Ansichten eines Informatikers

Ein 50 Jahre alter Computer

Hadmut
21.7.2019 12:01

Ui. Ein Leser hat mir einen hochinteressanten Link geschickt.

Ich schreibe ja gerne mal über die Frühzeit der Computer, und darüber wie der zweite Weltkrieg und die Enigma (und andere Chiffriergeräte) zur Erfindung des elektronischen Computers geführt haben. Zuse hatte zwar schon den elektromechanischen, aber der Einstieg in die modernen Computer ging dann über den Colossus, der mit elektronischen Röhren funktionierte. Der zweite Weltkrieg war zweifellos eine Initialzündung für die Computertechnik.

Es heißt, noch 1943 schätzte Thomas Watson, Chef von IBM, dass es einen Weltmarkt für vielleicht 5 Computer gebe. Man streitet sich, ob das Zitat überhaupt stimmt, es ist wohl nicht richtig belegt. Andere Quellen behaupten, es stamme aus den 50er Jahren.

Der nächste Schritt war die Erfindung des Transistors 1948 und die Erfindung der integrierten Schaltung 1958. Der Schritt vom Röhrenungetüm zum Transistorrechner war ein ganz enormer Schritt, was Größe, Stromverbrauch, Rechenleistung, Robustheit, Kosten betraf. Man entwickelte die Rechner, wusste aber noch nicht so recht, wozu man sie anwenden konnte, das musste man erst lernen. Eine Anwendung waren die Berechnungen für das Raumfahrtprogramm der Amerikaner.

Auch wenn ich ihn wegen seiner triefenden political correctness für historisch fragwürdig halte, empfehle ich den Film Hidden Figures, der das so darstellt, dass die Mondlandung nur durch unterdrückte schwarze Frauen mit hohem mathematischen Talent möglich gewesen wäre. Da wurde wohl ziemlich gebogen und gebeult, um den Film dramatisch und politisch auf Linie zu bringen, so soll etwa die Story mit dem Damenklo weit übertrieben und aufgebauscht sein. Nichtsdestotrotz zeigt der Film sehr schön, wie der Bedarf an frühen Computer entstand und warum sie gebaut sind wie sie gebaut sind. Die Damen saßen in finstern Rechenkellern und berechneten mit elektromechanischen Rechenmaschinen (hatte als Kind zum Spielen zwei von Olivetti vom Flohmarkt) Flugbahnen. Sinus, Cosinus und Logarithmen hat man damals noch aus Tabellenwerken in Buchform abgelesen und interpoliert, und normale Berechnungen mit dem Rechenschieber durchgeführt. (Ich habe in der Oberstufe mal zum Spaß für kurze Zeit die Rechenaufgaben in Physik mit Rechenschieber statt Taschenrechner berechnet.) In Perry-Rhodan-Science-Fiction-Heften von damals haben sie keine Computer oder Taschenrechner, sondern „elektronisch unterstützte Rechenschieber”.

Die Berufsbezeichnung von solchen Leuten, die da endlos an der Rechenmaschine rechneten, war „Computer” – Berechner. Die dann ersetzt wurden durch „Electronic Computer”.

Computer waren (und sind noch heute) daran orientiert. Sie haben ein Rechenwerk und ein Steuerwerk (und andere Teile), die im Prinzip nichts anderes tun, als eben so einen Menschen, der auf einer Rechenmaschine herumtippt, zu simulieren. Frühe Vektorrechner hatten ein Steuerwerk, an das dann viele Rechenwerke angeschlossen sind, die man parallel, aber gleich steuerte. Auch als Parallelrechner bezeichnet. So im Grundprinzip die automatisierte Version eines Rudels von „Computern”, die als Rudel im Keller sitzen und auf Rechenmaschinen alle dieselben Berechnungen durchführen. Der zu seiner Zeit berühmteste Supercomputer, die Cray, war so ein Ding, und galt deshalb als schnellster Rechner, weil die Parallelisierung das Tempo natürlich deutlich über den eigentlichen Technikfortschritt erhöhte.

