Ansichten eines Informatikers

Vom Handschlag im Fechten

Hadmut
29.7.2023 11:39

Fast wäre ich stinksauer geworden. Aber nur fast. Oder nur ganz kurz. [Update]

Ich habe in meiner Jugend ein paar Jahre gefochten. Florett und Säbel.

Heute morgen lese ich das:

Und war dabei, stinksauer zu werden.

Zu meiner Zeit damals war der Handschlag üblich, an eine Pflicht dazu könnte ich mich nicht erinnern. Aber sehr wohl daran, dass es mir schon damals gegen den Strich ging, Leuten, die sich im Kampf extrem unsportlich verhalten und absichtlich versucht haben, einen durch Nachschlagen zu verletzen, wofür sie eigentlich hätten disqualifiziert werden müssen, noch die Hand zu geben. Im Fechten waren auch einige ziemliche Kotzbrocken unterwegs, die versuchten, mit unlauteren Methoden den Gegner zu schwächen. Deshalb ist mir die Nebensächlichkeit mit der Frage um den Handschlag noch in Erinnerung.

Nun kann man zwar argumentieren, dass es zum sportlichen Verhalten gehört, sich nach dem Kampf – wie es auch in anderen Kampfsportarten üblich ist – die Hand zu geben um zu symbolisieren, dass es nur ein sportlicher Kampf war und der jetzt beendet ist. Und dass Sieger und Unterlegern sich gegenseitig eine kleine Geste des Respekts entbieten.

Das ist grundsätzlich in Ordnung und dem Umgang miteinander zuträglich, zumal man ja immer auch symbolisieren will, dass es nur Sport und nicht Krieg ist.

Aber alles hat irgendwo seine Grenzen. Irgendwo endet die Zumutbarkeit. Und ich habe da volles, uneingeschränktes Verständnis dafür, wenn eine ukrainische Sportlerin nicht in der Gemütsverfassung ist, einer russischen die Hand zu geben. Ich weiß nicht, wie ich es machen würde, weil ich nicht in der Situation bin, und ich will auch nicht sagen, dass ich es gutheißen, befürworten, empfehlen würde. Ein Handschlag ist aber eine persönliche Angelegenheit und eine persönliche Erklärung, und die muss damit in gewisser Weise auch noch der Privatautonomie unterliegen.

Und ich halte es unter diesen Umständen dann auch für eine Respektlosigkeit gegenüber der ukrainischen Sportlerin, deren sportliche Leistung wegen einer Formalie einfach so wegzuwischen, die ja ohnehin schon unter technisch, psychisch, logistisch, zeitlich, finanziell sehr erschwerten Bedingungen stattfand. Auch Sportler haben die vielzitierte Menschenwürde, auch wenn die als Argument längst überstrapaziert ist. Sportliche Formalitäten können und dürfen nicht zur Demütigung verkommen.

Obwohl ich seit 40 Jahren mit Fechten nichts mehr zu tun habe, hatte ich mir deshalb vorgenommen, denen eine – effektiv nutzlose aber geharnischte – Mail zu schreiben.

Da finde ich auf der Suche nach näheren Informationen diesen Artikel: Weltverband hebt Suspendierung ukrainischer Fechterin auf

Der Fecht-Weltverband FIE hat die Suspendierung der Ukrainerin Olha Charlan bei der WM in Mailand aufgehoben. Damit kann die 32-Jährige am Samstag im Teamwettbewerb an den Start gehen. Die FIE änderte zudem ihre Regeln und erklärte den Handschlag nach einem Gefecht für nicht mehr verpflichtend. Das teilte Bruno Gares, Mitglied des FIE-Exekutivkomitees, auf einer Pressekonferenz mit.

Charlan hatte am Donnerstag nach ihrem Gefecht gegen die Russin Anna Smirnowa den Handschlag verweigert und war daraufhin disqualifiziert worden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte wenige Stunden nach dem Eklat die internationalen Sportverbände aufgefordert, sensibel mit dem Aufeinandertreffen zwischen Athletinnen und Athleten aus der Ukraine und Russland umzugehen. Auch in anderen Sportarten wie Tennis geben ukrainische Profis Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus nicht die Hand.

IOC-Präsident Thomas Bach hat Charlan am Freitag eine Startplatzgarantie für die Olympischen Spiele 2024 in Paris gegeben. Sie werde einen zusätzlichen Quotenplatz erhalten, sollte sie sich nicht sportlich qualifizieren, schrieb Bach in einem persönlichen Brief an die Säbelfechterin, den der Sportminister aus der Ukraine, Vadym Hutzajt, veröffentlicht hat. Man mache diese einmalige Ausnahme auch deshalb, da Charlan in keinem Fall die Qualifikationspunkte ausgleichen könne, die sie aufgrund ihrer Disqualifikation verpasst hätte.

