Ansichten eines Informatikers

Toter Professor hält noch Vorlesungen

Hadmut
11.4.2021 12:00

Nebenwirkungen von COVID-19.

In Kanada hat ein Student an einer Uni, an der die Vorlesungen nur noch Online erfolgten – aber Hausarbeiten oder etwas in der Art musste man einreichen und bekam sie korrigiert zurück – zufällig herausgefunden, dass der Professor, der die Vorlesung hielt, schon 2019 verstorben war.

Seine Mitarbeiter ließen die Vorlesung mit früher aufgezeichneten Videovorlesungen einfach weiterlaufen und korrigierten in seinem Namen die Arbeiten, und die Studenten haben nicht gemerkt, dass der nicht mehr lebte.

Ist natürlich übel, wenn man sich dann irgendwo bewirbt, seine Hochschulzeugnisse vorlegt, und die einen dann bei einer Nachprüfung für einen Betrüger und Fälscher halten, weil der Professor in dem Semester, das im Zeugnis steht, schon längst tot war. Oder man sogar angeklagt wird. Wenn man sowas selbst nicht weiß und nicht merkt, kann man das ja nicht klären, und wenn das dann erst 10 oder 20 Jahre später auffällt, hat man eigentlich auch keine Chance mehr, das zu klären, wenn dann diese Assistenen vielleicht selbst nicht mehr leben oder die Universität die ganzen Prüfungs- und Teilnehmerunterlagen schon vernichtet hat.

Stellt Euch vor, man wird dann beispielsweise Politiker, und dann werdet Ihr nach 20 Jahren kalt erwischt, weil in den Social Media eine Kopie des Abschlusszeugnisses mit Vorlesungen auftaucht und der Nachweis, dass der Professor da schon tot war. Glaubt einem doch kein Mensch, wenn man sagt, dass man in voller Überzeugung in der Vorlesung eines Toten saß.

Wäre eigentlich ein Stoff für einen Krimi.

Zeigt aber auch, womit man als Professor an der Uni so alles durchkommt. Der, bei dem ich damals war, hat sich manchmal auch für Monate nicht am Institut blicken lassen. Und seine Arbeit von den Mitarbeitern erledigen lassen. Akademisch so wahnsinnig weit entfernt vom Zustand tot war der auch nicht. Der hätte das im Lebendzustand schon durchgezogen, und war so narzisstisch und davon überzeugt, dass seine Vorlesung die genialste ist, dass der die Mitarbeiter beauftragt hätte, sie nach seinem Tod weiter anzubieten, wenn es damals schon adäquate Videomöglichkeiten gegeben hätte.

Der nüchtern-sachliche Punkt ist aber:

Ich habe mir auch schon überlegt, wie ich das heute (und auch schon vor Corona, seit ich auch so ein bisschen youtube) eigentlich machen würde, wenn ich Professor geworden wäre und immer noch Vorlesungen halten würde. Denn das Benehmen mancher Studenten und dieser ganze linke Rummel lässt das ja eigentlich nicht mehr zu, da noch persönlich aufzutreten, ist ja zugefährlich. Man bräuchte ja mindestens so einen Maschendrahtzaun wie in der neulich schon erwähnten Bluesbrothers-Szene, um noch live vor Studenten aufzutreten. Und ich bin ja immer noch beeindruckt von den Telekolleg-Sendungen, die während meiner Schul- und Studienzeit noch im Fernsehen kamen und mit – damaliger Stand der Technik – noch sehr einfachen Mitteln gut gemacht waren, auch wenn der Dozent das Temperament einer Regenrinne hatte.

Macht man das dann Live und kann direkt Fragen beantworten, macht aber auch Fehler, oder zeichnet man das als Sendung auf, macht es besser und mit Einblendungen, hat dann aber das Problem, dass die Sendung nicht ohne weiteres zu aktualisieren ist? Nicht so in der Mathematik, aber in der Informatik gibt es ja ab und zu was neues. Man kann natürlich zwei Jahre später was neu reinschneiden, sieht aber komisch aus, wenn der Dozent zwischendrin mal kurz älter aussieht oder was anderes anhat.

Die Erkenntnis besteht ja, dass man Vorlesungen auf Video nicht genau so wie vor Publikum machen kann. Es ist kein Problem, vor einem Publikum was an die Tafel zu schreiben, aber vor einem Kameraausschnitt den Rücken zuzudrehen, ist blöd und nervt. Es gibt daher seit einiger Zeit die Praxis, statt auf eine Tafel auf eine durchsichtige Glasscheibe zu schreiben, die seitlich durchleuchtet ist, und mit fluoreszierender Farbe zu schreiben, damit die Schrift dann leuchtet. Das wird dann nicht vom Rücken des Dozenten her, sondern von der anderen Seite der Glasscheibe her gefilmt. Und damit die Schrift nicht seitenverkehrt ist, elektronisch gespiegelt. Dann ist zwar der Dozent seitenverkehrt, aber die Schrift lesbar.

Schon eine interessante Frage, ob man dann seine Vorlesungen live hält oder vorab unter kontrollierten Bedingungen aufzeichnet und dann aber auch mehr Möglichkeiten hat.

Als ich mich damals nochmal immatrikuliert hatte, habe ich eine Datenschutzvorlesung bei einem Jura-Professor gehört, der aber keine Lust hatte, die an einer technischen Universität zu halten und die lieber an einer anderen, juristischen Uni hielt, dort mit der Videokamera aufnahm und uns dann den Video vorspielen ließ (oder die Videos dann nach Beschwerden zum Download anbot und damit aus Faulheit eine der ersten Online-Vorlesungen anbot), damals aber noch richtig grottenschlecht gemacht, zumal die damaligen Videokameras schlicht überfordert waren, Professor und Overhead-Bild hinter ihm erkennbar abzubilden.

Aber grundsätzlich ist die Frage schon interessant.