Ansichten eines Informatikers

Larissa ist Single

Hadmut
17.12.2016 13:34

Da habt Ihr den Salat.

Bedenkt, worum Ihr bittet. Es könnte Euch gewährt werden.

Auf SPIEGEL Online jammert ne 28-jährige (Puuuh, 28. Das ist für Frauen ja schon das Alter, wo man anfängt, sie in den Fotomodell-Karteien auszusortieren, HarHar… da müsste man schon was zu bieten haben), dass sie keinen Typen mehr findet.

Also stöckelt sie in Clubs, tindert und fragt ihre hübschen Freundinnen um Rat. Das Fazit: Alle wollen einen Partner, doch keiner tut ernsthaft etwas dafür.

Tja. In Club stöckeln und „tindern”. Und dann wundern, wenn’s nichts wird.

Danach studierte sie Lehramt für Deutsch und Politische Bildung an Gymnasien, seit August 2016 ist sie im Referendariat. Über ihren Studienspaß und -frust hat sie ein E-Book im Eigenverlag verfasst: “5 Jahre Bastelstunde: Was man in der Uni lernt – oder eben auch nicht…”.

*Grunz!*

Als ich jedoch nach einigen Wochen aus meinem Schneckenhaus der Trauer krieche, ist der nächste Schreck umso größer: Ich hatte ja keine Ahnung, wie furchtbar anstrengend das Leben als Single geworden ist. Die wahre Liebe begegnet einem zufällig und im analogen Leben, dachte ich immer. Da werden Blicke ausgetauscht, man kommt sich langsam und mit angemessener Schüchternheit näher und schließlich keimt die erste zarte Knospe der Liebe auf. Ha! Von wegen! Willkommen im Jahr 2016!

Tja. So war das früher mal. Aber wir haben ja den Feminismus. Da geht sowas nicht mehr.

Eine Frau angucken? Ihr näher kommen? Auf welchem Planeten lebt die? Oder besser: In welcher Steinzeit? 20. Jahrhundert?

Ich frage die auffallend hübsche Mädels-Clique meiner Single-Freundin Cora, die gern über Clubs, Männer und Tinder reden, ob sie denn nicht auch häufig einfach so jemanden kennenlernen würden. Alle verneinen. “Ich wurde ewig nicht mehr auf offener Straße angesprochen”, sagt Cora. “Ich glaube, seitdem es Tinder und die ganzen anderen Apps gibt, haben es die Männer einfach nicht mehr nötig, ihren Mut zusammenzunehmen und Frauen direkt anzusprechen. Die sitzen in der Bahn und tindern, auch wenn ihnen eine coole Frau direkt gegenübersitzt.” Die anderen nicken.

Was heißt hier, nicht mehr nötig, ihren Mut zusammenzunehmen?

Für sowas kann man heute in den Knast gehen oder seinen Job verlieren. Das muss vorher schriftlich vereinbart werden, ob es zu Blickkontakt, Gespräch, gar Berührung kommen soll. (Eigentlich notariell beglaubigt.) Insofern ist Tinder zumindest mal ein Ansatz, das ganze auf die politische gewollte Opt-In-Basis zu stellen. Wie beim Mail-Newsletter. Da muss man auch erst auf „Bestätigen” klicken, sonst bekommt der Absender juristischen Ärger.

Allerdings vernehme ich da auch eine gewisse Diskrepanz. Tolle Männer wollen sie alle. Reiche Männer. Angesehene Männer. Treiben sich dann aber auf Tinder und in Clubs rum. Das ist ungefähr so, als würde man statt in den Supermarkt auf die Müllkippe gehen und sich dann beschweren, dass das Haltbarkeitsdatum der vorgefundenen Lebensmittel abgelaufen ist. Tinder. Als ob man sich selbst in der Fickbörse für Restposten anpreist. Sex für über 28-Jährige.

Und ich ziehe mit der Mädels-Clique los. In dem Club gucken viele vor allem nach unten, auf ihr Smartphone. Ich schaue einigen über die Schulter: Tinder. Ich bin gerade auf der Tanzfläche, als Jana zu mir kommt: “Ey, der Typ steht auf dich!” “Welcher Typ?” “Der direkt hinter dir.”

Ich drehe mich unauffällig um und sehe einen Endzwanziger in Skinny-Jeans und mit Hipster-Zöpfchen. Er nickt im Takt der Musik mit dem Kopf und guckt mit angeödeter Miene umher. “Wie kommst du denn darauf?”, frage ich sie. “Der tanzt schon die ganze Zeit direkt hinter dir, auch als du noch am anderen Ende der Tanzfläche warst”, sagt Jana. Aha, Ansprechen ist also wirklich out.

