Ansichten eines Informatikers

Deutscher Bundestag: Alles Sachverständige, lauter Sachverständige…

Hadmut
7.8.2010 11:21

Ich habe noch einen Brief vom Bundestag bekommen. Je mehr sich das aufhellt, desto absurder wird es.

In dem Hin- und Her um die Internet-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und den „Sachverständigen” „padeluun”, ausgewiesener Internetsachverständiger als Künstler, Netzaktivist, Punker und Super-8-Filmer, hatte ich die Frage aufgeworfen, welche Anforderungen der Bundestag an Sachverständige stellt, wann man in deren Augen „Sachverständiger” ist und wie sie das Prüfen. Die Antwort war zunächst, daß sie mir das nicht beantworten dürfen. In einer zweiten Antwort teilten sie mit, daß sie das gar nicht prüfen und die Fraktionen einfach benennen, wenn sie wollen.

Daraufhin hatte ich mir die Rückfrage erlaubt, warum sie, wenn es sich doch so verhielte wie beschrieben, diese Leute dann überhaupt „Sachverständige” nennen, wenn es doch einfach nur beliebige Personen seien. Ob darin nicht eine Täuschung des Wählers liege, wenn man den Bürgern und Wählern durch diese Bezeichnung eine Kompetenz vorgaukelt, die so ja nicht bestünde?

Nun habe ich die Antwort erhalten, diesmal auffallend schnell:

In einer Enquete-Kommission werden die Mitglieder, die nicht als Abgeordnete dem Bundestag angehören, üblicherweise als Sachverständige bezeichnet. Für die Auswahl dieser Kommissionsmitglieder und damit auch für die Beurteilung ihrer Sachkenntnisse sind nach der Geschäftsordnung des Bundestages die Fraktionen verantwortlich.

Das ist ein Hammer. Wem gegenüber sollen die Fraktionen denn verantwortlich sein? Dem Bürger und Wähler schulden sie keine Auskunft, sie werden (glaube ich, hab’s jetzt nicht vertieft geprüft) nicht vom Informationsfreiheitsgesetz erfaßt, und wenn man beispielsweise Abgeordnetenwatch verfolgt merkt man, daß die nur Auskunft geben, wenn es ihnen gerade in den Kram paßt und sie Lust haben.

Höchst bemerkenswert (sogar selbstironisch?) ist die Einschätzung des Bundestages, daß man schon dann als „Sachverständiger” zählt, wenn man kein Abgeordneter ist. Das ist doch mal ne Aussage – über Sachverständige und über Abgeordnete.

Es zeigt aber auch (wieder), wie man da von der Politik getäuscht wird, welcher Sprachpanscherei man da ausgesetzt ist. Und zwar nicht nur von einzelnen unredlichen Politikern, sondern von der Institution, dem Verfassungsorgan Bundestag als Ganzem.

Da werden einfach irgendwelche Typen in eine Kommission gesetzt, die auch noch unter Tarnnamen auftreten. Da wird Sachkunde vorgegaukelt, und denen, die am lautesten stören, der Bauch gepinselt, weil sie jetzt einen – oder sogar mehrere – der ihren Sachverständige des Bundestags nennen dürfen. Dem Volk wird vorgegaukelt, es würde beteiligt (siehe die geplante Volksbeteiligung als „18. Sachverständigen”, was unter diesen Umständen schon als Beleidigung zu werten ist), damit alle schön brav sind und hinterher glauben, sie hätten da irgendwie mitgewirkt oder wären irgendwie dabei vertreten gewesen. Und wenn dann dabei wieder Mist herauskommt, dann hat man doch ein paar Blitzableiter und Watschenmänner. Die waren’s. Was wollt Ihr denn, das Volk, die Interessengruppen, waren doch vertreten. Letztlich ist das Ziel einer solchen Vorgehensweise, daß man Gesetze macht, für die dann hinterher keiner verantwortlich ist. Bei der Kinderpornosperre hat man gesehen, daß wenn eine einzelne, klar ersichtliche Person – von der Leyen – mit fliegenden Fahnen vorausrennt, hinterher auch alle wissen und man nicht bestreiten kann, wer das verbockt hat und nicht kompetent war. Spannt man aber so einen Zirkus vor die Gesetzgebung, dann ist im Katastrophenfall niemand als Verantwortlicher zu identifizieren. Vor allem kein Politiker, denn die haben ja die Ausrede, auf die „Sachverständigen” gehört zu haben – die, die sie sich selbst als Stellvertreter geschnitzt haben. Raffiniert, oder?

Macht Euch mal bewußt, in wievielen Gesetzgebungsverfahren – nicht nur Internet – „Sachverständige” beteiligt sind und wie einflußreich die sind. Und wenn man mal danach bohrt, was eigentlich dahinter steckt, kommt so ein Blödsinn zu Tage. Eine so absurde Auffassung von „Sachverstand”. Die völlige Verlobbysierung des Argumentes, die Negierung der Intellektualität, direkter Ausdruck der Korruption.

Und dann wundern wir uns, daß wir immer mehr Steuern und Abgaben bezahlen, daß Renten- und Krankenkassenbeiträge immer mehr steigen, wir immer absurdere und unverständlichere Steuer- und andere Gesetze bekommen. Wenn doch die Fraktionen jeden beliebigen Interessenschwätzer, jedes Mietmaul, jeden Hanswurst als „Sachverständigen” ausgeben können.

Man lernt sehr viel über unseren Staat, wenn man einfach mal so ganz einfache Dinge fragt.

Und man lernt viel über die verschiedenen Interessengruppen, wenn man sowas nicht nur fragt, sondern auch noch darüber bloggt und sieht, welche Leute aus welchen Lagern es stört, daß man sowas fragt.