Ansichten eines Informatikers

Nordpol ist jetzt auch Nazi

Hadmut
14.12.2020 22:15

Noch ein Sprachwandel.

Kennt Ihr noch Buchstabiertafeln? Ich glaube, das hatte ich vor Jahren schon mal hier im Blog erwähnt (nein, vor einem Jahr), aber jetzt gehen sie wohl zur Sache: Der Nordpol muss weg.

Ein Leser schreibt mir, wenn ich mal eine Funkausbildung gemacht hätte, müsste ich jetzt umlernen. Stimmt doppelt nicht ganz. Das, was ich bei der Bundeswehr als Truppenfernmelder gelernt habe, verdient kaum die Bezeichnung Funkausbildung, und die Buchstabiertafel war Nato-Englisch: Alpha, Bravo, Charlie, Delta…

Das haben übrigens auch viele nicht verstanden, warum der berühmte Checkpoint Charlie in Berlin eigentlich so hieß: Die Übergangspunkte wurden einfach mit A, B, C,… „durchnummeriert”, weil die Amerikaner für sowas halb gerne Buchstaben verwenden und militärisch gleich die Buchstabiertafel-Bezeichnungen verwenden: Charlie für C. Dann hörte sich das eben noch gut an, gut zu sprechen, Lautalliteration obendrein, fertig ist der prima Name.

Die deutsche Sprechtafel habe ich fast nie benutzt, außer dass ich schon als kleines Kind gelernt habe, am Telefon meinen Nachnamen zu buchstabieren: Danisch – Dora – Anton – Nordpol – Ida – Schule. Ich weiß bis heute nicht, warum ich eigentlich nie auswendig gelernt habe, meinen Vornamen per Sprechtafel zu buchstabieren, obwohl es da viel notwendiger wäre. Allerdings versteht das heute sowieso keiner mehr, und die englischen laufen bei mir auch nicht mehr flüssig.

Nun also machen sie dieser Sprechtafel zumindest teilweise den Garaus, weil Nordpol Nazisprech ist. Oder genauer gesagt beim Guardian:

The table, in which codewords are assigned to each letter of the alphabet to aid communication and avoid confusion, particularly in radio transmissions and telephone calls, originated in the late 19th century. In 1934 it was adapted by the Nazis who cleansed it of all its Jewish names as part of the regime’s drive to reject all Jews from German life, which culminated in the Holocaust.

“Samuel” was replaced by “Siegfried” to represent the letter S, “Zacharias” became “Zeppelin” for Z, and “David” was switched to “Dora”. The preference was for Nordic names to replace Jewish ones, and where no suitable ones could be found, such as N (originally “Nathan”), an object or placename, such as “Nordpol” (north pole), was chosen instead.

Hatte ich vor einem Jahr ja schon mal erwähnt. Nordpol ist Nazisprech, weil ursprünglich Nathan für N stand, aber von den Nazis ersetzt wurde, weil ein jüdischer Name.

Ich habe zwar nicht genau verstanden, was man eigentlich davon hat, wenn da wieder Nathan, David und Zacharias steht, weil es sowieso kein Mensch mehr verwendet (ich merke das ja, weil ich gewohnheitsmäßig Danisch buchstabiere und dann kaum einer versteht, was ich von ihm will), und das im Zeitalter von Digitaltelefonie, E-Mail und Whatsapp ohnehin kaum noch notwendig ist, jemandem irgendwas mündlich durchzugeben. Wer lernt das heute noch?

Und von denen, die es noch gelernt haben: Wer lernt das noch um?

Ich glaube nicht, dass ich das – so eingebrannt, wie es ist und so selten, wie ich es brauche – mich noch auf David–Anton–Nathan–Ida–Schule umgewöhnen kann, zumal es deutlich schwieriger zu sprechen ist und zuviele a drin sind, um es beim Hören klar zu trennen. Ich habe zwar kein Z im Namen und S nur als sch, aber auch Samuel hat ein A und Zacharias sogar drei. Ich halte das (abgesehen davon, dass es eh keinen Nutzen mehr hat) für kontroproduktiv, zuviele a da drin zu haben. Der Witz ist ja, dass es sich eindeutig und unterschiedlich anhört (Hamming-Abstand)

Michael Blume, the ombudsman for antisemitism in the state of Baden-Württemberg – a post recently introduced in 13 states across the country to tackle growing attacks against Jews in Germany – has been leading a quiet campaign to get rid of the Nazi version of the system. The fact it had stayed in place for so long, he said, was proof in itself of a “deep-seated antisemitic and racist mindset” in Germany.

