Ansichten eines Informatikers

Wegen Schärfentiefe verklagt

Hadmut
16.6.2022 12:43

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das unter „Fotografie“, „Photographie“ oder „gesellschaftliche Verblödung“ einordnen soll.

Wir haben ja gerade so eine massive Verschiebung von der herkömmlichen Fotografie (ich tue mir immer noch sehr schwer, -grafie mit f statt ph zu schreiben), zur „Handygrafie“, bei der man eigentlich nur noch draufdrückt, und alles, was da fotografisch noch passiert, von der Software erledigt wird.

Nun gibt es unter denen, die noch herkömmlich mit Kamera und Wechselobjektiven fotografieren, eine Strömung unter den Fotografen, für die das neue Buzzword „Bokeh“ einfach alles ist. Bokeh, Bokeh, Bokeh.

Was ist „Bokeh“?

Vereinfacht gesagt, früher hat man „Tiefenschärfe“ dazu gesagt, bis die Besserwisser und Schlaumeier kamen und darauf bestanden, dass es „Schärfentiefe“ heißen muss. Die Sorte Mensch, die einen belehrt, dass es kein Schraubenzieher, sondern ein Schraubendreher ist, weil er sie dreht und nicht zieht.

Nun ist das ein wesentlicher Teil der Fotografie, nicht nur das, was man in den Bildmittelpunkt stellen will, ordentlich scharf zu machen, sondern die Begrenzung der Schärfe auszunutzen, um das, was nicht so wichtig sein soll, den Hintergrund oder manchmal auch den Vordergrund, unscharf zu machen.

Damit sind wir dann wieder mal bei dem Punkt, den ich nicht leiden kann, weil so viele Leute schwätzen, dass es nur auf den Fotografen, und nicht auf die Kamera ankäme. Die Leute haben nichts verstanden. Denn der Verlauf der Schärfe hängt von der Blende ab. Und die maximale Blende hängt davon ab, wie dick das Objektiv ist. Und dicker heißt teurer, weil mehr Glas rein muss, die mehr Gehäuse brauchen, die generell schwieriger zu bauen sind und besseres Glas erfordern. Schärfentiefe ist das, woran sich Preis und Qualität der Kamera am direktesten auswirken, und wo man mit einer billigen Kamera (bisher) nur wenig oder gar nichts ausrichten kann. (Inzwischen bekommt man aber billige, verblüffend gute, aber nur manuelle Festbrennweiten mit großen Blenden aus China.)

Und darauf stehen die Fotografen – einen schönen, ausprägten Schärfeverlauf.

Nun kommt es aber nicht nur darauf an, dass da im Hintergrund was unscharf aussieht, sondern es soll auch noch schön aussehen, Charakter haben. Also nicht matschig, sondern schön smooth und vor allem gleichmäßig. Manche Objektive bilden beispielsweise Lichter im Hintergrund unschön ab. Oder nicht rund, manchmal erkennt man die Form der Blende. Die soll also schön rund sein und dazu möglichst viele Lamellen haben (=teuer). Besonders deutlich merkt man das bei Spiegelteleobjektiven, weil dann die Unschärfen ringförmig sind. Manche Leute können das gar nicht leiden, sieht bei manchen Bildern ja auch wirklich bekloppt aus.

Und diese Gesamtästhetik aus ausgeprägter und fotografisch gut gelegter Tiefenunschärfe (Schärfenuntiefe, Unschärfentiefe…) und der Schönheit ihrer Darstellung mit der Wahl eines besonders schönen Hintergrundes, das nennt man „Bokeh“. Wird oft und gern so französisch angehaucht ausgeprochen, soll angeblich aber aus dem Japanischen kommen, von boke „unscharf, verschwommen“.

Und für viele, nicht alle Fotografen ist das „Bokeh“ ganz wichtig, die hohe Kunst.

Nun hatte sich in Orlando (USA, Florida) ein Team von Hochzeitsfotografen ganz besonders viel Mühe mit dem Bokeh gegeben. Weil gerade die Hochzeitsfotografie nach dem Motto „Kitsch as Kitsch can“ abläuft, und man gerade da Bokeh draufhaut wie Sahne auf die Hochzeitstorte. Das erwartete man einfach so von diesen Herz-Schmerz-Paar-Fotos, die die nächsten 50 Jahre auf der Kommode oder dem Kaminsims stehen sollen.

Das ist übrigens der Grund, warum man in Deutschland als Pressefotograf (Bildjournalist) keine Berufsausbildung brauchte, im „stehenden Gewerbe“, vor allem eben der Hochzeitsfotografie, einen Meisterbrief oder ein Diplom braucht (oder zumindest brauchte, weiß nicht, ob das noch so ist), weil da sichergestellt sein muss, dass der Fotograf sowas gelernt hat, weil man das nicht wiederholen kann.

Denen nun droht ein Hochzeitspaar damit, sie zu verklagen, und beschimpft sie auf Facebook.

Weil die Bilder irreparable Bildstörungen hätten.

Die sehen die Unschärfe im Bild, kennen sowas nicht, weil nur noch das Handy-Geknipse gewohnt, und halten das für irreparable Bildstörungen.

The pair decided to terminate the contract with CSP and accused them of breaching the terms of the contract under providing photos in a timely manner (only 6 days!) and ability to accommodate the wedding expectations. Erika explains how they have requested and are awaiting a refund of the difference between the amount already paid and the “non-refundable” 50% amount of the total cost of the contract, and – wait for it – “the copyrights to our photos”.

Die Beschwerde geht wohl vornehmlich von der Frau des Paares aus, sie heißt Erika.

Und die ist nicht einverstanden damit, dass der Hintergrund unscharf ist, und sie will das Geld zurück. Kündigt Klage an.

Am besten nur noch Handy-Fotos.