“Für mich ist es unmöglich, mir vorzustellen, wie Sie sich in diesem Moment fühlen”, schrieb Bach – selbst Fecht-Olympiasieger von 1976.

Da hat der Fecht-Weltverband vom Olympischen Komitee in Form von Thomas Bach – selbst Fechter – eine aufs Dach bekommen.

Das war zwar sicherlich auch eher eine politische als eine sportliche Entscheidung, und ich halte von Olympischen Spielen und dem IOC nicht viel, aber in der Sache halte ich sie für richtig.

Versteht mich nicht falsch. Ich will damit nicht sagen, dass ich es für richtig halte, russischen Sportlern die Hand nicht zu geben. In der Regel können die ja nichts für den Krieg. Aber ich halte es für richtig, auch Sportlern einen gewissen persönlichen Entscheidungsfreiraum zu lassen, denn jemandem die Hand zu geben ist an sich ja keine sportliche, sondern eine persönliche Sache, und da haben sich die Sportverbände dann auch rauszuhalten.

Mir geht das nämlich generell gegen den Strich, dass einem immer mehr politisch korrektes Verhalten vorgeworfen wird. Und ich kann es nicht akzeptieren, dass politisch korrektes Verhalten Teil der sportlichen Leistung und ihrer Bewertung wird.

Und man kann von Sportlern eines Landes, das im Krieg ist, das angegriffen wurde, zumal wenn sie für dieses Land antreten und dessen Flagge auf der Kleidung tragen (müssen), im Wettkampf mit einem Sportler des Aggressors nicht verlangen, so zu tun, als wäre nichts.

Update:

Ein Leser schreibt mir dazu:

Guten Tag Herr Danisch,

zu Ihrem Artikel bei

Vom Handschlag im Fechten

noch folgende Anmerkungen:

– der Handschlag ist (oder seit kurzem war) nach Regeln verpflichtend

– der Kampf ist nicht beendet, solange der Handschlag nicht erfolgt ist

– es ist verboten, die Fechtbahn zu verlassen, solange der Kampf nicht beendet ist. Dies hat die Ukrainerin dennoch gemacht

Dies erklärt auch, warum die Russin die Fechtbahn nicht verlassen hat, denn der Kampf war nach geltenden Regeln nicht beendet. Die Russin trat übrigens als Privatperson an, d.h. sie trat nicht für Rußland an

– es ist zu jeglichem Zeitpunkt strengstens verboten, mit dem Florett auf den unbewaffneten Gegner auch nur zu zeigen; die Spitze muß zum Boden zeigen.
Die Ukrainerin hat aber ihr Florett dazu benutzt, um sich die auf sie zukommende ungeschützte (d.h. ohne Helm) Russin vom Leibe zu halten

– das Einknicken des Weltverbands vor den Befindlichkeiten der ukrainischen Spielerin unterstützt diese unsägliche Modeerscheinung, nämlich der unbedachten und überhasteten Ersetzung dessen was legal ist durch das, was gerade moralisch und legitim erscheint, um zu signalisieren daß man zu den “Guten” gehört

Da ist was dran. Da hat der Leser recht.

Trotzdem: Unter den Umständen wie diesen, in denen inzwischen nahezu jeder Ukrainer irgendwelche Bekannten oder Verwandten verloren haben dürfte, finde ich, dass das zu weit ging. Man kann sich darüber streiten, ob der Eingriff des IOC und die nachträgliche Aufhebung ihrerseits gerechtfertigt oder nicht doch eher ein Akt politischer Korrektheit waren. Genau das ist aber das Problem. Die Fechtregeln sollten erst gar nicht so sein, dass sie zum politischen Angriffspunkt werden.

Und es ist nun einmal ein ganz erheblicher Unterschied, ob ich gegen einen maskierten Gegner kämpfe und ihn angreife, oder ob ich dem unmaskierten persönlich die Hand geben muss.

Insofern würde ich das auch eher nicht dem Kampfrichter anlasten, wenn der sich an die Regeln gehalten hat, sondern den Regeln an sich. Denn es ist nicht ohne weiteres von außen erkennbar, ob das im Einzelfall auch zumutbar ist. Man kann ja durchaus auch mal jemandem gegenüberstehen, der einem sehr geschadet hat. Nur mal so als fiktives Beispiel: Was, wenn sich der Gegner als der entpuppt, der einem neulich das Kind totgefahren hat?

Ich muss dazu sagen, dass ich bisher auch davon überzeugt war, dass sich jeder so im Griff zu haben hat, dass er sich benimmt und dem anderen die Hand gibt. Aber irgendwo gibt es eine Grenze.

Und solange wir es tolerieren, dass Muslime Frauen nicht die Hand geben, ist dann mein Verständnis für solche Fälle dann auch nicht gegeben.