Ansichten eines Informatikers

Die Leonard’sche und die Machiavelli’sche Intelligenz

Hadmut
14.6.2022 12:17

Die zwei Betriebsarten des Gehirns aus einem anderen Blickwinkel.

Die Theorie reichert sich an, wird rund und stabil.

Ein Leser hat mir einen neuen Hinweis geschickt, der ebenfalls zu dem Modell der zwei Betriebsarten des Gehirns als Rudelmitglied und als Einzelgänger passt:

Drei ergänzende Informationen zu ihren Blog-Themen. Aus dem Buch:

Die Evolution des Menschen von Thomas Junker.
3. Auflage 2018

Thema Denken; Entstehung und Funktionsweise; 86ff:

“Das menschliche Gehirn ist ein Produkt der Evolution und seine Vergrößerung eine Anpassung – anders ist das bei einem so energieaufwendigen und komplexen Organ nicht zu erklären. Gemäß dem evolutionären Kosten-Nutzen-Modell entwickelten die intelligenteren Tiere große Gehirne, weil sie ihnen Vorteile brachten. Worin aber bestand der konkrete Nutzen der Intelligenz für die Vorfahren heutiger Menschen?”

Das Buch führt zwei Hypothesen auf:

Die Ältere, bezeichnet als Leonard’sche Intelligenz, besagt, dass der Nutzen war, auch unter widrigen, vielfältigen Umweltbedingungen zu überleben.

Die zweite Hypothese wird als Machiavelli’sche Intelligenz bezeichnet. Sie besagt dass das Leben in Gruppen deutlich mehr Hirnleistung erfordert als von Einzelgängern abverlangt wird.

“Tiere, die in sozialen Verbänden leben, sind mit einer Welt von potentiellen Sexualpartnern, Konkurrenten, Verbündeten und Feinden konfrontiert, die eine ähnliche Intelligenz aufweisen wie sie selbst. Um in einer solchen Umwelt überleben und sich fortpflanzen zu können, müssen soziale Tiere psychologisches Gespür haben. Es wird auf jeden Fall von großem Nutzen für sie sein, wenn sie in der Lage sind, die Handlungen anderer Gruppenmitglieder einzuschätzen und vorauszusehen. Schimpansen und Bonobos haben es in dieser Hinsicht so weit gebracht, dass sie andere Individuen belügen und sich in ihren Gefühlszustand hineinversetzen können. Die Machiavelli’sche Intelligenz-Hypothese behauptet also, dass Auseinandersetzungen innerhalb sozialer Gruppen ein wichtiger Antrieb bei der Evolution der geistigen Fähigkeiten waren und umgekehrt: Die Hauptaufgabe der Intelligenz besteht in der Lösung sozialer Probleme.[…] Dass sich die geistigen Fähigkeiten dann sekundär als nützlich in der Konkurrenz mit anderen Arten oder bei der Nahrungssuche erweisen, wäre nicht mehr als ein positiver Nebeneffekt. Wenn man die Größe einer Gruppe als groben Indikator für soziale Komplexität nimmt und sie mit dem Anteil des Neocortex am gesamten Gehirn vergleicht, so ergibt sich tatsächlich ein deutlicher Zusammenhang. Die Intelligenz eines Tieres begrenzt offensichtlich die maximal erreichbare Gruppengröße.[…]

Das würde meiner Theorie überwiegend ent-, teils widersprechen.

Es würde zunächst mal sehr gut zu der Beobachtung passen, dass es verschiedene, konkurrierende Funktionen im Gehirn gibt, nämlich die ratio und die Rudelmechanik.

Ich gehe allerdings davon aus, und ebenso die schon erwähnte Nobelpreis-Theorie vom schnellen und langsamen Denken, dass das rationale Denken viel aufwendiger und langsamer ist.

Das würde auch dazu passen, dass man sich für das rationale Denken in der Regel Zeit lassen und in Ruhe nachdenken kann, während das Sozialdenken, bei dem es auch um die Einschätzung potentieller Feinde und Angreifer geht, in der Regel keine Zeit lässt. Wir müssen sofort erkennen, ob uns einer angreift oder sonstwie feindlich gesonnen ist. Deshalb muss das von vornherein auf weniger Rechenzeit ausgelegt sein und und kann nicht auf Gedanken, sondern nur auf schneller Musterkennung basieren, auf Äußerlichkeiten. Das, was man so oft als „Vorurteile“ bezeichnet, ist eigentlich nur dieses schnelle soziale Denken anhand von Mustererkennung äußerer Merkmale.

