Ansichten eines Informatikers

Kontroversen zur Herrenoberbekleidung

Hadmut
23.6.2017 18:33

Es scheint, als wären nicht alle Leser mit meinem Standpunkt zur Herrenoberbekleidung bei hohen Temperaturen einverstanden.

Zunächst kam ein ergänzender Hinweis darauf, dass auch französische Busfahrer dem Beispiel folgen und im Rock protestieren (hier und hier).

Gar nicht einverstanden mit meinen Ausführungen war ein Leser, der namentlich nicht in Erscheinung treten wollte:

Du hast doch echt einen Schlag an der Batterie. Dann lauf halt im Röckchen rum wenn dich das so anmacht!

Ob das bei Dir so gut aussieht wie bei den Mädels wage ich allerdings zu bezweifeln

Derzeit wenig geneigter Leser

Anmerkungen meinerseits:

  • Klassischer Sexismus, festgefahren in kulturellen Stereotypen und verhärteteten Geschlechterrollen. Ts,ts, ts, da hat einer seine Gender Studies nicht gelernt.
  • Es macht mich nicht an, und es interessiert mich auch nicht, wie es aussieht, es geht um thermische Erwägungen.
  • Bei Frauen sind Röcke und Kleider ja auch nicht auf die beschränkt, bei denen es gut aussieht, die hässlichen Frauen dürfen das ja auch. Dann müssen das auch hässliche Männer dürfen.
  • Ich brauche das aber nicht, denn ich habe einen Job, in dem ich im Sommer kurze Hosen tragen kann. Ich hatte allerdings auch schon andere Jobs. Ich habe mal in einer Rechtsabteilung gesessen, die waren da ganz gruselig drauf. Da wäre ich vermutlich abgemahnt worden.
  • Was übrigens ein interessanter Punkt ist, denn auch Compliance gehört zu meinem Tätigkeitsportfolio. Insofern würde ich da im Falle von Kleidervorschriften durchaus mit Hinweis auf das AGG intervenieren und mahnen, wenn Männer lange Hosen tragen müssen und Frauen nicht.
  • Generell sollte man auch die Frage nicht unberücksichtigt lassen, ob man in der jeweiligen Branche einen Arbeitgeber- oder Arbeitnehmer-Markt hat. Stichwort Fachkräftemangel. (Und ja, mit Blick auf die Rechtsabteilung, in der ich mal war: Bei Juristen gibt es keinen Fachkräftemangel, deshalb tragen die auch im Hochsommer lang.)

Kommen wir aber zu ernsthafteren Kriterien, betrachten wir modischen Erfordernisse. Ein anderer Leser schrieb mir:

Es gibt xy Maenner und es gibt Herren. Ein Herr ist passend gekleidet. Auf Boot, Platz, Strasse oder am Arbeitsplatz.

Wenn Sie in der Sonne sind, schuetzen zwei oder drei Lagen gut vor Einstrahlung, Hitze.

Herr/Hipster traegt auch Hut. Hut hilft viel.

Dem wage ich zu widersprechen und rolle den Hinweis von hinten auf. Tatsächlich schützt ein Hut sehr gut, drum trage ich ja auf Urlaubsreisen stets Hut (und verfüge inzwischen über eine umfangreiche Sammlung). Aber: Der Hut nutzt nur draußen und bei Sonneneinstrahlung etwas, im Büro nutzt er gar nichts. Außerdem nimmt der Herr den Hut bei Betreten eines Gebäudes stets ab. Hut im Gebäude tragen – von religiösen Gründen mal abgesehen – nur abgetakelte Schauspieler und Musiker, die nicht zugeben wollen, dass die Haare knapp werden.

