Ansichten eines Informatikers

Die große rot-grüne Enteignungs-Fake-Show

Hadmut
8.4.2019 19:16

Ich glaube, wir werden gerade nach Strich und Faden verarscht. Zumindest die, die sich verarschen lassen. Also fast alle. [Korrekturchen]

In letzter Zeit wird doch alle paar Tage eine kleinere und alle zwei Wochen eine große sozialistisch-kommunistische Sau durch’s Dorf getrieben, stehen wir unter einem Dauerfeuer von sozialistischen Pseudogerechtigkeitsforderungen, als wollte man jetzt unbedingt den Weltkommunismus durchsetzen, oder wenigstens Europa zum kommunistischen Gebilde machen.

Seit ein paar Tagen geht es nun um Wohnraumenteignung und wie auf Kommando – die Medien wie immer gehorsam und Gewehr bei Fuß als treue Politsoldaten – brach heute quasi eine ganze Kampagnenlawine in Presse und Social Media über uns herein.

Alles jubelt, dass das Grundgesetz mit jenem Artikel 15 Grundgesetz ja eigentlich auch ganz andere Gesellschaftsformen als den Kapitalismus vorsehe und der Sozialismus quasi vom Grundgesetz vorgesehen sei. Hurra, wir werden jetzt sozialistisch. (Eben noch hat man Trump für seine Mauer verdammt, irgendwann wird auch hier plötzlich wieder eine da stehen.)

Sogar mancher Rechtsanwalt (!) stimmte in den Chor mit ein:

Ausnahmefälle. Wie das so ist mit Ausnahmefällen. Die ganze DDR war ein Ausnahmefall.

Nun habe ich mich ja mit manchen Bereichen des Grundgesetzes intensiv befasst, aber mit diesem Thema Enteignung bisher noch gar nicht. Da kannte ich mich noch gar nicht aus. Also habe ich heute so ein bisschen gelesen.

Ich habe ziemlich schnell den Eindruck gewonnen, dass das alles Fake und Verarsche ist, dass die entweder nur bluffen und Wähler bis zur Europawahl täuschen, oder von vornherein gar nicht vor haben, sich noch an das Grundgesetz zu halten.

Warum?

Lasst’s mich erklären.

Artikel 14 Grundgesetz

Es wurde zwar heute von einer Reihe von Leuten ausdrücklich gesagt und in den Medien betont, dass man nicht nach dem üblichen Enteigungsartikel 14, sondern nach dem verstaubten und weniger gebräuchlichen Artikel 15 enteignen will. Trotzdem will ich zum Verständnis erst mal den Artikel 14 zitieren:

Artikel 14 Grundgesetz

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Da geht es also um die übliche Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit. So ein Klassiker, etwa wenn man irgendwo eine Autobahn hinbauen will und ein Haus im Weg steht. Dann kann man sagen, dass die Autobahn dem Gemeinwohl dient, weil ja jeder drüber fahren kann. Dann gibt man dem Betroffenen im Austausch ein anderes, gleichwertiges Haus.

Das passt aber hier gleich doppelt nicht, denn erstens können Wohnhäuser höchstens dem Wohle derer dienen, die darin wohnen, während der Rest als Steuerzahler durch die Entschädigung sogar geschädigt wird. Der Steuerzahler wird quasi gezwungen, Häuser zu kaufen und einigen wenigen unter Marktpreis zu vermieten.

Damit kommen wir zum zweiten Problem: Muss ein Haus weg, weil eine Autobahn gebaut werden soll, dann ist klar, worin das Wohl liegen soll: Hinterher gibt es eine Autobahn, die es vorher nicht gab. Enteignet man aber Häuser, dann gibt es hinterher nichts, was es nicht vorher schon gab. Man kann nicht mehr als vorher: Drin wohnen. Worin soll also überhaupt ein Wohl liegen? Günstige Mieten für wenige auf Kosten der Allgemeinheit? Das wäre das Gegenteil von Allgemeinwohl.

Dabei wäre nicht einmal klar, ob sich durch die Enteignung überhaupt ein Vorteil für die Bewohner ergibt. Der Staat müsste erst einmal nachweisen, dass er es tatsächlich billiger vermieten kann, und wie. Gleichzeitig teure Energiesparmaßnahmen aufdrücken, Grundsteuer erhöhen, Mindestlohn überall, und dann behaupten, derselbe Staat, der schon BER und Gorch Fock nicht hinbekommt, könne billiger vermieten?

War es damals nicht Begründung für die Privatisierung, dass Private das alles viel effizienter und preisgünster als ein schwerfälliger und verbeamteter Staat machen könnte?