Dazu passt dann nicht, dass Junker das Rudelverhalten für besonders aufwendig hält, denn ich hatte es eher für einen Energiesparmodus gehalten, der alles Denken einem Leithammel (oder wenn man so will: Einer Lenin’schen Partei) überlässt. Vielleicht wird aber trotzdem ein Schuh draus, wenn man nämlich annimmt, dass beide Denkarten, die ratio und die Rudelmechanik, jeweils soviel Energie verbrauchen, dass man sich für eines von beiden entscheiden muss, und sich deshalb eine Art Umschaltmechanismus entwickelt hat. Gerade das könnte womöglich diesen „Group think“-Effekt erklären, wenn man annimmt, dass das Rudelwesen so energieintensiv ist, dass für rationales Denken keine Energie mehr übrig ist. Vulgo: Feminismus, Geisteswissenschaften, Linke.

Normalerweise nämlich dient die Teilnahme am Rudel (Fischschwarm, Vogelschwarm, Jagdgemeinschaft) der Energieersparnis. Wenn es aber besonders energieaufwendig wäre, weil das Hirn dabei soviel Energie verbraucht, stellt sich die Frage, worin dann die Vorteile liegen – außer eben in der Kriegführung gegen Feinde.

Menschen aller Kulturen neigen dazu, Tiere und Pflanzen, Naturvorgänge und Gegenstände als geistige Wesen und als Personen aufzufassen. Die moderne Naturwissenschaft hat sie Existenz der Geister sehr eingeschränkt und Naturvorgänge werden durch die Annahme unpersönlicher physikalischer Kräfte erklärt. Und doch beschimpft man einen Stuhl, an dem man sich gestoßen hat, und fühlt sich von einem Auto oder einem Computer persönlich enttäuscht, wenn sie nicht mehr funktionieren – wenn sie ‘den Geist aufgeben’, wie es umgangssprachlich heißt. […]

Das ist ein Thema, das ich 2017 im Blog ausführlich in einigen Artikeln betrachtet hatte: Animismen

Die Neigung, sachlichen, toten Vorgängen irgendeinen innewohnenden Geist, eine – meist böse – Absicht zuzuschreiben. Großraum Religion, Aberglauben. Ich kenne jemanden, der unfassbar abergläubisch ist, der hinter jeder noch so kleinen Belanglosigkeit magisch-mythische Vorgänge sieht, von Geister und Gespenstern nicht nur überzeugt ist, sondern sie auch bei jeder Gelegenheit überall sieht, rational aber kaum zu erreichen ist. Alles muss irgendwie mit Amuletten, mystischen Handlungen, Ritualen, Glücksbringern geschützt werden. Er dreht schier durch, wenn man zwischen Weihnachten und Neujahr Wäsche wäscht, weil der alte Aberglauben besagt, dass sich in dieser Zeit böse Geister in der Wäsche verfangen und einen im nächsten Jahr umbringen. Hinweise, dass ich das immer mache und es bisher gut überlebt habe, verfangen nicht. Auch meine Erklärung, dass dieser alte Brauch sich nicht auf das Waschen, sondern darauf bezieht, die Wäsche im Freien zum Trocknen aufzuhängen, elektrische Wäschetrockner dagegen geisterfest seien, weil sie eine Tür haben und den Geistern da drinnen schwindlig würde, und man beliebig viele Amulette mit Magneten außen anbringen kann, überzeugten nicht. Die Frage, ob sich Geister im Flusensieb fangen, habe ich lieber vermieden.

Ich bin aber überzeugt, dass das – wie auch dieses ganze Götter-Konzept, vor allem bei multiplen Göttlichkeiten wie bei den Römern und Griechen – alles Auswirkungen der Betriebsarten des Gehirns sind, und Leute da ausschließlich mit diesen Rudel- und Bedrohungsmechanismen denken (können), die darauf ausgelegt sind, hinter allem böse Absichten und säbelzahntigernde Angreifer zu sehen, gegen die man sich mit Rudelverhaltensweisen, Rudelbekenntnissen, Tribe-Zeichen schützen kann. Denn wer nur den Hammer kennt, für den sieht alles wie ein Nagel aus. Wer nur sozial und angreifererkennend denken kann, für den sieht alles wie ein Feind, ein böser Angreifer aus.

