Ansichten eines Informatikers

Die Kunst, einen Stift zu halten

Hadmut
26.4.2018 23:20

Über den Niedergang der Menschheit.

Ich hatte es gerade davon, dass in England in den Schulen Analog- durch Digitaluhren ersetzt werden, weil selbst die ältesten Schüler nicht mehr die Uhr lesen können und der Anblick einer Uhr sie verunsichert und in Prüfungen unter Stress setzt. (Normalerweise hätte ich ja erwartet, dass einen die Uhr in der Prüfung gerade dann unter Stress setzt, wenn man sie lesen kann. Naja.)

Danach hatte mir jemand geschrieben, dass ihm jemand, der Schuhe verkauft, sagte, dass viele Leute heute nicht mehr Schuhe zubinden können.

Der britische Guardian schreibt nun, dass Kinder zunehmend nicht mehr in der Lage sind, einen Stift in Schreibhaltung zu halten, weil sie immer mehr mit Digitalkram und immer weniger mit Papier und Stift zu tun haben.

Und was mir selbst bisher gar nicht so aufgefallen war: Man kann das anscheinend nicht von Natur aus, sondern muss schon vorher üben um Muskulatur und Koordination zu trainieren. Es war mir bisher nicht bewusst, dass man zum Schreiben extra eine Schreibmuskulatur aufbauen muss, die man nicht von Natur aus hat.

Children are increasingly finding it hard to hold pens and pencils because of an excessive use of technology, senior paediatric doctors have warned.

An overuse of touchscreen phones and tablets is preventing children’s finger muscles from developing sufficiently to enable them to hold a pencil correctly, they say.

“Children are not coming into school with the hand strength and dexterity they had 10 years ago,” said Sally Payne, the head paediatric occupational therapist at the Heart of England foundation NHS Trust. “Children coming into school are being given a pencil but are increasingly not be able to hold it because they don’t have the fundamental movement skills.

“To be able to grip a pencil and move it, you need strong control of the fine muscles in your fingers,. Children need lots of opportunity to develop those skills.”

Naja, nun, Malen mit Wachsmalstiften, Wasserfarben und sowas gab es bei uns im Kindergarten schon, und ich kann mich erinnern, dass wir damals noch auf großlinierten Schulheften (diese Sonderlinienmuster für Grundschüler mit den vier Linien für die Kernbuchstaben und die Ober- und Unterbögen) übten, kurz darauf aber solche riesigen Übungshefte in Zeichenblockgröße in Mode kamen, auf denen man mit Wachsmalstiften Auf- und Abwärtskringel, Bögen und Haken übte, aus denen dann die Buchstaben zusammengesetzt wurden. Groß anfangen und dann immer kleiner werden. Fand ich damals schon komisch, weil wir gleich im ersten Schuljahr mit Füller anfingen. (Spaltete die Klasse übrigens tribalistisch in zwei unauflösbare Parteien: Die mit Geha-, und die mit Pelikan-Füller. Ich hatte natürlich einen Geha. Allerdings habe ich nach der Mittelstufe kaum noch und nach dem Abi nie wieder mit Füllhalter geschrieben, dafür exzessiv viel und lange, vor allem an der Uni, mit Druckbleibstiften mit 0,5mm Mine, allerdings unter größter Abneigung gegen die Standard-Minen HB, stets nur mit B. Heute bevorzugt Tintenroller.)

Allerdings muss ich jetzt zugeben, dass ich in letzter Zeit und wenn ich unterwegs bin, Notizen auch nur noch selten auf Papier schreibe, sondern ins Handy diktiere und der Texterkennung übereignen, weil ich dazu die Brille nicht rausholen muss und das einhändig und auch im Gehen funktioniert. In der Tat wird es weniger, was ich noch mit der Hand schreibe. (Und es wird auch weniger, was ich davon später wieder lesen kann.) Aber schreiben kann ich schon.

Das Verlernen der Handschrift ist freilich kritisch. Handschrift ist technologisch praktisch immer irgendwie zu bewerkstelligen und Handschriften findet man auch 500 oder 1000 oder auch 2000 Jahre später noch. Waren die Qumran-Rollen nicht Handschriften? Keilschrift und so weiter ist ja im Prinzip auch Handschrift.

Das ganze Computergewische ist schon in 10 Jahren nicht mehr auf dem Stand der Technik und von irgendwas überholt. Und archäologisch nicht mehr zu erfassen.

Das wird nicht mehr lange dauern und es geht für die Bevölkerungsmehrheit nur noch über Spracherkennung und Video. Im Prinzip sind wir dann wieder beim Stand des Mittelalters, als nur ganz wenige Leute (Wissenschaftler, Kirchenleute) lesen und schreiben und ihre Spezialsprache Latein konnten.

Und über den derzeitigen Import von Analphabeten laufen wir auch enorm Gefahr, dass Analphabetismus zum als normal angesehenen Zustand wird. Ich war vor 2 Jahren auf einer Tour durch Südafrika und habe mich mit dem afrikanischen Reiseleiter über alles mögliche unterhalten. Deren Analphabetenquote ist inzwischen deutlich niedriger als unsere. Kann sich aber auch wieder ändern, wir hatten das ja mal, dass die Frauen an der Uni dort weg von Wissenschaft und wieder hin zur Zauberei wollen.