Ansichten eines Informatikers

Vom Ende des Nordpols

Hadmut
8.11.2019 0:27

Sonst schreibe ich ja immer so oft über den Südpol. Nun mal was über den Nordpol und sein Ende.

Lasst es mich mal so anfangen:

Dora – Anton – Nordpol – Ida – Schule

Alles klar?

Das verfolgt mich seit frühester Kindheit. Das werde ich nie wieder los. Tief ins Gedächtnis eingebrannt. Ich bin dem Nordpol zutiefst verbunden.

Warum?

Buchstabiertafeln. So buchstabiert man – etwa am Telefon – jemandem durch, wie man Danisch schreibt. D–a–n–i–sch. Dora – Anton – Nordpol – Ida – Schule.

Sonst habe ich mir die anderen Deutschen Bezeichnungen nie merken können, bei der Bundeswehr aber dann die englischen, internationalen gelernt: Alpha, Bravo, Charlie, Delta,…

Es haben noch nicht viele Leute bemerkt, dass der berühmte Checkpoint Charlie in Berlin überhaupt nichts mit einem Charlie zu tun hat und es Charlie nicht gibt. Es ist einfach der Checkpoint C, weil sie A, B, C, … durchnummeriert haben, und das dann militärisch bezeichnet haben. Charlie für C.

Die deutsche Version ist normiert, DIN 5009.

Gibt gerade Ärger.

Sie haben herausgefunden, dass die Nazis die Begriffe festgelegt haben.

Was jetzt nicht so wirklich überraschend ist, weil es Funk und Telefon vorher nicht so wahnsinnig lange in so wahnsinnig starker Nutzung gab und es da wegen der damals zivil und militärisch aufkommenden Telekommunikation bei noch schlechter Tonqualität einfach erforderlich war. Ich hatte neulich mal Blogartikel darüber geschrieben, dass Mussolini und Hitler nicht immer so bekloppt gesprochen haben, sondern man das damals so lernte, um mit den noch schlechten Mikrofonen und Lautsprecheranlagen verständlich rüberzukommen. Deshalb hat Mussolini in seinen Reden so seltsame Pausen gemacht, nämlich damit der Hall auf den Großen Plätzen weg war, bevor er weiter redete, und Hitler mit der Schnarr-Artikulation. Das war halt damals problematisch. Als ich bei der Bundeswehr 1985/86 Truppenfernmelder war, hatten wir noch viele Ausrüstungsgegenstände auf dem Stand des zweiten Weltkriegs: Kübelwagen, Waffen, Ausrüstung war zwar nicht mehr original aus dem zweiten Weltkrieg, aber baugleich, wir hatten auch noch Bakelit-Telefone mit Kurbel zum Klingeln und ohne Wählscheibe, und dazu Handvermittlungen mit Bananenstecker zum Rausziehen, in denen ich noch gelernt habe, draußen im Wald wie das Fräulein vom Amt Verbindungen durchzustecken. „Vermittlung Sandsack, ich verbinde zu Vermittlung Löwe…” Wie im frühen 20. oder späten 19. Jahrhundert. Kann man hier in Berlin im Kommunikationsmuseum aus den Weltkriegen besichtigen. Mit so einer Spielzeugbatterie drin. Ich habe sowas in Amerika und Neuseeland als Museums- und Ausstellungsstück gesehen und die wollten mir nicht glauben, dass ich sowas noch real bedient habe. Dazu sind wir dann noch wie die Bekloppten mit großen Kabelrollen auf dem Rücken durch den Wald gerannt um die einzelnen Kompanien miteinander zu verbinden. Die hatten sich gut getarnt versteckt, aber der böse Russe hätte nur den Kabeln folgen müssen. Dazu unglaublich schlechte riesige Funkgeräte, die man wegen der Wasserschutzmembran erst per Belüftungsschraube belüften musste, bis man damit sprechen konnte, und mit denen man weiter werfen als funken konnte. Grottenschlecht. Und wenn man dann im Wald sitzt und mit so einem Scheiß irgendwas durchsagen oder per Funk verschlüsselte Funksprüche durchgeben muss, merkt man sehr schnell, wie wichtig solche Buchstabiertafeln sind. Die waren eine schlichte Folge des damaligen Standes der Technik. Ich hatte das ja neulich beschrieben, dass die charakteristischen Sprechweisen von Mussolini und Hitler nicht auf Ideologie, sondern Mikrofon- und Lautsprechertechnik beruhen und Schauspieler damals alle so überaffektiert sprachen. Das hatte technische Gründe.

