Ansichten eines Informatikers

Wissenschaft I : Klagelied eines Historikers

Hadmut
18.5.2023 12:15

Ich hatte die Frage gestellt, was es mit der Briten-gegen-Russland-These auf sich hat, warum die Historiker das Maul nicht aufkriegen.

Ein Historiker hat geantwortet und erklärt es mir.

Sehr geehrter Herr Danisch,

ich durfte mit Verdruss lesen, dass Sie von Leuten angepöbelt wurden, weil Sie es wagten, auf ein Video zu verweisen. Sie werfen die berechtigte Frage auf, warum Historiker von sich nichts hören lassen. Dazu meine Antwort als solchiger: Weil es 99,9% der Menschen einen Dreck interessiert. Ist leider einfach so. Mal ganz abgesehen davon, dass die Allermeisten ohnehin nur an Schlachten interessiert sind, haben die allermeisten Leute einfach gar kein Interesse.

Es ist außerdem auch aus der Mode gekommen, die eigenen politischen (und sonstigen!) Ansichten in der Schublade zu lassen. Kürzlich habe ich eine Arbeit über die Kreuzzüge in die Ecke gepfeffert, weil der Autor ständig und andauernd gegen die bösen Kreuzfahrer wetterte, die die unschuldigen Muslime blablabla blubb blubb… Kein Versuch der Differenzierung, kein Verweis darauf, dass Muslime seit Begründung ihrer Religion mit Feuer und Krummsäbel andere Kulturen unterworfen haben. Nichts. Nada. Das war mir dann zu blöd.

Anderes Beispiel: Caius Iulius Caesar. Wird gerne mal ob seines gallischen Krieges angefeindet. Völkermord, unaussprechliche Grausamkeiten, und ganz Schlaue verweisen darauf, dass Cato Uticensis und andere ihn scharf kritisiert hätten. Je nun. Cato und die anderen viri optimi (boni) scherten sich einen Dreck um die Gallier/Belger/germanischen Stämme (sic), sondern viel mehr darum, dass Caesar Geld, Macht, Einfluss gewann, und das im Übermaß. Das Allererste, was ich im Geschichtsstudium lernte, war: Beurteile eine Kultur immer aus der jeweiligen Zeit und ihren Maßstäben heraus. In der damaligen Zeit war es Usus, dass einer Stadt, deren Bewohner aufgefordert worden waren, sich zu ergeben, aber bis zur Erstürmung Widerstand geleistet hatten, Übles widerfuhr. Das war kein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, das wurde buchstäblich von allen so gehandhabt (die Griechen waren da keine Ausnahme).

Was jetzt Russland und den angeblichen wirtschaftlichen Aufschwung angeht, das sehe ich problematisch, aus 2 Gründen. 1. Russland steckte tief, sehr tief, im Dreck. Der Krieg von 1905/06 gegen Japan war ein schwerer Schock gewesen – Japan hatte, entgegen der Erwartungen des Westens, Russland militiärisch KOMPLETT deklassiert. Das warf bei Beobachtern die Frage auf, wie, zum Henker, das passieren konnte. Antwort: Heillose Korruption, miserabler Ausbildungsstand der Truppen, Nepotismus bis in die obersten Ränge, schlechte Ausrüstung und Versorgung. Und das war keinesfalls nur auf die Streitkräfte beschränkt! Anfang des 20. Jhdts war Russland wirtschaftlich am Arsch (oder im Arsch – je nach Sichtweise). Dem Adel ging es ja noch gut, aber besonders die Landbevölkerung wurde ausgepresst; die Bauern waren besonders übel dran. Die Wenigsten konnten lesen und schreiben, mit der Industrialisierung war auch nicht viel los. Wo hätte da der wirtschaftliche Aufschwung herkommen sollen?

Was die These angeht, die Engländer und Amerikaner hätten Russland schwächen wollen, frage ich mich, warum? DER Gegner am Anfang des 20. Jhdts war das Kaiserreich. Nachdem Bismarck (von dem Frau Fester ja anscheinend nur weiß, dass er der Namensgeber des Herings ist), der immerhin stets für einen Ausgleich zwischen dem Kaiserreich und Russland eingetreten war, um einen möglichen Zweifrontenkrieg zu unterbinden, abgesägt worden war, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Kaiserreich. Die Marokko-Krise verschärfte außerdem den Ton zwischen Frankreich und Deutschland, was Erstere dazu brachte, sich England und Russland (!) anzunähern, wenn auch zuerst nur in Form eines Neutralitätsabkommens.

