Ansichten eines Informatikers

Vom Lügen

Hadmut
13.9.2020 21:34

Es ist nicht wie bei den Kretern.

Das Mail-Bombardement geht weiter.

Stapelweise Mails von Lesern, die mir mit der Methode kommen, dass doch – vor allem mir – bekannt sein müsse, dass Deutschland im Allgemeinen und die Geheimdienste im Besonderen notorisch lügen. Manche verweisen dazu auf meinen Promotionserfahrungen mit dem BND.

Wenn also unsere Geheimdienste und die Bundesregierung von Nowitschok redeten, sei das Beweis genug, dass es das nicht gewesen sein könne, weil sie ja Lügner sein müssen.

Ähm … sorry. Das ist Blödsinn.

Das kommt davon, wenn man zu lange auf Geisteswissenschaftler mit ihrem „Alle Kreter lügen, sagte der Kreter” hört. Das reicht vielleicht, damit die sich einen runterholen, aber mit Lügen hat es nichts zu tun.

Ich hatte es früher schon ein paarmal ausgeführt und wiederhole es. Und weise nochmal darauf hin, dass das in den Bereich der Informationstheorie gehört, auch der Kryptographie, Bereich Zero-Knowledge und so weiter.

Ein richtiger Lügner ist keiner, der immer die Unwahrheit sagt. Denn auch dann wäre er ja eine zuverlässige Informationsquelle, nämlich die, die sagt, was nicht sein kann.

Ich hatte das auch schon mal kryptographisch erläutert. Kryptogeräte wie das Jefferson Wheel oder die Enigma hatten nämlich dieses Problem und wurden gebrochen, eben weil sie nicht richtig lügen konnten: Sie konnten einen Buchstaben nie mit sich selbst verschlüsseln, das Chiffrat hatte an der Stelle immer einen anderen Buchstaben, nie denselben. Deshalb konnte man sie brechen, weil das dann etwas über den Klartext sagt, nämlich was da nicht steht. So konnte man herausfinden, was beispielsweise ein Wetterbericht war oder was von einem bestimmten Absender (mit langem Namen am Ende der Nachricht) kam: Einfach vergleichen. Wenn kein Zeichen übereinstimmt und das Wort lang genug ist, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer hoch.

Ein Lüger ist keiner, der immer lügt.

Der perfekte Lügner ist der, bei dem man (informationsthereotisch) mit Kenntnis der Lüge nicht mehr Information hat, als ohne. Wenn also die Aussage keinerlei Information über die Realität liefert. Die Behauptung also völlig unabhängig von der Realität ist, also auch nicht ungleich der Realität ist, sondern zufällig gewählt.

Das heißt, dass die Sichtweise, dass schon die Behauptung der Bundesregierung, dass es Nowitschok sei, Nowitschok ausschließe, weil sie doch Lügner sind, Unfug ist. Da haben manche nicht verstanden, was Information und was Lüge ist.

Wenn man die Regierung und die Geheimndienste für Lügner hält (und da gehe ich durchaus mit), muss man sich zu der Erkenntnis durchringen, dass man nicht mehr weiß, als wenn sie gar nichts gesagt hätten.

Hätten sie nichts gesagt, hätte man aber auch keinerlei Anhaltspunkt, Nowitschok ausschließen zu können.

Was aber bisher auch noch keiner geliefert hat: Irgendeine andere Erklärung. Manche behaupten, er könne nicht vergiftet worden sein. Was aber sonst zu einem solchen Vorgang führen können sollte, hat auch noch keiner gesagt.

Manche meinen, die Unglaubwürdigkeit des Unglaubwürdigen reiche schon als Beweis für das frei Erfundene.

Wenn denn wenigstens mal eine hübsche, gute erfundene, unterhaltsame Geschichte dabei wäre.

Aber die Leute sind so damit beschäftigt, etwas für wahr zu halten, dass sie nicht mal sagen können, was es eigentlich ist, was sie für wahr halten wollen, sich dann aber fürchterlich darüber aufregen, dass andere ihnen nicht zustimmen.

Ach, waren das noch Zeiten, als Verschwörungstheorien noch eine Theorie, eine Story hatten und nicht schon damit endeten, „Verschwörung!” zu rufen.