Ansichten eines Informatikers

Der fromme Gotteslärm

Hadmut
13.12.2009 16:24

Fredl Fesl sang in seinem Glockensong so herrlich ironisch vom frommen Gotteslärm der Kirchenglocken. Ich kann nicht so schön singen, aber meine Meinung darüber ist nicht besser.

Es tobt die Diskussion um Muezzine, Minarette und Religion. Wir sind das Land, in dem die Bauvorschriften alles bis zur Dachform, Farbe der Dachziegel und die Pflanzenarten im Vorgarten vorschreibt, und trotzdem schimpfen wir auf die Schweizer, weil die keine Minarette (wohlgemerkt nur keine Minarette, nicht keine Moscheen) wollen.

Ich kann mich mit dem Ruf des Muezzin in unserem Lande nicht anfreunden. Und habe offenbar auch ein ganz anderes Verständnis von Toleranz als viele der Multi-Kulti-Gutmenschen. Ich reise gerne, und werde in Kürze auch wieder in ein islamisches Land reisen. Und halte es für völlig normal, in Ordnung und akzeptabel, wenn dort der Muezzin nach den Landessitten ruft. Ich finde es zwar persönlich überhaupt nicht gut und lehne es grundsätzlich ab, wenn Frauen mit einem Sack über dem Kopf herumlaufen müssen. Ich respektiere und achte es aber, daß in fremden Ländern deren Sitte und Gebräuche, deren Kultur, Religion und Werte maßgeblich sind (und nicht meine) – jedenfalls in gewissem Umfang. Ich persönliche setze die Grenzen meiner Akzeptanz dort, wo es an die persönliche Freiheit, an die Meinungsfreiheit, die Reisefreiheit und die körperliche Integrität geht. Und ich bin im Gegensatz zu vielen anderen Leuten auch der Meinung, daß die Religionsfreiheit gewisse Grenzen hat, nämlich die, die der Name schon vorgibt. Religionsfreiheit kann sich nur auf eine religiöse Komponente beziehen. Eine Weltanschauung, die schon für sich selbst beansprucht, nicht nur Religion zu sein, sondern das ganze Leben, den Staat, das Recht und die Politik zu regulieren, also sehr weit über Religion hinausgeht, widerspricht sich selbst, wenn sie für sich den Schutz der Religionsfreiheit beansprucht.

Aber grundsätzlich respektiere ich das in anderen Ländern, denn ich reise ja nicht (wie es leider zu viele Deutsche tun) um in anderen Ländern Deutschtum wie Bier, Currywurst, Sauerkraut, Humpta-Humpta-Musik, nackte Brüste, deutsche Reiseleitung zu finden. Das hab ich hier alles in München. Ich reise, um andere Länder, andere Kulturen, andere Ideen, andere Geisteshaltungen, andere Geschichte zu finden. Und wenn ich dort bin, dann respektiere ich das, denn deshalb reise ich ja dorthin. Ich bin von meiner Grundtendenz Fotograph, nicht Missionar. Und ich respektiere es nicht nur, ich halte mich auch an die dortigen Sitten, Gebräuche, Kleidervorschriften. Wenn dort etwas als ungehörig oder unschicklich gilt, oder die Leute dort stört, dann lasse ich es bleiben. Wenn ich in chinesischen Tempeln bin, fotographiere ich nicht. Wenn ich in katholischen Kirchen bin, ziehe ich etwas langärmeliges an. Wenn ein Hut erwartet wird, ziehe ich einen auf. Und wenn erwartet wird, ihn abzunehmen, nehme ich ihn ab. Auf Uluru (Ayers Rock) bin ich nicht gestiegen, weil davor ein Schild steht, auf dem höflich gebeten wird, es bleiben zu lassen, weil es religiös unangemessen ist.

Genau diesen Respekt, den ich in einem islamischen Land dem Islam erweise, würde ich im Gegenzug auch von Muslimen in unserer säkulären Gesellschaft erwarten.

