Ansichten eines Informatikers

Danisch, der Ahnungslose

Hadmut
29.4.2021 14:03

Γνῶθι σεαυτόν

Gnothi seauton. Erkenne Dich selbst.

Ein Leser orakelt mir:

Man wird dich auch zu deiner Coronameinung fragen, wobei du dich da in das “Tal der Ahnungslosen” zurückgezogen hast, wie du selber sagst.. Warum eigentlich,
bei diesem dominierenden Thema? Corona und seine Auswirkungen werden uns noch lange begleiten. Deine blitzsaubere Analyse wäre gefragt. Faktencheck.

Nun können sich weder ich selbst, noch die Suchfunktion daran erinnern, wo ich das „selbst gesagt“ haben sollte. Er gibt auch nicht zu verstehen, wer da „man“ ist und mich dazu befragen wird, warum ich zu COVID-19 keinen Standpunkt bezogen habe.

Der Punkt ist eben: Ich habe keine Ahnung von Virologie, von Corona-Viren oder dem, was im Körper damit passiert. Übrigens auch nicht, wie früher schon erläutert, von Klima.

Deshalb finde ich das jetzt auch nicht schlimm, als Ahnungsloser dazustehen, weil ich mich immer noch als Wissenschaftler sehe und dazu gehört, sich im Klaren darüber zu sein, wo man was weiß und wo nicht. Und COVID-19 kann ich nicht beurteilen. Da bricht mir auch kein Zacken aus der Krone oder sonst irgendwo was ab, ich habe da auch kein Problem damit, einzuräumen, zuzugeben, zu merken, zu berücksichtigen, was ich alles nicht weiß.

Ad hoc würde ich da folgende Einteilung vornehmen:

  • Es gibt ein paar Themen, in denen ich mich richtig gut und überragend auszukennen glaube, und in denen ich mir dann auch die Freiheit herausnehme, das Maul aufzureißen und andere plattzumachen und für inkompetent zu erklären.
  • Es gibt viele Themen, bei denen ich glaube, genug Wissen und Erfahrung zu haben, um fachlich mitreden und mich fundiert äußern zu können. Wo ich das auch tue.
  • Es gibt Themen, in denen ich keine fundierte Ahnung und Erfahrung habe, von denen ich aber glaube, dass man sie mit gutem Allgemeinwissen, wissenschaftlicher Grundbefähigung, logischem Denken und systematischer Recherche mitreden kann. Da tue ich mir das auch.
  • Es gibt Themen, in denen ich keine fundierte Ahnung und Erfahrung habe, bei denen ich aber glaube, dass sie der Meinungsfreiheit unterliegen und man da ohne Sachkunde seinen Standpunkt einnehmen, äußern und vertreten kann. Mache ich ebenfalls.
  • Und es gibt Themen, von denen ich glaube, dass man da richtig Ahnung haben muss, ich diese aber nicht habe. Da halte ich mich zurück und entweder die Klappe, oder ziehe mich auf formales und das zurück, was diese Themen mit anderen Wissenschaftsbereichen usw. teilen. Also beispielsweise zu rügen, dass man Leute nicht zu Wort kommen lässt oder niederbrüllt.

Und gerade deshalb bin mich mit meinem „blitzsauberen Analysen“, wie es der Leser hier formuliert und wie es mir viele Leser ähnlich schreiben, eigentlich ganz gut dran, weil ich mir überlege, wo ich mir die leisten kann und wo nicht.

Kurioserweise bekomme ich da sich widersprechende Vorwürfe. In der Tat war es so, dass ich vor Corona fast nur Zustimmungsschreiben und nur sehr selten Ablehnung bekommen habe, seit Corona aber das stark angestiegen ist. Die einen werfen mir vor, dass ich mich dazu nicht äußere, obwohl ich doch der Blitzegescheite wäre. Die anderen sagen, ich solle die Klappe und mich da raus halten, weil ich doch keine Ahnung hätte. Da kommen dann so Sprüche wie „Schuster, bleib bei Deinem Leisten!“ oder „Hättest Du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.“ (Dem ich dann deutlich zu verstehen gegeben habe, was ich von Philosophen halte, und solches weder sein noch bleiben will.) Mir wird gleichzeitig vorgeworfen, dass ich zuviel und zuwenig sage. Gefordert, dass ich mich schlau mache und einmische und dass ich mich raushalte und bei meinen Themen bleibe. Tja.

Das ist sicherlich auch eine Frage der Maßstäbe. Nach meinem Dafürhalten hat man von einem wissenschaftlichen Fach Ahnung, wenn man sich damit 10 Jahre beschäftigt hat. Oder auch 30. Das entspricht nicht nur meiner persönlichen Erfahrung und zufällig auch den Zeiträumen, über die ich mich selbst mit einigen Themen befasst habe, das gilt auch in den Natur- und Ingenieurwissenschaften als Daumenregel, dass man sich 10 Jahre intensiv mit einem Thema befassen muss, um da als Experte und führend angesehen zu werden.

Viele Leute glaube heute aber, dass man zwischen 10 und 30 Youtube-Videos gesehen haben muss, um alles besser wissen zu können.

