Ansichten eines Informatikers

Zum Königsteiner Schlüssel und zu Rechenfehlern

Hadmut
25.9.2018 23:48

Weil mich die Leute gerade schriftlich und telefonisch mit Hinweisen bombardieren, wonach [Nachtrag]

die Beispielrechnung des Lesers, die ich in diesem Blogartikel wiedergegeben habe, falsch sei, weil der Königsteiner Schlüssel prozentual, also durch die angegebenen Prozentzahlen, den jeweils zu verteilenden Anteil an Flüchtlingen und nicht den an der Bevölkerung wiedergeben würden:

Stimmt, die Rechnung ist wohl falsch. Ich hatte mir gestern nicht angesehen, was der Königsteiner Schlüssel ist.

Viele der Leserhinweise stimmen aber auch nicht so richtig.

Man neigt dazu, im Königsteiner Schlüssel eine Verteilung proportional zur Bevölkerungsdichte zu sehen, die darauf hinausläuft, dass der Flüchtlingsanteil in den Bundesländern jeweils gleich in Bezug auf die Bevölkerung ist.

Wäre das so, und das wäre plausibel und viele Leserhinweise laufen darauf hinaus, dann wäre die Rechnung natürlich denkfehlerhaft, weil dann der Flüchtlingsanteil überall gleich proportional zur Bevölkerung wäre und der Anteil wie in Cottbus bei 3,3% läge, also bei 80 Millionen Einwohnern knapp unter 3 Millionen, was ja so schon genannt wurde.

Nur: So ist es zwar schein-logisch und schön angenehm und so herrlich proportionalig (und das mag das Hirn), aber so ist es eben auch nicht. Wikipedia sagt dazu:

Im Königsteiner Schlüssel ist festgelegt, wie die einzelnen Länder der Bundesrepublik Deutschland an gemeinsamen Finanzierungen zu beteiligen sind. Der Anteil, den ein Land danach tragen muss, richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl. […]

Die Erstverteilung Asylbegehrender auf einzelne Bundesländer erfolgt gemäß § 45 AsylG. Für die Erstverteilung aber auch für die Registrierung von Asylsuchenden verwendet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das EDV–System EASY. Die Aufnahmequoten für die einzelnen Bundesländer werden von EASY mit Hilfe des Königsteiner Schlüssels errechnet. Die Einweisung eines Asylsuchenden in eine bestimmte Erstaufnahmeeinrichtung erfolgt unter Berücksichtigung der errechneten Quoten und seines Herkunftslandes durch das EDV–System.

Da geht es also zunächst nicht um Flüchtlinge, sondern überwiegend um wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und nur nachrangig um Bevölkerungszahl. Eigentlich für etwas anderes gedacht, aber man hat das für Flüchtlinge eben einfach auch verwendet.

Damit sind zwar beide Rechnungen falsch, aber der Hinweis des Lesers in der gedanklichen Tendenz durchaus richtig: Denn wäre die Dichte überall gleich wie in Cottbus, dann lägen wir bei knapp 3 Millionen Flüchtlingen (Dreisatz), aber weil der Schlüssel sich eben vor allem nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit richtet und Cottbus in einer strukturschwachen Gegend liegt, dürfte der Flüchtlingsanteil in meisten oder allen Teilen Deutschlands mindestens so hoch, eher signifikant höher als in Cottbus liegen.

Und damit kann man die Flüchtlingszahl durchaus über den Königsteiner Schlüssel hochrechnen, nur machte der Leser den Fehler, dass er das nochmal mit der Bevölkerungszahl multiplizierte, obwohl die im Schlüssel schon drin steckt, er sie quasi sowas wie quadrierte. Es reicht nur eben nicht, den Flüchtlingsanteil in Cottbus zu kennen, weil sich der Schlüssel nur auf ganze Bundesländer bezieht. Und man weiß auch nicht, wieviele der Flüchtlinge in Cottbus dort nach Schlüssel oder aus anderen Gründen dort leben.

Man kann aber zwei Überlegungen anstellen:

  • Da Brandenburg strukturschwach ist, dürften sie im Schlüssel deutlich unterproportional vertreten sein, der Anteil in vielen Bundesländern als deutlich höher als 3,3% wie in Cottbus liegen.
  • Wer will schon nach Cottbus?

