Ansichten eines Informatikers

Ich bin erschüttert.

Hadmut
12.2.2009 18:54

Ich war heute beim Zahnarzt.

Nein, keine Sorge, ich leide nicht unter Maulfäule, alles OK. Oder wie es in einer Werbung der Siebziger Jahre hieß: “Mutti, Mutti, er hat auch gar nicht gebohrt.” Meine Mundhygiene und mein Gesamtbefinden hat er gelobt, mich der besonderen Härte meines Zahnmaterials versichert und sich von der generellen Vollständigkeit meines Gebisses bis hin zur nachweislich mustergültigen Anwesenheit meiner Achter überzeugt. Und mich überdies ermutigt, mich auch weiterhin dem Gebrauch von Zahnseide zu widmen, dies würde sich offensichtlich bewähren. Der Befund an Zahnstein sei erfreulich gering, praktisch nicht vorhanden.

Nein, die Sache ist subtiler.

Auch wenn der Allgemeinzustand meiner Knabberleisten mehr als zufriedenstellend ist, besteht kein Anlaß, in übertriebenen Jubel auszubrechen. Abgesehen von einigen kosmetischen Individualitäten – meine Zähne sind zwar sehr hart, aber eben naturfarben und nicht Hollywood-weiß – und der Tatsache, daß ich einen Zahn habe, der etwas nach innen steht, sind doch einige Altschäden zu beklagen.

Als Kind hatte ich eine Zahnspange. Zwar habe ich die Behandlung damals abgebrochen, weil mir das Maul irgendwann einfach zu sehr weh getan hat, aber immerhin hat sie bis dahin fast alle Zähne auf Reihe gebracht. Und einigen Schaden angerichtet. Diese Zahnspange hatte nämlich so widerliche Drähte, die teils zwischen den Zähnen, teils in die Zähne rein standen. Und die mir irgendwie den Zahnschmelz beschädigt haben, oder vielleicht hat sich auch Unrat angesammelt. Dazu kamen dann die damals in den Siebzigern üblichen und von mir so heiß geliebten Zitronen- und Orangenlimonaden. Heute würde man sagen “Zuckerwasser”. Und ruckzuck war das Gebiß malträtiert.

Ungefähr seit ich 19 bin – damals kam ich zur Bundeswehr und habe darüber gestaunt, daß mir von einer Woche auf die andere das süße Zeug nicht mehr schmeckte und ich plötzlich das früher so gehaßte “saure Wasser” mochte – kam eigentlich fast nichts an neuen Schäden mehr dazu. Aber die alten waren eben da. Als Jugendlicher hatte ich deshalb eine Ladung voll Amalgam abbekommen. Damals Standard. Die hielten ein paar Jahre und fingen während meiner Studentenzeit an, so nach und nach zu zerbröseln. Also wurden sie erneuert. Da war Amalgam teils auch noch in und als Studi hatte ich sowieso kein Geld, also meistens wieder Amalgam. Auch die hielten wieder einige Jahre.

Dann kam die nächste Runde, ich war da aber schon im Beruf und eben besser betucht als zu Studi-Zeiten. Und weil ein Backenzahn durch das mehrfache ausbohren und füllen schon so instabil geworden war, daß er zu brechen drohte, wenn man ihn nochmal mit einer Füllung vollstopft, habe ich mir von meinem damaligen Karlsruher Zahnarzt eine Keramik-Krone machen lassen. Nicht ganz billig. Sieht aber aus wie echt und hat sich bisher bewährt. (Amalgam will ich nicht mehr, Gold im Gebiß find ich so häßlich). Beim heutigen Zahnarzt-Besuch war der voll des Lobes über die außergewöhnlich hohe Qualität dieser Krone. Hervorragende Arbeit, besser als das, was man oft sähe. Und das nach inzwischen etwa (weiß nicht mehr genau) 8 Jahren. Ich muß mal den Karlsruher Zahnarzt anrufen und ihm das sagen.

