Ansichten eines Informatikers

Die Piratenpartei, Liquid Feedback, die Enquete und der Professor…

Hadmut
8.8.2010 20:58

Seltsame Dinge gehen vor sich.

In letzter Zeit wird ja viel diskutiert über „Liquid Feedback”. Was erstaunlich ist, denn man liest ja viel darüber, nur eine klare Beschreibung, was das eigentlich genau sein soll, habe ich nicht gefunden. Soweit ich das bisher so nebenbei mitbekommen habe, handelt es sich um ein System, das von der Piratenpartei vorangetrieben wird, das – soweit ich bisher gehört habe – eine Web-Applikation ist, die nach vorne raus zum Endanwender per Web kommuniziert und nach hinten raus eine relationale (SQL-)Datenbank bearbeitet. Irgendwie kann man sich daran anmelden, irgendwie seine Meinung zu irgendwelchen Themen eingeben. Und irgendwie soll das dann anonym oder irgendsowas sein.

Vielleicht hilft es, die beiden Blog-Einträge der Piratenpartei dazu zu lesen (Teil I und Teil II) bzw. Liquid Feedback in 3 Minuten, Zitat:

LiquidFeedback ist ein Online-System in das jeder Anträge einstellen kann, mit dem Ziel, diese Anträge von einer Mehrheit beschließen zu lassen.

(Um mal wieder auf einem meiner Lieblingsthemen herumzureiten: Sie reden davon, daß es was mit Demokratie zu tun hätte und „Liquid Democracy” umsetzen täte, das übliche Universitäts- und Studentengerede, daß es demokratisch sei, wenn irgendwer irgendwo über irgendwas abstimmt. Leute, das ist keine Demokratie. Demokratie ist nur, wenn das gesamte Volk abstimmt. Wenn irgendeine selektive Teilmenge – wie Studenten, ein Fakultätsrat oder Piraten-Sympathisanten – abstimmt, dann ist das wider die Demokratie, weil Abstimmungen nicht begründet werden – und manchmal noch geheim abgehalten werden – und deshalb der Entscheidungsvorgang später nicht nachvollziehbar, nicht überprüfbar und gerichtlich nicht angreifbar ist. Und ein reines Mehrheitssystem ist ebenfalls nicht demokratisch, weil Demokratie auch Werte wie die Gleichheit voraussetzt, womit auch eine Minderheit durchsetzbare Rechte haben muß und nicht – wie bei Liquid Feedback – auf ein Quorum angewiesen ist. Ich krieg schon wieder das kalte Grausen wenn ich sowas lese, das typische Hochschulgerede. Was die machen ist keine Demokratie, sondern die übliche Debattiererei durch ein Tool zu automatisieren, dazu elektronische Kommunikation zu verwenden und daraus ein pseudo-demokratisches Verhalten zu fingieren. Es fehlen da grundsätzlich die Kompetenzen dazu, welche Anforderungen an demokratische Abläufe zu stellen sind und daß man sich bei der Softwareerstellung vorher Gedanken darüber macht, was es werden soll, und nicht erst hinterher. Beides lernt man im deutschen Informatik-Studium nicht. Und Datenschutz scheint auch nicht ihre herausragende Stärke zu sein.)

In der Presse war zu lesen, daß man so direkt vor der Einführung das System verschoben hat, weil es Datenschutzbedenken gab. Das System erst einmal drauflos zu entwickeln und sich dann beim Anschalten Gedanken über den Datenschutz zu machen, ist – naja, versuchen wir’s mal positiv auszudrücken – ein großer Fortschritt gegenüber dem, was unseren sonstigen Politiker so leisten (die probieren alles aus und warten einfach ab, ob das Bundesverfassungsgericht es ihnen verbietet).

Jedenfalls gibt’s da wohl herbe Meinungsverschiedenheiten, siehe etwa hier. Wo ich übrigens ein sehr interessantes Zitat von Kristian Köhntopp aus dessen Blog-Artikel „Ein Sturm aus Scheiße ist auch eine Art flüssiges Feedback” gefunden habe:

Wenn ich jemandem meine politische Macht delegiere, dann will ich wissen, wer das ist. Dann will ich vertrauen können. Vertrauen ist die Hoffnung, daß das Verhalten einer Person in der Vergangenheit ein ungefähres Maß für das Verhalten dieser Person in der Zukunft ist. Es setzt voraus, daß die Vergangenheit offengelegt wird (Transparenz), daß die Aktionen und Abstimmungen dieser Person unter einer Identität erfolgt sind (Verkettbarkeit) und daß diese Übersicht vollständig ist. Weil das so ist, ist anonyme politische Betätigung ein Widerspruch in sich – das Politische ist das Gegenteil des Privaten.

