Ansichten eines Informatikers

Kampfparole „postfaktisch“

Hadmut
4.4.2017 0:33

Ich war gerade bei einer Veranstaltung der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Ich hätte da ein paar Anmerkungen.

Titel der Veranstaltung: Postfaktisch. Was bedeutet das eigentlich? – Leben im Zeitalter von Fake News

Um es vorweg zu nehmen: Mein Eindruck war, dass da entweder niemand wusste, was es mit dem Begriff „postfaktisch“ auf sich hat, aber alle ihnen benutzen wollen, weil er gerade so hip ist, oder sie einen schon hinters Licht führen wollen. Dazu am Ende des Textes mehr.

Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wie ich auf die Veranstaltung gekommen bin, ich glaube, es war irgendeine der vielen, auf die mich Leser hingewiesen haben. Ich hatte mich gleich angemeldet, was gut war, denn die waren ausgebucht.

(Nebenbemerkung: Der, der von der bpb für die Veranstaltung verantwortlich war, hat sich verabschiedet, es war seine letzte, er geht in Ruhestand – und macht den Eindruck, so fit zu sein, dass er davon noch viel hat. Und er erwähnte, 1974 Abi gemacht zu haben, wonach er vermutlich ungefähr Jahrgang 1955 sein dürfte und somit mit ungefähr 62 in Ruhestand geht. Wenn ich bedenke, dass ich voraussichtlich bis 67 oder 70 arbeiten muss, kocht da was gewaltig in mir.)

Durch die Veranstaltung führte der (mir bisher völlig unbekannte) „prominente YouTuber“ „MrWissen2go“ Mirko Drotschmann (siehe Youtube-Channel). Schaut man bei Wikipedia nach (was ich wirklich erst nach der Veranstaltung gerade eben erst getan habe), sieht die Sache schon ganz anders aus, dann nämlich ist er Reporter und Moderator bei ZDF und MDR (ach…) und hat eine eigene Produktionsfirma. Dürfte gut im Geschäft sein, aber auf auf Medienlinie liegen.

Er hat das professionell runtergespult.

Und genau das hat mich subjektiv gestört. Ich habe das ja schon oft geschrieben (besonders zu Talkshows/Podiumsdiskussionen), dass mich dieser professionelle Fernsehjournalismus in seiner professionellen Austauschbarkeit, Beliebigkeit ziemlich stört. Wenn die Leute das mal eine Zeit gemacht haben, haben die einen Stil drauf, das alles auf die Sekunde, auf den Punkt, im perfekten Schnitt in die Kamera zu spulen, der auf mich unglaublich unglaubwürdig wirkt. Da ist das irgendwann völlig egal, ob die eine Sendung über den 90sten Geburtstag der Queen, eine Dokumentation über Windpocken oder den Volksmusikstadel moderieren, hört sich irgendwie dann alles gleich an. Das gleiche Problem habe ich mit Musical. Habe ich früher mal gerne besucht, aber irgendwann merkt man, dass die alle sehr gut ausgebildet sind, alles fehlerfrei singen können, und sich alles gleich anhört, und nie wie Musik, sondern immer wie Musical samt der Gestik und Mimik. Es galt lange als Qualitätsmerkmal, eine Veranstaltung von (meist hochbezahlten) Fernsehprofis moderieren zu lassen, aber auf mich wirkt das alles längst kaputtprofessionalisiert.

Dazu kommt natürlich, dass ich inzwischem allem und jedem, was aus den öffentlich-rechtlichen Sendern kommt, massives Misstrauen entgegenbringe (und nicht erst seit neulich).

Ein anderer Punkt, der mich störte, war: Es war eine „junge“ Veranstaltung, lauter junge Leute. Sagte er sogar.

Was ja an sich nicht schlecht ist, ich hab ja nichts dagegen. Was hier aber gnadenlos schief geht, weil man hier doch eben den Vergleich zu früher braucht, man muss da mal ein paar politische Epochen miterlebt haben, um das vergleichen zu können.

Merkel wurde 2005 Bundeskanzlerin. Schröder war es von 1998 bis 2005.

Das heißt, dass wer heute 30 ist, seit er 18 ist nur einen und seit er 11 ist nur zwei Bundeskanzler und nur so anderthalb Politikstile erlebt hat. Der hält so diesen universal-linken Stil Merkels für normal und jede Abweichung davon für abnormal. Leute in dem Alter sind eigentlich nicht in der Lage, die Situation und die Veränderungen einzuschätzen und einzuordnen. Eigentlich präsentieren die nur, dass sie es nicht besser wissen, sich dabei aber überlegen fühlen.

