Ansichten eines Informatikers

Stuttgart 21: Schwerer Landfriedensbruch

Hadmut
8.10.2010 22:08

Erfüllen die Krawalle um den Bahnhof Stuttgart 21 den Tatbestand des schweren Landfriedensbruchs? Ich meine, ja. Aber anders, als man denken würde.

Zunächst müßten wir mal klären, worum es bei Landfriedensbruch geht. § 125 Strafgesetzbuch:

§ 125 Landfriedensbruch
(1) Wer sich an

1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder
2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit,

die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
(2) Soweit die in Absatz 1 Nr. 1, 2 bezeichneten Handlungen in § 113 mit Strafe bedroht sind, gilt § 113 Abs. 3, 4 sinngemäß.

Und § 125a Strafgesetzbuch:

§ 125a Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs
In besonders schweren Fällen des § 125 Abs. 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. eine Schußwaffe bei sich führt,
2. eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden,
3. durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
4. plündert oder bedeutenden Schaden an fremden Sachen anrichtet.

Also überlegen wir uns mal, ob das erfüllt ist:

  • Normale zivile Leute mit Schlagstöcken oder Wasserwerfern ohne Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit zu verletzen, ist eine Gewalttätigkeit gegen Menschen.
  • Die Polizei ist in größeren Gruppen, also in Form einer Menschenmenge aufgetreten, und hat diese Gewalttätigkeiten aus der Menschenmenge heraus begangen.
  • Die Tat hat die öffentliche Sicherheit gefährdet, denn es gab viele Verletzte, auch unter Alten und Kindern, und in einer vorher nicht begrenzten Weise, es konnte auch Unbeteiligte treffen.
  • Die Polizei ist dabei „mit vereinten Kräften” aufgetreten.
  • Die Polizisten hatten Schußwaffen bei sich. Auf den Gebrauch und die Absicht kommt es nach § 125a Nr. 1 StGB nicht an. Es genügt die objektive Tatsache, sie bei sich geführt zu haben.
  • Ein Schlagstock ist eine „andere Waffe” im Sinne des § 125a Nr. 2 StGB.
  • Wer einem Rentner mit dem Wasserwerfer die Augen aus dem Kopf spült, der bringt ihn durch eine Gewalttätigkeit in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung im Sinne des § 125a Nr. 4.

Also komme ich zu dem Ergebnis, daß das Handeln der Polizei den Straftatbestand des Landfriedensbruchs und sogar des schweren Landfriedensbruchs erfüllt. Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Gäbe es in Baden-Württemberg noch unabhängige und ordentliche Staatsanwaltschaften, könnte man sogar Anzeige erstatten.

17 Kommentare (RSS-Feed)

Fabian
9.10.2010 0:22
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Quod licet Iovi, non licet bovi…

Vielleicht mal ins Polizeigesetz von Baden-Württemberg schauen (§§3, 4). Maßnahmen unmittelbaren Zwangs würden, wenn sie Otto-Normal-Bürger an Max Mustermann ausführt auch Straftatbestände wie Körperverletzung etc.pp. erfüllen – nur die Polizei darf eben auf Grund eines Gesetzes (in dem Fall das Polizeigesetz Baden-Württembergs) in bestimmte Grundrechte eingreifen. Bei Grundrechteingriffen ist allerdings der Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.


Hadmut
9.10.2010 1:23
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Naja, eben. In § 3 steht – schwammig, aber immerhin – „nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheint”.

Außerdem steht da „innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken”. Das heißt, daß das Strafrecht die Schranken für die Befugnisse der Polizei setzt, und nicht umgekehrt.


Fabian
9.10.2010 15:55
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Ja, schwammig. Das ist eben die polizeiliche Generalklausel, die existiert weil man kann nicht für jeden denkbaren Einzelfall ein Gesetz machen, mehr noch weil Einzelfallgesetzgebung durch das Grundgesetz verboten ist (Artikel 19 I). Plädierst du denn etwa dafür, das jede Maßnahme, die durch einen Polizeivollzugsbeamten durchgeführt wird, so betrachtet werden als ob sie von irgendjemand an jemanden anderem durchgeführt würde?