    Man könnte also die Vermutung anstellen, dass in Cottbus weniger Flüchtlinge leben, als ihnen nach Schlüssel zugewiesen wurden, weil die in die Großstädte weitergezogen sind, aus diesem Grunde der Anteil in Cottbus also tatsächlich niedriger ist, als er nach Schlüssel sein müsste.

Beides würde darauf hinauslaufen, dass die Flüchtlingszahl deutlich höher als die proportional hochgerechneten knapp 3 Millionen wären.

Die Rechnung war nicht richtig, aber die Fehlerhinweise der Leser auch nicht. Zwar gibt der Schlüssel (eigentlich was anderes, wurde aber dazu wiederverwendet) den Anteil der Flüchtlinge an, die auf das Bundesland verteilt werden, weil der aber vorrangig nach Wirtschaftsleistung und nicht nach Bevölkerungszahl geht, ist die Flüchtlingszahl höher als nur von der Bevölkerungszahl in Cottbus im Dreisatz auf Deutschland hochgerechnete.

Man müsste, unterstellt, die Flüchtlinge wären in Brandenburg gleichmäßig verteilt, zunächst bevölkerungsproportional auf Brandenburg hochrechnen, und dann über den Schlüssel auf die Gesamtzahl, aber das ist nicht nur ungenau, sondern die Mehrzahl der Flüchtlinge lebt nicht nach Schlüssel.

Ich habe mehrere Leser gefragt, wie sie die Zahl ihrer Meinung nach richtig ausrechnen würden. Antwort immer: „Weiß nich…”

Letztlich ist Cottbus eine viel zu kleine und fehlerbehaftete Stichprobe. Eigentlich kann man daraus fast gar nichts errechnen. Zumal man nicht weiß, ob es vielleicht auf dem Brandenburger Land gar keine gibt. Aber die Abschätzung, dass es deutschlandweit deutlich mehr als 3 Millionen geben dürfte, drängt sich auf.

Oder anders gesagt: Es wäre mal an der Zeit, das fundiert zu klären und demokratisch mitzuteilen. Nur lese ich immer wieder mal über Flüchtlingsheime, dass niemand mehr weiß, wer und wieviele da wohnen.

Was mich aber trotzdem sehr freut: Dass die Leser über das nachdenken, was ich schreibe, und sich überlegen, ob es stimmt oder falsch ist, und es nicht blind glauben. Freut mich sehr bezüglich der Medienkompetenz und eigenständigem Denken.

😀

Nachtrag: Einer schrieb dazu:

Der Königssteiner Schlüssel legt fest, wieviel Prozent an der Gesamtmenge (100 %) an Flüchtlingen auf die einzelnen Länder verteilt werden.
Wer behauptet, dass die Prozentzahlen den Anteil an der Gesamtbevölkerung angeben, ist entweder ein ganz mieser Volksverhetzer oder ein Schwachkopf. Und für diejenigen, die diesen Stuss auch noch glauben und weiterverbreiten, gilt dasselbe.

Das hatte der Leser, der die Rechnung aufstellte, so auch nicht behauptet. Er hatte geschrieben:

Amtlich festgestellt leben derzeit also in Cottbus 3.320 Flüchtlinge. Cottbus hat 100.000 Einwohner, also sind 3,3 Prozent davon Flüchtlinge. Dieser Prozentsatz entspricht in etwa der Aufnahmequote vom Königssteiner Schlüssel für Brandenburg. Und wenn diese Entsprechung kein Zufall ist, dann kann man die Flüchtlingszahlen für Deutschland hochrechnen:

Das durchaus also in zwei verschiedene Sphären geteilt und beobachtet, dass es jetzt gerade zahlenmäßig übereinstimmt und gedacht, dass wenn es kein Zufall sei, man es proportional hochrechnen könne. Es war aber Zufall. Er hat falsch gerechnet, aber nicht den Fehler gemacht, den dieser Leser da unterstellt.

Davon abgesehen: Ich glaube nicht, dass es verhetzend oder schwachsinnig wäre, anzunehmen, dass es einen Schlüssel gäbe, der prozentuale Bevölkerungsanteile als Zielgröße vorgibt. Das war es hier zwar nicht, aber warum sollte es das nicht geben?

Die Realität ist, dass wir vor allem blöd gehalten werden.