Ansichten eines Informatikers

Lisa und Lena

Hadmut
20.4.2018 20:23

Wir haben da gerade ein deutsches Fräuleinwunder, ein 15-jähriges Zwillingspärchen geht in den Socialmedia mit Millionen von Followern und rasant steigenden Zahlen ab durch die Decke.

Warum eigentlich?

Nachdem die nun gerade in vielen Medien erwähnt werden, sie gerade auch im Fernsehen waren und mich ohnehin um das Phänomen der Social Media-Begeisterung kümmere (Stichwort: Influencer), wollte ich mal wissen, warum das so abgeht. In letzter Zeit habe ich einiges von Videos gesehen, die enorme Zugriffszahlen haben (angeblich haben, man weiß ja bei Followern und Hits nie so genau, was davon echt ist, ich bekomme hier ständig Spam von Anbietern künstlicher Freunde und Follower, die kann man bequem kaufen). Ich habe in letzter Zeit einige gesehen, die enorme Zugriffszahlen haben und von denen die ganze Familie lebt, bei einem Mädchen (einem Kind) heißt es, sie investiert ihre Einnahmen aus den Videos in Wohnungen. Wenn man sich das dann mal anschaut, dann findet man da irgendwelchen bekloppten Kindergeburtstag oder rangelnde Kinder vor unscharfer Handy-Aufnahme, aber mordsmäßige Einnahmen. Wirkt natürlich etwas komisch, wenn man sich als Blogger die Finger wundschreibt und dabei weder von den Zugriffszahlen noch von den Einnahmen in diese Regionen kommt. Und dabei bin ich wohl noch einer der bekanntesten und frequentiertesten Einzelblogger. Neulich las ich irgendwo, in Deutschland gäbe es 300.000 Blogger, und mir fallen keine 10 davon ein. Laut Fernsehen gibt’s ja eh nur zwei. Und warum sich Millionen von Leuten irgendwelche dämlichen 8-Jährigen anschauen, verstehe ich auch nicht. Und dann kommen da zwei 15-Jährige und rollen den Markt auf?

Ich muss aber sagen, bei Lisa und Lena war ich ziemlich baff.

Ich glaube zwar nicht, dass die das wirklich alleine so hinkriegen, denn der Klamottenreichtum, mit dem die da auftreten, sieht zu professionell aus, und es heißt ja auch, dass sie ein Klamottenlabel und einen Sponsor haben, und wer Geld reinsteckt, wird das auch unterstützen. Zumal ja irgendwer die Kamera führen muss, wenn beide davor stehen. Aber das sehe ich nicht negativ, und will auch auf etwas anderes hinaus.

Mal abgesehen davon, dass beide ziemlich hübsch sind, ist mir aufgefallen, dass sie ganz enorme und außergewöhnliche Kommunikations- und Bewegungstalente sind, und zwar in Hinblick auf

  • Mimik
  • Gestik
  • Symmetrie und Rhythmus

Ich beschäftige mich ja bekanntlich etwas mit Hirnfunktionen, dem archaisch-evolutionären Verhaltensmuster, dem Unterbewussten. Ich könnte mich jetzt nicht erinnern, schon mal jemanden gesehen zu haben, der auf diesen drei Kommunikationsformen ungelernt, so als Naturtalent, so gut agiert.

Die schaffen das, mit einer zwar übertriebenen, aber nicht grimassenhaften, sondern eher überartikulierten Mimik in hoher Geschwindigkeit emotionale Zustände, Situationen, Dialogelemente rüberzubringen. Ich musste da sofort an die alten Bühnenschauspieler der 50er und 60er Jahre denken, die das noch gelernt hatten, überartikuliert zu sprechen, etwa das R zu rollen, Vokale richtig zu artikulieren, damit man sie auch in der letzten Reihe noch verstehen kann, denn damals hatte man diese kleinen Funkmikrofone noch nicht. Eine Freundin von mir hat mal Turnier getanzt, und die donnern sich da schminktechnisch (ähnlich Synchronschwimmerinnen) enorm auf, weil es aben auch aus der Entfernung noch erkennbar sein muss. Sowas machen diese Zwillinge mit Mimik und Gestik. Die sind einfach auf dieser optischen Emotionalerkennungsebene schnell, treffend, artikuliert, wie jemand, der deutlich und fehlerfrei sprechen kann, vielleicht wie die Sprecher einer Nachrichtensendung beim Reden. Sie nuscheln nicht. Man sieht es vor allem im Vergleich: Irgendwo gab’s Videos in der Schulklasse oder mit Freundinnen. Die anderen hocken da wie nasser Sack oder aus der Packung gefallener Pudding, da kommuniziert nichts, und die zwei sind auf Dauersendung. Dabei machen die ja nicht selbst die Musik, sondern so eine Art Karaoke zu irgendeiner bekannten fremden Musik (ich habe nicht verstanden, wie das urheberrechtlich funktioniert), und beschränken sich dabei selbst völlig auf eine rein optische, aber überartikulierte und deutlich verständliche bildliche Kommunikation.