Insofern ist mir auch gleich zu Anfang aufgefallen, dass er da gleich damit daher kam, dass es heute Leute gibt, die „Tatsachen“ überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nähmen. (Oh je, hab ich mir gedacht, Jungspund, Reporter, ohne jeden Zweifel Geisteswissenschaftler, der war noch nie mit Tatsachen konfrontiert und redet da wie der Blinde von der Farbe. Wie jemand, der bei Veganern aufgewachsen ist und sagt, es gäbe jetzt Leute, die kein Fleisch äßen.)

Und dann ging das los.

Er zeigte Bilder an der Leinwand und ließ das Publikum darüber abstimmen, ob das wahr oder falsch ist. Angefangen mit einem älteren Bild, das die Trumps zusammen mit den Clintons zeigt. Dann amerikanische Bodentruppen. Zwei Fotos von Migranten, einer Attentäter, der andere auf dem Selfie mit Merkel (ist mir nicht ganz klar, ob das derselbe sein sollte, sah meiner Einschätzung nach nur ähnlich aus).

Oh, dachte ich mir, Journalisten und Fakten, zwei fremde Welten prallen aufeinander. Er lässt das Publikum darüber abstimmen, ob etwas wahr oder falsch ist, und schimpft andere des Postfaktischen.

Dann hatte er Curd Knüpfer zu Gast, Politikwissenschaftler der FU Berlin, auch Jungspund, gerade Postdok auf der Suche nach einem nicht-prekären Dasein, nach meiner Einschätzung auch noch nicht so ganz trocken hinter den Ohren, forscht über Journalismus (und dessen Krise) in den USA. Und hat sich natürlich auch mit Trump und dem drumherum beschäftigt. Sagte, dass Fakten da keine oder kaum noch eine Rolle spielen und hinter Emotionen zurückträten, und dass Fake News und Postfaktisch zwei getrennte Phänomene seien, das eine ist das gezielte Streuen von Unwahrheiten, das andere so eine Ignoranz. Es sei bekannt, dass die menschliche Wahrnehmung bestimme, was man für wahr hält.

Natürlich hatte der den Hochschul-inhärenten linksdrall, man merkte ihm schon das Grundweltbild links=gut und selbstverständlich, rechts und Trump = das Böse an, aber von diesem bias mal abgesehen war’s eigentlich OK.

Übel genommen habe ich ihm aber eines: Er tadelte die politische Situation wegen ihrer Angriffe gegen die „Wissenschaft“ im Zusammenhang mit Fakten und Tatsachen.

Jahre, Jahrzehntelang haben die Geisteswissenschaftler diesen Poststrukturalismus-Quatsch durchgezogen, sich über alle Fakten hinweggesetzt, Fakten, gar deren Existenzmöglichkeit sogar explizit geleugnet, die Naturwissenschaften auf allen Rohren angegriffen und diffamiert, und jetzt kommt der an und meint, die Faktenleugner würden die Wissenschaften angreifen.

Entweder ist das sehr, sehr naiv und komplett desorientiert – oder ziemlich verlogen. Wenn Geisteswissenschaftler heute daherkommen und andere des Angriffs auf die Wissenschaften zichtigen und als postfaktisch hinstellen, dann ist das heuchlerisch, pharisäerhaft.

Dann hatten sie Marta Orosz von correctiv.org. Das sind die, die für Facebook die Wahrheit festlegen wollen/sollen.

Sie hat halt so ein bisschen was erzählt, wie sie Meldungen auf Wahrheit überprüft.

Hat mich nicht überzeugt. Beispielsweise zeigte sie ein Foto aus einer Fake-Meldung über einen Polizeieinsatz zu einer angeblichen Vergewaltigung in Hamburg, die Polizisten hatten alle „Polizei NRW“ auf dem Rücken stehen.

Gelächter im Publikum. Ach, sind die Fake-Newser doof.

Nur: Polizeien holen sich ab und zu Unterstützung aus anderen Bundesländern, ich habe hier in Berlin auch schon Polizisten aus anderen Bundesländern erlebt. Wird man da schon Fake-Newser, wenn man die beim Einsatz fotografiert, nur weil die sich das nicht vorstellen können?

