Ansichten eines Informatikers

Naddel

Hadmut
1.8.2017 0:45

Über die seltsame Rang- und Werteordnung von Menschen.

Ich bin gerade bei der Presseschau über einen der unzähligen Berichte über Nadja „Naddel“ Abd el Farrag gestolpert, über deren Drogen, Alkohol und Gesicht sich die Presse ja gerne das Maul zerreißt.

Mir ging da so eine Begebenheit durch den Kopf, ich bin der mal für zwei Sekunden begegnet.

Damals, so um 2000 und 2001, als die Dotcom-Blase noch brodelte und die Internet-Firmen noch richtig Geld verbrennen konnten, haben wir in der Firma, in der ich damals war, eine Veranstaltungsreihe namens „Speed Summit“ abgehalten: Stammkunden wurden zu irgendwelchen Sport-Veranstaltungen eingeladen, die irgendwas mit Geschwindigkeit zu tun hatten, dazu lecker essen, und natürlich Vorträge von uns über unsere wahnsinnig schnellen Internet-Anbindungen, Firewalls und so weiter.

Ich war von der Security-Abteilung deshalb zwar nicht bei allen, aber ziemlich häufig und von allen am meisten dabei und kann mich noch an Rennboot, Pferderennen, Formel 1, Eishockey erinnern, es waren aber noch mehr. Immer die große Nummer mit dickem Catering, schönen Veranstaltungssälen. Immer irgendwelche Fahrer oder Spieler als Referenten mit dabei (und natürlich dick bezahlt), die man fragen und sich das erläutern konnte, beim Pferderennen natürlich Gutscheine um Wetten abzuschließen (ich hab nix gewonnen).

War alles über ganz Deutschland verteilt, nur die Formel 1 bei uns vor der Haustür (damals noch in Karlsruhe), nämlich am Hockenheimring. Dabei fand ich die Sportart Formel 1 aber von allen am dämlichsten, denn außer enormem Menschenmengenchaos und – trotz Ohrenstöpsel – schmerzhaft laut vorbeipfeifenden Autos gab’s da nichts.

Umso lustiger den Weg zur Veranstaltung an sich, wir sind nämlich mit vier oder fünf verspiegelten Stretchlimousinen (unglaublich prollig und innen im Stil eines Bordells eingerichtet) von Karlsruhe nach Hockenheim gefahren, und während das normale Fußvolk vom weit entfernten Parkplatz anpilgern musste, wurden wir direkt am Hauptgebäude rausgelassen. Da, wo all die Promis aussteigen. Als wir da ankamen, standen sofort jede Menge Pressefotografen da, die Kamera auf uns gerichtet, weil sie dachten, da steigt jetzt irgendeine Super-Promi aus. Ich hatte damals wegen der Sonne zu Anzug und Krawatte meinen Hut aus Australien auf und saß an der Tür im ersten Wagen, stieg also als erster aus. Da ging mir gerade irgendeine Filmszene durch den Kopf, ich weiß nicht mehr, ob es Indiana Jones oder James Bond war, die irgendwo raussteigen und einen blöden Kommentar ablassen, jedenfalls stieg ich mit dem Hut breitbeinig aus, und – wie ein Filmstar – alle Fotoobjektive auf mich gerichtet, guckte mich grinsend um und winkte, wie Filmstars das so machen, und es kam – kein Blitzlichtgewitter, nur Gesichtsausdrücke wie „Wer soll’n das sein?“. Und ich plärrte laut in total misslungenem Kaugummi-Texanisch ins Auto zurück „Oh, I think we’re in Germany!“ Die Fotografen fassungslos, haben ihre Kamera vor Schreck sinken lassen, zwei Sekunden Schockstarre und sich dann mit extrem angewidertem Gesichtsausdruck (Gesichtsausdruck: „Was für ein Depp…“) weggedreht. Unsere Kunden wollten nämlich auch keine Fotografen.

Abends standen die Limous allerdings auf dem normalen Parkplatz und wir mussten mit dem gewöhnlichen Volk da hinmarschieren, die Limous aber von einer Menschenmenge umringt, alle mit irgendwelchen Kameras, die entweder die Stretchlimous selbst fotografierten oder darauf warteten, den zu fotografieren, wer auch immer da einstieg. Als ich die Leute (ganz normal und freundlich) bat, ob sie uns mal durchlassen könnten, wurden die fuchtig und wild, sie hätten zuerst angestanden und länger gewartet, und wir dürften uns nicht vordrängeln, sie hätten das Recht hier zu fotografieren. Es hat einige Mühe gekostet, den Leuten klarzumachen, dass wir nicht fotografieren, sondern einsteigen wollen, was die uns nicht mal glaubten. Völlig fassungslos.

Anders aber drinnen. Wir hatten da Räumlichkeiten gemietet, von denen man auch auf die Strecke gucken konnte, aber schallgeschützt und mit tollem Essen und allem pi, pa, po. VIP-mäßig. Hat unglaublich viel gekostet. Um dann dort zum Ärger unserer Marketing-Abteilung zu erfahren, dass wir den Bereich vorraussichtlich nicht alleine haben könnten, sondern da noch eine zweite Gruppe reinmüsste. Das gab schon Zankerei, weil das so nicht gebucht war, aber man will ja vor den Kunden keinen Krach, Streit und Organisationsfehler zeigen, also taten wir so, als wäre das so geplant. Zumal sie uns einen großen Promi versprachen.

Irgendwann ging das dann los und man demonstrierte uns so richtig, dass wir von einem Moment auf den anderen unwichtig wären und zur Seite zu gehen hätte, weil der Promi mit Gefolge erwartet werde. Wir haben schon überlegt, ob da irgendein amerikanischer Popstar vorbeikommt, aber es kam: Naddel. Die Ex von Bohlen, Sex-Moderatorin.

Wie, das ist alles?

Trotzdem haben die da dort jedem zu spüren gegeben, dass man still zu sein und aus dem Weg zu gehen habe, weil jetzt jemand wichtiges käme. Und dann die. Rauschte mal kurz vorbei uns das war’s.

Fanden wir damals eine ziemliche Unverschämtheit. Aber man kann ja nichts sagen in Anwesenheit der Kunden.

Umso kurioser, wenn man liest, dass da außer Absturz, Pleite und Leberzirrhose wohl auch nicht mehr viel kam.

Wer halt alles als Promi verkauft wird. Komische Rang- und Werteordnung.