Ansichten eines Informatikers

Manchmal bin ich so froh, dass ich alt bin

Hadmut
15.4.2018 0:14

Es gilt ja so als der Klassiker unter den Wünschen, nochmal jung zu sein. Aber irgendwie bekomme ich gerade das Gefühl, dass ich das jetzt gar nicht möchte.

Ich sag’s ja immer wieder gern: Ich habe das deutliche Gefühl, ein ziemliches Glück gehabt zu haben und und in vielerlei Hinsicht fast das optimale Geburtsdatum (1966) erwischt zu haben. Ich habe mich darüber ja auch schon mit Kumpels meiner Altersklasse ausgetauscht. Leider schon etwas ungünstig zwischen zwei perfekten Zeiten. Für die eine waren wir zu spät, das war so die Gründergeneration um Microsoft, SAP, SUN, und so weiter. Dafür waren wir etwas zu spät. Und für die nächste Generation, die die Web-Industrie aufgebaut hat, Yahoo, Google und so, waren wir schon wieder etwas zu alt und schon zu tief im Beruf drin.

Aber davon abgesehen, zwischen diesen beiden Gründerhochs gelandet zu sein, war’s gut. Zwar den kalten Krieg voll mitgemacht, aber grundsätzlich eine Zeit des Friedens. Krieg, Hunger, größere Katastrophen kennen wir nicht. Reisen war zwar teuer, aber dafür konnte man reisen, fast wohin man wollte, fast alles friedlich. Nur wenig Bekloppte auf der Welt. In den Siebzigern hatten wir unbeschwerte Kindheiten und niemand hat uns irgendwelchen Blödsinn aufgedrückt, keine Ideologien (außer ein paar bekloppten Sekten). Man fand es normal, wenn wir einfach so alleine spielen gegangen sind. Wir waren als Kinder schon selbstverantwortlich, ein Zustand, denn viele Erwachsene heute gar nicht mehr erreichen. Wir haben den Peak Bildung und die Zeit höchster Wissenschaft miterlebt. Wir haben die Digitalisierung, die Einführung des Computers, das Internet, eine ganze industrielle Revolution miterlebt. Wir hatten unglaublich viel Spaß, besonders Ende Achtziger in den Neunzigern. War ne coole Zeit. Wenn ich das Lebensgefühl von damals beschreiben sollte, fällt mir immer zuerst Ice in the Sunshine ein, die alten Werbefilmchen von Langnese mit der Music von Beagle Music, beispielsweise den hier. Ist zwar Werbung, aber trifft nach meinem Empfinden das Lebensgefühl so super gut. Wir haben noch richtige Streiche gespielt und meine Schulzeit war unbeschwert. Ich war auf vier Schulen (während Grundschule und Gymnasium je einen Umzug), und nie irgendwelche Problemleute in der Schulklasse. Keine nennenswerten Konflikte oder Mobbing, wir waren ein großer Haufen Freunde. Keine Prügeleien, kein Schutzgeld. Wir konnten einfach so raus, einfach so zur Schule, uns ist nichts passiert. Ich bin meine gesamte Schulzeit alleine zur Schule, einen großen Teil der Zeit mit dem Fahrrad. Kein Problem.

Wir konnten in der erste Klasse schon grundlegend Lesen und Schreiben, und im Gymnasium hatten wir richtig guten Unterricht (na, gut, nicht immer, aber meistens). Bei uns waren Leistungskurse noch das, was der Name verspricht.

Wir hatten kein Internet und keine Handys. Wir hatten Telefone von der Bundespost, mit Wählscheibe, erst in grau, später in orange und grün. Auslandstelefonate musste man am Tag vorher bestellen. Aus irgendwelchen Gründen hat uns das gereicht. Wir konnten damit umgehen. Und wenn wir außer Haus zum Spielen waren, dann waren wir einfach weg und nicht erreichbar. Und es hat niemanden gestört. Zum Abendessen sollten wir wieder da sein.

