Ansichten eines Informatikers

Die Twitter-Verblödung

Hadmut
6.4.2016 9:27

Ich empfinde gerade mal wieder solche Verblödungswellen.

Manchmal komme ich mir vor wie Yoda oder Obi-Wan Kenobi: Die haben Erschütterungen der Macht verspürt, als ganze Planeten explodiert sind.

Ich empfinde solche Erschütterungen der Vernunft, wenn die fiesen Verblödungswellen mal wieder die Erde betrahlen.

Ich habe schon öfters mal erwähnt, dass ich an Journalisten diese entsetzliche 140-Zeichen-Verblödung beobachte. Da sind manche schon so auf Twitter eingeschossen, dass sie nicht nur sprachlich in 140-Zeichen-Sätzen reden und ihre Grammatik (oder was sie dafür halten) daran angepasst haben, sondern auch gedanklich nur noch in solchen Kurz-Anwürfen denken. Das ist mir jetzt gerade wieder in der Twitterei mit und um das Thema ZDF/Berlin Direkt/Thomas Walde wieder aufgefallen.

Die Leute sind nicht mehr in der Lage, irgendwie inhaltlich zu kommunizieren. Die werfen stattdessen mit solchen Husten-Auswürfen um sich.

Und da kommen dann solche „Argumentationen” wie „Im Wahlprogramm der XYZ steht’s aber!”, oder „Freiheit durch Verbote” und solcher Parolen-Quatsch heraus. Oder wie von dem beteiligten Politiker mit „Bei Wikipedia steht’s aber” (bei Wikipedia steht alles, was einer reinschreibt und keiner anderer löscht…). Ein Trottel nervt mich gerade mit „Google mal Gender Ärzteblatt”.

Merkt Ihr was?

Die Leute sind nicht mehr in der Lage, eigene Aussagen zu treffen. Ich kritisiere ja häufig die Geisteswissenschaften (was haben die eigentlich mit Wissenschaft zu tun, warum heißen die so?) dafür, dass die nicht inhaltlich reden, sondern nur in Querbezügen auf die Autoritäten und Koryphäen. So als müsse man nur den Namen irgendeines „Anerkannten” rufen und hätte automatisch recht. Dieses Zitieren statt Denken (oder oft nicht mal zitieren, sondern nur den Namen erwähnen) ist ganz fürchterlich und zeigt die tiefe Hirnlosigkeit.

Bei Twitter hat sich quasi die digitale Version dessen entwickelt. Statt auf Personen bezieht man sich auf URLs oder Google-Suchen. Man sagt selbst nichts mehr, sondern spielt so eine Überlegenheitsnummer, und der andere soll sich selbst raussuchen, was man gesagt haben könnte. Und kommt der andere dann zu der Erkenntnis, dass da nichts argumentatives steht, heißt es, „Du bist zu blöd das zu kapieren”, obwohl gar nichts gesagt wurde. Quasi so eine intellektuelle Beweislastumkehr: Die Leute belegen nicht mehr ihren Standpunkt, sondern geben dem anderen auf, ihn zu widerlegen und geben ihm dafür quasi unlösbare Aufgaben, weil die Aussage/Aufgabe nicht klar ist. „Google mal …” Was soll das heißen? Zumal Google je nach Zeitpunkt, Standort, Person auch unterschiedliche Antworten gibt.

Googelt man Gender und Ärzteblatt (also ob diese Postille irgendwie wissenschaftlich maßgeblich wäre…), kommt man auf Gendermedizin und Kardioerkrankungen von Frauen.

Schön. Sagt nämlich, dass es körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Also das Gegenteil von Gender Studies, die ja behaupten, es geben gar keine Geschlechter und körperlichen Unterschiede, das wäre alles nur Sozio-Zauber.

Das kapieren diese Leute aber nicht mehr. Die sehen nur noch solche Begriffs-Gleichheiten, da steht „Gender”, also muss alles wahr sein, wo „Gender” drübersteht, auch wenn genau die gegenteilige Aussage dahintersteht.

Neulich der Grüne Hofreiter bei „Hart aber Fair”, kam da damit an, dass Gendermedizin herausgefunden hat, dass Frauen andere Knieprothese brauchen als Männer. Ja. Schön. Aber das Gegenteil von Gender Studies, denn die sagen ja, dass es gar keine biologischen/medizinischen Unterschiede gäbe und Mann/Frau alles nur künstlich dahergeredet wäre. Hat aber in der Sendung und auch im Fernsehpublikum praktisch niemand gemerkt, dass die Gender Studies mit ihrem Gegenteil begründen, nur weil da irgendwo „Gender” drübersteht.

Da merkt man sehr deutlich, wie verblödet das alles wird, dass man nicht mehr denkt, sondern nur noch Begriffe, URLs, Google-Suchen wirft. Weil die so schön in 140 Zeichen passen.

Alles, was deutlich länger als 140 Zeichen ist, fällt heute unter „tl;dr”, also schon per se, also schon weil es eine Begründung enthält, als delegitimiert. Aussagen mit Begründung werden nicht mehr gelesen, weil Begründungen als unzumutbar angesehen werden.

Symptome digitaler Demenz.