Dann war ich einige Zeit in Dresden zugange. Wieder sind zwei der alten Amalgam-Füllungen zerbröselt. Da hab ich gedacht, ich könnte mir doch mal was leisten. Und habe mir bei einem Dresdner Zahnarzt das reinbauen lassen, was er damals als das beste verfügbare beschrieben hat: Keramik Inlays. Wenn der Zahn im Prinzip noch gut genug ist, daß man ihn nur füllen muß und nicht überkronen. Kostet auch was (bin Kassenpatient, weil man als jemand, der gelegentlich zwischen Freiberuf und Anstellung wechselt, immer Pflichtzeiten hat) extra. Ich weiß heute nicht mehr, wieviel genau das war, müßte ich nachgucken, aber ich glaub, das waren so um die 400 bis 500 Euro pro Zahn. Ja, sagte der, das wäre halt günstiger, weil er nach Ost-Tarif arbeiten muß und deshalb nur weniger Geld nehmen kann als die im Westen. Was bin ich für ein Glückspilz. Außerdem hätte er da etwas ganz besonderes. Hochmodern. Das Allerneuste. Eine Maschine, die die Dinger vor Ort herstellt. Man bohrt den Zahn auf, hält eine Kamera drüber, die vermißt den Zahn dreidimensional und fräst dann aus einem Keramik-Rohling die Füllung. Reinzementieren, fertig. Gesagt, getan. Erst einen, und etwa zwei Jahre später noch mal einen. Ich war zufrieden. Sitzt gut, fest und dicht. Fühlt sich für die Zunge wunderbar an, eigentlich besser als echter Zahn. Selbst klebrige Speisen, Karamel usw. haften überhaupt nicht dran. Schön glatt. Sehr angenehm. Bis heute dachte ich, das wäre prima.

Der eigentliche Grund meines heutigen Zahnarztbesuches war aber folgender: Vor fast einem Jahr war mir auf einer Dienstreise nach Berlin wieder mal eine der letzten verbliebenen alten Amalgam-Füllungen rausgebröselt. So langsam leert sich’s. In aller Eile bin ich zum nächstbesten Zahnarzt in Berlin. Weil ich eigentlich wieder Keramik-Inlays haben wollte, das aber auf die Schnelle im reingeschobenen Not-Termin nicht ging, hat er mir nur eine “provisorische” Zementfüllung gemacht, gleich noch für eine zweite, die auch schon morsch war. Er sagte, die hält etwa 3-4 Monate. Inzwischen ist das 10 Monate her. Und keine Ermüdungserscheinungen. Weil ich aber demnächst wieder unterwegs bin, wollte ich das prophylaktisch mal checken lassen. Und bin hier wieder zu einem neuen Zahnarzt, im Raum München. (Verdammt schwer, hier einen Termin zu bekommen…).

Nöh, meint der, die Zementfüllungen seien in einem prima Zustand, die halten noch eine ganze Weile. Das mit den 3-4 Monaten habe der andere Zahnarzt nur gesagt, weil das die ganz sichere Mindesthaltbarkeit ist, damit man ihm keine Vorwürfe machen kann, das sei ja auch seriös, aber da bestünde kein Handlungsbedarf, damit könnte ich noch ne ganze Weile kauen. Prima, sag ich, das ist ja wunderbar. Ich wüßte aber gern, was es kosten würde, die bei ihm durch Keramik-Inlays auszutauschen, was ja dann in nicht allzu weiter Ferne doch anstünde. (Ich war nämlich erstaunt, daß mir ein anderer Zahnarzt, bei dem ich zunächst nach einem Termin gefragt hatte, einen Preis von 950 Euro pro Zahn gesagt hatte. Etwa doppelt so teuer wie die in Dresden. Da würde sich ja sogar die Fahrt nach Dresden samt Hotel lohnen.) Der Zahnarzt, bei dem ich jetzt war, nannte mir auch so “ungefähr 900 Euro”, fragte aber etwas verständnislos, warum ich Keramik-Inlays haben wollte. Das wäre eigentlich überflüssiger Luxus, von dem er mir abraten würde, wenn ich nicht zufällig der Münchner sei, der gerade den Lotto-Jackpot geknackt hat. Moderne mit Keramik-Partikeln verstärkte Kunststoff-Füllungen seien effektiv genauso gut, viel schneller und einfacher einzusetzen, heutzutage nahezu unsichtbar zu machen und kosteten lediglich etwa 120 Euro. Er selbst sei außer Zahnarzt auch ausgebildeter Zahntechniker und hat selbst diese Füllungen im Mund. Warum ich denn Keramik-Inlays wolle.

Och, sage ich, ich hab doch schon zwei von den Dingern, und bin damit zufrieden. Der guckt mich ungläubig an. “Was? Sie haben Keramik-Inlays? Wo?” Eine etwas überraschende Frage, wenn sie von einem Zahnarzt kommt, der einem gerade eben den Zahnstatus aufgenommen hat. Na hier, diese beiden da. Er guckt noch mal rein und hält die Sonde dran.

