Ansichten eines Informatikers

Nochmal zum verweigerten Fecht-Handschlag

Hadmut
29.7.2023 20:42

Es erreichten mich einige Zuschriften.

Eine Reihe von Lesern schrieben, dass sie sich auf Video ansehen wollten, was bei dieser Fecht-WM eigentlich passiert sei, denn die Rede sei davon, dass es nicht nur um einen verweigerten Handschlag ging, sondern auch darum, dass die Ukrainerin außerhalb des Kampfes die Waffe gegen die Russin mit abgenommener Fechtmaske – also ungeschützt – gerichtet hätte. Die Videos seien aber flächendeckend verschwunden, es seien nur noch Standbilder zu finden.

Guten Tag Herr Danisch,
die Frage ist halt, ist man im Schützengraben oder auf einer Sportveranstaltung..
Haben Sie das Video gesehen? Ich ja und der Verlauf war: die Russin ging mit der halb ausgestreckten Hand auf die Ukrainerin zu, diese jedoch richtete Ihre Waffe auf die Russin und führte diese vor, so dass diese die Russin traff und sich gar vor Spannung leicht verbog. Da die Russin nach der Berührung kein Schritt vor ging, gehe ich davon aus, dass die Ukrainerin diese Waffe absichtlich “eingestochen” hat, so dass diese sich wölbte. Verzeihen Sie mir meine Ausdrucksweise, aber ich kenne mich in Fechten und Begriffen nicht aus. Darauf folgten einige Sätze der Ukrainerin und der Gestik entnehme ich, dass das nichts nettes war. Die Russin wich danach aus und ging zurück, dann saß sie noch eine Weile auf ihrem Stuhl und ging nicht vom Platz weg.

Zudem, versuchen Sie doch mal auf die Schnelle bei YouTube das Originalvideo zu finden, es ist nicht mehr da. Einzig sind es die Standbilder mit Stimme unterlegt, die aber das Bild nur verzehren.

Ich bin der Meinung, dass das mit der Sportveranstaltung nicht vereinbar ist und empfinde das Aufheben der Sperre als nicht richtig. Zudem schadet das dem eh schon in Verruf geratenen Sport, weil vieles einfach von der Politik bestimmt wird und die Doppelmoral besonders im Bezug auf Russen hier über Jahre deutlich erkennbar ist, für alle Herrenländer! Ein gutes Bild macht es nicht.

Guten Tag Herr Danisch,

zu Ihrem Artikel bei

https://www.danisch.de/blog/2023/07/29/vom-handschlag-im-fechten/

noch folgende Anmerkungen:

– der Handschlag ist (oder seit kurzem war) nach Regeln verpflichtend

– der Kampf ist nicht beendet, solange der Handschlag nicht erfolgt ist

– es ist verboten, die Fechtbahn zu verlassen, solange der Kampf nicht beendet ist. Dies hat die Ukrainerin dennoch gemacht

Dies erklärt auch, warum die Russin die Fechtbahn nicht verlassen hat, denn der Kampf war nach geltenden Regeln nicht beendet. Die Russin trat übrigens als Privatperson an, d.h. sie trat nicht für Rußland an

– es ist zu jeglichem Zeitpunkt strengstens verboten, mit dem Florett auf den unbewaffneten Gegner auch nur zu zeigen; die Spitze muß zum Boden zeigen.
Die Ukrainerin hat aber ihr Florett dazu benutzt, um sich die auf sie zukommende ungeschützte (d.h. ohne Helm) Russin vom Leibe zu halten

– das Einknicken des Weltverbands vor den Befindlichkeiten der ukrainischen Spielerin unterstützt diese unsägliche Modeerscheinung, nämlich der unbedachten und überhasteten Ersetzung dessen was legal ist durch das, was gerade moralisch und legitim erscheint, um zu signalisieren daß man zu den “Guten” gehört

Guten Abend,

die Ukrainerin hat nicht einfach den Handschlag verweigert, sie hat die Fechtwaffe in Richtung der Russin gehalten als diese zum Handschlag auf sie zuging.

Siehe Video im Link:
https://www.eurosport.de/fechten/weltmeisterschaft-olha-charlan-verweigert-nach-sieg-den-handschlag-anna-smirnowa-reagiert-mit-sitzst_sto9719251/story.shtml

Dafür gehörte sie — ohne wenn und aber — sofort disqualifiziert.

Da habe ich noch ein Video gefunden:

(Die Russin trat für AIN an, was mir nicht klar ist, denn normalerweise treten Sportler, die nicht für ihr Land antreten, als ANA = Authorised Neutral Athlete an.)

Die Waffe außerhalb des Wettkampfes zu verwenden, ist tatsächlich ein No-Go. Allerdings – zumindest zu meiner Zeit – auch nicht so schlimm, weil man vor dem Wettkampf (damals) immer je einen Teststich machte, um zu prüfen, ob die Trefferanzeige funktioniert. Zu Säbel kann ich da aber nichts sagen, weil es zu meiner Zeit beim Säbel noch keine elektrische Trefferanzeige und deshalb auch keine Anzeige gab.