Das kann, nein, das muß man akzeptieren und daran wachsen.

Oder man bekommt eine Partei von Mäusen. Und ein kastriertes Liquid Feedback, das nur ein mit GPG gepimptes Doodle ist (Danke, @tarzun für dieses Bild).

Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dem zu 100% zustimmen kann, aber es ist zumindest schon deshalb eine sehr gute Aussage, weil es sich lohnt (und notwendig ist), darüber nachzudenken. Und das ist heute selten. Dazu paßt auch folgendes Zitat von diesem Blog-Artikel:

Im Kern geht es darum, ob jemand, der sich um ein politisches Amt in der Partei bewirbt, per parteiinterner sozialer Konvention dazu bewegt wird, seine Anonymität bezüglich vergangener innerparteilicher Meinungsäusserungen und Sachabstimmungen aufzugeben und so dem Partei-Wahlvolk einen Einblick in seine tatsächlichen Haltungen und Meinungen gewährt. Endlich eine effektive Methode, die vor “was schert mich mein Geschwätz von gestern…”-Politikergestalten schützen kann.

Womit wir eigentlich mitten in der Diskussion um „padeluun” als Sachverständiger in der Internet-Enquete-Kommission sind, über den mir ja auch viele geschrieben haben, ich möge das doch akzeptieren, weil er ja auch „meine Interessen” vertrete. Mir kommt die Galle hoch, wenn ich mich von jemand vertreten lassen soll, der unter Pseudonym/Künstlernamen auftritt und genau diese seine Vergangenheit verheimlicht und vor Einblick in die bisherigen Haltungen und Meinungen verbirgt. Und die gleiche Problematik kommt jetzt bemerkenswerterweise bei den Piraten und bei Liquid Feedback hoch.

Das ist kein spezifisches Problem von „Liquid Feedback”. Es ist ein spezifisches Problem einer gewissen Internetlastigen Szene, die nun in die Politik dringt. Liquid Feedback ist nur die ausprogrammierte Implementierung des Problems, nicht das Problem selbst. Das Problem lautet, das sich Leute anmaßen, andere Leute vertreten zu wollen, ohne sich dabei selbst einer Überprüfung, einer Vertrauensgewährung stellen zu wollen. Das ist hochgefährlich. Diese Denkweise, der offenbar nicht nur die Piratenpartei, sondern auch das „padeluun”-Lager unterliegen (wobei es eine deutliche Überschneidung geben dürfte), läuft auf nichts anderes heraus, die Politik, die Demokratie systematisch zu unterwandern, zu virtualisieren, zur Gaukelei zu degradieren, Macht auf Personen zu übertragen, die nicht mehr in Erscheinung treten wollen. Sie geben vor, Demokratie zu treiben, aber tatsächlich zersetzen sie damit die Demokratie. Vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, daß „Liquid Democracy” schon wörtlich auf eine Verflüssigung der Demokratie und damit auf eine Destabilisierung hinausläuft. Schon der Name ist bescheuert – hört sich flott an, ist von der Aussage her aber Unfug, gar eine Bedrohung.

Ebenso bedenklich ist, daß dann auch die Internet-Enquete-Kommission Liquid Feeback einsetzen bzw. in Betracht ziehen will.

Nun taucht noch mehr Kritik auf, beispielsweise in diesem Blog:

Grundsätzlich lassen sich bei LiquidFeedback ALLE Daten löschen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass bei der Löschung bestimmter Daten, die davon abhängigen Daten aus Gründen der Datenbankintegrität ebenfalls gelöscht werden müssen. Konkret bedeutet dies:

Das vollständige Löschen eines Nutzeraccounts erfordert die vollständige Löschung aller Abstimmungsdaten zu Themen, an denen der Benutzer teilgenommen hat. Dies begründet sich durch das Referenzieren des Nutzeraccounts innerhalb der Delegationsbäume einer Abstimmung.