“Just in that one name change, Nathan to Nordpol, which we still use today, you can see how deeply into our language and our thinking this Nazi idea has seeped, with no one really questioning it,” he told the broadcaster Deutschlandfunk. In the Nazi’s pseudoscientific ideology, the north pole was seen as the original home of the Aryans.

Au weia. Man hat einen Beauftragten gegen Antisemitismus eingesetzt, und dem fällt – wie damals denen mit der Rechtsschreibreform – wohl auch nichts wichtigeres oder dringenderes ein, als erst mal Sprachvorschriften zu machen: Leute, Ihr dürft nicht mehr „Nordpol” sagen, das ist total Nazi!

Blume has advocated switching back to the pre-1934 version, the so-called Weimar table. It will probably only be in use until autumn 2022, by which time an updated version is expected to be registered with DIN that will probably rely on city names. But Blume insisted the switch in itself was “an important symbolic gesture”.

“My intention is that we don’t just simply continue to automatically use the version introduced by the National Socialists which erased the Jewish names,” he said.

Ach, jetzt wollen die das gleich zweimal ändern? Einmal jetzt und 2022 dann gleich nocheinmal? Jetzt erst mal Not-Entnazifizieren und 2022 dann eine Version mit Städtenamen?

Übrigens erklärt uns dann die BBC, warum „Nordpol” Nazi ist:

“Nordpol” (North Pole) retains echoes of Nazism, however. Adolf Hitler’s ideology rested on the bogus superiority of a mythical northern Aryan race.

Aua. Hatten wir nicht neulich erst so eine Nordpol-Expedition. Vordergründig Klima. Waren die am Ende ein Schiff voller arier-feiernder Nazis?

Und ist es dann nicht fatal, dass wir auf der Nordhalbkugel sitzen? Warum schimpfen sie dann so sehr auf den Ansatz Namibia/Deutsch-Südwest, wenn das doch auf der Südhalbkugel lag?

Die Südddeutsche erklärt uns auch was darüber:

Im Ausschuss für die DIN 5009 arbeiten 15 Experten aus den Bereichen Bildung, Ausbildung, Versicherungswirtschaft und Postunternehmen. Alle fünf Jahre überprüfen sie standardmäßig, ob die Norm noch zeitgemäß ist und alle Ansprüche erfüllt. Bereits im vergangenen Jahr hatten der Antisemitismusbeauftrage von Baden-Württemberg, Michael Blume, wie auch der Zentralrat der Juden gefordert, einige Buchstaben-Umschreibungen zu ändern. Denn viele Vornamen hebräischen Ursprungs wurden zur Nazi-Zeit aus der Tafel getilgt. David, Jacob, Nathan, Samuel und Zacharias etwa wurden durch Dora, Jot, Nordpol, Siegfried und Zeppelin ersetzt. Nicht alle Änderungen der Nationalsozialisten wurden nach 1945 wieder rückgängig gemacht: “N wie Nordpol” etwa ist bis heute gebräuchlich.

Aber einfach zur alten Liste aus der Zeit der Weimarer Republik zurückkehren, das wollen die Experten des Ausschusses nun auch nicht. Gemeinsam mit Michael Blume haben sie einen neuen Vorschlag erarbeitet, der ganz auf Vornamen verzichten und auf Städtenamen zurückgreifen will. “Diese Entscheidung wurde getroffen, da es bei einer Buchstabiertafel mit Vornamen sehr schwierig ist, die kulturelle Diversität der deutschen Bevölkerung genügend widerzuspiegeln”, sagt Julian Pinnig, der Sprecher des Deutschen Instituts für Normung (DIN).

Ah, ja.

Der Zweck einer Buchstabiertafel ist nicht mehr, etwas verständlich so zu buchstabieren, dass der am anderen Ende das möglichst gut versteht, sondern jetzt muss das die „kulturelle Diversität der deutschen Bevölkerung genügend wiederspiegeln”.

Wollen wir mal hoffen, dass es nicht eher deren Wahnsinn wiederspiegelt. Wenn man da nämlich zu diverse Namen verwendet, versteht es am (anderen) Ende keiner mehr, denn der Witz daran ist ja, sehr geläufige und häufig gehörte Worte zu verwenden, aber sowas verstehen die ja schon lange nicht mehr .

Glücklich das Land, das gerade keine größeren Probleme hat und sich mit solcher Wonne und Intensität solchen Problemen (statt beispielsweise der Digitalisierung von Schulen) widmen kann.

DIN-Normen sind übrigens nicht verbindlich.