“Tatsächlich,” sagt er, “das ist Keramik. Ich hab die auch für provisorische gehalten. Wer hat die denn gemacht???” Na, ich erzähl’s ihm. Wie, fragt er, sind das diese [ich hab den Namen vergessen], die man in der Praxis selbst herstellt? Ähm, ja. Todernst, mit dem Tonfall eines Pathologen, der an der Leiche gerade die Ursache für 300 Flugzeugabstürze entdeckt und weiteren 300 Passagieren die Unheilbarkeit ihres Leidens prophezeit, sagt er zu seiner Assistentin “Guck mal. Siehste, das ist genau der Grund, warum ich die Dinger nicht mache.”

Leute, wißt Ihr, was für ein Gefühl das ist, beim Zahnarzt mit den Füßen nach oben, dem Kopf nach unten und sperrangelweit offenem Maul zu liegen und ihn zur Assistentin sagen zu hören “Das ist genau der Grund, warum ich sowas nicht mache”?

Ich gucke ihn fragend an. Ob ich überhaupt noch bis zum nächsten Zahnarzttermin überleben würde. Ob er nicht ein günstiges Gebrauchtgebiss für mich hätte. So in der Art.

Er beruhigt mich. So ein bischen in dem Tonfall wie auch wenn man nur noch zwei Monate zu leben hat, kann man ja doch noch etwas Spaß haben. Drückt mir einen Spiegel in die Hand. Erklärt mir anhand der gut gebauten Krone aus Karlsruhe und anhand eines Zahnmodells, daß ein guter Zahnersatz die Form des Zahnes in der Innenseite, also diese Furchen usw. gut nachbildet. Auf der anderen Seite seien meine hausgemachten Inlays oben völlig glatt. Ich würde im Winter ja auch nicht mit glatten sondern stark profilierten Sohlen rumlaufen. Ich bin nicht sicher, ob mir das einleuchtet und nehme mir vor, mit der rechten Seite nur noch im Sommer zu kauen. Aber immerhin würden sie, von der grundsätzlichen Glätte mal abgesehen, ihren Dienst erfüllen, sie würden gut sitzen, gut dichten, nur daß sie eben glatt wären und wie Provisorien aussähen. Es wäre aber nicht notwendig, sie wieder herauszubrechen. Ich könne damit leben. Und da hat der mir in Dresden erzählt, das wäre das beste und tollste, was es derzeit gibt.

Ich bin erschüttert. Zutiefst verunsichert. Ich habe zwei doch einigermaßen teure Füllungen, die selbst ein Zahnarzt unter der Lampe für billige Provisorien gehalten hat.

Und was heißt das jetzt? Laufe ich Gefahr, beim Essen am Fleisch abzurutschen? Habe ich mir Ost-Pfusch andrehen lassen?

Also werde ich beim nächsten Mal die keramikverstärkten Kunststoff-Füllungen zu 120 ausprobieren. Und hier berichten.

Wie sagte Dieter Hildebrandt kürzlich so schön? Mit den Dritten beißt man besser.

Nachtrag: Vor lauter glatten Zähnen hab ich ganz vergessen, was ich mir vor dem Erlebnis eigentlich zu bloggen vorgenommen hatte: Ich mußte nämlich erst mal mehrere Formulare unterschreiben, daß ich mit der Datenspeicherung hier, der Übertragung da, der Rechnungsstellung durch diese Firma und jenen Dienstleister, der Abtretung eventueller privatpatientenmäßiger Forderungen an jenes Inkasso-Unternehmen usw. usw. einverstanden sei. Den Arbeitgeber wollten sie auch gleich wissen, vermutlich um sich schon mal auf eine Lohnpfändung einzustimmen. Da geht’s inzwischen zu wie in der IT-Branche. Alles wird an externe Dienstleister ausgelagert und datenschutzrechtlich abgeklappert. Könnte wohl nötig sein. Kam da nicht kürzlich was im Radio darüber, daß in Ulm oder Neu-Ulm ein wildgewordener Zahnarzt ob der Vielzahl ausstehender Rechnungen bei einer zahlungsunwilligen Patientin überraschend an der Tür geklingelt hat, und als sie aufmachte sich auf sie stürzte um ihr den nicht bezahlten Zahn wieder herauszureissen?

Ein Kommentar (RSS-Feed)

Jens
14.2.2009 23:19
Kommentarlink

Bei mir wollte mal ein Arzt einen alternativen Rechnungsempfänger (“Ihre Eltern, _falls_ mal was Größeres anfällt”). Das hab ich denen aber ganz schnell ausgetrieben.

Und ein anderer Arzt wollte von mir als Familienversichertem mal das Geburtsdatum und den Namen des Hauptversicherten. Hat er dummerweise gekriegt – die KV hat mir hinterher bestätigt, daß er das nicht benötigt.