Ich habe aber immer öfter (und das nicht nur nach 8 Jahren Zusammenwohnen mit vielen muslimischen Leuten aller Länder im Studentenwohnheim) den starken Eindruck, daß Respekt aus muslimischer Sicht eine Einbahnstraße ist. Ständig fordern sie Respekt, sind aber allzu oft nicht bereit, selbst andere Kulturen zu respektieren. Und das fängt nicht erst bei dem (inzwischen schon arg strapazierten) Argument an, daß viele islamisch orientierte Länder gerade auf die Schweiz wegen deren Minarett-Entscheidung schimpfen, die selbst sehr restriktiv mit anderen Religionen umgehen. Insofern sorgt der Islam gerade selbst dafür, daß viele Leute das Auftreten des Islam für einen Machtanspruch halten.

Negativ aufgefallen ist mir, daß die islamische Welt unlängst die Deutschen an die Wand stellen wollte, weil in Dresden ein Russlanddeutscher eine Muslimin in einem Gericht erstochen hat, weil die sich von ihm nicht beleidigen lassen wollte. Da verlangte man gleich, daß sich die Kanzlerin Merkel bei der islamischen Welt entschuldigt, den Kotau ablegt. Als aber Nidal Malik Hassan in Fort Hood mit dem Ruf „Allah ist groß” 12 Leute erschoß, war von einer solchen Entschuldigung, wie man sie zuvor von Merkel gefordert hatte, nichts zu hören. Es verdichtet den Eindruck, daß der Islam mehr Respekt für sich selbst verlangt, als er anderen zu leisten bereit ist.

Mag sein, daß der Islam die Verschleierung der Frau vorschreibt. Ich habe mal versucht, den Koran (in deutscher Übersetzung) zu lesen, habe aber schnell aufgegeben. Ich verstehe den Text nicht. Es wirkt auf mich wie verklausulierte Beliebigkeit, mit der jemand seine persönliche Auffassung und Gedanken niedergeschrieben hat. Wie ein Tagebuch von Gedanken eines Menschen, mit dem mich nicht viel verbindet. Fremd, für mich nicht nachvollziehbar, meiner Logik und meinen Gedankengängen zuwiderlaufend. Extrem interpretations- und auslegungsbedürftig, was es ja wohl in der Realität auch ist. Daß die einzelnen Abschnitte nach deren Länge geordnet sind, macht auch nicht gerade den Eindruck eines inhaltlichen roten Fadens oder geordneter Gedanken. Dieses Verständnisproblem dürfte aber auch stark am kulturellen Hintergrund liegen. Während meiner schon erwähnten Zeit im Studentenwohnheim und dem (leider oft sehr schwierigen und problematischen ) Zusammenleben mit Muslimen vieler Länder, habe ich leider oft die Erfahrung gemacht, daß die Leute einem in fehlerfreiem gutem Deutsch etwas sagen, und man es nicht versteht, weil es so extrem andeutungs- und verweisungsreich und verklausuliert, und mit schnörkelhaften Formulierungen verziert und verdeckt war. Insofern ist es für mich praktisch unmöglich, mir ein eigenes Bild davon zu machen, was der Koran denn nun eigentlich vorschreibt und was nicht. Was ich aber beobachte ist, daß es im Islam ganz viele verschiedene Methoden gibt, Frauen in Säcke zu hüllen. Da reicht schon ein Gang durch die Müncher Fußgängerzone, um in einer halben Stunde mindestens ein Dutzend verschiedener Verhüllungsmethoden zu finden, je nach Herkunftsland. Das fängt am einen Ende mit schal-artigen Kopftüchern um ein freies, oft perfekt geschminktes und häufig verblüffend schönes Gesicht an (wo ich mir dann denke, Wow, die müßte genau so mal als Fotomodel auftreten), geht weiter bei den (nach meinem Empfinden dann leider schon hässlichen) türkischen Kopfschläuchen, besonders schlimm in Verbindung mit diesen unsäglichen Kitteln, dann kommen so irgendwelche verzierten Blechvisiere als wären wir in der Ritterzeit, Kopfbeutel mit Sehschlitz, manchmal verdeckt durch Häkelgitter, bis hin zu total schwarz vermummten rotationssymmetrischen Gestalten, bei denen man nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist, wenn sie stehen bleiben. Diese so verschiedenen Auslegungen sind aus meiner Sicht unvereinbar mit dem Anspruch, daß es sich um eine von einem Gott über einen Propheten einheitlich verkündete religiöse Anforderung halten soll. Anscheinend haben im Islam die menschengemachten unterschiedlichen Auslegungen und Interpretationen inzwischen viel mehr Gewicht, als der gottverkündete Koran. Was ja eigentlich dem Selbstverständnis des Islam als gottgegebene Religion zuwiderlaufen müßte. Insofern müßte man zu jeder religiösen Forderung klären, ob sie so im Koran steht oder nur aus einfachmenschlicher Interpretation stammt.