Mit Artikel 14 kommen sie also nicht weit, und dazu wurde heute auch an mehreren Stellen gesagt, dass man Artikel 14 ja gerade nicht, sondern extra den unterschiedlichen Artikel 15 verwenden will.

Artikel 15 Grundgesetz

Schauen wir erst mal rein:

Artikel 15 Grundgesetz

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Zum Zwecke der Vergesellschaftung

Der Knackpunkt ist der – hier nicht definierte – (Rechts-)Begriff der Vergesellschaftung.

Nichts genaues findet man nicht, zumindest nicht auf Anhieb. Ich müsste Grundrechtskommentare wälzen.

Der Knackpunkt ist aber der: Sie schrien doch alle heute, Wohnraum dürfe nicht einer Aktiengesellschaft gehören. Die Deutsche Wohnen, die sie ja enteignen wollen, hat zwar ein Impressum, eine Rechtsform ist aber nicht explizit genannt. Wikipedia nennt sie „Wohnungsgesellschaft”, was meines Wissens keine Rechtsform ist, sondern wikiblubbblubb, aber da sie börsennotiert sind, halte ich sie mal in erster Näherung für eine Aktiengesellschaft. Was sonst würden sie an der Börse auch handeln?

[Korrektur: Ich habe die Bezeichnung „SE” für einen Teil des Namens gehalten, werde aber gerade belehrt, dass es sich dabei um um die Bezeichnung für eine Europäische Aktiengesellschaft handelt.]

Ob nun Wohnungs- oder Aktiengesellschaft: Gesellschaft.

Das Unterfangen lautet also, eine Enteignung in Milliardenhöhe mit Entschädigung unter Marktwert damit zu begründen, dass man eine Gesellschaft vergesellschaften will.

Klingt sportlich. Oder blöd.

Weiteres Lesen zum Begriff der „Vergesellschaftung” brachte mich zu der Information, dass – anders als der Rechtsanwalt Gregor Gysi hier auftischen will – eine solche Vergesellschaftung keineswegs zu einem öffentlichen Eigentum führen muss, sondern generell viele, auch privatrechtliche Formen der Gesellschaften als zulässiges Ziel angesehen werden.

Darunter beispielsweise die Genossenschaft.

Nun weiß ich über Genossenschaften eigentlich auch nicht viel – bis auf den kleinen, aber feinen Umstand, dass ich eben in einer wohne.

Das führt dazu, dass ich mich zwar wie ein Mieter fühle und auch so behandelt werde, rechtlich gesehen aber kein Mieter, sondern ein Nutzer bin. Ich habe auch keine Mietkaution gezahlt, sondern musste stattdessen Genossenschaftsanteile erwerben, und das in der Höhe, in der man normalerweise Kaution zahlt. Pseudokaution also.

Das führt dazu, dass ich dann, wenn ich irgendwann mal ausziehe, die Anteile nicht mehr exakt zurückbekomme, sondern nach dem dann geltenden Wert. Kann mehr, kann weniger sein. Und ich bekomme auch keine Verzinsung, sondern einen Anteil am Etrag, sowas wie eine Dividende. Läuft zwar bestenfalls auf das gleiche Ergebnis raus (weil die Priorität darauf liegt, die Mieten bzw. Nutzungsgebühren eher gangbar zu halten), ist aber doch etwas anderes.

Das heißt, dass sich die Genossenschaft in gewisser Weise wie eine Aktiengesellschaft verhält. Es gibt Anteile, deren Wert steigt oder sinkt, und es gibt eine Ausschüttung der Gewinnanteile, zumindest im Prinzip. Und: Es gibt Investoren. Natürlich haben die hier das Haus nicht von meiner Micker-Kautions-Anteilskaufe finanziert, da haben Leute Geld reingesteckt, die auch so ein bisschen Gewinn sehen wollen. Es steht jedem offen, hier Anteile zu erwerben.

Und das ist der zentrale Knackpunkt:

Wie will man eine Enteignung zum Zweck der Vergesellschaftung mit einem milliardigen Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich begründen, wenn sich die jetzt existierende Aktiengesellschaft praktisch nicht oder kaum von einer Genossenschaft unterscheidet, die ein zulässiger Ziel-Zustand wäre?

Man will für Milliarden Euro Tausende Wohnungen enteignen, um eine Gesellschaft zu „vergesellschaften”, die sich kaum von einem Zustand unterscheidet, zu dem man sich damit bewegen könnte.

Da möchte ich jetzt Anwalt sein. Den Streit halte ich für leicht und zu gewinnen, und bei einem Streitwert von 30 Milliarden (es geht allein bei der Deutsche Wohnen um 100.000 Wohnungen in Berlin) wird das ein geiles Honorar.

Letztlich habe ich aber den Eindruck, dass uns Parteien, Presse und Fernsehen gerade verarschen.