Natürlich hatte man dann für die Mondlandung das Modernste des Modernsten im Einsatz, das, was damals technisch Spitze, aber trotzdem hinreichend robust war. Halbleiter-Rechner, weil energiesparender und mechanisch weniger empfindlich als Röhren. Und Ringkernspeicher.

Gerade habe ich irgendwo in den vielen Dokumentationen über die Raumfahrt (ich bin nicht mehr sicher wo, womöglich in der dreiteiligen Doku über die Eroberung des Mondes auf Arte) auch etwas über den Bordrechner der Apollo-Kapsel gesehen, mit dem die damals ihre Navigation berechnet haben. Wunderwerk der Technik. So um 1974 hatte ich dann meinen ersten elektronischen Taschenrechner (so ein weißer im 2001-Design von MBO), der aber schon Sinus, Cosinus und Tangens konnte, aber merklich lange dafür brauchte, ich glaube, es waren jeweils so zwei oder drei Sekunden. Ich wollte erst mal herausfinden, was das ist, habe es dann in einem Mathematiklexikon nachgelesen, und als Drittklässler den Mathelehrer geschockt, als ich ihm den Taschenrechner gezeigt und Sinus und Cosinus erklärt habe. Im Prinzip auch nichts anderes als die zivile Fortsetzung der Mondlandungsrechentechnik. Auch so um 1975 oder 1976 herum hatte ich meinen ersten Kontakt mit größerer IT, nämlich einen Asint Scribona Schreibautomaten, mit dem ich mich dann ziemlich schnell top auskannte, im Prinzip eine große, elektrische IBM Schreibmaschine, dazu ein höllenschwerer riesiger Koffer mit dicken Kabeln, im dem der Ringkernspeicher und die Steuerungselektronik untergebracht war, und ein Kassettenlaufwerk zum Abspeichern und wieder einlesen. Das Ding konnte Texte, die man auf der Tastatur schrieb, in den Speicher ablegen und dann beliebig oft neu tippen. Ich habe mir damals ein Taschengeld verdient, indem ich für jemanden dessen ca. 100 Einladungsschreiben für eine Praxiseröffnung damit geschrieben habe, immer mit persönlicher Adresse und Ansprache und dann dem immer selben Text. Und weil man von der Kugelkopfschreibmaschine fühlen konnte, dass das nicht gedruckt, sondern individuell in das Papier gehämmert war, fühlten die sich alle geehrt und gebauchpinselt, dass sich jemand die Mühe macht, ihnen ihr eigenes Einladungsschreiben zu schreiben.

Kurz darauf habe ich einen Lehrer damit genarrt. Ich hatte mir für altersgemäß ungehöriges Betragen eine Strafarbeit eingefangen, ich sollte ein Gedicht viermal abschreiben, darauf eine freche Antwort gegeben und so sofort die Erhöhung auf acht bekommen. Eine Woche hätte ich Zeit. Schon am nächsten Tag habe ich ihm dann sechszehn davon hingelegt, und gesagt, es hätte mir gerade so Spaß gemacht, da hätte ich einfach weitergemacht, und natürlich, soll ja auch gut aussehen, mit Schreibmaschine. Hatte oben noch “Strafarbeit für Herrn …” und das Datum drübergeschrieben, damit man sieht, dass das nicht irgendein Druck war, das dann noch auf kariertes Ringbuchpapier, damit es glaubwürdig aussieht, und den Text nicht in einem Stück, sondern in vier einzelnen Teilen abgespeichert, um da und dort mal noch einen Schreibfehler oder anderen Zeilenumbruch einzubauen, damit die nicht alle gleich aussehen. Der Lehrer war fassungslos, die Klasse gluckste. Er sagte dann, er würde das akzeptieren, wenn ich ihm verriete, wie ich das angestellt hätte, denn das wollte der mir nicht glauben, dass ich das gemacht hätte. Er war sich sicher, ich hätte eine ältere Schwester, die Maschinenschreiben konnte und mir das gemacht hätte. Nee, ich habe keine ältere Schwester, und nun wollte der unbedingt wissen, wie ich das gemacht hätte. Also habe ich ihm gesagt, dass wir zuhause so eine große Computerschreibmaschine hatten (wohlgemerkt zu einer Zeit, in der man Computer nur als riesige Rechenzentren mit riesigen Bandspulen und Konsolen aus Science-Fiction-Filmen kannte und die noch zig Millionen kosteten), ich das einfach in den Hauptspeicher eingefüttert und dann wieder abgerufen hätte. Ich hätte ihm genauso erzählen können, ich wäre gerade auf dem Mond gewesen. Der hielt das für die größte aller Lügengeschichten, wollte sich aber auch nicht auf Glatteis begeben und sich blamieren, konnte das überhaupt nicht einschätzen, und sprach nie wieder darüber. Ein anderer Lehrer sagte mir später mal, das ganze Lehrerzimmer hätte dann um die Strafaufgabe rotiert und diskutiert, ob das denn irgendwie hätte sein können. Danach bekam ich nie wieder eine Strafaufgabe.