Das vollständige Löschen des Abstimmungsverhaltens eines Nutzeraccounts erfordert ebenfalls die vollständige Löschung aller Abstimmungsdaten zu Themen, an denen der Benutzer teilgenommen hat. Dies begründet sich ebenfalls durch die Delegationsbäume.

Beim Löschen von Abstimmungsdaten können seit LiquidFeedback-Kern Version 1.2.2 die Antragstexte sowie die zahlenmäßigen Ergebnisse der Auszählung der Endabstimmung im System verbleiben. Dies war bis vor einiger Zeit nicht möglich. Anregungen zu Initiativen, deren Abstimmungsdaten gelöscht werden, müssen jedoch mitgelöscht werden, da aus einer Anregung die potentielle Unterstützung der jeweiligen Initiative folgt.

Das heißt, daß das System hoch angreifbar ist, weil einzelne Gruppen, Spammer, Agitatoren, durch Anlegen von Accounts und Abstimmungen Ergebnisse produzieren können, die hinterher nicht mehr nachvollziehbar sind. Damit sind wir an dem Punkt, an dem Mailboxen, Foren usw. schon sind, nämlich Ziel von Bots, Trollen und Meinungsagenturen zu werden.

Und es zeigt auch mal wieder, daß da Leute am Werk sind, die einfach keine Berufserfahrung und Befähigung haben (wieder mal Stichwort „Sachverständige”), die einfach noch kein professionelles Software- und Applikationsmanagement gelernt haben (in einem Blog wurden ja als Entwickler ein 21-jähriger Informatik- und ein 25-jähriger Mathematik-Student erwähnt). Eigentlich klärt man nämlich vorher, was man bauen will, und fängt erst dann an zu programmieren, und nicht erst dann, wenn das System produktiv gehen soll. Die Spec sollte die Vorgabe sein und nicht das Staunen darüber, was die zusammengefrickelte Software für Eigenschaften hat.

Weiteres Zitat von der Webseite:

Die Vertrauenswürdigkeit des Systems basiert auf der vollständigen Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit der Prozesse. Hierbei müssen jedoch in unserem Falle aufgrund der Nicht-Öffentlichkeit der Mitgliederdatenbank bereits bestimmte Einschränkungen in Kauf genommen werden.

Bezüglich der Frage, dass ein in LiquidFeedback angelegter Account einem echten Mitglied gehört, muss also zunächst den mit der Mitgliederverwaltung beauftragten Vorstandsmitgliedern, den Betreibern der Clearingstelle sowie den Administratoren des LiquidFeedback-Systems selbst VERTRAUT werden.

Damit das Anlegen von sogenannten “Sockenpuppen” jeder dieser 3 Stellen dennoch schwer gemacht wird bzw. niemand einen nachträglichen Nachweis einer erfolgten Manipulation ausschließen kann, sind verschiedene organisatorische und technische Maßnahmen getroffen worden. Näheres hierzu findet sich in der Betriebsdokumentation.

Noch mehr kommt mir das Grausen, wenn ich diesen Blogartikel lese:

Moin,

ganz offensichtlich sind wir selbst nicht in der Lage die Frage nach der Notwendigkeit der Offenlegung von Datenbankdumps und Abstimmungsergebnissen zu klären.

Aus diesem Grund schlage ich vor einem Experten diese Frage vorzulegen.

Ich habe bereits einen ausgewählt. Diese Person trägt den Titel “Prof. Dr.” und war Sachverständiger beim Bundesverfassungsgericht in der Wahlcomputer-Frage. Da diese Person selbst an ihrem Institut entsprechende Systeme zu entwickeln versucht ist sie auch keine absolute Kritikerin an elektronischen Wahlen per se.

[…]

Aussagen der Befürworter des Systems:

  • Das System ist vertrauenswürdig.
  • Das System ist Transparent und vollständig nachvollziehbar durch die Herausgabe von Datenbankkopien, inklusive des Abstimmungsverhaltens der Teilnehmer.
  • Der Einsatz von kryptographischen Verfahren ist unnötig und funktioniert nur wenn alle Teilnehmer bei allen Abstimmungen teilnehmen.

Quelle: http://www.magnetkern.de/blog/2010073001.html

Bedenken:

  • Die Datenbank kann durch die Administratoren manipuliert sein.
  • Durch Datenbankkopien kann Manipulation nicht nachgewiesen werden.
  • Die Echtheit der Daten kann ohne qualifizierte kryptographische Signatur von Dritten oder Betroffenen nicht verifiziert oder falsifiziert werden.
  • Der Vorstand kann neue, nicht vorhandene Mitglieder anlegen, was durch das System nicht erkannt wird. Somit ist es intransparent und nicht nachvollziehbar.