(Mir fiel da so eine Begebenheit ein, die mir mal bei einem Treffen von Berufsfotografen zum Thema Reisefotos in München passiert ist. Es ging irgendwie um Begegnungen mit Insekten auf Reisen in ferne Länder, und ich erzählte davon, dass neulich ein Supermarkt gesperrt werden musste, weil aus der Bananenkiste eine hochgiftige Bananenspinne geklettert war, und sich irgendwo im Supermarkt versteckt hatte. Hohoho, hahaha, alle haben sie mich ausgelacht, so ein Lügner, die tödliche Bananenspinne, das sei ja noch besser als die Spinne in der Yucca-Palme, was für ein Lügenbold ich wäre, und wie ich glauben könnte, dass sie auf so einen Quatsch hereinfielen. Es sprach dann auch keiner mehr mit mir, die haben alle nur noch über mich gelacht, da war ich komplett unten durch, mich als den schlechtesten aller Lügner. Ich habe mir das eine Weile angehört, und die sich alle darauf einigen lassen, dass ich der letzte Spinner sei, und dann das Smartphone rausgeholt und einen der Artikel gegoogelt. Die Gesichter hättet Ihr sehen sollen. Bananenspinnen in Supermärkten sind übrigens ein häufiges Problem. Und einige der Arten, die man so bezeichnet, sind wirklich tödlich. Aber sie waren sich alle und 100% sicher und einig, dass es die Bananenspinne nur in meiner Phantasie gäbe und ich ein Lügner sei. Seitdem halte ich die Unkenntnis und Voreingenommenheit von Journalisten für ein ganz großes Problem.

In der U-Bahn auf dem Nachhauseweg kam ich damals zu dem Ergebnis, dass deren Leichtgläubigkeit ein noch größeres Problem sei. Während sie sofort bereit waren, das, was ich als real erschienene Person sagte, für Lüge zu halten, weil sie es nicht kannten, haben dieselben Leute dieselbe Aussage – tödliche Bananenspinne in deutschem Supermarkt – sofort und völlig kritiklos geglaubt, als ich sie ihnen auf einer Webseite mit Foto zeigte, als ob ich, wenn ich ein Lügner wäre, die Webseite nicht selbst gefaket haben könnte.

Spätestens seit diesem Erlebnis wirkt das auf mich sehr komisch, wenn ausgerechnet Journalisten sich anmaßen, über Wahrheit entscheiden zu können. Gerade jetzt, wenn sie meinen, sie könnten Fake-News erkennen, muss ich immer an die Bananenspinne denken.)

Und als die da erzählte, dass man das leicht als Fake erkennen kann, weil in Hamburg Polizisten aus NRW rumgelaufen sein sollen (es war wohl wirklich ein Fake, aber aus anderen Gründen), dachte ich mir, na das wird aber lustig mit der Facebook-Zensur. Wenn nur noch die Nachrichten durchkommen, die exakt dem Erwartungswert entsprechen, dann sind es eben keine Nachrichten mehr, sondern nur noch Bestätigungen.

Und dann hatten sie Henning Dorstewitz, Pressesprecher von Youtube in Deutschland. Auch Jungspund.

Dessen schiere Existenz fand ich bemerkenswert.

Denn ich hatte neulich mal versucht, mich bei Google zu beschweren, weil mich jemand politisch aus dem Suchindex geschossen hatte. Man findet überhaupt keine Kontaktadresse von denen, die sind eigentlich nicht erreichbar. Per Briefpost, aber da antworten die auch nicht. Und Google Deutschland meinte, dass sie eine getrennte Firma mit getrenntem Geschäftsbereich seien, mit Google und der Suche gar nichts zu tun hätten.

Und jetzt haben sie plötzlich doch einen deutschen Pressesprecher für Youtube?

So wahnsinnig viel hat er nicht gesagt, das Erwartbare eben. Dass sie viele Videos reinkriegen (habe ich das richtig in Erinnerung? Pro Minute bekommen sie 400 Stunden Videos reingeladen?) und es nicht leicht seim, die zu prüfen, sie das gar nicht anders als automatisiert machen könnten.

Ich hatte (mit Hintergrund der MDR- und ARD-Sache) noch etwas gefragt, woher sie eigentlich wüssten, dass jemand, der etwas als urheberrechtsverletzend sperren lassen will, tatsächlich Urheber ist und die Verbreitung nicht aus Rechtsgründen (wie Zitatrecht) hinnehmen müsse.

