertreter, nicht entgegen. Insoweit kommt es nur auf die potentielle Reichweite seiner Angebote an

– vgl. Cornils, in: Löffler, Presserecht, 6. Auflage 2015, § 1 LPG Rn. 209 -,

die bei internetbasierten Angeboten unbegrenzt ist.

Auch das hatte ich – inhaltlich – vorgetragen und argumentiert, nämlich dass der juristische Begriff des „Druckwerks“ in den Stand der Technik zur damaligen Zeit eingeordnet werden muss, und „Druckwerk“ damals eben nicht bedeutete, dass es Papier braucht, sondern dass es um große Auflagen und eine unbegrenzte Verbreitung geht.

Ich war mir sicher, mich an eine Entscheidung erinnern zu können, die ich vor 20 Jahren mal irgendwo gelesen hatte, als ich damals im Zusammenhang mit dem Uni-Streit in den Bibliotheken gehaust (Badische Landesbibliothek und BGH-Bibliothek in Karlsruhe, sächsische Landesbibliothek, Uni-Bib Dresden) und Tausende Entscheidungen gefressen hatte.

Meiner Erinnerung nach hatte man einem Betriebsrat das Presserecht verwehrt, weil die vor ihrer Firma herumstanden und den Mitarbeitern mti einer Spiritus-Umdruckmaschine produzierte Zettel gaben. Und das hatte das Gericht damals (wie ich meine, zu Recht) als nicht ausreichend für Presse erachtet, weil es erstens eine viel zu kleine Auflage war und zweitens nur an einem Ort und nur für die Belegschaft verteilt wurde, der anonyme Normalbürger da also nicht dran käme. Man brauche schon Druckwerk. Da ging es aber nicht um Papier, denn Papier hatte dieser Betriebsrat ja auch, sondern um eine hinreichend große Auflage und darum, dass nicht nur an einen begrenzten Personenkreis publiziert wird. Ich habe gesucht und gesucht, Google und Juris Datenbank, und die Entscheidung nicht mehr gefunden, obwohl ich mich ziemlich gut daran erinnern kann (zu können glaubte). Ich habe aber dann eine andere (BGH- oder BVerfG-)Entscheidung gefunden, die sich liest, als hätte man damit eben diese Entscheidung aus anderem Grund aufgehoben und wohl aus den Publikationen getilgt. Aber auch wenn sie die Entscheidung aufgehoben haben, sieht man daran recht gut (wenn ich denn den Text noch hätte und nicht nur in Erinnerung), was mit „Druckwerk“ gemeint war. Da ging es eben nicht um Papier, sondern um Auflage und breite Verbreitung, was zum damaligen Stand eben nur durch Druck zu machen war. Eine Webseite erfüllt das heute aber ganz locker.

Es passt vielen Juristen nur eben nicht, dass man heute mit einem Notebook aus dem Supermarktsonderangebot locker die heilige Institution Zeitung überholen kann.

Und sie wollen partout nicht zugeben, dass die Rechtslage nicht auf juristischer Überlegung, Auslegung, Subsumption beruht, sondern schlicht darauf, dass einer falsch vom anderen abschreibt und sich die Rechtsmeinung dann nach dem Prinzip „stille Post“ bildet, weil jeder was anderes versteht.

Ich hatte übrigens in diesem Zusammenhang auch auf § 6 des Berliner Pressegesetzes verwiesen:

§ 6 Begriffsbestimmungen. (1) Druckwerke im Sinne dieses Gesetzes sind alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Schriften, besprochene Tonträger, bildlichen Darstellungen mit und ohne Schrift und Musikalien mit Text oder Erläuterungen.

(2) Zu den Druckwerken gehören auch die vervielfältigten Mitteilungen, mit denen Nachrichtenagenturen, Pressekorrespondenzen, Materndienste und ähnliche Unternehmungen die Presse mit Beiträgen in Wort, Bild oder ähnlicher Weise versorgen. Als Druckwerke gelten ferner die von einem presse-redaktionellen Hilfsunternehmen gelieferten Mitteilungen ohne Rücksicht auf die technische Form, in der sie geliefert werden.

[…]

Dazu muss man wissen, dass das Gesetz von 1965 stammt (älter ist als ich) und damals Willy Brandt noch regierender Bürgermeister von Berlin war. In der damaligen Zeit konnte man sich so etwas wie das Internet noch gar nicht vorstellen konnte (der Vorgänger des Internet, das ARPANET, wurde erstmal 1967 publiziert). Trotzdem hat man sich im Rahmen des damals Vorstellbaren und Bekannten bereits der technischen Entwicklung geöffnet, denn schon damals haben die Nachrichtenagenturen nicht mehr (nur) auf Papier informiert, sondern per Fernschreiber und Fax, das Gesetz also eindeutig auch elektronische Übermittlung schon miteinbezieht, obwohl von 1965. Die Juristen können nicht alle so fortschrittlich denken wie die Politiker von 1965.

Es findet sich aber noch ein kleines Juwel in dieser Entscheidung:

Ob Vertreter der Presse über einen Presseausweis verfügen, ist für ihre Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unbeachtlich.

Hurra!

Das ist nämlich das Problem, mit dem ich ständig zu tun habe.

Will man einen Presseausweis haben, heißt es von Inneministerkonferenz und Presserat, der sei nicht gestaltend und zu nichts erforderlich, weshalb man keinen Anspruch habe.

Will man aber Auskunft, dann verlangen Behörden und vor allem Staatsanwaltschaften und Gerichte fast immer einen Presseausweis, und zwar selbst dann, wenn der im Pressegesetz des jeweiligen Landes nicht erwähnt wird und die Forderung jeder Grundlage entbehrt.

Wir haben ein Land, das systematisch die Pressefreiheit verletzt nach dem Schema „Pressefreiheit – ja, natürlich, wir sind ja eine Demokratie – aber wer Presse ist, das bestimmen wir allein.“

Wie bei der Meinungsfreiheit. Natürlich haben wir Meinungsfreiheit. Aber was Meinung ist und was nicht, das bestimmt die Regierung.

Schöne Entscheidung!