Für uns wäre nun interessant wie diese Aussagen und unsere Bedenken aus wissenschaftlicher Sicht zu bewerten sind. Gerne können wir auch zu einem persönlichen Gespräch vorbeikommen, für die Versachlichung der Debatte wäre jedoch ein schriftliches Statement Ihrerseits sehr hilfreich.

Anhand dieser Andeutungen (und aufgrund der Tatsache, daß der Blogautor selbst Student an der Uni Karlsruhe ist oder war) komme ich zu dem Schluß, daß es sich bei dem befragten Professor höchstwahrscheinlich um Jörn Müller-Quade handelt. Der nun wieder ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig:

  • Wenn man sich die Details seiner Berufung ansieht, dann hat das nichts mit Sachkunde zu tun. Die Konkurrenten hat man nicht berücksichtigt, eine Bestenauslese gab es nicht. Er hat nicht nur keine Berufserfahrung, sondern man hat das im Berufungsverfahren sogar als unerwünscht bezeichnet. Er hat keine Ausbildung oder sowas als Sicherheits-Wissenschaftler gemacht, sondern sich im wesentlichen selbst ernannt.
  • Ich verstehe auch nicht, wie jemand, der in Karlsruhe Informatik studiert hat, noch eine solche Professorengläubigkeit an den Tag legen kann. Daß die Karlsruher Professoren nicht kompetent sind, drängt sich doch spätestens nach ein paar Jahren so ziemlich jedem auf.
  • Und „Sachverständiger am Bundesverfassungsgericht” heißt gleich doppelt nichts. Daß Sachverständiger heute nichts bedeutet, hab ich gerade hier im Blog geklärt. Und in diesem Falle war die Benennung eine reine Gefälligkeit des BVerfG gegenüber der Uni Karlsruhe.
  • Und Müller-Quades Wahl-System „Bingo-Voting” hatte auch ziemlich viele grobe Fehler.

Wenn sie einen wie Müller-Quade noch als Retter brauchen, dann sind die Piraten tief gesunken. Ziemlich tief. Oder sie waren nie etwas. Jedenfalls sind sie mit sich selbst schon überfordert. Eine Partei, die vorwiegend aus Informatikern besteht, die Internet-Interessen vertritt (vertreten will), und die schon damit auf den Bauch fällt, ihre eigenen Kommunikation in Software zu packen. Die nicht einmal eine ordentliche Spezifikation hinkriegen sondern drauflos gurken. Wie peinlich ist das für den Berufsstand der Informatiker (und was sagt es über die Universitätsausbildung)? Und ausgerechnet die, die sich nicht mal selbst ohne fremde Hilfe organisieren können, wollen Internet-Politik auf Bundes- oder gar Europa-Ebene machen? Was haben die studiert, wenn sie solche Fragen an einen externen stellen müssen? Da haben sie ja Glück, daß nach Auffassung des Bundestages an Sachverständige keine Anforderungen zu stellen sind, nicht mal Sachverstand, und jeder Nicht-Abgeordnete ein Sachverständiger ist.

Höchst bedenklich ist aber, daß ja dieses verkorkste Tool von der Internet-Enquete-Kommission in eine engere Auswahl gezogen wird.

Das Bedenkliche daran ist, daß die Entscheidung darüber, was man eigentlich machen will, die Software-Entwicklung beeinflussen sollte und nicht umgekehrt.

Irgendwie hinterläßt diese Konstruktion – ebenso wie die Einführung von Sachverständigen unter Künstlernamen – bei mir den Eindruck, daß da jemand unter der Tarnung einer Internet-Partei eine Unterwanderung plant. Sollte man da nicht sogar froh darüber sein, daß da keine Profis am Werk sind?

13 Kommentare (RSS-Feed)

Sylvia
9.8.2010 2:17
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Ich möchte davor warnen, Meinung die von der Aktivenliste kommen als allzuwichtig zu nehmen. Nicht umsonst wird sie auch Trollwiese genannt.

Ich würd jetzt noch mehr zu der Liquid-Feedback Diskussion schreiben, aber sie geht mir mittlerweile so auf den Keks, das ich überlege beim nächsten mal einen Antrag auf Abschaffung des Systems zu stellen.

