Ansichten eines Informatikers

99 Schüler in Gefahr durch doofe Lehrer

Hadmut
10.6.2022 17:54

Oh, echt jetzt. Das ist doch nicht mehr auszuhalten. Verblödung des 21. Jahrhunderts.

Ich habe die Tage schon gelesen, dass der Deutsche Alpenverein und die Bergwacht Bayern davon gewarnt hatten, dass man nicht einfach blindlings irgendwelchen Wanderrouten von irgendwelchen Webseiten einfach so hinterherlatschen soll, und das gefährlich sein kann, wenn die nicht stimmen.

Habe ich erst mal liegen lassen, kam mir nämlich so vor wie der, der mit dem Auto ins Wasser stürzt und dann sagt, das Navi habe „jetzt abbiegen“ gesagt, aber nicht, dass man auf die Fähre oder die Schwenkbrücke warten müsse.

Man soll halt nicht jeden Scheiß glauben, der auf Webseiten steht.

Jetzt habe ich aber einen Leser-Hinweis auf einen Artikel bei Golem bekommen, wonach da doch etwas mehr dahintersteckte.

Es war nämlich so, dass eine Gruppe von 99 Schülern im Alter zwischen 12 und 14 und acht Lehrer aus Ludwigshafen, mithin 107 Pfälzer, mit Hubschraubern aus Bergnot gerettet werden musste (Laut BR wurden „nur“ 70 ausgeflogen, die anderen konnten mit Bergrettern absteigen), weil sie sich auf eine Route begeben hatten, die irgendwelche Leute im Internet beschrieben und als „klassische Feierabendrunde“ bezeichnet hatten.

Laut SWR3 stuft die Polizei das etwas anders ein:

„Tatsächlich ist der schmale Heuberggrat ein teilweise ausgesetzter Weg mit Kletterpassagen, der Schwindelfreiheit, Trittsicherheit sowie Erfahrung im alpinen Gelände erfordert.“ Außerdem sei der Boden nass und rutschig gewesen. In offiziellen Wanderführern sei die Strecke gar nicht mehr ausgewiesen.

Irgendwo stand, das war nicht mal einen eigene Webseite, sondern ein „Foreneintrag“. Allerdings mit einem Foto, das ich bereits als No-Go für einen Schulausflug angesehen hätte.

[Update: „Andy84“ hatte die route als „klasse Feierabendroute“ beschrieben – was kann da schon schief gehen?]

Ergebnis:

Ein Teil der Gruppe hatte sich dazu entschieden, umzukehren. Dabei rutschten zwei Schüler ab und verletzten sich leicht. Für die Truppe wurde der Ausflug dann zum Horrortrip: Einzelne Schüler gerieten in Panik, die Lehrer setzten einen Notruf ab.

Daraufhin flogen zwei Hubschrauber in die Berge und flogen alle 107 Schüler und Begleiter ins Tal, sagte der Bürgermeister von Mittelberg im Kleinwalsertal, Andi Haid. Neben den zwei Leichtverletzten waren mehrere Schüler „erschöpft, unterkühlt, durchnässt und völlig aufgelöst“, heißt es von der Polizei.

Eigentlich wollte die Truppe am Dienstag nach Pfingsten vom Schöntal in Hirschegg im Kleinwalsertal über den Heuberggrat zum Walmendingerhorn nach Mittelberg wandern.

Das wird nicht billig.

Ich halte das für blanken Wahnsinn.

Mit 99 Kindern eine Strecke zu gehen, die man nicht kennt und nicht beherrscht, halte ich für eine ganz grobe Verletzung der Aufsichtsfplicht. Wie kann man sowas machen, ohne sich vorher kundig zu machen und sich zu informieren?