Liebe Muslime, ich betrachte ein solches Auftreten als Mangel an Respekt gegenüber meiner Kultur.

So, wie Ihr von mir erwartet, daß ich mich in islamischen Ländern an deren Kultur halte (und beispielsweise nicht nackt baden gehe oder in der Öffentlichkeit flirte), so müßte man umgekehrt auch erwarten können, daß man hier unsere Kultur beachtet, und hier sind eben andere Dinge kulturell gewachsen. Auch wenn es leider nicht alle Deutschen selbst wissen: Viele unserer Umgangsformen haben eine lange Kultur, stammen aus dem gefährlichen Mittelalter und beruhen auf gegenseitiger Friedlichkeit. Man stellt sich mit Namen vor, damit der andere weiß, mit wem er es zu tun hat. Man gibt die (Waffen-)Hand, damit der andere weiß, daß man gerade nicht den Dolch zieht. Unser Straßenverkehr ist ein Rechtsverkehr, weil man ursprünglich den von Tieren gezogenen Karren mit der Hand führte, dabei in der Mitte der Straße lief (Tiere außen) und dabei mit Entgegenkommenden so aneinander vorbeilief, daß notgedrungen die typische rechte Waffenhand zum Tierführen gebraucht wurde und nach außen zeigte, also den überraschenden Angriff massiv erschwert. Das Salutieren der Soldaten stammt vom Öffnen des Visiers der Rüstung, um dem anderen zu zeigen, wer man ist, um sich ins Gesicht zu sehen. Das Anstoßen beim Trinken hat den Ursprung, daß man sich früher gegenseitig etwas in die Gläser goß und die Getränke vermischte, um dem anderen zu beweisen, daß man sein Getränk nicht vergiftet hat. Bei uns ist es üblich, jemandem ins Gesicht zu sehen, wenn man mit ihm spricht, weil man ursprünglich so jede feindliche Regung schnell erkennen kann. Deshalb lehrt man Blinde, aus Höflichkeit so zu tun, als würden sie den anderen ansehen, auch wenn es ihnen nichts bringt oder sie den Kopf lieber so halten würden, daß sie besser hören. Das Darbieten der eigenen Gestik und Mimik ist Teil unserer Kommunikationskultur. Deren Verstecken wirkt befremdlich, worauf ja auch in der Literatur zurückgegriffen wird. Bedrohlichkeit wird oft durch Verhüllung und Verstecken der Mimik erzeugt, drastischstes Beispiel ist Darth Vader mit seinen Sturmtruppen. Tiere, Insekten, Roboter wirken bedrohlich, wenn und weil sie keine Mimik haben. In Japan arbeitet man mit Hochdruck an Mimik-Robotern. Ich halte es daher für eine Mißachtung unserer Kultur, wenn jemand das Gesicht verhüllt. Wir haben hier bei uns quasi so etwas wie ein kulturelles Vermummungsverbot. Von unserer relativ neuen Kultur der Gleichberechtigung und – viel wichtiger noch aber zu selten erwähnt – Gleichwertigkeit der Frau habe ich da noch gar nichts gesagt. Macht Euch bitte mal bewußt, daß das Herumlaufen im Sack ein ähnlicher Affront gegen unsere Kultur ist, wie wenn eine Frau in islamischen Ländern nur im String-Tanga herumliefe. Und nun bedenkt mal, welche Strafen sie sich damit einhandeln würde. Mancherorten gibt es schon Stockhiebe oder Peitsche, wenn Frau mal Hosen trägt. Was würden Muslime hier tun, wenn bei uns Leute ausgepeitscht würden, die dem Gegenüber ihr Gesicht nicht zeigen?

