Ansichten eines Informatikers

Der deutsche Behördenweg, die Schweiz und die Vorratsdatenspeicherung

Hadmut
9.9.2008 20:06

Manchmal ist es erheiternd zu erfahren, daß nicht nur ich mit dem deutschen Amtsschimmel kämpfe, sondern der sich bisweilen auch selbst ein Bein stellt.

Eins der Erlebnisse, die eigentlich schon in die letzte Version von “Adele und die Fledermaus” aufgenommen werden sollten, mir aber dann doch die Zeit nicht mehr reichte, ist die:

Ich hatte doch mal Streit mit der ETH Zürich. Als es um das Prüfungsgutachten der ETH Zürich ging, von dem sich hinterher allerlei faule Dinge rausstellten und die Tatsache, daß die ETH Zürich auf Bitte der Uni Karlsruhe einen unwahren Untersuchungsbericht angefertigt hatte. Die ganzen Umstände waren damals nur dadurch aufzuklären, daß ich an der ETH Zürich nach Schweizerischem Recht Beschwerde eingelegt hatte und die Sache an eine Instruktionsrichterin ging, die die Aktenvorlage verfügt hat.

Dabei gab es einen Nebeneffekt, den ich bisher noch nicht beschrieben, nur in diesem Blogartikel schon mal angesprochen hatte:

Ich hatte keinen Wohnsitz und keinen Anwalt in der Schweiz. Zwar hatte mich die Richterin darum gebeten, weil die Alternative zu nervenaufreibend sei, aber ein Schweizer Anwalt (irgendwie ein Fürsprech oder wie die dort heißen) hat mir dringend davon abgeraten. Sei ziemlich teuer und nur mit Nachteilen verbunden. Außerdem bevorzuge ich gelegentlich die nervenaufreibende Variante.

Da die Richterin mir nach Schweizer Recht jeden Brief zustellen mußte und nicht einfach so schicken konnte, wurde das ziemlich zeit-dehnend. Jeder Brief dauerte mindestens drei Monate, und sie sagte, das wäre leider normal. Den ersten Brief bekam ich offen in einem Umschlag der Stadt Dresden (!) zugesandt, den zweiten durfte ich mir offen, ohne Umschlag beim Ordnungsamt Dresden abholen. Jeweils nach drei bis vier Monaten und in offenem, angefleddertem Zustand, zumal die beim Ordnungsamt komplett wußten, was drin steht. Nix Briefgeheimnis und so.

Also beschloß ich, der Sache auf den Grund zu gehen. Was macht eigentlich so ein Brief in den 3 Monaten? Wo treibt er sich rum? Und warum zieht er sich aus?

Als beim dritten Brief die Richterin mir zumindest per E-Mail mitteilte, daß sie einen neuen Brief losgesandt hatte, machte ich mir mal den Spaß, das nachzuverfolgen. Schon am übernächsten Tag war der Brief bei der Schweizerischen Botschaft in Berlin. Und ich kann Euch sagen, die sind nicht nur schnell, freundlich und hilfsbereit, bei denen herrscht Ordnung. Die konnten sofort und klipp und klar anhand ihrer Aufzeichnungen sagen, wann sie das Ding bekommen und daß sie das Ding sofort an die Deutschen weitergegeben haben, auf dem Diplomatischen Weg.

Zwei Tage nach der Absendung von der Schweizer Richterin war das Ding in Deutschen Händen. Und dann war es vorbei mit schnell, freundlich, hilfsbereit und Ordnung.

Ich habe dem Brief hinterhertelefoniert.

Das Ding ging erst ins Außenministerium. Dort wurde es registriert, zweimal verloren und Wochen später zufällig wiedergefunden (Douglas Adams läßt grüßen), sachbearbeitet, gestempelt, überdacht, vom Vorgesetzten genehmigt und von der Registratur wieder verabschiedet. Damit war der erste Monat rum.

Dann ging die Sache den geordneten Behördenweg. Vom Außenministerium zum Bundesjustizministerium. Von dort zum Bundesinnenministerium, das die örtliche Zuständigkeit des sächsischen Innenministeriums feststellte, den Brief an die versandte, die es wiederrum nach weiteren Ministeriumswegen (sächsisches Justizministerium oder sowas) letzlich an die Stadt Dresden zusandte, die zu dem Schluß kam, daß die Zustellung eigentlich nur vom Ordnungsamt zu bewerkstelligen sei. Und stets durch die Registratur, die Eingangspost, den Sachbearbeiter, den Vorgesetzten zur Genehmigung, zurück zum Sachbearbeiter, wieder zur Registratur und von dort an die nächste Stelle.