Wir hatten Farbfernsehen. Die Luxusausführungen sogar mit Fernbedienung. Die Sender wurden gegen 16 oder 17 Uhr ein- und kurz nach Mitternacht wieder abgeschaltet. Sonst gab’s nur Rauschen oder das Testbild. Wir hatten drei Fernsehprogramme und dazu drei verschiedene Antennen auf dem Dache, für jeden Sender und dessen Frequenz eine andere, die in einer andere Richtung zeigte. Wir hatten Plattenspieler und Kassettenrekorder, mit denen wir abends Wunschkonzert aufgenommen und die Kassetten dann getauscht haben.

Wir hatten Fischertechnik. Und Brettspiele. Und Hoola-Hoop-Reifen. Wir sind mit absurden Bonanza- und High-Riser-Rädern herumgefahren. Die perfekte mentale Vorbereitung auf den Manta mit Fuchsschwanz an der Antenne.

Und die Mädels. Einfach super. Die haben sich noch gefreut, wenn man sie angebaggert hat, mit denen konnte man flirten. Und mehr. Ohne diesen Beschuldigungs- und Diskriminierungskrampf. Du wussten nicht nur, was sie wollten, die wussten vor allem auch hinterher noch, dass sie es vorher gewollt hatten. Die waren so richtig selbständig. Gut, Zugegeben, das wilde Rumgebumse der 68er hatten wir nicht, das lag an AIDS. Damals hieß es AIDS. Heute heißt es ja eher HIV-positiv. Das wollte natürlich keiner. In der Hinsicht gar es eine Phase der Zurückhaltung, weil man dachte, wir würden alle dran sterben. Und es gab ein paar Leute, die haben wegen der Atombomben Heulkrampf-Sit-Ins gefeiert, und natürlich die grünen Öko-Spinner für Jute und gegen Kernkraft. Wir waren mal mit unserer kleinen, fetzigen Pfadfindergruppe auf so einem großen Pfadfinderlager. Weil uns das Zelten so Spaß gemacht hat. Es war aber linke Politindoktrination, deshalb bin ich da halt nicht mehr hin.

Aber ansonsten war’s gut. So ne richtig geile Zeit. Wenn ich sehe, wie schwer man es Kindern heute macht, wie man die schon früh-ideologisiert, politisiert, in irgendwelche Zwänge reindrückt, ihnen aber keinen Unterricht mehr zugesteht, tun die mir sowas von leid. Und sie wissen nicht mal, wie schlecht es ihnen geht, sie kennen ja den Vergleich nicht. Uns hat damals keiner gesagt, wenn wir mögen müssen. Wir haben damals noch selbst gemocht. Oder eben auch nicht. Wenn wir einen nicht leiden und uns mit dem nicht abgeben wollten, dann war das so. Dann war das in Ordnung. Wir durften das. Wir haben uns einfach nicht mit denen abgegeben, wenn wir nicht wollten.

Warum ich das jetzt schreibe?

Ich musste gerade daran denken, wie wir als Studenten damals gefeiert haben. Wir hatten da keine Regeln. Wir sind einfach hin und hatten Spaß. Wir waren nämlich auch noch in der Lage, den Spaß einfach so zu haben, dass jeder das als Spaß empfand, oder einfach ging, wenn’s ihm keinen Spaß gemacht hat. Bei uns hat das einfach so funktioniert. Wir waren feierbefähigt. Wir haben uns – übrigens gemischt – regelmäßig im Z10 getroffen, so quasi einer Studentenfeierwohnung, und haben erst zusammen was gekocht und dann halt gefeiert, und schlimm kann’s nicht gewesen sein, denn eine Woche später kamen die alle wieder.

Irgendwie waren wir einfach Leute, die zum Zusammenleben befähigt waren, wir brauchten da keine Hilfe oder Vorgaben oder sowas. Wir waren sozialtauglich.

Ein Leser schickte mir gerade einen Linke auf ein Pamphlet des AStA Hannover: Awareness
Leitfaden für Partys
(von 2014, Blogartikel dazu).