Wie läuft denn die Predigt in den Moscheen so ab? Predigt der Imam dort, daß man sich hier in Deutschland doch mit derselben Inbrunst unseren (Bekleidungs-)Sitten und Gebräuchen anschließen sollte, wie man in den muslimischen Ländern die Einhaltung der dort üblichen Bekleidungsarten erwartet? Gebietet der Islam unseren Kulturen gegenüber den gleichen Respekt, den er für sich selbst in Anspruch nimmt? Oder ist Respekt da nur eine Einbahnstraße? Alle haben den Islam zu respektieren, aber der Islam nichts außer sich selbst?

Ich habe mich mal mit ausgiebig mit zwei Musliminen darüber unterhalten. Sie sagten, daß die Verhüllung wertvoll sei, weil sie die Frau vor sexuellen Übergriffen schützt, denn in vielen islamischen Ländern könnte schon ein sehr geringer Anreiz wie ein Blick oder unbedeckte Haut zu heftigen Konsequenzen führen (vgl. dazu auch den Kommentar zu dem Eklat über eine Studentin im Minirock in Südamerika). Was bemerkenswerterweise überhaupt kein religiöser Grund ist, und trotzdem immer mit der Religionsfreiheit verteidigt werden soll. Man empfiehlt ja auch Europäerinnen und Amerikanerinnen, in arabischen Ländern unbedingt Spiegelbrillen zu tragen, damit es zu keinem mißverständlichen Augenkontakt kommt. Es könnte durchaus möglich sein, daß unsere Offenheit hier auf geringerem hormonellen Druck, anderer Erziehung (oder schlichtweg auf frühzeitige Gewöhnung an den Anblick einer Frau) zurückzuführen ist. Weshalb ich nicht (wie es manche mit europäischer Arroganz tun) die Verhüllung als generell unsinnig ansehe – mag ja sein, daß das in manchen Ländern diese Wirkung hat. Aber falls es so wäre, dann halte ich die Lösung des Problems unkontrollierbaren Sexualtriebs für unhaltbar, wenn sie allein und in dieser Weise auf die Frau abgewälzt wird. Wie dem auch sei, in unserer Kultur ist es üblich, daß eine Frau im Normalfall mit freiem Kopf herumlaufen kann, ohne sexuelle Gewalt zu erleiden. Wenn mir also eine Frau nur mit einem Sack über dem Kopf gegenübertritt, weil sie meint, nur so vor sexuellen Übergriffen geschützt zu sein, dann empfinde ich das als Beleidigung mir gegenüber – es sei denn, wir sind in einem Land, in dem diese Befürchtung gerechtfertigt oder zumindest Teil der Kultur geworden ist. Ich laufe auch nicht in der Wüste im Robbenfellanzug herum, nur weil es andere Länder gibt, in denen man ihn täglich zum Schutz braucht. Und wenn es tatsächlich – wie man mir sagte – dem Schutz vor sexuellen Übergriffen dient, dann soll man gefälligst auch nicht so tun, als habe das religiöse Gründe und unterliege der Religionsfreiheit. Der Schutz vor sexuellen Übergriffen mag berechtigt und nachvollziehbar sein, aber das ist dann Kriminalitätsprävention und nicht Religion. Sonst kommen als nächstes die Amerikaner und verlangen bei uns Religionsfreiheit für das Tragen von Schusswaffen.