Eigentlich war der Gedanke, das man ein Abstimmsystem hat, mit dem man Meinungsbilder einholen kann, um z.B. ggü der Presse breitere Meinungen vertreten zu können. Mit rein spielt das Liquid-Democracy-Prinzip, das man Stimmen bei Themengebieten delegieren kann, aber delegierte Stimmen auch zurücknehmen und selbst abstimmen kann. Soll so funktionieren, das man jemandem, der die selbe Grundrichtung bei einem Thema vertritt seine Stimme gibt und man darauf vertraut, das er dann von den verschiedenen Alternativen die beste wählt, weil man z.B. nicht die Zeit hat sich in die Details einzulesen.

Von der Grundidee ist Liquid-Democracy nicht schlecht. Der Gedanke ist, das man z.B. den Grünen seine Stimme bei Umweltthemen gibt, den Linken wenn’s um Krieg und Frieden geht, der Tierschutzpartei bei Tier-Fragen und bei Steuererhöhungen will man lieber selber abstimmen.
Von der Idee her, also besser als nur alle 4 Jahre sich den besten Kompromiss rauszusuchen.

Der Berliner Versuch von Liquid-Feedback war nun das erste Projekt was rechtzeitig semi-fertig war und im Übereifer und Begeisterung von der Idee angenommen wirde. Es gibt z.B. bei den hessischen Piraten noch den Sextanten und die Schweizer oder Österreicher entwickeln auch ihr eigenes System.

Alles in allem ein besseres Arbeits- und Abstimmtool, was eben etwas vertrauenswürdiger als ‘ne doodle-Umfrage ist.


Hadmut
9.8.2010 9:50
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Na, ob das so wünschenswert sein kann? Dann sollte man es eher „volatile democracy” nennen. Damit holt man Stimmungen, aber nicht Meinungen. Und die sind leicht beeinflußbar und wenig fundiert. Und führt dazu, daß man ständig nur Mehrheitsströmungen hinterherhechelt. Ob das so gut ist, wage ich zu bezweifeln.

Und vor allem sollte man deutlich höhere Sicherheitsanforderungen stellen.


Das Problem ist, daß nur einige Prozent der Menschen in Konzepten denken können.
Wo ist das Konzept von Liquid-Democracy oder Liquid-Feedback? Die Palette der Buzzworte hat sich vergrößert, sonst ist nichts geschehen.

Carsten

“Die Kinder benutzen nicht die Lebenserfahrungen der Eltern; die
Nationen kehren sich nicht um die Geschichte. Die schlechten
Erfahrungen müssen immer wieder aufs Neue gemacht werden.”
A.Einstein 1923


HF
10.8.2010 11:14
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Haufenweise Probleme, ja. Trotzdem fände ich es schade, wenn diese Idee untergeht. Die Idee der Mehrheitsentscheidung war auch einmal neu, revolutionär und unerprobt. Das Interessante an der Abstimmung ist doch nicht das Regelwerk, sondern die dadurch angestossenen Musterbildungsprozesse. Wer kann schon jetzt sagen, wie sich “Liquid Democracy” im großen Massstab und auf längere Zeit auswirkt? Man sollte das Konzept vielleicht in kleinerem Massstab mit einem Papiercomputer ausprobieren. Ich habe mir die Algorithmen nicht angesehen, aber mir scheint, dass der Aufwand für eine manuelle Implementierung mit Zettelkästen und Unterschriften noch tragbar ist.


Manuel
11.8.2010 5:10
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Also dein Einwand bezüglich Anfälligkeit für Bots ist insofern nicht tragfähig, weil nur Parteimitglieder einen Account bekommen und zwar jeweils genau einen.

Und die Sache mit dem Datenschutz ist etwas komplexer: Bei der Sache mit der Löschung von Nutzerdaten geht es darum, dass eine solche Löschmöglichkeit gesetzlich gefordert ist. Die Frage liegt also nur bedingt im politischen Spielraum, denn sie ist vielmehr durch gesetzliche Beschränkungen vorgegeben.