Außerdem war das bei uns damals auch so üblich, auch schon vor dem Aufsetzen der Maske, den Gegner vor dem Kampf mit einer Bewegung der Waffe in seine Richtung zu grüßen. Ganz so völlig verboten kann das also nicht sein, die Waffe in Richtung eines Unmaskierten zu richten.

Ich stimme insoweit zu, dass man das negativ werten kann.

Dann muss man aber auch so fair sein und die ganze Situation betrachten. Denn die Russin macht auch einen Fehler, der zumindest zu meiner Zeit zur Disqualifikation hätte führen können: Sie überschreitet nämlich die Mittellinie. Bei uns war das damals so, dass man außerhalb des Kampfes die Linie nicht überschreiten durfte und in der Hälfte des Gegners nichts verloren hatte, weil der sich außerhalb des Kampfes nicht bedrängt oder angegriffen fühlen durfte. Das ist übrigens auch in anderen Kampfsportarten so. Beim Boxen hat jeder in seine Ecke zurückzukehren, und bei Judo/Karate/usw. sich in seiner Hälfte abzuknien. Wenn der Gegner verletzt ist und behandelt wird, sogar mit dem Rücken zum Gegner. Und es galt die strikte Regel, dass man nach Treffern oder Unterbrechungen, sofern der Obmann den Kampf nicht an derselben Stelle fortsetzen lässt, sofort in die eigene Hälfte zurückzukehren hat.

Und dementsprechend ist es auch so nicht richtig zu behaupten, sie hätte die Waffe gegen die Russin gerichtet oder sie angegriffen, denn soweit man das in der schlechten Qualität des Videos auch im Standbild sehen kann, hat auch die Spitze der Waffe nicht ihre eigene Hälfte verlassen. Formal gesehen hält sie die Russin auf Distanz und aus ihrer Hälfte raus. Und zumindest nach den Sitten, die wir damals gelernt haben, ist das jetzt nicht völlig abwegig und unvertretbar, denn es ist „ihre“ Hälfte, in der die andere einfach nichts verloren hat. Vielleicht hat sich das inzwischen geändert, aber damals war das so. Man hat – außer im laufenden Kampf – in der Hälfte des anderen nichts verloren und dem anderen unter keinen Umständen auf die Pelle zu rücken.

Und für mich sieht das auch nicht so auf, als ob sie die Russin angreift, sondern mit der Waffe auf Distanz hält. Sie verhindert Handschlag, Umarmung oder so etwas und ersichtlich das Eindringen in die eigene Hälfte.

Ich kenne die heute geltenden Regeln nicht. Aber nach meinem Empfinden darf sie das, die andere auf Distanz halten um Körperkontakt zu vermeiden. Nämlich weil die Fechtregeln meines Erachtens so etwas gar nicht verlangen dürfen.

Und was man eben auch sehen muss: Die Russin hatte die Waffe zwar nicht erhoben, sondern kurz vor dem Übertreten der Mittellinie sogar nach hinten geklappt, aber ein formal hat nicht die Ukrainerin die Russin, sondern die Russin die Ukrainerin angegriffen, weil sie mit Waffe die Linie überschritten hat und in deren Hälfte eingedrungen ist. Zugegeben, das ist jetzt sehr formal, aber das ganze Ding ist sehr formal.

Es ist grenzwertig, ja.

Aber es ist in meinem Augen eben nicht klar disqualifikationswürdig, und gerade vor dem Hintergrund des Angriffskrieges mit vielen Toten durchaus nachvollziehbar. Ich bin nicht der Meinung, dass sie Körperkontakt dulden musste.

Umsomehr, wenn ich bedenke, wie die Öffentlichkeit in den letzten Jahren mit Männern umgegangen ist (#MeToo und #Aufschrei und sowas).

Wichtig wäre natürlich, zu sehen, was vorher ablief, ob das eine Vorgeschichte hat.

Und wichtig wäre auch, zu wissen, was die Ukrainerin da zur Russin sagt, denn es ist ja zu sehen, dass da eine deutliche Ansprache stattfindet.

Auch wenn die Situation im Video eine andere ist, als sie in den Medien dargestellt wurde, bleibe ich – bis man die Ansprache und die Vorgeschichte kennt – dabei,

  • dass sie bei einer Distanzkampfsportart, die Körperkontakt (anders als etwa Judo, Ringen, Boxen) nicht vorsieht, einen Körperkontakt unter diesen Umständen nicht dulden musste, (und ich das schon oft beobachtet habe, dass Männer sich die Hand geben und Frauen sich gleich umarmen). Den Handschlag vollzieht man auf der Mittellinie. Man kann nicht zum Gegner gehen und sich den Handschlag dort abholen oder erzwingen.
  • sie zumindest nach den Regeln, die wir damals gelernt haben, das Eindringen in ihre Hälfte nicht hinnehmen musste, auch wenn das jetzt sehr formal klingt. Jemanden wegen Handschlags zu disqualifizieren ist auch formal.

Ich bleibe bis auf weiteres bei meiner Meinung.