Ansichten eines Informatikers

Von der Quelle der Demokratie und ihrem Versiegen

Hadmut
31.8.2020 23:59

Weil Leser gerade fragen, welche Möglichkeiten der demokratischen Partizipation ich noch sehe, wenn ich doch von Demonstrationen schon nichts halte.

Falsche Frage.

Ich glaube, wir sind am Ende der Demokratie angelangt, Endphase. Ich hatte ja schon geschrieben, dass ich den Peak Intelligenz und einiges andere überschritten und keinen Weg zurück sehe. Da ist keine Demokratie mehr, an der zu partizipieren wäre, weshalb sich die Frage nach dem Weg nicht stellt.

Oder (wie schon so oft) anders gesagt: Die haben mir zwar die Karriere kaputt gemacht und ziemlich versaut (was ja der Grund war, warum ich mich damit befasst habe, was da abläuft), aber mit meinem Geburtsdatum hatte ich ziemliches Glück, den Krieg lange genug vor mir, um nur noch wenig davon mitzubekommen. Ich habe als kleines Kind noch diverse Kriegsschäden gesehen und noch in einem Haus gewohnt, in dessen Dachstuhl man noch sehen konnte, dass dort Bombeneinschläge nur behelfsmäßig geflickt worden waren, noch die letzten Tage eines zerbombten Bahnhofs vor dessen Abriss gesehen, aber ansonsten war ich spät genug dran, dass die Kriegsfolgen gerade überwunden waren. Elektronik, Digitalisierung, Wissenschaftsgesellschaft, Internet, Digitalkameras, um die Welt reisen, nie Hunger, (vor Corona und abgesehen von AIDS) nie irgendwelche größeren Krankheitsausbrüche, und eben: Demokratie. Meinungsfreiheit. Eine sichere Gesellschaft.

Ich hatte das noch.

Jüngere wissen gar nicht, was ihnen fehlt, was sie nie hatten. Und wohl nie haben werden.

Ich kenne das noch so, dass man auch nachts um 3 völlig unbehelligt und sicher durch Städte gehen konnte und auch Frauen praktisch keine Angst haben mussten. Diebstahl, Überfall und sowas so selten waren, dass man sie kaum beachten musste (außer in den Fahrradständern des Studentenwohnheimes). Das gab es gar nicht, dass Autos einfach so angezündet wurden.

Ich glaube, die Demokratie war nur eine kurze Episode, ein Aufflackern von Freiheit. Ein loderndes Feuer, das gerade so vor sich hin erlischt.

Und wenn ich weiter darüber nachdenke, dann war das alles, was ich aufgezählt habe, all die Sicherheit, die Entwicklung der Elektronik, die Möglichkeit zu Reisen, eine Folge des Krieges zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus, des zweiten Weltkrieges. Der Horror, den man gegen den anderen Horror Kommunismus eingesetzt hatte, hat nicht nur dazu geführt, dass der Kommunismus zunächst mal für Jahrzehnte eine Grenzlinie hatte, sondern auch, dass man aus dem Entsetzen heraus und dem Wunsch, es nicht mehr dazu kommen zu lassen, die Energie hatte, das alles in die Gegenrichtung schwappen zu lassen.

Ich hatte mal geschrieben, dass die Nazis so etwas wie der Negativabdruck des Kommunismus der Sorte 1917 ff. waren, um den zu kompensieren, abzuwehren. Im Prinzip war dann unsere Demokratie so etwas wie der Versuch des Negativabdrucks der Nazis, so irgendwo zwischen 39 und 45, um die zu kompensieren, abzuwehren. Aber das funktioniert eben so nicht, dass man irgendwas Schlimmes nimmt und glaubt, es würde etwas stabil Gutes, wenn man einfach einen Gipsabdruck nimmt. So gesehen waren unsere so 50 bis 60 Jahre Demokratie damit letztlich eine Folge der Nazis. Ohne die hätten wir – so grotesk sich das anhören mag – die Demokratie nicht gehabt. Zuvor gab es Monarchie, Kommunismus, und eine dysfunktionale Weimarer Republik, die nicht so richtig lebensfähig war. Und selbst die war auch schon nur eine Folge des ersten Weltkriegs.

Ich glaube, dass diese Horror-vor-dem-Nationalsozioalismus-und-Kommunismus-Energie, die die Demokratie zum Leben erweckt hat wie der Blitzschlag des Frankensteins Monster, schlicht verbraucht ist. Das ganze Antifa-Geschrei führt dazu, dass man sich so an den Nazi-Horror gewöhnt hat, wie jemand, den man zwingt, ein- und dieselbe Geisterbahn jahrelang, jahrezehntelang ununterbrochen zu fahren. Irgendwann erschreckt man nicht mehr, weil man alles schon kennt.

Die Energie ist raus. Man dachte nie an die Energiequelle. Bei uns kommt die Demokratie aus der Steckdose, dachte man.

Das ist vorbei. Hier. In den USA. Überall.

Ich mache mir nicht die Illusion, dass wir wieder zu einer Demokratie zurückkehren können. Nicht mehr innerhalb unserer Lebensspanne.

Das Ding ist kaputt, das wird nichts mehr, die Schäden sind zu groß, zu fortgeschritten, irreparabel.

Ich sehe auch keine stabile Regierungsform, keine Staatsform für die Zukunft mehr. Höchstens noch Facebook und Amazon. Vielleicht kommt es tatsächlich dazu, dass das Konstrukt der Staaten in sich zusammenfällt, und dann Konzerne, die immer mehr Milliarden, ach, was sag ich, Billionen auftürmen und nicht wissen, wohin damit, Staaten aufkaufen und die Staatsbürgerschaft durch ein Amazon- oder Facebook-Konto ersetzen. Mit entsprechenden AGB. Als ob man direkt in den Amazon Store einzieht. So etwa stelle ich mir die Zukunft vor. Sicheres Leben als Dienstleistung eines Konzernes, der dann für Sicherheit, Versorgung und so weiter sorgt. Demokratie gibt es nicht mehr. Gesetze werden nicht mehr durch Parlamente beschlossen und erlassen, sondern als neue Version der AGB wie beim iPhone verkündet. Klicken Sie hier auf „Einverstanden” oder gehen Sie. Alle Äußerungen werden gefiltert. Wer nicht negativ auffällt, erhält bei Amazon Rabattangebote.

Warum ich trotzdem darüber noch blogge?

Idealismus. Die Arbeit eines Chronisten.

Und aus demselben Grund, aus dem die Kapelle auf der Titanic noch gespielt hat.