Und in meiner Jugend war das auch noch völlig normal, das zu verwenden, weil damals das Telefonnetz noch analog war. Wir haben noch mit Wählscheiben gewählt und das musste alles noch durch mechanische Relais und deren Kontakte laufen, und Ferngespräche waren oft noch von so lausiger Qualität, dass man den anderen kaum verstehen konnte. Auslandsgespräche musste man einen Tag vorher anmelden, und einen Termin ausmachen, wann eine der Leitungen nach XY für soundsoviel Minuten noch frei wäre, da wurde man dann zur vereinbarten Uhrzeit vom Amt zurückgerufen, nachdem die das handvermittelt hatten. Qualität meist unterirdisch, leise, schlecht, gruselige Echos, Rauschen. So kenne ich das Telefonieren noch aus den Siebziger Jahren. Da gab es die Buchstabiertafel noch als Aufkleber für das Telefon, und das Telefon war noch mit dem Kabel fest an der Wand festgeschraubt. Öffnen des Deckels der Anschlussbuchse eine Straftat.

Als Informatiker mit Hintergrundwissen zur (auch analogen!) Informationstheorie würde ich das heute einfach als „Verbesserung des Signal-Rauschabstandes” einstufen, ein quasi fehlerkorrigierender analoger Code quasi mit vergrößertem „Hamming-Abstand”, eben in analog.

Nachdem das jetzt aber irgendwer mitbekommen hat, dass die Buchstabiertafel damals von den Nazis festgelegt bzw. geändert wurde, schreibt die Süddeutsche:

Grundlage für die DIN 5009 blieb weiterhin die aus dem Berliner Telefonbuch von 1890 stammende “postalische Buchstabentafel”, welche 1934 von den Nationalsozialisten allerdings stark bearbeitet wurde. Vor Hitlers Machtergreifung hatte es hier noch geheißen: “D wie David, S wie Samuel, Z wie Zacharias und N wie Nathan”. Das ging den Nazis jedoch gegen ihre völkisch-rassische Ideologie. “In Anbetracht des nationalen Umschwungs in Deutschland halte ich es für nicht mehr angebracht, die in der Buchstabiertabelle des Telefonbuchs aufgeführten jüdischen Namen (…) noch länger beizubehalten”, hatte sich ein Denunziant beim Postamt Rostock 1933 beschwert. Die Beanstandung fand tatsächlich Zustimmung und landete in Berlin, die Überarbeitung der Buchstabentafel wurde beschlossen.

Doch bis heute, Jahrzehnte nach dem Dritten Reich, wird in Deutschland nationalsozialistisch buchstabiert – etwa, wenn in einer Fernseh-Rätsel-Show wie (dem Ende 2002 abgesetzten) “Glücksrad” jemand ein “S wie Siegfried” wünschte. Und obwohl die deutsche Buchstabiertafel (im Gegensatz zu der österreichischen) nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend entnazifiziert wurde und beispielsweise wieder ein jüdisch-christliches “Z wie Zacharias” einforderte, blieb auch “Zeppelin” durchaus gebräuchlich. Das stieß immer wieder auf Kritik.

Besonders ärgerlich fand jetzt der baden-württembergische Beauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, dass es in der DIN 5009 heute noch “N wie Nordpol” heißt. Da müsse wieder “Nathan” stehen, forderte er in einem Brief an das Deutsche Institut für Normung in Berlin. Denn “Nordpol” stehe in der pseudowissenschaftlichen NS-Ideologie für die Herkunft sogenannter “Arier”. Für den Buchstaben “D” schlägt der Religionswissenschaftler statt David “Debora” vor, wegen der Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Ja, das ist jetzt eine neue Erkenntnis: „Nordpol” ist total Nazi. Weil der „nordische Arier” vom Nordpol käme. Ich hatte da bisher immer nur Eskimos und den Weihnachtsmann verortet.

Der Nordpol muss also weg.

Nordpol ist Nazi.

Müsste man da jetzt nicht konsequent die antifaschistische Klimaerwärmung fordern, weil die ja bekanntlich den Nordpol wegtaut, und die ganzen Klima-Jünger als Nazianhänger einstufen, weil sie den Norpol erhalten wollen?

Fridays for Future als hinterhältige Naziaktion und Greta als Naziagentin, um die Arier-Quelle zu erhalten?

Haben die eigentlich nichts wichtiges und nützliches zu tun?