Ansichten eines Informatikers

Vom demokratischen Recht, eine Regierung abzuwählen

Hadmut
21.11.2025 21:49

Danisch fragt – Leser antworten.

Ich hatte gefragt, wo das steht, dass es zu einer Demokratie gehört, dass man die Regierung auch abwählen kann. Indirekt, umschrieben, steht das an vielen Stellen. Ich war mir aber sicher, dass ich das irgendwo als explizit formulierte Aussage und Anforderung gelesen hatte – mir fiel nur partout nicht mehr ein, wo das war.

Ganz viele Leser haben mir geantwortet. Und ganz erstaunliche Quellen geliefert. Allerherzlichsten Dank! 🙂

Da gehört es natürlich dann auch dazu, die Ergebnisse zu präsentieren, nachdem der Zuschriftenstrom inzwischen abgeebbt ist (nicht vollständig, Mehrfachzuschriften zur selben Quelle und allgemeine Hinweise, unfruchtige Wikipedia-Link usw. weggelassen):

Karl Popper
Die meisten Zuschriften kamen zu Karl Popper. Der nämlich soll in seinem Buch »The Open Society and Its Enemies« (angeblich beruht ja die Open Society Foundation von George Soros auf diesem Buch und seinem Titel) geschrieben haben bzw. er hat gegenüber dem SPIEGEL daraus zitiert:

Wie ein jeder weiß, heißt »Demokratie« auf deutsch, Volksherrschaft« oder Volkssouveränität«, im Gegensatz zu Aristokratie« (Herrschaft der Besten öder der Vornehmsten) und »Monarchie« (Herrschaft eines einzelnen). Aber der Wortsinn hilft uns nicht weiter. Denn nirgends herrscht das Volk: Überall herrschen die Regierungen (und leider auch die Bürokratie, das heißt die Beamten, die nur schwer oder gar nicht zur Verantwortung gezogen werden können). Außerdem sind Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Schweden Monarchien und gleichzeitig sehr gute Beispiele von Demokratien (vielleicht mit Ausnahme von Schweden, wo eine unverantwortliche Steuerbürokratie jetzt die diktatorische Gewalt ausübt); ganz im Gegensatz zur DDR, die sich selbst als Demokratie bezeichnet – aber, leider, zu Unrecht. Worauf kommt es denn wirklich an? Es gibt eigentlich nur zwei Staatsformen: Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist. Darauf kommt es an, nicht aber darauf, wie man diese Staatsform benennt. Gewöhnlich nennt man die erste Form »Demokratie« und die zweite Form »Diktatur« oder »Tyrannei«. Aber es steht nicht dafür, über Worte (wie DDR) zu streiten. Das Entscheidende ist allein die Absetzbarkeit der Regierung, ohne Blutvergießen.

Für diese Absetzbarkeit gibt es verschiedene Methoden. Die beste Methode ist die einer Abstimmung: Eine Neuwahl oder ein Votum in einem gewählten Parlament kann die Regierung stürzen. Darauf kommt es an.

Es dürfte eine interessante Frage sein, zu welcher Staatsform die Bundesrepublik gehört.

Bei Karl Raimund Popper. Der definierte Demokratie als eine politische Verfassung, in der das Volk, im Gegensatz zu einer Diktatur, die Regierung ohne Gewalt loswerden kann. Dementsprechend sagt er, wählt das Volk bei Wahlen nicht eine bessere Regierung, da ja niemand in die Zukunft sehen kann, sondern schickt eine schlechte Regierung in die Wüste.