Und genauso problematisch sehe ich den Ruf des Muezzin. Schon wenn man vom Inhalt und der religiösen Bedeutung mal absieht. Auch die Melodik und Harmonienlehre ist Teil der Kultur und Erziehung, sie wird im Säuglings- und Kleinkindalter (wie auch das Sprachempfinden) stark und kaum reversibel geprägt. Wir sind hier auf das 12-Ton-System mit Tonleitern aus 7 Tönen geprägt. Deshalb fällt uns Musik aus anderen Kulturen häufig so schwer, beispielsweise die chinesische Geige oder schon türkische Musik, die uns ziemlich heftig auf die Nerven gehen und als Gejaule empfunden werden können. Und das bringt es eben auch mit sich, daß arabische Melodik und der Gesang des Muezzin mit unserer Musikerziehung wenig kompatibel sind und als störend empfunden werden. Ein Glockenspiel in einem Rathausturm wird bei uns in aller Regel nicht als störend, sondern als Bereicherung empfunden, weil es sich in unser melodisches Empfinden einfügt. Der Ruf des Muezzin wird – obwohl man ja nicht versteht, was er sagt – melodisch als belästigend empfunden. Auch insofern könnte man erwarten, daß das respektiert wird.

Auch inhaltlich ist der Ruf des Muezzin aggressiv. Wenn ich richtig informiert bin, ruft der unter anderem doch, daß es keine Gottheit gäbe außer Allah. Ist das nicht als Angriff, als Beleidigung jeder anderen Religion zu sehen? Der Islam betont oft, daß es sich doch letztendlich bei allen drei biblischen Religionen um denselben Gott handele und sie sich deshalb vom Islam nicht angegriffen zu fühlen hätten. Was aber ist mit den anderen Religionen? Es gibt ja noch mehr. Heißt die Aussage des Islams, daß man denselben Gott wie Christen und Juden habe, nicht auch, daß man die anderen Religionen nicht als daseinsberechtigt ansieht? Wie wäre das mit unserem Grundrecht der Religionsfreiheit zu vereinbaren, wenn der Angehörige einer anderen Religion regelmäßig der über Lautsprecher ausgebrachten Behauptung ausgesetzt wäre, daß es „seinen” Gott nicht wirklich gäbe? Müßte da nicht jede Religion das Recht haben, über Lautsprecher zu verbreiten, daß nur sie die wahre Religion ist?

Auch hier möchte ich wieder mein Toleranz-Kriterium der Symmetrie anwenden: Wie lange würde es wohl jemand überleben, wenn er in einem islamischen Land Lautsprecher aufhängen und dreimal täglich verkünden würde, daß nur sein Gott echt und alle anderen (einschließlich Allah) nicht echt wären? Ich glaube nicht, daß er zu einem zweiten Ruf noch käme. Steinigung? Hinrichtung mit dem Schwert? Jedenfalls sofortige Festnahme. Der Islam nimmt sich selbst ein Recht heraus, das er anderen nicht einräumt, nämlich anderen Religionen die Existenz abzusprechen.

