Ansichten eines Informatikers

Deutschland und die Digitalisierung

Hadmut
23.4.2022 16:31

Fragen und Realitäten.

2019 war ich in Neuseeland, gerade auf einem öffentlichen Fressfest in einer Parkanlage in Auckland, als das Handy sich meldete und Aufmerksamkeitsbedarf kund tat. Sogar eingedeutscht.

Der Test war vorher angekündigt, wurde sogar in einem (leider nicht mehr verfügbaren) Video erklärt, und jeder Handy-Besitzer wurde sofort vor Gefahren gewarnt.

Nennt sich „Cell Broadcast“ und ist eine Standardfunktion von Mobilfunknetzen. Muss man eigentlich nur einschalten.

Und weil die in Neuseeland ab und zu mal Katastrophenfälle mit dringendem Warnungsbedarf haben – Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüche und sowas – kümmern die sich drum und da funktioniert es.

Bei uns funktioniert es nicht. Katastrophen haben wir auch, aber die heißen bei uns Merkel, Spiegel, Quotenfrauen und sowas. In Deutschland hat das aber irgendwer aus irgendeinem Grund verhindert. Nicht nur, weil man dazu irgendwie zu blöd ist, irgendwer wollte das auch gar nicht haben. Ich weiß es nicht mehr, aber mir war so, als wäre das entweder irgendwas mit Datenschutz gewesen oder die Argumentation, dass man es nicht versteht und es nicht taugen kann, weil es nicht auf Fax beruht. Wenn man der Bevölkerung kein Fax schicken kann, machen wir es gar nicht mit der Alarmierung. Hat man ja im Ahrtal gesehen, dass da auch keiner weiß, was er machen soll, oder wer zuständig ist, wenn das mit dem Fax nicht geht.

Dazu kommt, dass wir hier fürchterlich automatisierungsfeindlich sind, weil ja Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Wir wissen zwar nicht, wer zuständig ist, aber wir sind uns sicher, dass da jemand sein muss, der zuständig ist, damit ein Posten besetzt werden kann.

Nun kam ja vor einiger Zeit bei einer Alarmübung raus, dass das mit den Sirenen nicht funktioniert. Weil sie nicht gewartet und nicht geprüft sind, weil die Alarmleitungen nicht mehr da sind oder – wie hier in Berlin – die Sirenen gar nicht mehr da sind. Gerade hieß es in der Presse freudig, dass man sich nach dem Ahrtalhochwasser entschlossen habe, doch wieder Sirenen zu montieren und die ersten zwei von 500 schon angeschraubt sind. An Feuerwehrgebäuden. Berliner Feuerwehr, das ist die, die normalerweise schon ganz tolle Arbeit macht, aber bei Stromausfall davon überrascht wird, dass sie die Türen ohne Strom nicht mehr aufkriegen und nicht mehr losfahren können. Was aber dann auch egal ist, weil die gerade elektrische Feuerwehrautos einführen wollen.

Nun meldet Heise, dass die EU den Mitgliedsstaaten Vorgaben gemacht habe, dass sie bis Juni den Cell Broadcast in Betrieb nehmen. Cell Broadcast, das ist das, was ich oben erwähnt habe, von dem Neuseeland 2019 sagte, das ist cool, das probieren wir mal eben aus – yupp, geht, ist schön, das nehmen wir. Und alle haben schon die nötigen Endgeräte.

Der Start eines deutschen Warnsystems über Cell Broadcast verspätet sich. Laut dem Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation müssen EU-Mitgliedsstaaten eigentlich bis zum 21. Juni sicherstellen, dass die Anbieter mobiler Kommunikationsdienste den Endnutzern öffentliche Warnungen übermitteln können. Diese Frist kann Deutschland aber wohl nicht mehr einhalten.

Das Bundesinnenministerium habe die geplante Einführung des Systems für öffentliche Katastrophenhinweise über Mobilfunknetze auf Basis von Cell Broadcast erst für frühestens Ende des Jahres angekündigt, berichtet “The Pioneer”. Ein genauer Starttermin steht demnach noch immer nicht fest.

Die gesetzlichen Grundlagen für ein solches mobiles Hinweissystem hatte der Bundestag im September 2021 gelegt. Er reagierte damit vor allem auf die vorausgegangenen Überflutungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, bei denen angesichts rund 180 Toter vielfach ein Alarmversagen kritisiert wurde.

Die Bundesnetzagentur hatte im Februar die Technische Richtlinie für das hierzulande “DE-Alert” getaufte System veröffentlicht. Mit diesem Schritt stehe “einer Einführung dieses neuen Warnmittels in Deutschland nichts mehr im Wege”, erklärte der damalige Präsident der Regulierungsbehörde, Jochen Homann. Die Mobilfunknetzbetreiber hätten nun die Rahmenbedingungen, um Cell Broadcast als Teil des deutschen Modularen Warnsystems (MoWaS) technisch umzusetzen.

Ah, jetzt „steht nichts mehr im Wege“.

Heißt das, vorher stand was im Wege?

Aber, wir haben ja Zeit.

Ist ja jetzt nicht so, dass wir hier dringende Warnfälle wie Krieg, Hochwasser, Heizungsausfall wegen Gasnot oder Klopapierversorgungsausfälle hätten. Wozu also die Eile?

Kann sowieso nicht losgehen, bevor nicht durch Studien nachgewiesen ist, dass Frauen und Migranten bei den Warnungen nicht benachteiligt werden. Gleichstellung heißt, dass wir lieber gar keinen warnen und damit alle gleich sind, als dass Männer die Warnung schneller lesen als Frauen.

In Neuseeland haben sie Schilder an den gefährdeten Stränden, die einem erklären, was die Warnsignale bedeuten und wohin man rennen muss, wenn der Tsunami-Alarm losgeht, damit einen das Wasser nicht erwischt.

Das einzige, was bei uns zeitnah nach einem Alarm funktionieren würde, wäre, dass Klopapier in den Supermärkten leer gekauft wird, Bürger gegen die Warnung auf die Straße gehen, um sie abzulehnen, und mindestens 37 Leute in Soziologie und Gender Studies darüber promovieren, wer alles benachteiligt und Opfer ist.