Analogie zur reductio ad absurdum: Warum wird kein Polizist, der jemanden festnimmt und auf der Wache festhält wegen Freiheitsberaubung angeklagt und verurteilt? Denn §239 I StGB normiert doch: “Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.” – alles nur korrupte Justiz? Ja, es gibt mit Sicherheit Korruption in Justiz und Verwaltung – das steht aber auf einem ganz anderen Blatt.

Zitat:

Außerdem steht da „innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken”. Das heißt, daß das Strafrecht die Schranken für die Befugnisse der Polizei setzt, und nicht umgekehrt.

Du argumentierst du jenseits aller juristischen Systematik, insbesondere da du dir nicht die Mühe machst die Rechtsgrundlage für polizeiliche Einsätze (also das Polizeigesetz und das baden-württembergische Versammlungsgesetz) in die Betrachtungen mit einzubeziehen. Denn selbstverständlich darf die Polizei Platzverweise aussprechen (§27a I PolG B-W), und diese auch mit Maßnahmen unmittelbaren Zwangs durchsetzen (§49 II PolG B-W), und “Unmittelbarer Zwang ist jede Einwirkung auf Personen oder Sachen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch.” (§50 I PolG B-W). Die Polizei darf eben Dinge die andere Menschen nicht dürfen. Aber: Die Befugnisse der Polizei normiert der Gesetzgeber (genauso wie der das Strafrecht setzt) und nicht wie du behauptest die Polizei. Das Polizeigesetz wurde eben nicht von Polizeirat Dimpelmoser erlassen, sondern vom baden-württembergischen Landtag.

Im übrigen würde ich noch Zweifel an deiner Argumentation bezüglich der Gefährung der öffentlichen Sicherheit anmelden. Die Maßnahmen der Polizei dienen, ungeachtet der Tatsache, das auch Polizisten Straftaten im Amt begehen können, grundsätzlich erstmal der Aufrechterhaltung selbiger. Und wenn es einem politisch drei mal nicht in den Kram passt, die Auflösung einer Versammlung ist eine Maßnahme die im Ermessen der Polizei steht. Die Durchsetzung derselbigen durch Erteilung von Platzverweisen ebenfalls. Und die Durchsetzung von Platzverweisen auch. Leider hab ich von meinem aktuellen Rechner keinen Zugriff auf beck-online, sonst würde ich auch noch in einem StGB-Kommentar nachschlagen, wie der §125 auszulegen ist – aber ich würde eine mittelhohe Summe drauf verwetten, so nicht.

Ich halte es für durchaus denkbar, wenn auch ohne Kenntnis der gesamten Vorfälle und Einsatzlage für mich nicht zu beurteilen, das einige, aber sicher nicht alle Maßnahmen die im Zuge dieser Versammlung durchgeführt wurden, unverhältnismäßig gewesen sein könnten. Nur, das ist eine Frage mit der sich die Verwaltungsgerichte und nicht die Strafkammern beschäftigen müssen.

Grundsätzliche Zweifel am Gewaltmonopol des Staates sind ja eine Frage der persönlichen Philosophie/Ideologie – aber es ist inkonsequentes Denken auf der einen Seite das Handeln des Staates für illegitim zu erklären (bei rein singulärer Betrachtung des StGB wäre quasi jedes Handeln der Exekutiven eine Straftat) und gleichzeitig zu beklagen das der Staat nicht handelt (ja, wer soll eigentlich mit welchen Mitteln die ganzen Polizisten und JVA-Bediensteten einfangen, festhalten und verurteilen die sich da tagtäglich bei ihrer Arbeit der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und des schweren Landfriedensbruchs strafbar machen?)


Hadmut
9.10.2010 15:59
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Dein wesentlicher Denkfehler ist, den Platzverweis selbst als gegeben anzusehen und den dann mit allen Mitteln durchsetzen zu können.

