Ansichten eines Informatikers

Die Melanie und die digitale Erstversorgung

Hadmut
29.8.2019 19:44

*Seufz*

Eine Leserin mit Spott im Sinn schickt mir den Text einer (nur für Ärzte) zugänglichen Meldung über „digitale Erstversorgung in den Bergen”.

Es geht um das Projekt „Medizin Digital zur Versorgung auf dem Land (MeDiLand)“ der Technischen Hochschule Deggendorf, mit dem Ärzte, Pflegewohnheime, Kliniken vernetzt werden und darüber audio-visuell kommunizieren und Vitaldaten von Patienten und Pflegeheimbewohnern in Echtzeit übertragen können.

Und daran wollen sie jetzt auch eine Schutzhütte im Bayerischen Wald anschließen, damit verunglückte Wanderer schneller versorgt werden können, die „digitale Erstversorgung”.

Die Leserin spottet nun über die weibliche Sicht auf Digitalisierung, weil im Aufmacher des Textes steht

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml hofft auf schnelle Fortschritte bei der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Demnächst sollen verunglückte Wanderer in den Bergen digital erstversorgt werden.

Also ich finde diese Idee … gar nicht so schlecht. Sogar gut.

Nur die Bezeichnung „digitale Erstversorgung” ist bescheuert und politisch desinformierend, weil es nicht Versorgung, sondern Kommunikation ist. Oder medizinisch gesagt: Höchstens Diagnose und vielleicht Anleitung zur ersten Hilfe, naja, wie gesagt, mir gefällt der Name nicht. Die Sache schon.

Eines meiner Projekte, die ich so vor etwa 15 Jahren im Außendienst mal gemacht habe, war etwas in der Art. Ein Klinikkonzern hatte ein kleines, etwas abseits auf dem Land gelegenes Krankenhaus ausgekauft, denen es finanziell wohl nicht so ging, dass sie das noch lange überlebt hätten. Der Konzern war der Meinung, dass die nur im Verbund und durch die Synergieeffekte und Effizienzsteigerung (z. B. den ganzen Abrechnungskram an die Zentrale abgegeben) überleben können und man da betriebswirtschaftlich aufräumen und durchwischen muss, wenn’s weitergehen soll.

Im Rahmen der Analyse fand man heraus, dass da rund um die Uhr Radiologen mit ihrem Tomographen bereit stehen, sie aber nur während der normalen Arbeitszeiten tatsächlich beschäftigt sind, während sie Nachts mehr oder weniger rumsitzen und auf Notfälle warten. Dann ging dann auch noch einer und sie fanden keinen Ersatz und kamen zu dem Schluss, dass da dann außerhalb der Arbeitszeiten eben keiner mehr sitzt und nur die Assistenten/Schwestern da sind, die sowas wie Leute drauflegen, Infusion legen und so weiter machen. Dazu wurde ein VPN-Tunnel (mein Part) zwischen diesem Tomographen und dem Hauptklinikum gelegt, in denen dann immer mehrere Radiologen Bereitschaft hatten. Der Ablauf ist, dass Verletzte, die vom Rettungswagen eingeliefert werden, bei Bedarf gleich in das Ding gesteckt werden, die Aufnahmen direkt in das Hauptklinikum gehen und die dann dort entscheiden, wie es weitergeht, ob der dort behandelt oder per Hubschrauber gleich weiter in das Hauptklinikum gebracht wird. Weil es da um feste und beleuchtete Landeplätze ging und nicht um Landungen im Wald oder auf der Straße durften und konnten die wohl, wenn ich das richtig mitbekommen habe, auch nachts fliegen, was wohl im Ergebnis eine wesentlich bessere und schnellere Versorgung brachte als wenn der Rettungswagen erst ins Hauptklinikum gefahren wäre.

Es gibt übrigens auch in den USA eine Call-Center-Klinik, die dafür da ist, Flugzeugbesatzungen bei Notfällen in der Luft zu helfen und mit denen zu versuchen, was an Diagnose und Therapie per Handy eben möglich ist.

Die Idee ist gut, nur würde ich es jetzt nicht „Erstversorgung” nennen, sondern Multiplexen oder aufgebohrte Videotelefonie oder sowas, aber damit gewinnt man natürlich politisch und aufmerksamkeitsökonomisch keinen Blumentopf.

Dass wir unser Notrufsystem verbessern müssen, sag ich schon lange. Überall machen wir Multimedia, Social Media, Life Streaming, jedes Arschloch packt Videos von Verkehrsunfällen direkt auf Youtube, aber Notrufe senden wir wie vor 100 Jahren.

Vor einiger Zeit habe ich mal die Feuerwehr über die Notrufnummer 112 gerufen, weil aus einem Gebäude Rauch kam. Ich konnte gar nicht gleich anrufen, weil ich erst mal per Google Maps rausfinden musste, wie die Straße (ich war nicht in der Straße, ich habe das nur von woanders aus gesehen und konnte deshalb auch keine Straßenschilder dort lesen) heißt, und mir das noch aufgeschrieben, damit es mir nicht gleich wieder entfällt, um dann nach der Warteschleifenansage irgendwann dem Mann von der Feuerwehr zu erklären, wo ich stehe, wohin ich gucke, was ich da sehe.

Warum zum Geier bauen wir den Notruf in den Smartphones nicht so, dass automatisch die Position übertragen wird und der das sofort auf seinem Bildschirm sieht?

Der Punkt war nämlich: Es war kein Brand. Ein Schornsteinfeger hat den Schornstein „ausgebrannt” und der Feuerwehr vorher Bescheid gesagt, der sah das auf seinem Bildschirm auf dem Stadtplan und sagte mir das (und sagte ausdrücklich, dass es richtig gewesen sei, anzurufen). Es gab aber eben Rückfragen, zumal es wohl mehrere Straßen dieses Namens gibt (doppelte oder dreifache Straßennamen sind in Berlin häufig).

Warum wird bei Mobil- und Festnetzanrufen im digitalen Zeitalter nicht die Position mit übermittelt?

Wie oft hört man von Rettungswagenbesatzungen, dass die erst mal suchen müssen, wo sie dann hinmüssen?

Warum wird nicht angezeigt, dass das Telefon, von dem angerufen wird, über eine Kamera verfügt und der am Notruftelefon sagen kann „Machen Sie mal ein Foto!”, das automatisch hochgeladen wird, damit der sieht, was da los ist? Oder schon bei der Wahl des Notrufes die Möglichkeit besteht, ein Foto zu machen und mitzuschicken?

Meines Erachtens gibt es da jede Menge zu tun.

Ob man damit ausgerechnet an einer Berghütte anfängt und das dann als politischen Erfolg bejubelt, ist eine andere Frage.