Etwa 80 bis 100 Leute haben offiziell meine Post mitgelesen und bearbeitet, die Geheimdienste noch gar nicht berücksichtigt. (Ich hatte durchaus den Eindruck, daß einige Verzögerungen auf seltsame Zusatzrunden zurückzuführen wären.)

Auf meine Frage nach dem Briefgeheimnis und was die alle mit meiner Post wollen, bekam ich zur Antwort, daß das ja gar kein Brief sei, sondern ein Amtshilfeersuchen um eine Postzustellung, und damit natürlich alles seinen Behördenweg gehen müsse und jede Behörde nach dem unantastbaren “Resortprinzip” in eigener Zuständigkeit prüfen müsse, inwieweit ihre Interessen oder die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Sachsen, in dem ich damals wohnte, berührt sein könnten. Schließlich habe man ja auch eine Fürsorgepflicht, falls der Brief etwas für mich schädliches enthalte. Auf meinen Einwand, daß ich mich bedanke, aber mit Papier noch ganz gut selbst fertig werden würde, wurde mir allen Ernstes gesagt, der Brief könnte ja auch eine Briefbombe enthalten. Nun würde ich in diesem speziellen Fall gar nicht ausschließen wollen, daß mir die ETH Zürich gerne eine Briefbombe schicken würde. Aber erstens fände ich es erstaunlich, wenn man mir die Bomben über den Diplomatischen Weg über Botschaft und Ministerien zustellt. Ich kann mir nicht so wirklich vorstellen, daß die Schweizer Botschaft dem Deutschen Außenministerium eine Bombe an mich übergeben würden, und wenn, gäbs vor denen wohl sowieso kein Entrinnen mehr. Zweitens fände ich es komisch, wenn man dazu nicht das Sprengmittelkommando holt, sondern den Brief der Reihe noch von den Abteilungen mehrerer Bundes- und Landesministerien durchfleddern läßt ob da nicht doch was zwischen den Seiten explodieren könnte. So ne Art ministerielle Vorkoster.

Die Datenschutzbeauftragten fanden es nicht lustig. Aber so direkt was machen konnten sie auch nicht.

Ursache allen Übels sei, daß die Schweiz kein Rechtshilfeabkommen mit der Bundesrepublik abgeschlossen habe. Würden sie das tun oder der EU beitreten, könnten sie mir die Briefe/-bomben künftig einfach, schnell und ohne langwierige Prüfung zustellen. Der schnellere Tod käme also wohl aus Österreich.

Ich bin mir damals ziemlich “verarscht” vorgekommen. Drei Monate auf jeden Brief warten. Mit kleinen Bürgern kann’s die Bürokratie ja treiben.

Bis heute.

Heute erzählte mir eine Schweizer Polizistin, daß sie von den Deutschen Behörden noch mehr genervt ist als ich.
Bei ihr dauert es nämlich mindestens 5 Monate.

Und das ist fatal. Wenn sie nämlich eine Anfrage nach einer IP-Adresse bei einem deutschen Provider stellt, entsprechend europäischem Recht (bei uns die “Vorratsdatenspeicherung”), dann weiß sie, daß die Daten maximal 6 Monate gespeichert werden. Will sie Daten aus Deutschland, muß sie ein Rechtshilfeersuchen stellen, das mindestens 5 Monate, oft länger, dauert, bis es durch die Mühlen ist. Und sie deshalb kaum eine Chance hätte, einen Antrag durchzubekommen, bevor die Daten schon wieder gelöscht sind. EU-Beitritt würde auch nichts helfen, den Franzosen und Italienern geht es da auch nicht besser, die werden bei uns auch nicht besser behandelt.

Und seit ich da nun von jemandem gehört habe, daß es dem noch viel schlechter geht als mir und ich mich mit meinen 3 Monaten Brieflaufzeit noch glücklich schätzen könnte, geht’s mir auch gleich wieder besser. 🙂