Apropos Symmetrie: Ich bin auf die Darbietungen der hiesigen christlichen Religionen nicht besser zu sprechen. Ich habe jahrelang in Karlsruhe in der Sophienstraße neben einer katholischen Kirche gewohnt, die einen unglaublichen Höllenlärm veranstaltet, der schon von der Lautstärke her in den Ohren weh tut. Sonntag morgens haben die einen Krach veranstaltet, der einen nicht mehr schlafen läßt, und abends dann auch. So laut, daß man den eigenen Fernseher nicht versteht. Ich halte es für paradox bis verlogen, wenn unsere Kirchen vor dem Verfassungsgericht gegen die Ladenöffnung am Sonntag klagen, von wegen Feiertagsruhe und geistige Erhebung, und dann selbst so einen Höllenradau veranstalten. Ich habe mich mal an einem Sonntag morgen vor die Kirche gestellt und geguckt, wieviele Leute da eigentlich kommen. Ein armseliges Häuflein, dessentwegen ein ganzer Stadtteil um die Sonntagsruhe gebracht wird. Auch das ist ein aggressiver, körperverletzender Machtanspruch.

Da stand einer rum, der da der Boß zu sein schien und die alle begrüßt hat, aber im grauen Anzug, also nicht der Pfarrer. Den habe ich mal angesprochen und gesagt, daß mir als direktem Nachbarn der Glockenklang zu laut sei, und mir auf die Gesundheit schlägt. Ob man das nicht etwas reduzieren könne. Nein, sagt er, das müsse so sein. Und auf manchen wirke der Glockenglang eben wie Musik (was vermutlich damit zusammenhängt, daß die allermeisten dieser Kirchgänger längst im Hörgerätealter waren und die das einfach runterregeln können). Mein Hinweis, daß ich es nicht als Musik, sondern als erhebliche Belästigung auffasse, wurde mit der klaren Aussage quittiert, daß sie das überhaupt nicht interessiere und ich auch keinen Rechtsanspruch dagegen hätte. Wenn ein Minarett ein Symbol des Machtanspruches ist, was ist dann dieses katholische Auftreten? Richtig ausfallend wurde er, als ich ihn fragte, warum sie den tollen Glockenklang, wenn sie ihn doch für so schön erachteten, nur vor und nach, aber nicht während ihrem Gottesdienst laufen lassen. Da rutschte ihm raus, daß sie doch dann Ruhe bräuchten und sie ja sonst die Predigt nicht verstehen würden. Aha, sagte ich, also doch keine süße Musik, dann könnten Sie sich ja doch ein Bild davon machen, wie es mir in meinem Wohnzimmer geht. Fand er nicht lustig.

Als ich das dann noch etwas eindringlicher vortrug, daß mir der Lärm in den Ohren schmerzt (die Schläge erreichen ziemlich heftige Spitzenwerte), wurde ich dann als Nazi beschimpft. Die Nazis hätten auch was gegen die Kirchen gehabt. Als ist jeder, den der Lärm stört, automatisch ein Nazi. (Rein historisch gesehen hätte man ja einwenden können, daß vielleicht die Nazis was gegen die katholische Kirche, aber die katholische Kirche erschreckend wenig gegen die Nazis gehabt hätte, aber das war mir einfach zu blöd, mich auf diesem dämlichen Knochenschädelniveau mit dem Mann auseinanderzusetzen. Intellektuelle Auseinandersetzung ist da nicht möglich, die haben ihre Macht und drücken sie rücksichtslos durch. Ende.)

Man könnte vielleicht noch erwähnen, daß die Kirchenglocken bei uns (meines Wissens) auch keinen religiösen sondern rein weltlichen Hintergrund haben. Soweit ich weiß, hat die Glocke überhaupt keine christliche Bedeutung, sondern diente im Mittelalter als Zeitangabe. Weil es keine allgemeinverfügbaren und genauen Uhren gab, hat man eben die Uhrzeit geschlagen. Zumindest als Kind kannte ich das noch, daß die Rathausuhr zu jeder Viertelstunde einmal und zu jeder vollen Stunde die Stunden schlug. Und dann brauchte man noch eine Feuerglocke, und eine für den Alarm, wenn die Stadt angegriffen wird. Und die mußte man natürlich hoch aufhängen. Weil im Mittelalter aber die Kirche die einzige Institution war (aufgrund ihres Machtanspruchs), die hohe Gebäude hatte, hängte man die Glocken eben auch an der Kirche oben auf. Wo man dann gleich noch den Ausguck für Feuer und Angreifer hatte, und den Wetterhahn auch noch anbrachte.

