Ansichten eines Informatikers

Schäuble und unsere Verfassung

Hadmut
20.1.2008 19:42

Manchmal liest man Sachen, da fällt einem nichts mehr ein. Fast nichts mehr. Für einen Blog-Eintrag reicht’s gerade noch. Unser geliebter Innenminister Schäuble läßt laut Heise-Newsticker bzw. Originalartikel in der Welt Sachen los, bei denen man sich fragen muß, ob die verfassungsfeindlichen Elemente nicht auch in der Regierung sitzen.

Der dickste Hammer ist dabei folgende Stelle:

WELT ONLINE: Die Frage, was im Kampf gegen den Terror erlaubt ist, zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Amtszeit. Nicht immer sind Sie dabei einer Meinung mit dem Bundesverfassungsgericht. Woran liegt das?

Schäuble: Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo. Wo diese Grenzen sind, wie man die gegensätzlichen Interessen abgrenzt, ist Sache des Gesetzgebers. Ich verstehe, dass manche Verfassungsrichter gern Ratschläge geben würden. Dazu sind sie aber nicht demokratisch legitimiert. Sie haben – und das ist genauso wichtig – zu entscheiden, ob rechtliche Regeln eingehalten werden. Wenn sich alle an diese Begrenzungen der Kompetenzen halten, ist es ein fruchtbares Miteinander.

So ganz einfach auseinanderzunehmen ist das allerdings nicht. Schäuble fährt sowas immer haarscharf grenzwertig und genau abgezirkelt. Der weiß genau, was er da sagt und anzettelt.

Richtig ist zwar, daß das BVerfG nicht für Ratschläge legitimiert ist, sondern nur für Entscheidungen. Allerdings können Entscheidungen durch die Freiheit des Richters durchaus auch Ratschläge enthalten. Ist das BVerfG demokratisch legitimiert?

Artikel 94 Abs. 1 GG:
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt. Sie dürfen weder dem Bundestage, dem Bundesrate, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.

Immerhin sind sie gewählt, wenn auch indirekt.

Sind denn Bundesminister auch demokratisch gewählt? Nein:

Artikel 64 Abs. 1 GG:
Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.

Die werden also nur vom Bundeskanzler und damit de facto von irgendwelchen parteiinternenen Ränkespielen ausgewählt. Eine Wahl eines Ministers gibt es nicht. Also haben Verfassungsrichter (an deren Seriosität ich erhebliche Zweifel habe, aber das ist ein anderes Thema…) jedenfalls mehr demokratische Legitimation als Schäuble. Könnte mich auch nicht erinnern, daß irgendwer mal gefragt hätte, wen man als Minister haben will. Das wird immer erst nach der Wahl ausgekungelt.

Höchst bedenklich finde ich, daß Schäuble meint, daß es Sache des Gesetzgebers wäre festzulegen, wo die grundrechtlich geschützten Bereiche enden. Damit würde der Schutz nämlich der Willkür des Gesetzgebers unterliegen und damit leerlaufen. Es ist nämlich genau andersherum:

Artikel 1 Abs. 3 GG:
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Das heißt, nicht der Gesetzgeber sagt, wo die grundrechtlich geschützten Bereiche enden, wie Schäuble meint, sondern die Grundrechte bzw. die Verfassung sagt, wo die Befugnisse des Gesetzgebers enden, also genau umgekehrt. Schäuble steht (sitzt) unter der Verfassung und nicht über ihr.

Bedenkt man, welche Grundrechtseingriffe da gerade durchgesetzt werden, kann es einem angesichts solcher Äußerungen Angst und Bange werden. Ob jemand, der sich so äußert, noch als demokratisches Organ angesehen werden kann, ist fraglich. Denn, und das übersehen viele, der Souverän ist das Volk, das auch die Verfassung gegeben hat. Demokratie, also wörtlich die Herrschaft des Volkes, setzt damit zwingend die Unterwerfung unter die Verfassung voraus. Was Schäuble da sagt ist also unmittelbar demokratiefeindlich.

Vor Jahren habe ich mal eine Sendung gesehen, in der irgendwelche jungen Leute mit Mikro und Fernsehkamera vor dem Bundestag und anderen Politikerburgen rumgerannt sind und Politiker abgepasst haben um sie zu fragen, ob sie Artikel 1 GG kennen. Das Ergebnis war mehr als peinlich und beklemmend. Könnte man wieder mal probieren. Wobei man an die Politiker heute sicherlich nicht mehr drankommt.