Klar. Natürlich ist Ansprechen out. Da kommt dann in den meisten Fällen die Polizei. Oder man wird beim Arbeitgeber angeschwärzt.

Erstaunt und etwas enttäuscht stelle ich fest, dass die meisten Männer auf ihren Tinder-Profilen nur zwei Dinge angeben: Ihre Körpergröße und ihren Beruf – sofern dieser mit Prestige verbunden ist. Ein Foto im OP-Kittel, darunter die Info “Arzt, 193cm”. Von den fünf Fotos, die man auf seinem Profil hochladen kann, ist zudem mindestens eines dabei, das zeigt, wie Mann vor einem vollen Teller Essen sitzt und ein weiteres dokumentiert, wie (oder dass?) der Mann sich die Zähne putzt und ein Selfie davon macht.

Das sind ja auch die wesentlichen Informationen, die Frauen an Männern wichtig finden. a) Ist er groß genug. b) Hat er genug Kohle und gesellschaftlichen Stand.

Habt Ihr Euch mal durch solche Partnerbörsen gelesen?

  • Frauen beschreiben sich nicht selbst. Irgendein affiges Selfie, notfalls vor dem Badezimmer- oder Disco-Klo-Spiegel oder in der U-Bahn muss reichen. Sie beschreiben, was sie wollen, was sie suchen. Er muss so und so groß sein, höchstens so alt, nicht dick, darf keine Haare an dieser oder jener Körperstelle haben, und so fort.

    Oh, natürlich, sie glauben, sie würden sich selbst beschreiben. Tatsächlich liefern sie aber nur Bedienungsanleitungen, wie sie betüddelt werden wollen. „Ich mag indisches und italienisches Essen.” Heißt: Ich suche einen Mann, der mich zum Inder oder Italiener ausführt. Es sagt nichts darüber, was der Mann sich dabei ans Knie nagelt, wenn er sich drauf einlässt. Oder „Ich gehe gerne jeden Abend aus” oder „Stehe auf Männer mit Humor”. Heißt: Ich brauche einen Alleinunterhalter und Animateur, der mich pausenlos betüddelt.

    Mit etwas Glück erfährt man gerade mal die Körbchengröße.

  • Männer sind da komplementär.

    Männer schreiben nicht, was sie suchen. Sie beschreiben sich selbst. Natürlich mit endlos langen Ketten von (in der Regel maßlos übertriebenen oder frei erfundenen) Eigenlob-Hudeleien, nicht unter drei Zeilen.

Der Punkt ist, dass es dann abläuft wie bei der Jobsuche mit einer zwischengeschalteten Personalagentur. Der Arbeitgeber (=Frau) hat eine Liste von Stichworten, die abgehakt werden muss. Wer da nicht passt, fällt durch’s Raster und bekommt nicht mal eine Einladung zum Bewerbungsgespräch. Der Arbeiter (=Mann) muss sich so darstellen, dass möglichst alle angefragten Eigenschaften abgehakt werden, sonst landet er gleich in der Tonne. Drum bloß nichts unpassendes schreiben, die wichtigsten Eigenschaften bei Frauen sind eben groß und Geld.

Ist Euch an dem Gejammer übrigens mal was aufgefallen?

Sie beschweren sich, dass Männer nur Tindern und nicht mehr „ansprechen”. Und was machen sie selbst? Tindern und stellen sich als „Ansprechziel” auf, aber selbst mal jemanden anzusprechen kommt in diesem Jammertext nun auch nicht vor.

Nach längerem Herumgewische erwarte ich nun einen netten Nachrichtenaustausch, der bei gegenseitiger Sympathie vielleicht eine Verabredung zur Folge hat. Stattdessen muss ich erstmal mein Profil überarbeiten: “Nicht interessiert an One Night Stands!” Was ist denn bloß los mit den Leuten? Funktioniert diese Masche etwa? Gibt es Frauen, die auf die erste Frage “Willste Sex?” mit Ja antworten?

Ja. Gibt’s genug. Gibt sogar welche, die von vornherein nur Sex wollen. Das ist der Markt.

Ich meine, wie doof muss man sein, wenn man sich auf Tinder fokussiert und sich dann wundert, wenn es da um den schnellen Rumms geht? Also ob man sich wundert, dass es auf dem Fischmarkt nach Fisch riecht.

Bei anderen tippe ich fleißig, überlege mir witzige Antworten und stelle Fragen. Doch dann: endeten Unterhaltungen einfach so. Nach stundenlangem Hin- und Herschreiben kommt keine Nachricht mehr zurück. Zudem werde ich ständig gefragt, in welchem Bezirk ich wohne – und zwar offenbar nicht aus Neugierde, sondern aus Bequemlichkeit: Ist mein Wohnort mehr als fünf Kilometer entfernt, haben viele schon gar keine Lust mehr weiterzuschreiben.