Hier gibt es auch noch etwas dazu.

das mit der Regierungs-Abwahl steht bei Karl Popper:

»Ich vertrete also die Ansicht, dass das Wichtigste einer demokratischen Regierungsform darin besteht, dass sie es ermöglicht, die Regierung ohne Blutvergiessen abzusetzen, worauf eine neue Regierung die Zügel übernimmt. Es scheint verhältnismässig unwichtig, wie diese Absetzung zustande kommt – ob durch Neuwahl oder durch den Bundestag -, solange der Beschluss der einer Majorität ist, entweder von Wählern oder deren Vertretern oder auch von Richtern eines Staats- oder Verfassungsgerichtshofes.«

Quelle: Alles Leben ist Problemlösen, 2002

https://www.swr.de/swrkultur/wissen/swr2-wissen-2019-09-17-der-philosoph-karl-popper-und-die-offene-gesellschaft-100.pdf

Kriterien für EU-Beitrittkandidaten
Seite 47:

Insgesamt gesehen garantieren die Verfassungen der beitrittswilligen Länder die demokratischen Freiheiten einschließlich des politischen Pluralismus, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Religionsfreiheit. Sie haben demokratische Institutionen geschaffen sowie unabhängige Gerichts- und Verfassungsorgane eingesetzt, so daß die verschiedenen staatlichen Behörden normal funktionieren können; sie haben freie und faire Wahlen abgehalten, die einen Machtwechsel zwischen verschiedenen politischen Parteien zulassen, und sie erkennen im allgemeinen die Rolle der Opposition an.

§ 92 StGB

(1) Im Sinne dieses Gesetzes beeinträchtigt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, wer ihre Freiheit von fremder Botmäßigkeit aufhebt, ihre staatliche Einheit beseitigt oder ein zu ihr gehörendes Gebiet abtrennt.
(2) Im Sinne dieses Gesetzes sind Verfassungsgrundsätze

1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
3. das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
5. die Unabhängigkeit der Gerichte und
6. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft.

(3) Im Sinne dieses Gesetzes sind

1. Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen (Absatz 1),
2. Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen,
3. Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, einen Verfassungsgrundsatz (Absatz 2) zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.

Bundesverfassungsschutzgesetz

§ 4 Begriffsbestimmungen
(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.

Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.
(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e) die Unabhängigkeit der Gerichte,
f) der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

Philip Manow
soll es im Deutschlandfunk gesagt haben, aber der Link dabei war wohl der falsche, zeigte woanders hin, und weil der mehrfach im Deutschlandfunk war, habe ich das noch nicht gefunden.
„Die Präambel der Landesverfassung von NRW, die wörtlich von der Abberufbarkeit spricht“
Äh … nein:

Präambel

In Verantwortung vor Gott und den Menschen, verbunden mit allen Deutschen, erfüllt von dem Willen, die Not der Gegenwart in gemeinschaftlicher Arbeit zu überwinden, dem inneren und äußeren Frieden zu dienen, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle zu schaffen, haben sich die Männer und Frauen des Landes Nordrhein-Westfalen diese Verfassung gegeben:

KI-Fehler? Die Antwort des Lesers liest sich, wie von der KI erzeugt.

Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung „die Möglichkeit des Machtwechsels“ als „konstituierendes Element jeder Demokratie“ bezeichnet.

Habe ich nicht gefunden. Die Suchfunktion beim BVerfG (die allerdings nur neuere Entscheidungen enthält) liefert mir zu den Suchbegriffen „Machtwechsel Demokratie“ nur zwei Entscheidungen, in denen es um etwas anderes geht, und zu „Möglichkeit des Machtwechsels“ gar keine.

Auch ein KI-Artefact?

Ein anderer Leser:

Das BVerfG hat dies mehrfach extrem klar formuliert, z. B.:Urteil vom 21. Juli 2010:„Das Prinzip der Chancengleichheit der politischen Parteien und die Möglichkeit der Wähler, eine bisher regierende Mehrheit abzuwählen, sind wesentliche Elemente der FDGO“

Habe ich auch nicht gefunden. Ich finde von diesem Datum drei Beschlüsse, in denen es aber um ganz andere Dinge geht. Auch ein KI-Artefact?