Unkenntnis sehe ich aber eher bei denen, die Schäuble da machen lassen. Dumm ist der Mann nämlich nicht, ich glaube schon, daß der ganz genau weiß, was in der Verfassung steht, sonst könnte er das nicht so systematisch untergraben.

Gucken wir noch mal ins Grundgesetz:

Artikel 64 Absatz 2 GG:
Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestage den in Artikel 56 vorgesehenen Eid.

Artikel 56 GG:
Der Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid:

“Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.”

Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.

Ah, ja.

Hatte nicht die CDU mal vorgeschlagen, die Verfassungstreue von Ausländern dadurch zu erzwingen, daß sie erst dann die Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie auch einen Eid auf unsere Verfassung ablegen?

8 Kommentare (RSS-Feed)

Jens
20.1.2008 20:56
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Ist das BVerfG demokratisch legitimiert?

Seine rechtsprechende Gewalt geht wie alle Staatsgewalt vom Volke aus – natürlich ist es also demokratisch legitimiert.


Hadmut
20.1.2008 22:08
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Das ist ein Zirkelschluß. Bloß weil über einem Urteil “Im Namen des Volkes” steht, heißt das noch nicht, daß das so ist. Das ist der Soll-, aber nicht unbedingt der Ist-Zustand. Aber es ist besser als bei Bundesministern.

Schon mal aufgefallen, daß der Unterschied zwischen “rechtsprechend” und “rechtsbrechend” nur in der winzigen Verschiebung eines Striches liegt?


yasar
20.1.2008 23:08
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Apropos Eid auf die Verfassung:

ich bin ja eh der Meinung, daß sowieso spätestens mit der Volljährigkeit an alle, die deutscher Staatsbürger sein wollen, also auch den per “Geburt” dazu auserkorenen, dieselben strengen Forderungen zu stellen, wie man sie denen stellt, die das bewußt durch eigenen Willen anstreben.

Wäre mal interessant, wieviele da “abgelehnt” würden. (Ich danke da an die Sprach- und vor allem auch an die Gesinnungsprüfung mit den komischen Fragen, die sich da einige ausgedacht haben.


Hadmut
20.1.2008 23:18
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Die Idee ist nicht schlecht, aber schwer umzusetzen:

Einen Ausländer, der den Eid nicht ablegt, läßt man halt nicht rein. Ob nun gut oder schlecht, es ist behördenmäßig durchführbar.

Was aber macht man mit den Deutschen, die nicht schwören? Rauswerfen kann man die völkerrechtlich nicht. Die nimmt ja auch keiner. Ginge das, wäre das eigentlich keine schlechte Idee, das rechtsradikale und arbeitsscheue Dummvolk rauszuwerfen, daß sich sein Hartz IV von türkisch-stämmigen Steuerzahlern bezahlen läßt. 😉


Jens
21.1.2008 1:56
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Nicht schlecht? Ich finde sie ehrlich gesagt scheiße. Insbesondere ist sie mit dem Wesen der Staatsangehörigkeit nicht vereinbar.


Hadmut
21.1.2008 2:18
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…ich hatte eigentlich gedacht, daß man die Ironie herausliest. Klappt halt auch nicht immer so…


Stefan
21.1.2008 8:31
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Herr Schäuble kennt nur ein Grundrecht: Schauen, was geht.
Er ist damit aber nicht alleine – Weltweit reißt die Executive soviel Macht an sich, wie sie kann – siehe Guantanamo.

Vielleicht ist das aber auch nur eine neue “Untergang des Abendlandes” – Endzeitstimmung und es war in Wahrheit schon immer so.
Vor dem Zerfall der SU konnte man mit Menschenrechten sein propagandistisches Süppchen anrühren, und hat daher häufiger diese im Munde geführt – jetzt hat man nur noch fernöstliche Handelspartner/-Konkurrenten und eine Pseudokardinalsgefahr “Islamismus” – da sind Menschenrechte kein handliches Werkzeug und ergo kommen sie in die Rumpelkammer – um nicht zu sagen: auf den Müll.

Radikaler Pragmatismus, wie er sich auch im Kommentar einiger SPD-Abgeordneter zur Vorratsdatenspeicherung zeigte, und hier gut dargestellt:
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/index.php?s=Vorratsdatenspeicherung


yasar
21.1.2008 19:19
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Lösung des “Nicht-Eingebürgert-Werdens”: Man braucht die nicht “rauszuschmeißen”. Dann sind die halt einfach staatenlos. 🙂

Das reicht aber zumindest, die Leute von Schmarotzen und dem Wählen von den falschen Leuten abzuhalten.

Achtung: Die Ironietags sind unsichtbar!