Ein Leser schickte mir nun einen Link auf diesen wunderbaren Film, in dem sie so einen Originalrechner von damals, den sie irgendwo ausfindig gemacht haben, nach 50 Jahren wieder in Betrieb nehmen. Der 16-Bit Hauptspeicher sei bei Bit 15 defekt gewesen, aber weil der Speicher ohnehin nur 15 Nutzbit hatte und das Bit 16 als Paritätsbit diente, haben sie das einfach umverdrahtet und Bit 15 durch Bit 16 ersetzt.

Und: das Ding funktioniert nach 50 Jahren noch.

Der Brüller daran: Sie hatten zwar die Software nicht mehr, sie dann aber im Ringkernspeicher gefunden, im dem sie – weit über die spezifierte Haltedauer hinaus – noch immer gespeichert war.

Wisst Ihr, woran mich das erinnert hat?

Raumschiff Enterprise.

Es gibt eine Folge in „Next Generation”, in der sie auf irgendeinem toten Planeten das abgestürzte Wrack einer uralten Raumfähre finden, die da seit 150 Jahren oder sowas als Wrack rumliegt. Aus reiner Neugierde und Spaß an der historischen Technik untersuchen sie sie und nehmen die alten Computer in Betrieb und finden zu ihrer Verblüffung heraus, dass da noch etwas im Speicher des Transporters liegt, jemand also den Transporter zwischen Auflösung und Wiedermaterialisierung einer Person durch einen Feedbackschleife eingefroren hat. Sie kommen darauf, dass sie den Speicherinhalt wieder materialisieren könnten, indem sie da irgendwas umverdrahten und die Inhalte wieder in einen Transporter einspeisen.

Tatsächlich erscheint eine lebende Person, und es ist: Kein Geringerer als Lt. Commander Montgomery Scott (Scotty) höchstpersönlich, der in der abgestürzten Fähre saß, keine Überlebenschance mehr hatte, aber auf die geniale Idee kam, sich im Puffer des Transporters zu speichern, um irgendwann wieder zum Leben erweckt zu werden, aber nicht gedacht hätte, dass es so lange dauert.

Weil natürlich nur ein dramaturgischer Kniff, mit dem man den Schauspielern der alten Enterprise-Serie einen Cameo-Auftritt (in der ersten Folge kam auch der ur-ur-ur-alte Pille mal vorbei) in der neuen Serie ermöglichte, die ja viel später spielt. Endet damit, dass Jean-Luc Picard mit Scotty auf dem Holodeck in der Simulation der alten Enterprise-Brücke (1704 and no bloody IV…) sitzt und sie zusammen einen saufen.

An diese Folge musste ich denken, als sie da irgendwo die alte Apollo-Technik ausgebuddelt haben, die nach 50 Jahren wieder in Betrieb nehmen und darin unerwartet im Hauptspeicher die alte Software finden, die noch läuft und die sie auf Computer unserer Zeit übertragen.