Aber soll man von einem solchen flammenden katholischen Verfechter des kirchlichen Glockenläutens erwarten können, daß er weiß, wo das Glockenläuten eigentlich herkommt und ob es religiösen oder weltlichen Ursprungs ist? Ich habe ihn gefragt, er wußte es nicht.

Zurück zu unserer Kultur.

Unsere Kultur und unser Rechtsverständnis sehen es eigentlich vor, daß die Wohnung unverletzlich ist und man sich in seine Wohnung zurückziehen kann, ungestört ist. Wir haben in Deutschland die Kalt-Kundenacquise per Telefon untersagt, und ich kann an meinen Briefkasten eine Schild kleben, wonach ich keine unverlangten Werbesendungen haben möchte. Man hat das Recht, in seiner Wohnung nicht belästigt zu werden. Und man hat insbesondere in seiner Wohnung das Recht der positiven und der negativen Religionsfreiheit. Weder muß man sich irgendeine Religion invasiv aufzwingen lassen, noch müßte man sich seine eigene Religion von irgendwem per Lautsprecher als unecht beleidigen lassen. Und damit müssen auch alle unverlangten (und zumindest nicht leicht zu beseitigenden, etwa durch Umschalten eines Rundfunksenders) Religionsbekundungen aus der Wohnung draußen bleiben. Eigentlich müßte man mal prüfen, ob das Verbot einer Kaltkundenacquise nicht auch den Zeugen Jehovas das Klingeln an der Tür verbietet, sofern man nicht schon „Kunde” bei denen ist. (Sind die eigentlich abmahnfähig?)

Langer Rede, kurzer Sinn: Ich halte beides, den Ruf des Muezzin, als auch das Läuten der Kirchenglocken für einen aggressiven Eingriff in meine Wohnung. Ich will meine Ruhe, und möchte sie mir nicht von den aggressiven und technisierten Marketing- und Drückermethoden irgendeiner Religionsindustrie nehmen lassen. Denn das muß man auch sehen, daß sich Religion heute nicht mehr zentral um Gottesglauben dreht, sondern um Macht, Mitglieder und Geschäft.

Diesen Video auf DER SPIEGEL kann man sich auch mal ansehen und sich so seine Meinung über Maßstäbe und deren doppelte bilden.

2 Kommentare (RSS-Feed)

Stefan W.
13.12.2009 20:15
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An der aktuellen Debatte regt mich verschiedenes auf.

Am meisten, daß man feudale Staaten wie Saudi Arabien ins Feld führt, um zu vergleichen, was wir dort dürfen, und die hier.

Es sind keine Saudis oder Türken, sondern Deutsche oder Schweizer um deren Rechte es geht, ad 1, und ad 2 ist die Religionsfreiheit, die für mich Freiheit von und nicht zu Religion ist, kein Privileg von Mehrheiten. Ich will in keine Kirche gehen, Wurscht was die Saudis wollen und erlauben.

Außerdem regt mich auf, daß wieder mal gehörig verrührt wird – neben Nationalitäten mit religiösen Bekenntnissen das Kopftuch und die Burka mit dem Minarett, der architektonisch sichtbare Machtanspruch mit dem akustischen, mit inhaltlichen und mit fundamentalistischen.

In der Schweiz ist eine Kampagne gefahren worden, die die Ressentiments angesprochen hat – ansonsten kann man die Minaretthysterie kaum erklären. Die Schweizer wollten die Muslime für 9-11 bestrafen, und für die unharmonische Musik, und die häßlichen Kopftücher.

Richtig ist, daß man sich in unserer Kultur in die Augen schaut, und sich in die Augen schauen läßt. Eine unbedeckte Wange ist für uns keine erotische Sensation, aber in anderen Kulturen zeigen die Frauen ihre Brust den ganzen Tag, ohne daß es die Männer erregt – man glaubt gar nicht, wie sehr das kulturell geprägt ist.