Der Fehler daran ist, daß der Platzverweis selbst bereits eine Hilfsmaßnahme ist, und Platzverweis und Durchsetzung zusammen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muß, der bekanntlich in die drei Teile der Eignung, der Notwendigkeit und der inneren Verhältnismässigkeit zerfällt. Und die letzten beiden sehe ich hier nicht erfüllt.


Jens
9.10.2010 17:00
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==
und “Unmittelbarer Zwang ist jede Einwirkung auf Personen oder Sachen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch.” (§50 I PolG B-W)
==

Ich halte den Einsatz von Wasserwerfern und Giftgasen (“Reizstoffen”) mangels Bestimmtheit dieser Norm und unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes für rechtswidrig. Das Innenministerium bestimmt, daß Hilfsmittel zulässig sind, mit denen man Leuten die Augen rausschießen kann? Nicht in einem Staat mit Gewaltenteilung …


Saskia Schwartz
10.10.2010 14:34
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Abgesehen von dem einem möglichen Verstoß der Polizisten gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot mal einige grundsätzliche Informationen zum Stuttgart-21-Projekt, über welche der Großteil der Öffentlichkeit nicht vollständig informiert wurde:

Die Stuttgart-21-Historie

1988: Eine Denkschrift der Uni Stuttgart bündelt alle Überlegungen zu einem Ausbau des Bahnhofs Stuttgart und der Bahntrassen in Richtung Ulm.

1991: Unterschiedliche Varianten werden untersucht.

1994: Der damalige Bahnchef Heinz Dürr stellt zusammen mit dem damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel die Pläne für Stuttgart 21 vor. Diese Grundlagen der Überlegungen haben bis heute Bestand:
Anbindung des Flughafens, Erhalt des Standorts des Bahnhofs, die städtebauliche Entwicklung auf ehemaligen Bahnflächen, der Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Stuttgart nach Ulm sowie die Anbindung der Gäubahn.

1995:Eine 18-bändige Machbarkeitsstudie wird vorgelegt.

1997:Start des Architektenwettbewerbs.

1999:Das Projekt landet aufgrund der angespannten Haushaltslage auf einer Streichliste des Bundes, Zweifel an der Wirtschaftlichkeit kommen auf.

2000: Die Planungen werden gestoppt.

2006: Der Landtag trifft einen Grundsatzbeschluss zur Realisierung von Stuttgart 21.

2007: Bahn, Bund, Land und die Stadt Stuttgart einigen sich auf eine Kostenverteilung.

2010: im Februar beginnen offiziell die Bauarbeiten. Parallel nehmen die Proteste zu. Wann das Projekt zu Ende gebaut sein wird, ist offen. Schätzungen gehen von 10 bis 15 Jahren Bauzeit aus.

Quelle: econo – 9/2010, 6.Jahrgang, 03.09.2010, S.38


Jens
10.10.2010 22:16
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Also nicht seit 15 Jahren, sondern seit 4 Jahren in Planung.


Gerd
10.10.2010 23:20
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also, was hätten wir denn da so auf der Seite der Demonstranten:

Landfriedensbruch, Nötigung, Beleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung, Verletzung der Dienstpflicht der beteiligten Lehrer, Verletzung der Aufsichtspflichten und Fürsorgepflichten der Schule, Verletzung der Pflicht zur politischen Neutralität der Schule.
Ich erkläre meinen Kindern, sie haben sich daran zu halten, wenn sie von der Polizei aufgefordert werden etwas zu tun. In ganz Deutschland ist das so, nur in Stuttgart erklärt man offensichtlich den Kindern das Gegenteil und findet das auch noch richtig. Diese Instrumentalisierung von Minderjährigen ist einfach nur widerlich. Schützt Eure Kinder und stellt sie nicht in die erste Reihe !
Was da in Stuttgart abgeht ist das Gegenteil von Demokratie und das hat dieses mal ausnahmsweise nichts mit den beteiligtenPolitikern zu tun. Erbärmlich !!!


