Ansichten eines Informatikers

Russische Kriegstechnik

Hadmut
7.6.2022 11:54

Darauf könnte man auch mal einen Gedanken verschwenden.

Ich als Boomer und hauptberuflicher alter Sack habe ja so einen „Hintergrund“ im und nach dem kalten Krieg, und kenne das noch so, dass allerlei kriegsverwendbare Dinge nicht nach Osten exportiert werden dürfen, was mich ja dann in Sachen Kryptographie auch die Karriere gekostet hat.

Damals war das ja noch ganz streng, unterlagen Kryptographie, Computertechnik und solches Zeug auch von Deutschland aus heftigen Exportbeschränkungen. Ich kann mich noch erinnern, dass damals ein Bericht eines amerikanischen Kryptologen – bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, es war Matt Blaze – Furore machte, der enorme Probleme beim Zoll bekam, weil er aus den USA zu einer Konferenz außerhalb fliegen wollte und ein Kryptotelefon im Gepäck hatte, obwohl er als Amerikaner das besitzen und auch im Ausland verwenden durfte, der Zoll ihm das aber trotzdem nicht erlauben wollte. Man wollte damals mit allen, auch rechtswidrigen, Mitteln verhindern, dass starke Kryptographie außerhalb der USA zugänglich wird.

Ähnliches galt für Mikroelektronik und einfach alles, was irgendwie – auch „dual use“ – zum Krieg zu verwenden wäre.

Nun schreibt die WELT darüber, dass man erbeutetes oder zerstörtes russisches Kriegsgerät untersucht habe:

Russlands Militär ist noch immer hoffnungslos abhängig von westlichen Importen. Anders als im Donbass-Krieg der Jahre 2014 bis 2015 fährt Russland seine modernsten Waffen auf. Tausende Fahrzeuge und Raketensysteme wurden bereits im Kampf zerstört oder erbeutet. Spezialisten aus der Ukraine und dem Westen haben sie untersucht.

So besteht der Bordcomputer des von Russland eingesetzten „Kh-101-Marschflugskörper“ aus 35 Mikrochips, die in den USA produziert wurden. Im mobilen Funk-Störsystem „Borisoglebsk-2“ fanden Experten britische Hochfrequenz-Transistoren. Und das technische Herzstück der modernsten Aufklärungsdrohne „Typ Orlan-10 hat sich ein Wärmebild-Sensor des französischen Herstellers LYNRED herausgestellt.

Je moderner die Waffe, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht ohne westliche Komponenten auskommt. Für den Kriegsverlauf bedeutet das: Russlands Bestand an High-Tech-Waffen geht zur Neige. Je länger der Krieg dauert, desto älter dürften die Waffen werden – weil der Nachschub an westlichen Komponenten immer komplizierter wird.

Für Experten sind das keine Neuigkeiten. Schon vor Jahren wurde der Anteil ausländischer Komponenten in russischen Waffensystem auf bis zu 85 Prozent geschätzt. Daran scheint sich wenig geändert zu haben. Das geben auch russische Waffenhersteller indirekt zu. Der Rüstungskonzern Kalaschnikow etwa, der neben den berüchtigten Handfeuerwaffen auch Raketen für Kampfflugzeuge und Luftabwehrsysteme herstellt, sorgt sich um seine Produktion. Manche Fabrikate bestünden zu 80 Prozent aus ausländischen Komponenten.

Ist das gut oder schlecht?

Ist das schlecht, dass wir dem Feind noch das Material für die Waffen liefern?

Oder ist das gut, dass er nicht in der Lage ist, sie selbst zu produzieren?

Jetzt überlege ich, zu welchen Konsequenzen das führen wird. Denn irgendwie wird man darauf reagieren. Die Frage ist natürlich wie. Und wer. Denn während bis in die 90er Jahre, als ich da mit der Kryptographie kollidierte, die Quelle der Technik monopolartig noch in den USA und teils England saß, kann China das heute alles selbst herstellen. Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich neulich was von einem Rechner gelesen habe, der einen allein in China entwickelten x86-Klon verwende. Der sei zwar in seiner Leistungsfähigkeit noch deutlich hinter den amerikanischen Produkten (dafür billiger) und deshalb nicht konkurrenzfähig, aber zweifellos funktionsfähig. Und die Chinesen stellen ja auch Microcontroller wie ESP32 her, mit denen man schon mal eine ganze Menge anstellen kann.

Ein Problem dabei ist auch, dass sich die Stückzahlen nicht mehr ohne weiteres beschränken lassen. Prozessoren wie ARM werden nicht mehr, wie die x86-Prozessoren, von einem Hersteller hergestellt und als Produkt verkauft, sondern nur noch als Bibliothek lizensiert und dann als Design von Auftragsfertigern hergestellt, man hat also die Masken und kann die dann beliebig reproduzieren. Irgendwo stand zwar neulich, dass auch die Maschinen zur Chipherstellung in Asien amerikanische Produkte seien und deren Nutzung vertraglich begrenzt sei. Inwieweit sich das dann auch durchsetzen lässt, wäre eine andere Frage.