8 Seiten Vorschriften, wie man Partys macht. Brandschutzvorschriften sind ein Dreck dagegen.

Wer Partys veranstaltet hat das Interesse, dass alle Menschen/Partygäste sich auf dieser Party wohlfühlen und eine gute Zeit haben. Leider gibt es immer wieder Personen deren Verständnis von „eine gute Zeit haben“ andere darin beeinträchtigtdiese zu haben. Dies kann z.B. durch übergriffiges/grenzüberschreitendes und/oder diskriminierendes Verhalten geschehen (siehe Glossar). Dieser Leitfaden hilft euch dabei, als Veranstalter*innen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine gute und entspannte Partyatmosphäre ermöglichen.

Keine Party ohne

a. Awareness-Team (siehe Punkt 2.1)

b. Rückzugsraum: Stellt einen Raum zur Verfügung, in den ihr Gäste bringen könnt, denen es nicht gut geht.

c. Frauen*nachttaxi (s. Punkt 2.2)

Haben wir damals alles nicht gebraucht. Mal abgesehen davon, dass das eher ungewöhnlich war, wenn wir nachts schon nach hause gefahren sind, wären wir nie auf die Idee gekommen, Taxi zu fahren, wir hatten auch das Geld dafür nicht. Bei uns sind die Frauen mit ihrem Fahrrad nach Hause gefahren. Das ging damals. Einfach so. Und wir brauchten kein Team, um uns zu überwachen.

Grenzüberschreitendes/diskriminierendes Verhalten

Die Definition, ob eine sexualisierte Grenzverletzung vorgefallen ist, liegt einzig und allein bei der betroffenen Person. Jede von sexualisierter Gewalt betroffene Person kann für sich selbst sagen, was sie wann als Gewalt wahrnimmt. Gewalt wird auf Grund der persönlichen Geschichte, Gegenwart und Erfahrung von Betroffenen unterschiedlich erlebt, eingeordnet und eingeschätzt.

So’n Schwachsinn gab’s bei uns nicht. (Ich war mal auf einer SPD-Veranstaltung in der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei der man ostentativ die Toilettenschilder abgeklebt hatte und sich die Frauen auf dem Männerklo herumtrieben. Ich habe mich mal beim Awareness-Team beschwert, dass ich das als sexualisierte Gewalt empfände. Sie meinten, das sei absurd, weil es doch um Geschlechterabbau ginge. Als ich ihnen gegenhielt, dass sie vorher doch vorgetragen hatten, dass das einzig und allein die betroffene Person definieren könne und das jetzt ich war, ist ihnen irgendwie die Sicherung rausgeflogen. Deshalb brauchen die auch diese Rückzugsräume.)

Anhang

In der konkreten Situation/im Notfall erreichbar:
Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V.
Telefon: 0511-332112
Goethestraße 23
30169 Hannover

Allgemein:
Frauenhaus Hannover
Telefon: 0511-664477
Sprechzeiten: Mo,Di, Do, Fr 09:00 – 16:00 Uhr
www.frauenhaus-hannover.org

Sorry, wenn ich das mal so sage, aber: Erstens haben wir keine Partys gefeiert, bei denen sowas gebraucht wurde. Zweitens wären die Frauen damals zu solchen Partys erst gar nicht hingegangen. Wir haben damals keine Partys veranstaltet, für die man anschließend ins Frauenhaus eingeliefert wurde.

Was bin ich froh, noch eine Zeit miterlebt zu haben, zu der die Leute noch halbwegs bei Verstand waren. Bei uns ging es auf Partys um Spaß und Unterhaltung, und nicht um Krisenmanagement. Heute geht es um gar nichts anderes mehr als Krisenmanagement.

Und wenn wir am Strand zu Ice in the Sunshine Eis gegessen haben, kam keine Sau auf die Idee, nach gluten- oder laktosefrei zu fragen. Wir konnten irgendwie alles fressen.

Wir haben uns nicht selbst als Krise definiert und waren deshalb auch nicht permanent im Krisenzustand. Wir haben Partys gefeiert, nicht Krisen veranstaltet.