Ansichten eines Informatikers

Geldtransporter

Hadmut
19.2.2021 13:45

Leser fragen – Danisch weiß es auch nicht.

Sie haben ja heute in Berlin schon wieder einen Geldtransporter überfallen.

Ein Leser fragt:

Weiß ich nicht.

Damit kenne ich mich nicht aus.

Die Frage ging mir aber auch schon durch den Kopf, als ich das heute morgen im Radio gehört habe. Gerade weil ich mich ja auch etwas mit Navigation, Mikroelektronik, Netzwerktechnik und so weiter befasse.

Es ist mir schleierhaft, wieso man so einen Geldkoffer überhaupt noch öffnen oder vom Geldtransporter entfernen kann, ohne dass das Geld rot eingefärbt wird.

Selbst, wenn man sagt, das Geld wäre ihnen egal, auf so eine Transporterfüllung käme es ihnen nicht an: Zwei Mitarbeiter der Sicherheitsfirma wurden verletzt und liegen im Krankenhaus.

Soweit ich weiß, wird ja immerhin die Position der Geldtransporter per Funk überwacht. Da müsste wesentlich mehr gehen. Meines Erachtens müsste eigentlich jeder Geldkoffer so gebaut sein, dass man ihn außer in der Bank überhaupt nicht mehr öffnen kann, ohne dass die Farbpatrone losgeht (Ich weiß, irgendwas geht immer, beispielsweise mit flüssigem Stickstoff einfrieren, dass die Farbe fest wird, aber ich meine unter Überfall-Bedingungen.) und auch nicht mehr vom Geldtransporter und den nicht von der plausiblen und genehmigten Route entfernen kann.

Ich würde das so bauen, dass die Koffer einen Akku und einen Funk (oder sogar GPS)-Empfänger haben und einen Anschlussstecker. Und sobald die geschlossen werden, müssen die im Supermarkt angeschlossen (und geladen werden), damit die nicht losgehen. Dann dürfen die maximal 120 Sekunden oder sowas von der Verbindung getrennt und innerhalb dieser Zeit an ein System im Geldtransporter angeschlossen werden. Und wenn sie das nicht werden oder irgendwer oder irgendwas Alarm auslöst: *BUFF*, alles rot.

Ich verstehe das auch nicht, warum Überfälle auf Geldtransporter überhaupt noch effektiv möglich sind.

Ein anderer Gedanke wäre ja, dass im Supermarkt sämtliche Seriennummern der Geldscheine erfasst werden, damit man weiß, welche Geldscheine weggekommen sind, aber sowas wäre datenschutzmäßig problematisch, weil man damit ja Leute über das Bargeld tracken könnte. Und – hatte ich irgendwann mal gebloggt – die Parxis herrscht, dass das Geld in den Supermärkten gar nicht mehr gezählt, sondern nur noch gewogen wird und verschlossen bleibt, die da ganze Kassenschubladen verschlossen einfach dem Transporter übergeben und dann erst vom Gelddienstleister woanders gezählt wird. Das würde da also gar nicht reinpassen, die Geldscheine zu erfassen, und vermutlich auch mehr kosten als hin und wieder ein Überfall.

Das grundsätzliche Problem im Risiko-Management ist nämlich immer: Ist die Sicherheitsmaßnahme im Endeffekt überhaupt günstiger als das, wogegen sie schützt.

Ich habe mal vor etwa 10 Jahren freiberuflich für einen Automobilhersteller gearbeitet, und dort galt die knallharte – und völlig richtige – Ansage, dass sie „Sicherheit” als solche überhaupt nicht interessiert. Etwas ist nicht besser, weil es „sicherer” ist. Es herrscht ein rein betriebswirtschaftlicher Blick: Lohnt es sich?

Die Ansage dazu war, dass es ihnen völlig egal ist, ob ich da jetzt 5 Euro oder 5 Millionen Euro ausgebe. Es geht einzig und allein darum, mit den Methoden des Risiko-Managements und der Entscheidungstheorie nachzuweisen, dass das Handeln mit der Sicherheitsmaßnahme unter deren Kosten gegenüber dem durchschnittlich zu erwartenden Schäden durch Angriffe eine Einsparung von mindestens 50% bedeutet. Man wehrt keinen Eingriff ab, wenn die Abwehr teurer als der Angriff ist und nicht mindestens die Hälfte einspart.

Deshalb wäre es gut möglich, dass man Systeme bauen könnte, die solche Überfälle wirksam verhindern, es sich aber nicht lohnt, weil es teurer wäre, ganz Deutschland mit solchen Systemen auszustatten, neue Koffer zu bauen, Supermärkte umzurüsten und hin und wieder mal einen durch Fehlalarm losgegangenen Farbkoffer samt Geld zu ersetzen, als die Raubüberfälle einfach hinzunehmen.

Man sollte immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass solche Raubüberfälle einfach hinzunehmen die billigste Handlungsweise sein könnte.

Oder wie ich seit 20 Jahren beruflich predige: Bei jeder Sicherheitsüberlegung muss immer die (von mir so genannte) „kanonische Sicherheitsmethode” als eine Handlungsvariante in die Entscheidung über die Methode mit eingehen. Und die kanonische Sicherheitsmethode ist: Gar nichts zu tun. Es einfach passieren zu lassen.

Das nämlich läuft auf dieselbe Überlegung hinaus wie die des Fahrzeugherstellers.

Man muss sich immer überlegen, ob die Sicherheitsmaßnahme überhaupt etwas bringt, oder nur zusätzlichen Aufwand, Kosten, Probleme, Störursachen, Komplikation bedeutet.

Denn man muss auch sehen, dass die ganze Sicherheitsbranche auch vorrangig Geschäftemacherei ist und einem ein Haufen Zeugs angedreht wird, was nichts taugt oder viel zu teuer ist.

Die Sache hat einen Haken: Sowas gilt nur, solange man die Sache rein betriebswirtschaftlich/finanziell betrachten kann. Es geht nicht mehr, wenn höhere Werte gefährdet sind, wie Menschenleben, Gesundheit, Kunst, ideelle Werte und sowas.

Da wäre dann die Frage zu stellen, ob man nicht irgendwann unbemannte Geldtransporter einsetzt, also selbstfahrende autonome Roboter, die man mit einer Panzerfaust nicht erpressen kann. (Aber dafür vielleicht hacken und von selbst davon fahren lassen kann.)

Man wird sich aber auch die Frage stellen müssen, ob man eben in Supermärkten überhaupt noch große Mengen Bargeld haben sollte, denn soweit ich weiß, ist das Handling von Bargeld ziemlich teuer, ein gerüttelter Teil der Preise im Supermarkt geht für das Handling von Bargeld drauf.

Deshalb finde ich zwei andere Fragen interessanter:

  • Warum eigentlich kommen in Zeiten von Corona in Supermärkten und Banken überhaupt noch raubwürdige Geldbeträge zusammen? Lockdown müsste doch bedeuten, dass der Bargeldumlauf weitgehend zum Erliegen kommt und man in Supermärkten bargeldlos zahlt.
  • Warum eigentlich werden bei echten Geldtransportüberfällen immer Männer verletzt, während in Fernsehkrimis gemischte Teams drin sitzen?