Ansichten eines Informatikers

Alte Kameras und neue Statistiken

Hadmut
7.12.2019 15:15

Diskussion zwischen einem Leser und mir.

Ich schreibe ja gelegentlich über den Kameramarkt.

Ein Leser schreibt mir nun, dass er die offiziellen Angaben da massiv bezweifelt. Weil nämlich Sony nicht nur aktuelle Modelle wie die A7 III, sondern auch noch das Vorgängermodell A7 II und sogar das Uralt-Modell A7 I noch verkaufe.

Stimmt, das hatte ich auch schon beobachtet. Selbst das wirklich alte (Ich glaube, von 2012 oder 2013 stammende) Erstmodell A7 I wurde neulich noch für 700 Euro angeboten, während die aktuelle A7 III bei etwa 2000 liegt.

Der Leser meint nun, die Statistiken seien Schwindel, weil nicht die verkauften, sondern die hergestellten Kameras gezählt würden und Sony mit seiner großen Ansage, auf Platz 1 zu ziehen, soviele Kameras produziert hätte, dass sie heute noch versuchten, die jahrealten Lagerbestände aus absurder Überproduktion abzuverkaufen, um sie nicht verschrotten zu müssen.

Was mich daran erinnern würde, dass die Autohersteller um auf hohe Zulassungszahlen zu kommen, auch Tageszulassungen, Werkswagen und sonstwas alles produzieren. Mir wollte mal ein Händler ein Auto deutlich verbilligt mit einem geschenkten Satz Winterräder als Tageszulassung verkaufen. Schon zugelassen. Als ich das Auto mal sehen wolte, sagte er, das ginge nicht, das Auto existiere noch gar nicht, nur der KFZ-Brief und die Fahrgestellnummer. Wenn ich es kaufte, würde es schnell für mich als Gebrauchtwagen gebaut. Weil sie die Zahlen hochhalten müssen und die nicht nach Verkäufen, sondern nach Zulassungen berechnet werden. Insofern könnten wir verdammt schnell einen großen Teil der zugelassenen Fahrzeuge von Diesel auf Benzin oder Elektroauto umstellen, indem sie einfach andere KFZ-Briefe zur Geisterzulassung verwenden. Muss ja keiner kaufen oder fahren.

Ich dagegen sah das anders, denn ich halte Kameras zumindest endverpackt nicht für so lange lagerfähig. Das Fett könnte verharzen und die Akkus gehen kaputt. Die Belederung (Gummi, aber heißt so) kann auch Veränderungen aufweisen, wenn die nicht benutzt wird. (Meine alten Minolta-Kameras und objektive, die ich noch irgendwo rumliegen habe, schwitzen an den Gummiteilen Talkum vom Vulkanisieren aus, weil das pflegende Fingerfett mangels Benutzung fehlt. Tipp: Am besten geht’s nach meiner Erfahrung mit einer billigen Zahnbürste weg.) Das wäre von der Garantie/Gewährleistung zu heikel.

Ich glaube eher, dass die tatsächlich noch alte Kameras produzieren, um das ganze Preisspektrum und mehr Käuferschichten abzudecken, ohne gefühlt als Billigheimer dazustehen. Statt billige Plastikkameras für den Massenmarkt zu verkaufen und als Billigtröte dazustehen und sich die hohen Preise kaputt zu machen, verkauft man lieber die alten Modelle, die sich auch billiger herstellen lassen, weil die Entwicklungskosten raus und die Bauteile veraltet sind, um so die eigenen Produktionskapazitäten auch zu nutzen, wenn sich das teure Zeugs rückläufig verkauft.

Was mich wieder an Autos erinnert. VW hat ja in China und Südamerika bewusst alte Modelle, die es hier nicht mehr gab, weitergebaut, teils sogar mit den Originalfabriken, die dann dorthin transportiert wurden, um einen Billigmarkt zu bedienen, ohnen hier die hohen Preise zu beschädigen. Andere Autohersteller wie Mercedes lassen ihre Mitarbeiter nagelneue Autos kurzzeitfahren, teils nur wenige Monate und nur zwei oder drei Fahrten, um auf diese Weise „Gebrauchtwagen” zu produzieren, die man deutlich billiger verkauft, ohne sich die Neuwagenpreise zu demolieren.

Wenn man also eine große Klappe hat und Nummer eins auf dem Markt werden will, die eigenen teuren Kameras aber nicht so weggehen, man sich aber die hohen Preise nicht verderben und den Ruf als Premiumhersteller nicht riskieren will, ist es doch sinnvoller, die alten Modelle weiter zu produzieren und billiger zu verkaufen, statt die Preise zu senken oder spezielle Billigmodelle aus Plastik anzubieten, vor allem dann, wenn man mit den teuren Verkäufen die eigenen Produktionsstraßen und Zulieferverträge nicht ausnutzen kann.

Nun überlegen wir, wer von uns beiden Recht hat.