Angebot und Nachfrage.

Willkommen übrigens im Zeitalter der Selbstoptimierung.

Nachdem ich dann noch Berichte höre von Tinder-Dates, die sich als irre Stalker herausstellen, die eigentlich schon in einer festen Beziehung sind und zwecks sexueller Experimente eine “Dritte im Bunde” suchen, die sich nach mehreren grandiosen Dates plötzlich nicht mehr melden oder die erst gar nicht zum vereinbarten Treffen erscheinen, entscheide ich: Bei Tinder schaue ich höchstens noch rein, wenn der Zug Verspätung hat und ich bei Facebook und SPIEGEL ONLINE alles gelesen habe, was mich auch nur im Entferntesten interessieren könnte. […]

Mein Fazit: In vielen Jahren wird man meine Leiche in meiner kleinen Single-Wohnung finden, weil die Nachbarn im Hausflur einen strengen Geruch vernommen und die Polizei alarmiert haben. Tröstlich daran ist einzig die Gewissheit: Ich werde mit diesem Schicksal bei Weitem nicht alleine sein.

Wir halten fest: Aus Sicht dieser prototypischen 28-Jährigen jenseits der „natürliche-Schönheit-Grenze” gibt es nur noch die Alternative zwischen der vergeblichen Rammler-Suche auf Tinder und der Mumifizierung in der eigenen Single-Wohnung.

Halten wir weiterhin fest: Frauen jammern. Männer eigentlich nicht. Männer haben sich so angepasst, dass Bedürfnisse und Marktlage zusammenpassen, den One-Night-Stand bekommt man immer. Frauen ab 30 machen dann sowieso alles. Mehr braucht man eigentlich nicht, ist auch billiger und stressfreier so.

Und halten wir obendrein fest: Das Gejammer partnersuchender Frauen, über das ich ja schon oft geschrieben habe, bezieht sich immer auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die der Feminismus hervorgebracht hat. Das war früher wirklich mal so, dass Männer Frauen angesprochen haben. Also so direkt und persönlich und biologisch und so. So dass man die Leute auch gleich „riechen” und hören und in ihrer Bewegung sehen konnte. So sind wir nämlich eigentlich programmiert: Das in den ersten Sekunden sofort zu bewerten, Romantiker nannten das „Liebe auf den ersten Blick”.

Heute ist Frau „selbstbestimmt” und wundert sich darüber, dass sie nicht mehr angequatscht wird, sondern sich Männer aus dem Katalog aussuchen soll.

Wie ich schon so oft schrieb: Die angeblich so feministische sexuelle Revolution, die man konstruiert hat, kommt im wesentlichen den Männern zugute.

Und häufig erinnern mich die Situation und gesellschaftliche Entwicklung verteufelt an die Sache mit den Autos: Ich habe ein inzwischen älteres Auto im Keller stehen, das trotz mühsamer Pflege doch langsam in die Jahre kommt und bei Unterhalt und Reparaturen immer teuerer wird. Eigentlich brauche ich es kaum noch, und nutze es nur noch selten, aber es loszuwerden wäre auch mit finanziellen Verlusten verbunden. Gleichzeitig stehen hier überall frische junge Mietflitzer herum, die ich mir per Handy anklicken kann, um deren Unterhalt ich mich nicht im Geringsten kümmern muss, und die ich nur dann, wenn ich sie wirklich brauche, kurz anmieten und dann einfach wieder irgendwo abstellen kann, der Nächste nimmt sie dann. Nennt sich „Car 2 go”. Ist für die Nutzer von Vorteil. Mein inzwischen altes Auto sieht dagegen – naja – alt aus. Die meisten meiner – jüngeren – Kollegen haben gar kein eigenes Auto mehr. Fragen auch immer wieder, was der Unsinn soll, sich noch dauerhaft so einen Kostenverursacher in den Keller zu stellen. Viele nutzen gar kein Auto mehr, und wenn doch, dann eben nach Bedarf.

Oder mal anders gesagt: Sich anzumalen und in den Club zu stöckeln ist halt auch nicht gerade eine Positionierung in Markt und Wettbewerb. Wir sind halt auch nicht mehr im Zeitalter des Opel Manta.

Apropos Auto: Die müssen heute zur Abgasuntersuchung und bekommen farbige Plaketten, die darüber Auskunft geben, wie sehr sie stinken. Man plant, Diesel gar nicht mehr in die Städte zu lassen, wegen der Abgase und des Feinstaubs. Der Trend geht zu abgasfrei.

Schon mal aufgefallen, dass unter den „suchenden” Frauen überproportional viele Raucherinnen sind?

Wer besteigt sowas?