Zwei oder drei Lagen Kleidung schützen in gewisser Weise vor Sonne, aber nicht vor Hitze. Insbesondere dann nicht, wenn sie eng anliegen. Hitzeschützende Kleidung ist luftig, locker. Ich verfüge über ausreichende Ausstattung in dieser Hinsicht, alldieweil ich ja schon durchaus manche heiße Gegend (Australien, Afrika) bereist habe. Tatsächlich ist es ratsam, bei starker Sonne lange Kleidung zu tragen. Nur: Das heißt ja nicht, dass jede beliebige lange Kleidung das tut, ein Anzug macht das gar nicht. Und ein Bürohemd oder eine Krawatte machen das auch nicht. Wer als Arbeitgeber kurze Hosen nicht duldet, der würde auch nicht akzeptieren, wenn einer im Kakhi-Hemd wie Indiana Jones daherkommt. Es stimmt auch nicht, dass das dann noch gut aussieht. Denn auch da muss der Schweiß raus, und solche Kleidung hat im Nu jede Menge Schweißränder und ist durchgeschwitzt-naß (und bei mir in kürzester Zeit auch deutlich sichtbare Salzränder – in klassischen Wüsten wird das akzeptiert, in Büros nicht). Es wäre etwas seltsam, wenn man wie ein Beduine am Arbeitsplatz auftaucht. Auch das Kamel, auf dem man anreitet, würde nicht gerne gesehen. Nur weil Beduinen sich mit Stoff vor Sonne schützen, heißt das eben nicht, dass ein Business-Anzug auch schützen würde. Davon abgesehen hat der Leser den Unterschied zwischen Sonne und Hitze nicht verstanden. Stoffe schützen vor Sonnenstrahlen. Verdunstung und Belüftung behindern sie aber.

Richtig ist, dass ein Gentleman angemessen gekleidet ist. Und das heißt eben gerade nicht, dass er immer gleich herumläuft und immer Anzug trägt. Ein Gentleman muss nämlich keineswegs immer gleich aussehen (dann ist er nämlich keiner), sondern hat vor allem sein Benehmen im Griff, und dazu gehört, seine Umgebung nicht durch Schweiß, verschwitztes Aussehen, Gerüche, Schweißränder, feuchte Stirn, Keuchen usw. zu belästigen. Im Gegenteil ist ein Gentleman so gekleidet, dass das nicht auftritt.

In diesem Zusammenhang sollte man einen Blick auf die klassischen britischen Tropenuniformen der Kolonialzeit werfen. Die trugen nämlich nicht nur einen Tropenhelm, sondern aus genau diesen Gründen kurze Hosen. Es gibt eine ganze Menge hitzeerprobter Gegenden, in denen Gentlemen unterwegs sind, und in denen kurze Hosen selbstverständlich sind, weshalb auch viele Offiziersuniformen dort die kurze Hose kennen. Auch im arabischen wüstenerprobten Raum ist dieses klassische, unten offene lange weiße Männerhemd (mir fällt gerade der Name nicht ein) ohne Hose nicht nur üblich und akzeptiert, sondern so akzeptiert, dass vom obdachlosen Straßenbettler bis zum König alle darin herumlaufen. Warum gibt es eigentlich einen Konsens, dass – auch westliche – Frauen in islamischer Verhüllung herumlaufen, aber keinen, dass auch Männer im unten offenen arabischen Hemd herumlaufen?

Man sollte aber noch einen ganz anderen Punkt berücksichtigen:

Unsere Kultur der Businesskleidung beruht zentral auf der Klimatisierung von Räumen – und damit auf Energieverschwendung. Man sollte sich mal überlegen, ob das – gerade in Zeiten teuren Stroms und der Diskussion um eine Klimaerwärmung – überlegen, ob der Modeschwachsinn des Businessanzugs überhaupt noch zeitgemäß ist und ob es nicht ratsamer wäre, luftigere angenehmere Kleidung zu akzeptieren und dafür die Klimatisierung zu reduzieren. Nach Fukushima war in Japan der Strom knapp, und manche Firmen haben mit ihren Angestellten vereinbart, dass weniger klimatisiert wird und die Angestellten dafür in lockererer Kleidung kommen. Und wenn das sogar in Japan geht…