Viele Leute sind aber so oberflächlich, dass sie glauben, dass man nur ein bisschen googeln, Wikipedia lesen und ein paar Youtube-Videos gucken muss, um top-schlau zu werden. Ich glaube das nicht. Im Gegenteil bin ich der Meinung, dass der Universalgelehrte, der alles weiß, ein Relikt des Mittelalters oder der Renaissance/früheren Neuzeit bis maximal Goethe und seinem Faust ist, und meine noch zu erwartende Lebenszeit – geschweige denn der Anteil daran, den zu investieren ich bereit wäre – reichen könnte, mich über alles zu informieren, was ich nach Ansicht von Lesern alles können und lesen soll. Ich habe tausende von Mails mit Inhalten wie dass ich unbedingt den Film X und das Buch Y oder gleich alle Bücher des Autoren Z gesehen und gelesen haben müsse. Mal abgesehen davon, dass es nicht geht, weil ich so alt gar nicht werden kann und auch das Gehirn irgendwann in seinen Kapazitäten erschöpft ist, und man dann auch irgendwann merkt, das man nicht jeden Tag von morgens bis abends unbegrenzt Zeugs reinstopfen kann, stellt sich auch die Frage: Warum? Warum eigentlich muss ich meine gesamte zur Verfügung stehende Zeit dafür verheizen, um ich in das Thema X einzulesen, obwohl mir das kein Einkommen verspricht und letzlich nur dazu dient, „mitreden“ zu können? Zum Thema Klima haben endlos viele Leute von mir verlangt, dass ich mich in den ganzen Klimakram einstudiere, damit ich ihnen Blogartikel schreiben könne, die ihnen gefallen (sprich: das liefern und bestätigen, wovon sie ohnehin schon überzeugt sind). Wehe, es kommt was anderes dabei heraus.

Ich bin aber im Gegensatz zu den vielen Leithammel-Auswählern und Leithammel-Folgern da draußen, die mir im Prinzip auch nur vorwerfen, dass ich nicht zu ihrer Herde gehöre und mich konform zeige, nicht der Meinung, dass ich sachkundig und sondern standpunktfähig werde, indem ich mir auf Youtube irgendwelche Typen anschaue, die da irgendwas behaupten, was stimmt oder auch nicht. Leute, so funktioniere ich nicht, dass ich mir einen raussuche und dem dann alles glaube und ihm hinterherlaufe. Damit wäre ich Geisteswissenschaftler geworden.

Ich verstehe unter Wissen und Erkenntnis, etwas nachprüfen oder plausibel nachvollziehen zu können. Für mich ist Wissen nicht, wenn auf Youtube irgendein Dr. W. oder irgendwie sowas (es sollte sich herumgesprochen haben, dass Doktorgrade auf mich wirklich gar keinen Eindruck mehr machen, jedenfalls keinen positiven) anzuschauen und dem hinterherzulaufen. Das entspricht auch nicht meiner Ausbildung.

Ich habe hier kein Biolabor, nicht mal ein Mikroskop oder Geräte, die es mir erlauben würden, mir COVID-19-Viren anzuschauen, sie zu verstehen, sie zu gensequenzieren und so weiter. Selbst wenn ich mich jetzt hinsetzen und Bio oder Medizin studieren würde, ich könnte gar nicht mehr rechtzeitig sachkundig werden, um noch etwas vernünftiges zum Thema zu sagen. Die Situation ist schlicht die, dass ich das Thema denen überlassen muss, die ihrerseits die letzten 10 oder eben auch 30 Jahre damit verbracht haben, sich da schlau zu machen. Und mich dann nur insoweit dazu äußere, wie es die oben angesprochene Taxonomie erlaubt.

Und das halte ich nicht nur für richtig so, sondern das geht gar nicht anders. Denn umgekehrt wollen die ja auch dann in anderen Themen, dass die sich dann äußern, die 10 oder vielleicht 30 Jahre Erfahrung haben. Deshalb kann ich beispielsweise was zu Kryptographie oder Prüfungsrecht erzählen, was die dann nicht wussten. Das geht heute nicht mehr anders als mit Spezialisierung und Kooperation durch Arbeitsteilung. Genau deshalb gehe ich zum Arzt, wenn irgendwas an mir krankt, weil ich jetzt mal für 10 Minuten dessen Fachwissen aus seinen 30 Jahren brauche und es mir überhaupt nicht hift, wenn ich jetzt anfange, Medizin zu studieren, um mir irgendwann selbst zu helfen. Wenn einer mit einem gebrochenen Bein auf der Straße liegt, rufe ich auch den Krankenwagen und empfehle ihm nicht, jetzt ein Medizinstudium aufzunehmen, weil er niemandem trauen könne. Nicht mal als Fernstudium. Ich lebe ja auch davon, dass mich Leute konsultieren, weil ich mich seit Jahren mit etwas heraumschlage, und die mein Wissen für einzelne Fragen oder Problemstellungen anmieten können.

Wer glaubt, er können in allem mitreden, indem er sich ein paar Youtubes reinzieht und sich den Leithammel raussucht, der am ehesten in seine Richtung blökt, hat sich damit dann auch nur zum Schafherdenschaf qualifiziert und kann eigentlich gar nichts. Gerade diese Leute bilden sich dann meist ein, dass gerade sie kein Schaf seien, obwohl sie nichts anderes sind als ein Schaf einer anderen Herde, die halt gerade in eine andere Richtung läuft, aber doch nur Schafherde ist.

Das mag vielen nicht gefallen, und ich weiß, dass es mich Lesersympathien kostet, aber so ist es.

Vor allem sollte man tunlichst vermeiden, sich selbst in ein Dunning-Kruger-Delirium zu fahren und sich einzureden, dass man alles besser kann, weil man doch Zugriff auf die Weisheit von Wikipedia und Youtube hat.

Und für die, die von mir so blitzgescheite Analysen erwarten: Das hier ist eine davon.