Ich bin überzeugt, deren Fangruppe besteht weit überwiegend aus Frauen und Mädchen. Es ist bekannt, dass Frauen und Mädchen schneller als Männer sind, Emotionen anhand von Gesichtsausdrücken zu erkennen (dafür brauchen sie dann länger oder scheitern daran, herauszufinden, warum der andere diese Emotion hat, oder konkrete Absichten zu erkennen, das Hineinversetzen in den anderen ist dafür eben schwieriger), und genau diesen Sinn, diese Sozialfunktion im Gehirn, kitzeln die permanent. Das dürfte beim Empfänger (=Zuschauer) vermutlich das Sozialerfolgserlebnis „Emotion gut erkannt, voll drauf synchronisiert, Herdentrieb erfüllt” auslösen, ich könnte mir deshalb vorstellen, dass da so eine Art Sucht entstehen kann, gerade in unserer Zeit. Endlich mal jemand, den man emotional wieder versteht. Es ist eine Kommunikationsshow.

Ein anderer Aspekt ist Symmetrie. Symmetrie ist der Brüller im Hirn. Symmetrie ist nicht nur ein Ordnungsmerkmal, sie steht auch für Schönheit und Gesundheit. Symmetrische Gesichter und Körperfiguren werden als gesund empfunden. Quasimodo, der Klöckner von Notre Dame, wird nicht umsonst immer schief dargestellt.

Zwillinge haben schon per se die Symmetrie gepachtet (Kennt Ihr die Werbespots eines Medikamentenherstellers mit Zwillingen? Gute Preise – Gute Besserung?), und gerade die zwei sehen sich ja auch für Zwillingsverhältnisse sehr ähnlich. Dazu kommt aber, dass sie sich oft symmetrisch tanzend bewegen, entweder parallel oder spiegelsymmetrisch, und da jubelt das Hirn, wenn es solche Musterwiederholungen erkennt. Symmetrie wird als schön empfunden. Oder, das kommt bei denen auch vor, sie spielen den Gegenpol. Das Spiel haben die Kessler-Zwillinge schon mal gespielt.

Auch hier: Es geht am Verstand vorbei direkt ans archaische Hirn.

Dazu kommt, dass sie damit – klare, einfache Emotionalkommunikation, Symmetrie, Rhythmus, Charme – das liefern, was im täglichen Leben nicht nur fehlt, sondern systematisch abgebaut wird. Im Prinzip so eine Art Heile Welt aus der Konserve – klar, schön, sauber. Es ist hell erleuchtet, es ist blond, keine Pickel oder sowas, alles so brav und lieb. Das, was wir in der Realität nicht mehr haben.

Im Prinzip sind die allein schon damit auf der absoluten Gewinnerspur. Wenn’s dabei bleibt und die das schaffen, das aufrecht zu erhalten.

Das kann aber auch verdammt schnell vorbei sein.

Ein Aspekt dabei ist nämlich, dass die in ihrem Übergang von Kind zu Frau sind und damit beides, Kindchenschema und weibliche Attraktivität ausstrahlen. Im Prinzip ein Doppeltreffer. Nur hält das mit dem Kindchenschema nicht ewig. Mary-Kate und Ashley Olsen waren so ein Fall. Die waren als Kinderstars sehr beliebt und der Brüller, weil so niedlich, aber kaum war der Kindchenschema-Effekt weg, waren sie erledigt. Ein Schicksal vieler Kinder- und Jugendstars.

Ein anderer Aspekt ist, dass die beiden eine absolute Sauberkeit darstellen. Tadellose Haut, schöne blonde Haare, immer schicke, frische Klamotten, Abwesenheit von Themen, oder höchstens mal Mädchenmimik zu Gangsta-Musik. Sowas kann sehr, sehr schnell kaputt gehen. Der Justin-Bieber-Effekt. Oder Sophia Thomalla, die sah mal gut aus und ist dann ein so eine Art Selbstvandalismus durch scheussliche Tattoos verfallen, sie so schmuddelig und austauschbar wie eine Berliner Hauswand aus. Für sowas reicht eben schon ein Tattoo, oder ein Bild mit einer Zigarette, oder mal von der Polizei beim zu-schnell-fahren erwischt. Dann ist das Bild nicht mehr so tadellos sauber und das Hirn sucht sich was Neues. Das kann ganz plötzlich vorbei sein. Die haben so eine Art Ikonen-Funktion, und sowas ist toll, aber sehr zerbrechlich.

Aber auch mal von den beiden abgesehen:

Das sind typisch weibliche Kunst- und Kommunikationsformen. Der letzte Mann, der mir jetzt spontan einfallen würde, der durch Tanz, Mimik, Gestik gefesselt hat, war Michael Jackson. Danach kamen doch eigentlich nur noch Frauen, oder?