Ich erinnere nochmal an die psychedelischen Bilder, die die Google-Forschungsabteilung mal erzeugt und unter den Schlagwort „Wenn Computer träumen“ publiziert hatte („Deep Dream“). Man hatte sie erzeugt, indem man KI-Systeme auf Mustererkennung bestimmter Muster (beispielsweise Hunde) trainiert und dann überempfindlich eingestellt hatte, so dass diese in jedem beliebigen Bild lauter Hunde erkannten und als erkannt darstellten, weil sie nichts anderes kannten als Hunde (oder Schnecken oder worauf sie eben trainiert waren), und damit alles aus Hunden bestand. Wenn man mit Mustererkennung denkt und diese übertreibt, besteht dann die ganze Welt für einen nur noch aus dem, worauf die Mustererkennung trainiert ist – Hunde, Geister, Nazis, weiße Männer. Linkstum und Feminismus funktionieren heute genauso wie Aberglauben. Sie verurteilen Vorurteile und racial profiling, aber alle weißen Männer sind für sie sexistische Unterdrücker – wegen ihres Aussehens.

Im Denken der Menschen gibt es also offensichtlich eine starke Tendenz, unpersönliche Naturvorgänge nach dem Vorbild sozialer Beziehungen aufzufassen. Dies spricht dafür, dass die technische Intelligenz durch die soziale, Machiavelli’sche Intelligenz überlagert wird. Hierzu passt eine zweite eigenartige Reaktion. So werden selbst starke Schmerzen und körperliche Verletzungen erstaunlich schnell psychisch verarbeitet und vergessen, wenn diese nicht durch Menschen verursacht wurden. Demütigungen, ja selbst simple Kränkungen, vor allem wenn sie von mächtigeren Gruppenmitgliedern ausgehen, können dagegen ein Leben lang traumatische Auswirkungen haben. Aus evolutionsbiologischer Sicht macht das Sinn: Auseinandersetzungen in der Gruppe entschieden über den sozialen Rang, und dies hat weitreichende Konsequenzen für das Überleben und den Reproduktionserfolg eines Individuums.”

Läuft heute an jeder Universität so. Habe ich damals ja auch genau so erlebt: Ratio spielt keine Rolle mehr, es geht nur noch um die Rudelmechanismen und soziale Rangordnungen. Und immer wieder: Animismen. Wenn einer – lebender Mensch – eine sachliche, fachliche, begründete Kritik äußert oder sonst von der Einheitsmeinung abweicht, gehen auch Professoren nicht auf das Argument ein, sondern unterstellen böse Absichten: Das sagt der doch nur, weil … In der abweichenden Meinung wird also ein Angriff gesehen. Typischer Fall von einer Überdeckung der technischen Intelligenz durch Sozialmechanismen – auch bei Informatikprofessoren.

Thema emotionale Synchronisation; Seite 101ff:
“Kommunikation hat den Zweck, das Verhalten eines anderen Lebewesens, zu beeinflussen. […]

Die akustischen Signale haben auch die Funktion, die Gruppenmitglieder über die eigenen emotionalen Zustände zu informieren. Charles Darwin hat vermutet, dass dies ursprünglich ganz im Vordergrund stand und dass die Sprache deshalb anfänglich dem heutigen Singen ähnelte. […]

Erst später hätten dann diese emotionalen Laute noch eine zweite Funktion übernommen – sachliche Informationen in Form von Sprache zu übermitteln.”

Hähä, das habe ich ja schon so oft beschrieben, vor allem anhand einer Namibia-Reise, dass besonders Frauen, Freundinnen, unablässig schnattern, und das nicht, um Informationen zu übertragen, sondern um sich permanent emotional zu synchronisieren und sich des Emotionalzustandes der anderen zu versichern.