Äh…ja…mmh, da könnte man sich ja dann irgendwie beschweren und dann müssten die Parteien zusammenfinden…

(So’n Humbug. Als mir neulich in der MDR-Sache jemand das im Text zitierte Youtube-Video unter dem Hintern weggeschossen hat und ich plötzlich ohne das zitierte Video dastand, hat mir das ziemlich Ärger und Kosten gebracht, weil ich damit nicht mehr das Argument gegen den MDR hatte, dass ich ja das Originalvideo im Artikel hatte und sich damit jeder davon überzeugen konnte, was sie gesendet haben. Da ich aber Dritter war und nicht der, der den Video bei Youtube hochgeladen hatte, war Youtube für mich da gar nicht zu erreichen und nicht in Erfahrung zu bringen, wer denn das Ding hat sperren lassen. Was Youtube da erzählte, stimmt so also nicht. Ich habe mir mal seine Visitenkarte geben lassen. Die Adresse von Google Germany hatte ich zwar schon, aber jetzt können sie nicht mehr behaupten, mit Google USA gar nichts zu tun zu haben.)

Sie zeigten noch einen Film über Fan-Factory.com, die als bezahlte Dienstleistung anbieten, einem Fans und Follower zu verschaffen, damit man richtig wichtig wird. Da hab ich mir auch gedacht Journalisten. Bei #Aufschrei waren sie alle noch hin und weg, haben das in den höchsten Tönen gelobt, in allen Sendungen gebracht und mit Grimme-Preis behängt, und jetzt tun sie so, als hätten sie das neue Phänomen Bots und Agenturen entdeckt. Meine Güte, ist das alles so schlimm. Und ausgerechnet die wollen auf Fake-News zeigen.

Und zum Schluss noch ein Einspieler mit einer Botschaft von Heiko Maas. Alles klar, daher kommt der Wind.

Dann gab’s was zu essen. War gut.

Während des Essens war das Kamerateam des Youtuber-Moderators noch unterwegs, und hat die wichtigen und prominenten Leute interviewt.

Als ich eigentlich schon pappsatt war und gehen wollte, musste ich doch noch warten, weil ich ja noch die Karte des Youtube-Pressesprechers haben wollte, und der sich damit Zeit ließ. Währenddessen lichtete sich das, die Promis und Wichtigen waren längst weg, die Tische verlassen und voll benutzten Geschirrs, und das Fernsehteam noch immer auf der Jagd, und weil sonst fast keiner mehr da war, sind sie an mir hängen geblieben, ob sie mir auch eine Frage stellen könnten. Ja. (Man sollte keine Interviews geben direkt nachdem man das Buffet abgefressen hat, danach in der U-Bahn habe ich noch ein Salatfetzen zwischen meinen Zähnen entdeckt..)

Wurden dann doch drei oder vier Fragen.

Ich habe gesagt, was ich hier im Blog schon geschrieben habe, dass ich diese Fake-News-Kampagne selbst für Fake halte, und dass man Fake und Postfaktisch als Poststrukturalismus schon seit den 60er Jahren treibt, es also keine Neuerung wäre, wie man uns jetzt aufbinden und weismachen will, sondern dass man bisher ganz stolz und wichtig für die Überlegenheit der Geisteswissenschaften hielt und Feminismus und so weiter drauf aufbaute, und es gut war, solange es dem Mainstream diente. Erst seit die Rechten das genauso machen, hat man dem Ding plötzlich einen neuen Namen gegeben, zum Kampfbegriff gemacht, um es plötzlich anzugreifen. Ob ich denn nicht auch der Meinung wäre, dass das Phänomen neu sei. Nein, sagte ich, ich habe ein Buch „Fotos die Lügen“ mit politischen Fakes aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts, das Phänomen sei mindestens so alt wie die Photographie (eigentlich auch der Buchdruck), und würde sich nur eben an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Deshalb sei es Desinformation wenn die jetzt damit ankämen, dass das ein neues Phänomen sei. Man wolle verbergen, dass man es selbst jahrzehntelang genutzt habe. Und spätestens der Einspieler von Maas bestätige, dass sie nicht Aufklärung, sondern Wahlkampf betreiben.

Hättet Ihr sehen sollen.

Danach haben sie mich schon ziemlich baff angeguckt und Kamera und Mikro so ganz langsam sinken lassen. Äh, ja, das wäre mal eine klare Meinung gewesen, meinten sie. Naja, fügte ich hinzu, vielleicht etwas anders als die bisherigen Interviewten. Das bestätigten sie, das war anders.

Ich glaube aber nicht, dass sie das reinnehmen. Sie wollen ja (war angekündigt) aus der Veranstaltung einen Video für den Youtube-Channel der Bundeszentrale für Politische Bildung machen. Da passe ich ganz bestimmt nicht rein.