Derselbe Leser:

Noch direkter im NPD-Verbotsverfahren (2017, BVerfG, 2 BvB 1/13, Rn. 579):„Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist gekennzeichnet durch […] die Möglichkeit des Machtwechsels durch freie Wahlen, die es dem Volk ermöglichen, die Regierung abzuwählen.“

Tut mir leid: Datum und Aktenzeichen stimmen, aber dieses Zitat steht da nicht drin.

Es steht also seit 1942 (Schumpeter), verstärkt seit 1971 (Dahl) und in der deutschen Verfassungsrechtsprechung seit Jahrzehnten explizit und wörtlich, dass eine Demokratie ohne die reale, ernsthafte Möglichkeit, die Regierung abzuwählen, keine Demokratie ist – sondern höchstens eine „elektorale Autokratie“ oder „defekte Demokratie“.

Mmmmh.

Bundesverfassungsgericht, Urteil zum Vertrag von Lissabon (30. 6. 2009, 2 BvE 2/08 u. a.), Rn. 211
„Demokratie lebt von der Möglichkeit des Wechsels der Mehrheiten und der Abwahl der Regierenden.“
Das Gericht macht hier unmissverständlich klar, dass die Chance, die aktuelle Macht abzulösen, konstitutives Element der Demokratie ist.

Bundesverfassungsgericht, „Maastricht-Urteil“ (12. 10. 1993, 2 BvR 2134/92 u. a.), Rn. 106 f.
„Ein demokratisches System erfordert, dass das Volk in regelmäßigen, freien und gleichen Wahlen die Inhaber der Staatsgewalt bestimmen und sie auch wieder abwählen kann.“
Diese Passage wurde später in zahlreichen Fachartikeln als klassischer Beleg zitiert.

Bundesverfassungsgericht, Urteil zum Ausschluss eines Abgeordneten (31. 7. 1973, 2 BvF 1/73, „Fraktionsausschluss I“), Leitsatz 3
„Demokratie setzt die fortwährende Möglichkeit friedlichen Machtwechsels durch Wahlen voraus.“
Zwar geht es um innerparlamentarische Rechte, doch das Gericht stellt das allgemeine Prinzip voraus.

[Muss ich noch nachprüfen, hört sich auch nach KI an.]

Das BVerfG sagt seit Jahrzehnten wörtlich:
„Wahlen sind nur dann frei, wenn sie die Möglichkeit eröffnen, die jeweils Herrschenden abzuwählen.“
(Beispiel: BVerfGE 129, 300 (336) – Entscheidung zum 5%-Sperrklausel-Urteil 2014; ebenso schon BVerfGE 20, 56 (1966) und viele weitere).
Das Gericht begründet das mit Art. 20 Abs. 2 GG („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“) und dem Demokratieprinzip: Wenn eine Regierung praktisch nicht mehr abgewählt werden kann, ist die Demokratie verletzt.

[Muss ich auch noch nachprüfen.]

Thomas Jefferson, Declaration of Independence, USA

Sehr geehrter Herr Danisch,
vielleicht rumorte dies in Ihrem Hinterkopf (bei Polleit gerade gefunden):

The most famous and perhaps most eloquent expression of a people’s right to “dissolve the political bands” which tie them together was penned by Thomas Jefferson (1743-1826) in the Declaration of Independence:

“When in the Course of human events, it becomes necessary for one people to dissolve the political bands which have connected them with another, and to assume among the powers of the earth, the separate and equal station to which the Laws of Nature and of Nature’s God entitle them, a decent respect to the opinions of mankind requires that they should declare the causes which impel them to the separation….

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain inalienable rights, that among these are Life, Liberty, and the pursuit of Happiness.—That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed. — That whenever any Form of Government becomes destructive of these ends, it is the right of the People to alter or to abolish it, and to institute new Government, laying its foundation on such principles, and organizing its powers in such form, as to them shall seem most likely to effect their Safety and Happiness… it is their right, it is their duty, to throw off such Government, and to provide new Guards for their future security.”

Ja, stimmt.