Tja, und dann kam der Grosse Krieg, wo die Russen grauenvolle Verluste hinnehmen mussten (siehe 1905/06 – nix gelernt daraus, weil die Verantwortlichen nicht lernen WOLLTEN). Lenin wurde dann aus dem Kaiserreich geschickt, um Revolution zu machen. Wäre das Zarenreich zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich so erfolgreich gewesen, hätte er das geschafft? Warum konnte Castro so mühelos über Batista triumphieren? Weil die Cubanos die Schnauze voll hatten. Genau so war es in Russland. Die einfachen Leute hatten schlicht und einfach die Nase voll von der Aristokratie, der Korruption, der Verschwendung durch den Adel, die Unterdrückung der Massen.

Was die These angeht, Amerikaner und Engländer hätten Hitler gezielt als Gegner gegen den Kommunismus aufgebaut, das mag wohl auf Churchills Aussage fußen, man habe sich den falschen Gegner vorgeknöpft. Er stand (von Anfang an!) Stalin sehr misstrauisch gegenüber, anders als Roosevelt, der von Stalin eingenommen war (Stalin konnte charmant sein, wenn er wollte). Letztendlich erklärt sich die Duldung Hitlers aber sehr viel einfacher durch die allgemeine Kriegsmüdigkeit und das Gefühl, den Deutschen Unrecht getan zu haben. Außerdem: Frankreich und England hatten ein Verteidigungsbündnis mit Polen, und sie WUSSTEN, dass Hitler Polen angreifen würde. Ich meine, es ist eine schöne Theorie, aber tragfähig ist sie eben auch nicht, schon gar nicht, weil sie dann ja umdrehten und Stalin großzügig Hilfe zuteil werden ließen – die Auswirkungen derselben werden immer noch diskutiert; die einen sagen, ohne lend lease wären die Russen umgekippt, die anderen meinen, das sei Quatsch. Ich behaupte einfach mal, Stalin hätte ohne die großzügige Hilfe Frieden schließen und Teile seines Territoriums abtreten müssen (er war 1941/42 schon so weit, dass er ernsthaft über Friedensverhandlungen nachdachte).

Was das Dritte Reich angeht, so habe ich gelernt, das Maul zu halten. Man wird SEHR schnell angefeindet, wenn man sich erdreistet, Sachen zu sagen, wie z.B., dass die Methoden der Nationalsozialisten oft und gerne kopiert worden sind (und werden), dass ihre Herrschaft nicht nur auf ihre Symbole reduziert werden sollte, dass diese Zeit deutlich mehr im Schulunterricht behandelt werden sollte…

Ich habe eine Klasse mal das Beamtengesetz von 1935 behandeln lassen. 11. Klasse, wohlgemerkt. Die haben es geschafft, das GENAUE GEGENTEIL herauszulesen, dass Juden BEVORZUGT wurden. Kommentar eines Kollegen? „Selber schuld, was nimmste auch so einen komplizierten Text.“ Als ich in der 11. war, hab ich das auf Anhieb richtig verstanden.

Also, langer Rede, gar kein Sinn: 1. Keine Sau interessierts, 2. Der Bote wird kalt gemacht, wenn die Nachricht nicht gefällt, 3. Ohne die Kenntnis der Zusammenhänge ist das Ganze noch schwieriger.

Bitte fühlen Sie sich NICHT belehrt, angepöbelt, oder geschuriegtelt.

Mit freundlichen Grüßen,

Wir fassen zusammen:

  • Er hat gelernt, das Maul zu halten. Man wird angefeindet, wenn man von der vorgegebenen Linie abweicht und sagt, was man nicht sagen soll.
  • Keine Sau interessiert’s.
  • Der Bote wird kalt gemacht, wenn die Nachricht nicht gefällt.
  • Ohne die Kenntnis der Zusammenhänge ist das Ganze noch schwieriger, aber die Schüler werden immer dümmer.

So sieht’s wohl aus.

Und damit steht zu erwarten, dass die Erzählung vom Dritten Reich und dem Nationalsozialismus ungefähr alle drei Jahre signifikant flacher, einfacher, zeitgeistiger und unrichtiger wird, vor allem, wenn jetzt KI gut darin wird, Texte, Zeichnungen, Fotos zu fälschen. Das dauert nicht mehr lang, und aus den Alliierten wird die Regenbogenallianz, die die Nazis besiegte, um Gerechtigkeit für Queers zu bringen und sie zu befreien. Je mehr sich unsere Politik mit den Palästinensern vermischt, desto judenfeindlicher wird die Erzählung gedreht werden. Noch ein paar Jahre, und man wird die Story nicht mehr wieder erkennen.

Da wird systematisch und stückchenweise die ganze Geschichte umgekrempelt, weil man den Leuten heute alles erzählen kann. Vor allem dann, wenn man gut darin ist, Bilder und Filme subtil zu verändern.

Weil nicht die Wahrheit oder historische Korrektheit interessieren, sondern eine Story, die genau in die Ideologie und die Zeitgeisterziehung passt. Es wird nicht erzählt, was war, sondern was man glauben soll. Und wer was anderes erzählt, wird umgelegt.