Und die Sache mit der Demokratie: Unsere parlamentarische Demokratie schreibt an jede Partei gewisse innerparteiliche demokratische Strukturen vor wie Mitglieder- bzw. Dlegiertenversammlungen, die die Wahllisten wählen und über das Programm abstimmen usw. Eine Partei, die ein solches Mindestmaß an innerparteilicher Demokratie nicht umsetzt, darf nicht zu Wahlen zugelassen werden.
Eine solche Hürde gibt es auch für die Piratenpartei. Liquid Feedback kann also keine einzige Entscheidung treffen, das muss immer eine Mitglieder- oder Delegiertenversammlung machen. Liquid Feedbach dient lediglich dazu, die gesamte Meinungsbildung auf eine Plattform zu zentrieren wegen der Übersichtlichkeit und um Meinungsbilder einzuholen um eine Ahnung davon zu bekommen, was auf einer gesetzlich vorgeschriebenen Mitglieder- oder Delegiertenversammlung mehrheitsfähig sein könnte. Das wäre im Vergleich zum jetzigen System ein Fortschritt, weil aussichtslose Anträge die Parteitage zugemüllt haben.
Anonyme Politiker gibt es also systembedingt erstmal nicht. Was es geben kann wären Menschen, die sich auf Parteitagen für eine Wahl aufstellen lassen, aber ihr Synonym bei LF nicht verraten wollen. Die Chancen, damit gewählt zu werden, sind allerdings sehr klein. Es ist also nicht klar, ob eine völlige Pseudonymisierung in LF tatsächlich zu einer Pseudonymisierung der Politikerlandschaft innerhalb der Piratenpartei führen wird oder ob die Pseudonymisierung eher nur einfache Mitglieder ohne Ambitionen für Ämter oder Mandate vor all zu viel Öffentlichkeit schützt.
In diesem Sinne stellt sich also die Frage, ob ein einfaches Mitglied, welches seine Meinung einbringen möchte, völlig transparent sein muss oder ob es auch ohne geht. Letztlich wird die Praxis zeigen welche Probleme dabei nun genau entstehen und welche nicht.

Zu deinem Einwand bzgl. dessen, dass erst programmiert wurde bevor man sich darüner im Klaren war, was man eigentlich möchte:
LF wird schon von diversen Landesverbänden eingesetzt und ist im Zuge dessen weiterentwickelt worden, weil sich die Anforderungen dadurch auch dynamisch verändert haben.


Herbert
11.8.2010 13:35
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Ich finde bei dieser Sache immer die Geschwindigkeit bedenklich, mit der alle die Zeit vergessen.

Ist ja schön, wenn man zu jedem Zeitpunkt über etwas abstimmen kann. Aber nicht jeder hat Zeit, im Grunde die wenigsten überhaupt die Internet-Kenntnis oder die Lust, es ständig zu bedienen, um quasi mehrmals die Woche an irgendwelchen Abstimmungen teilzunhemen, irgendwelche Diskussionen zu durchforsten usw.

Ich frage mich auch, wie ich es wohl finde, wenn Politik (die übrigens auch viel mit Privatem zu tun hat, oder warum gehen alle ganz privat auf die Toilette, machen nicht etwa auf die Strasse? Selbst das, was in unseren Betten passiert ist durchsetzt von Politik…hört sich absurd an, ist aber so). wenn Politik so anonymisiert und vereinzelt wird. Ich finde es schon ganz nett, auch zu sehen, wie ein Gegenüber spricht (Mimik, Gestik, Tonhaltung usw.; Texte kann man einfach kopieren usw.) und es ist auch ein gewisses Spüren von Gemeinschaft im Politischen für mich unabdingbar – und das wird das Internet wohl nie substituieren können.

Die Erfindung des Internets und des Computers war sicher ein wahnsinniger Schritt in andere Richtungen (nicht unbedingt nur “nach vorn”), das steht fest. Aber man sollte es nicht heiligen! Das Internet sollte nur ein Element in den politischen Spielen sein, nicht aber der Hauptträger (man denke an Obama und Merkel “Resetknopf im Notfall” …) ganzer politischer Entscheidungen und Bewegungen. Damit würden wir uns nämlich auf eine nie gekannte Art abhängig machen von Maschinen und das auch noch im Politischen. Das finde ich nicht sehr wünschenswert, erst recht nicht, wenn man bedenkt, wie gewisse Personenkreise mit dieser Sache hantieren (“Kinderpornoseiten sperren”, “Resetknopf” usw.) oder eben, wie die “Fachkräfte” dieser Erfindung heute ausgebildet werden.