Denselben Vorgang hatte ich damals an unseren Hühnern beobachtet, oder besser gesagt, gehört: Wenn eine ein Ei gelegt hat, dann gackern sie alle zusammen los. Und wenn eine gluckt, glucken die anderen gerne mit. Die synchronisieren sich permanent.

Thema Ideologien; S.97ff:
“Menschen [sind] nicht nur in der Lage, kulturelle Errungenschaften von einer Generation zur nächsten weiterzugeben, sondern auch weiterzuentwickeln, wodurch sie zunehmend komplexer werden. Dies beruht auf zwei gegensätzlichen Prozessen, auf imitierendem Lernen und auf Innovation, auf präziser Wiedergabe bei gleichzeitigem punktuellem Durchbrechen der sozialen Konvention. Vergleicht man das Lernverhalten von Schimpansen und Kindern, so zeigt sich bei Kindern eine höhere Kopiergenauigkeit. Während Schimpansen in ihrem Verhalten eher pragmatisch auf das Ziel orientiert sind, versuchen Kinder das Verhalten anderer genau nachzuahmen, auch wenn das im Einzelfall weniger effektiv ist. Schimpansen sind also durchaus zu kultureller Innovation in der Lage, sie zeigen aber weniger Bereitschaft zu imitierendem Lernen und zu aktivem Lehren. Demnach scheint die kumulative Entwicklung der Kultur bei Schimpansen durch die ungenauere Weitergabe kultureller Informationen blockiert zu werden. Menschen dagegen sind sowohl willens als auch fähig, Handlungen präzise nachzuahmen. […] Die Schattenseite dieser Fähigkeit der Menschen ist ihre schier grenzenlose Tendenz zur Konformität und Indoktrinierbarkeit.”

Das hatte ich auch schon mal beleuchtet.

Die Stärke des Menschen liegt darin, mehr Wissen anzuhäufen, als ein einzelner Mensch selbst erarbeiten kann. Zwar gibt es auch bei Tieren eine Wissensweitergabe und Lehren und Lernen, aber bei weitem nicht in diesem Umfang. Ich habe zwar immer wieder den Physik-Unterricht meiner Schulzeit gelobt, weil wir nichts geglaubt und alles experimentell untersucht und bestätigt haben, aber selbst da ist der Versuchsaufbau bestehendes Wissen, das andere über Jahrhunderte erarbeitet haben.

Ein Aborigine in Australien erklärte mir mal, wie das bei ihnen mit dem Lernen läuft. Die Alten erzählen das den Jungen, mündlich. Und sie erwarten, dass die zuhören und sich das merken, weil es lebenswichtig ist. Die Sache wird noch einmal wiederholt, und das war es. Es wird erwartet, dass die Kinder das spätestens beim zweiten Mal dauerhaft gelernt haben.

Es dürfte also so sein, dass der Mensch im Laufe der Evolution und der Weiterentwicklung von Sprache gelernt hat, Wissen darzustellen, weiterzugeben, aufzunehmen, zu tradieren. Entstehung der Wissenschaft. Das könnte damit einhergehen, dass der Mensch eine besonders hohe Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen hat, sich an Hitze, Kälte, Dürre anpassen kann, und deshalb erworbenes Wissen wichtig und wertvoll ist.

Das nun könnte der Grund sein, warum in manchen Kulturen – vor allem der Weißen – Museen und Geschichtsschreibung einen hohen Stellenwert haben. Es könnte aber auch der Grund sein, warum der Mensch so anfällig gegenüber scheinbar auf Wissen und Überlieferungen aufgebauten Ideologieen wie Koran und Bibel ist. Möglicherweise nutzen diese angeborenes Lehr- und Lernverhalten aus.

Denkt man es weiter, dann könnte auch unser Schulsystem unter diesem Effekt leiden. Vor allem die Frühindoktrination der Kinder zu Kommunismus/Sozialismus/Nationalsozialismus/Queer, aber auch das ganze Konzept der Schule und des Lehrertums könnte auf einem evolutionär erworbenen Lehr- und Mitteilungsdrang gegenüber dem Nachwuchs beruhen, ebenso wie die derzeit zu beobachtenden Versuche, die Gesellschaft auf einheitliche politische Denkmuster abzurichten.

Ich dachte mir dass das wertvolle Informationen zu Ihren Blog-Themen sind.

Ja. Danke!