Ich habe nach dem Abi zweimal den Betreuer in Jugendlagern gemacht, und kann mich noch erinnern, dass wir von einem Ferienlager an der Grenze zu den Niederlanden mit deren Fahrradbestand eine Radtour nach Venlo gemacht haben. Da haben wir aber vorher (Handy und sowas gab es ja noch nicht) ausgiebig mit dem Lagerwirt gesprochen, der uns die – völlig flache und asphaltierte, und von dem Lager aus regelmäßig befahrene – Strecke genauestens beschrieben hat, mit Karte, samt Notfallstrategien, wo man im Falle des Falles Telefonzellen findet. Wenn ich mich recht erinnere, stand da sogar irgendwo zwischen den Feldern mitten in der Natur eine Telefonzelle rum. Wir haben extra alle Betreuer mit Keingeld aufmunitioniert, Notfallnummern aufgeschrieben und sowas alles. Und zwei der Betreuer kannten die Strecke von früher. Nie wären wir auf die Idee gekommen, eine unbekannte Bergstrecke zu wandern. Und die Redewendung von den „Fuß- und Geschlechtskranken“ war ein geflügeltes Wort – für eine Ersatzstrategie für die, die es nicht oder nicht mehr schaffen. Irgendwo in den Bus umsteigen oder sowas.

Das erscheint mir als ein Auswuchs der neuen Verblödung des 21. Jahrhunderts: Realität kennt man nicht mehr, dafür glaubt man alles, was auf Webseiten steht. Wenn’s die App sagt, muss es ja stimmen. Immer dem Navi hinterher.

Ich würde ja wenigstens mal einen Ortskundigen fragen, oder die Strecke vorher wenigstens anhand von Kartenmaterial vorbereiten. Ich würde sowas, insbesondere mit Jugendlichen, für die ich verantwortlich bin, und wo es nicht nur um mein eigenes Risiko für mich selbst geht, keinesfalls gehen ohne GPS und auf das Gerät geladenen und vorher anhand von Satellitenfotos verifizierten Track gehen. Sowas mache ich sogar oft, wenn ich an un- oder mindergefährlichen Orten und allein unterwegs bin, mich also nur selbst gefährde. Sich einfach mal vorher anzuschauen, wo man eigentlich hin will, ein Gefühl für die Strecke zu bekommen und wo man abbiegen muss, wie es wo aussieht. Beispielsweise wo man Wasser oder Unterschlupf, oder wo man eine befahrene Straße findet.

Es gab mal so eine Zeit, vor GPS und Handy, früher so zur Zeit von Pfadfindern, wo man das eigentlich noch lernte, sich die Route vorher mit topologischen- oder Wanderkarten vorzubereiten. Sich anhand der Höhenlinien klarzumachen, wie steil es da raufgeht. Kompass. Peilung. Markante Punkte in der Natur suchen („Landmarks“) und notieren, von wo man sie unter welchem Peilwinkel sehen muss, um sich orientieren zu können (wie man das vor GPS eben so machte). Bei der Bundeswehr eigentlich genauso – selbes Problem, selbe Lösung. Vorausschauend die Strecke planen und nicht einfach nur „nach 70 Metern links abbiegen“ aus dem Handy. Nicht mal mit erwachsenen und fitten Männern bei der Bundeswehr wären wir einfach so ohne Planung und Vorbereitung auf der Karte so losgelatscht.

Apropos Höhenlinien: Wisst Ihr, wo ich das gelernt habe, wie man sowas aus Landkarten liest?

In der Schule. Von den Lehrern.

Das kam bei uns damals im Geographie-Unterricht dran. Kartenlesen. Mussten wir damals machen, da gab es Noten drauf. Und im Landschulheim haben wir das dann in der Natur mal praktisch geübt.

Und was lernt man heute in Geographie? Wo sich das Klima erwärmt und wo auf der Welt Frauen und Schwule unterdrückt werden?

Acht Lehrer, mit 99 Kindern unterwegs, und zusammen nicht in der Lage, eine Wanderstrecke vorab zu erkunden.

Wir verblöden.