Schaut Euch mal alte Aufnahmen von Disco oder Hitparade aus den Siebzigern an. Die standen meist da, wie Pik Sieben, Mikro in der Hand, und trällerten ihr Liedchen. Optisch…Naja. Schaut mal, was heute läuft. Es läuft nämlich nichts mehr. Es tanzt alles. Musik ist nachrangig, mir fiele jetzt auch kaum ein Hit der letzten 10 Jahre ein, den ich mir irgendwie noch gekauft oder in Erinnerung gehalten hätte. Guckt Euch mal Helene Fischer an. Deren Gesang ist klar, fehlerfrei und gut ausgebildet, die singt alles ohne Makel. Und stinklangweilig, ohne Charakter. Die macht Tanzaufführungen und Bühnenshows, zu denen der Gesang eigentlich nur noch stattfindet, weil’s bei Stille komisch wirken würde. Es ist eine Dauershow aus Tanz, Flug, Akrobatik, ständig neuen, gewagten Kostümen.

Was will ich damit sagen? Text, ob Schrift oder Gesang, verliert. Rapper müssen heute sowieso keinen zweiten Ton von sich geben oder den ersten Ton halten können. Alles verschiebt sich in die optische Kommunikation, vor allem bewegt, eben Video.

Das Thema hatte ich neulich schon einige Male, Stichwort Emojis und Hieroglyphen, die Text und Sprache verdrängen. Im Prinzip sind Lisa und Lena so eine Art perfekte Bio-Emojis. Genau das machen die nämlich. Es geht nicht mehr um Inhalte, es geht darum, sich die optische Erkennung im Hirn kitzeln zu lassen.

Darin liegt allerdings auch erheblicher degenerativer Effekt: Vergleicht mal Goethes Faust oder meinetwegen auch Harry Potter (mal auf englisch gelesen? sprachlich ziemlich gut.) mit ihrer Sprachvielfalt mit den heutigen Videos und Emojis. So, wie sprache auf einen immer kleineren Wortschatz verkümmert und für vieles nur noch ein Wort existiert, etwa wie „Hass” für alle Formen der Ablehnung (oder bei Journalisten noch zwei, für alles je ein positives und ein negatives), so reduzieren sich da auch situative Kommunikation. Das wird nicht lange dauern und man wird in den Schulen Kinder beobachten, die so wie Lisa und Lena vor der Kamera hampeln, nur eben im normalen Leben.

Ich bin mal gespannt, wie das mit denen weitergeht. Meine Vorstellungskraft ist da ziemlich weit. Das könnte von der Hollywood-Karriere und einem Heidi-Klum-Effekt bis zu in 2 Jahren weg vom Fenster gehen. Ich kann mich auch erinnern, dass die Fernsehserie Anna der Straßenfeger und jeder hin und weg von der hübschen kleinen Ballett-Tänzerin mit ihrer Mischung aus Ballett und Tango war. Danach kam nichts mehr, vor ein paar Jahren hat sie sich umgebracht.

Aber das muss man den beiden lassen: Sie sind sehr hübsch anzusehen. Wie gesagt, echte Bewegungstalente, besonders was Mimik, Gestik, Symmetrie angeht. Mir allemal lieber als das, was derzeit im Fernsehen kommt, Carmen Nebel, die siebenhunderste Helene-Fischer-Show und so’n Mist. Und es interessiert mich einfach sehr, worauf die Massen so abfahren.

Der Haken an der Sache ist, dass ich nicht glaube, dass textbasierte Blogger in 10 oder 15 Jahren noch ein Publikum finden. Ich glaube nicht, dass wir dann überhaupt noch eine mehrheitsfähige Sprache haben. Sprache wird in der Kommunikation an Bedeutung massiv verlieren.

Der andere Haken ist: Wahrscheinlich wird es über kurz oder lang selbst im Erfolgsfalle für für Lisa und Lena keinen solchen Job mehr geben. Dann werden KI und synthetische Personen übernommen haben.

Neulich hatte doch das Programm AlphaGo überragend gegen den Weltmeister im Go gewonnen. Interessanterweise hatte man nicht mehr versucht, dem Computer Go beizubringen, osndern nur noch die formalen Spielregeln. Und dann hat man ihn einfach immer wieder gegen sich selbst spielen lassen.

Vielleicht muss man dem Computer gar nicht beibringen, was attraktive Bewegung ist. Vielleicht reicht es, den Computer einfach irgendwelche Zufallsbilder auf Youtube zu zeigen und anhand der Klickzahlen und Follower eine Rückmeldungen zu bekommen, was gefällt. Es wäre sehr, sehr interessant, worauf das hinausläuft. Vermutlich auf tanzende Mädchen. Und das muss man eben auch sagen: Mädchen nach einem klassischen Schönheitsideal. Keine feministischen Vorgabe, nix multikulti, einfach klassisch.