Frank Bergmann
12.8.2010 22:36
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Die Online-AG der Internet-Enquete hat sich Liquid Feedback angesehen – aber auch andere Tools. Wir stehen erst am Anfang unseres Auswahlprozesses.

Ob und wie Liquid Feedback, Teile davon, andere Liquid-Tools oder weitere Beteiligungswerkzeuge für die Microsite der Enquete-Kommission eingesetzt werden, steht derzeit noch nicht fest.


Hadmut
12.8.2010 22:56
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Als bedenklich würde ich an der Stelle spontan den Punkt ansehen, daß hier jemand in den Kommentaren äußerte, daß die Sicherheit von LF gegen Bots usw. wesentlich darauf beruht, daß jedes Parteimitglied nur einen Account bekommt und als Mitglied verifiziert wird.

Wenn ich das richtig verstanden habe, soll LF bei der Enquete aber nicht (nur) intern für die 2×17 Leute eingesetzt werden (was wohl eher Overkill wäre) sondern um die Öffentlichkeit mit einzubinden. Und dann hat man das Problem, denn die Enquete hat ja außer diesen internern Mitgliedern nicht noch einen öffentlichen Mitgliederkreis aus identifzierten und verifizierten Personen (es sei denn, man würde z. B. per Post-Ident einen Account beantragen müssen, was aber wohl nicht im Sinne der Enquete wäre).


Manuel
13.8.2010 3:00
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Meine Bemerkung bzgl. Bots war auf folgenden Absatz von dir bezogen:

“Das heißt, daß das System hoch angreifbar ist, weil einzelne Gruppen, Spammer, Agitatoren, durch Anlegen von Accounts und Abstimmungen Ergebnisse produzieren können, die hinterher nicht mehr nachvollziehbar sind. Damit sind wir an dem Punkt, an dem Mailboxen, Foren usw. schon sind, nämlich Ziel von Bots, Trollen und Meinungsagenturen zu werden.”

Die von dir geschildete Gefahr ist imho substanzlos, weil nur Parteimitglieder einen Account anlegen können.


Hadmut
13.8.2010 9:51
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Hab ich ja verstanden – aber wer wäre im Falle des Einsatzes bei der Enquete-Kommission in der Rolle der „Parteimitglieder” ? So wie ich das verstehe, soll das ja nicht nur intern genutzt werden.


hanna
13.8.2010 11:22
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Hadmut hat Recht:

Jeder Versuch unsere Demokratie softwaremässig steuern
zu wollen, ist beim momentanen Stand der Technik nicht
nur eine Illusion, sondern auch ein Spiel mit dem Feuer.

Computer und auch dessen Software sind dafür einfach
zu leicht manipulierbar.
Als Unterstützung,OK,aber für Abstimmungen sollte der
althergebrachte Stimmzettel seine Macht ausspielen.

Wehret dem “Technopol”!


Daresch
25.8.2010 17:08
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Wer garantiert denn, dass nur Parteimitglieder dort angemeldet sind?
Beispiel: Ich könnte ja meinen Invite-Code irgendjemand anderen überlassen. Der sich von noch mehr Leuten Invite-Codes holt.
Und was is, wenn jemand aus der Partei austritt? Wenn es ja so anonym ist, dann könnte ich doch weiterhin dort Mitabstimmen, obwohl ich ja nicht mehr Mitglied bin. Denn es weiß ja angeblich niemand wer ich bin. Oder doch?

Grüße
Daresch


Hanno
1.9.2010 17:05
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Das Hauptproblem ist dass die Transparenz höher als der Datenschutz gesehen wird – wobei die politische Meinung als sensibles Datum gesetzlich angesehen wird.
Selbst wenn ich weder deligieren will noch deligiert bekommen möchte _muss_ ich bei LQFB “die Hosen runterlassen” – ungeachtet davon ob durch eine zu befürchtende Aufdeckung des “Pseudonyms” mir Nachteile entstehen können – egal ob beruflich, privat oder sonstwo.

Dieses Ungleichgewicht zwischen dem Transparenz-Gedanken und dem Datenschutz muss gelöst werden, ansonsten wird lqfb in der jetzigen Form nie funktionieren da immer nur eine kleine Gruppe (aber niemals ein repräsentativer Querschnitt) der Partei dieses Tool nutzen wird. Damit ist dann aber das Ziel von lqfb hinfällog.