Aber ‘do as the Romans do’ – hier gehört es zu den guten Sitten die Brust zu bedecken und das Gesicht zu zeigen (bis auf viele, differenzierte Ausnahmen). Aber mit Strafgesetzbuch das äußere Erscheinungsbild einzuebnen ist auch nicht wünschenswert. Sonnenbrillen sind ja auch nicht verboten.

Ein Minarett finde ich eine architektonische Bereicherung. Ich meine nicht, daß unsere Städte aussehen sollen wie im 17. Jhr., weil die den ultimativen Geschmack hatten, daß Windmühlen schön aber Windräder häßlich sind, daß Antennen zum Stadtbild gehören, und Satelittenschüsseln nicht.

Wegkucken ist auch leicht – weghören nicht so. 3x 3min. Muezzingesang würde ich auch nicht wollen, obwohl ich weiß, wie schnell man sich auch an Lärm gewöhnt. Nach 2 Wochen Wohnen vor einer Straßenbahnhaltestelle konnte ich auch nicht mehr sagen, ob in den letzten 2 Minuten eine Bahn gehalten hat, obwohl da ordentlich Sone dahinter war.

Wenn man aber den Fernseher nicht mehr hört hilft auch keine Gewöhnung. Oder morgens vor 9:00 Uhr.

Das man nun nur mit der TA-Luft und Dezibelmeßgerät arbeitet ist wohl auch keine Lösung. Etwas Bestandschutz muß wohl sein. An der Lautstärke kann man aber wohl mit Dämpfungsmaßnahmen etwas drehen, und so den christlichen Glocken ihre Aggressivität nehmen.

Die Interpretation der hl. Schriften darf man den religiös befangenen m.E. nicht überlassen. Mal sagen sie so, mal sagen sie so. Wenn sie singen wollen, dann ist es der gemeinsame Gott (als Atheist werde ich da wieder übergangen) – soll einem der Kopf abgeschlagen werden, dann, weil man einen anderen, falschen Gott hat. Da sind die Christen ganz genauso – mal ist es der gleiche, mal ein anderer Gott.

Ich komme allerdings aus einem kath. Pfaffennest, in dem es alle 2 Straßen eine größere Kirche gibt. Da wird für jede 1/4 Stunde gebimmelt (1, 2, 3 und für die volle Stunde 4x + Uhrzeit, also um 7 Uhr ding, ding, ding, ding, und 7x Dong), und 1/4 Stunde vor Beginn der okkulten Praxis, und dann zur okkulten Praxis selbst auch noch mal ausgiebig. Um welche Uhrzeit das losgeht und eingestellt wird weiß ich nicht mehr – Weihnachten bin ich wieder da, mal sehen, ob ich dran denke drauf zu achten.

Meine Großtanten berichteten, daß früher auch 5x am Tag ‘der Engel des Herrn’ gebimmelt wurde (oder 3x?), wo dann der fromme Christ innehalten, und beten sollte – na, erinnert das an was? 🙂

Daß das Geläute einen weltlichen Ursprung hat bezweifle ich also, auch wenn das chronische Bimmeln eine praktische Komponente hatte.

Die Muslime sollen Minarette bauen, wie sie lustig sind, aber nicht davon runter singen – v.a. nicht verstärkt. Sie sollen sich nicht verschleiern, aber verbieten soll man es auch nicht. Zusammen mit den Christen und Juden sollen sie ihren Gott zur Folklore erklären, und den rationalen Dialog suchen. Und politisch sollten wir uns an Nationen mit mehr Freiheit orientieren, nicht am Jemen.


JosephL
14.1.2010 9:40
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So ein toller Bericht! Danke schön. Das Thema finde ich sehr wichtig und interessant! Grüße! Joseph