Hadmut
11.10.2010 0:27
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@Gerd: Ich gebe Dir da Recht, aber das ist so bekannt und drängt sich auf, daß es mir keine Blog-Meldung wert ist.

Bedenklich ist durchaus, daß es nicht mehr nach Demokratie geht, sondern nach dem, der am lautesten schreit und am heftigsten randaliert. Demokratie können die Demonstranten nicht für sich in Anspruch nehmen.

Ich bin mir nur noch nicht so ganz sicher, ob denn die anderen Seite demokratischer ist…


Django2911
14.10.2010 11:24
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Dass die Polizei einen Landfriedensbruch oder eine Qualifizierung hierzu begangen haben soll ist völliger Schwachsinn. Da fehlt Ihnen wohl etwas der juristische Hintergrund. Allerdings bin ich schon der Meinung, dass der sich aus dem Polizeigesetz BW ergebende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet wurde und der Einsatz in großen Teilen somit rechtswidrig war.


Hadmut
14.10.2010 11:30
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Welcher Hintergrund fehlt mir denn? Soll das heißen, daß jemand nicht Täter sein könnte, nur weil er eine Polizeiuniform trägt? Können Sie das substantiieren oder geifern Sie nur?


J.
14.10.2010 13:38
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In DE hält man sich gerne ans Abstraktionsprinzip. Wenn jemand den Einsatz von WW vollziehbar angeordnet hat, dürfte das wohl eine Rechtfertigung sein.


yasar
14.10.2010 15:57
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Ein Wasserwerfer müßte doch auch unter Punkt 2 , “andere Waffen”, fallen.


yasar
14.10.2010 16:09
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@J: Aber es gibt verschiedene Methoden eine Wasserwerfer einzusetzen. Zielen auf Beine und Korpus von Menchen auf dem Boden oder Zielen auf Köpfe oder auf Menchschen in Bäumen dürften nicht miteinander vergleichbar sein.

Daher


J.
14.10.2010 17:44
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Polizeirechtlich ist er ein Hilfsmittel der körperlichen Gewalt …

Aber Waffen sind ja waffenrechtlich und strafrechtlich ggf. durchaus unterschiedlich definiert.


yasar
15.10.2010 9:39
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Ich nehmen an, wenn er von der Polizei benutzt wird, ist es vermutlich “nur” ein Mittel der körperlichen Gewalt, von der Feuerwehr benutzt ist es nur ein Löschfahrzeug und von einem Privatmann eine Terrorwaffe.

So ähnlich stelle ich mir die unterschiedliche juristische Einordnung eines Wasserwerfers vor.


Saskia Schwartz
21.10.2010 22:35
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Wer Mittwoch Abend (20.10.2010) die Sendung “Mörderische Gesellschaften” um 20.15 in Arte gesehen hat, der wird nicht mehr daran zweifeln, welch mafiöse Strukturen häufig hinter durch Parlamentsbeschlüsse scheinbar demokratisch legitimierten Entscheidungen stecken und wie eng globales Kapital, Mafia und die katholische Kirche miteinander verknüpft sind. Das harte Vorgehen gegen alle auch nur tendenziell links gerichteten politischen bewegungen, der abgrundtiefe Hass gegen Gewerkschaften sowie gegen soziale und humanistische Bewegungen aller Art, scheint auch in Deutschland längst Einzug gehalten zu haben. Gilt das womöglich auch für Stuttgart 21?
Schließlich hatte ja das BKA vor kurzem eine optimale Verdrahtung der Mafia-Clans und deren Einfluss auf Politik und Wirtschaft ganz speziell in Stuttgart konstatiert und damit eine Entwicklung bestätigt(die bereits vor einem guten Jahrzehnt von Mafia-Experten festgestellt worden war) und die aufgedeckt hatten, dass Deutschland für die Camorra das “gelobte Land” sei, weil der Verfolgungsdruck nicht so groß sei.
Laut dem international bekannten Mafia-Kenner Saviano war im Sprachgebrauch der Mafia-Clans bereits Ende der 1990er Jahre folgende gängige Formulierung zu hören: “Stuttgart ist unser”.