„Demokratieindizes“

Die explizite Formulierung, dass die Abwählbarkeit der Regierung eine zentrale Voraussetzung von Demokratie ist, wird in internationalen Demokratieindizes und -standards klar operationalisiert:
Der Bertelsmann Transformation Index (BTI) bewertet in seinem Demokratiekonzept die „Wettbewerbsorientierung“ politischer Systeme, zu der u. a. regelmäßige, freie und faire Wahlen sowie die Möglichkeit eines legitimen Regierungswechsels gehören. Fehlt diese, gilt ein Staat als Autokratie.

Der Demokratieindex des Economist Intelligence Unit (EIU) berücksichtigt in seinen Kriterien explizit die „Regierungsgewalt übertragen durch freie und faire Wahlen“ – also die reale Möglichkeit, die herrschende Regierung abzuwählen.

V-Dem (Varieties of Democracy) misst unter anderem „executive recruitment“, also ob die Exekutive durch freie Wahlen rekrutiert wird und ob Amtsinhaber tatsächlich abgewählt werden können.
Internationale Organisationen wie die UN oder die OSZE betonen in ihren Wahlbeobachtungsstandards, dass Wahlen nicht nur formal stattfinden, sondern wirklich entscheidend sein müssen – also die Regierung tatsächlich wechseln können.

Diese Kriterien werden dann auch als Maßstab an andere Staaten angelegt: Werden Regierungen nicht abwählbar, wird der Staat international als „defekte Demokratie“ oder „Hybridregime“ klassifiziert.



Lernmaterial

Im www Lernmaterial für Schulen gefunden:
“https://www.politikundunterricht.de/2_3_18/demokratie.pdf
Seite 45 steht u.a., dass ein direktdemokratisches Element das Auflösen von Parlamenten sein kann.
Eine Quelle steht auch dabei: Bundeszentrale für politische Bildung.
(Auch hier steht u.a. das Auflösen von Parlamenten).

Bundeszentrale und Landeszentralen für politische Bildung

https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202013/direkte-demokratie/
Zitat:
„Dd [direkte Demokratie] kann die Annahme von Verfassungen, Verfassungsänderungen, den Beschluss von → Gesetzen, die Entscheidung in Sachfragen oder die Auflösung von Parlamenten zum Gegenstand haben. Die Initiative erfolgt durch eine Regierung oder ein Parlament „von oben“ (Referendum) oder durch die Bürger „von unten“ als Volksgesetzgebung (Plebiszit). “

Hallo Herr Danisch, meinten Sie diese Info (“minimalistische Definition”)?

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/demokratie-2025/559048/demokratie-ein-umstrittener-begriff/

hier ein paar Recherchen zu deiner Fragestellung

Wo steht das mit der Abwahl der Regierung?

Das hat mich insofern auch interessiert, da ich mich auch erinnere, diese Voraussetzung mal explizit gelesen zu haben.

Sortiert nach in meinem Empfinden absteigender Relevanz – erst der Link, dann Zitat(e). Der Großteil von “offiziellen, staatlichen” Institutionen.

https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202208/wahlen-wahlfunktionen/
Dieses Verständnis lebt von dem engen definitorischen Zusammenhang von Demokratie und Wahlen: ohne die periodische Aus- bzw. Abwahl des Regierungspersonals, ohne den offenen Wettbewerb politischer Parteien um die politische Macht, keine Demokratie.

https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170510_BPB_667-17_IzpB%20332%20Demokratie_10_barrierefrei.pdf
Reguläre, freie und faire Wahlen, unterschiedliche Parteien, aus denen eine Auswahl getroffen werden kann, und die Abwahlmöglichkeit von Regierungen sind wesentliche Merkmale, gleichsam Mindestanforderungen an eine Demokratie.

https://www.buergerundstaat.de/3_21/bundestagswahl_2021.pdf
Zugleich stellt die Chance der Abwahl der Herrschenden ein Charakteristikum der Demokratie dar, die den Missbrauch politischer Macht
verhindern und politische Erneuerung ermöglichen soll

https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/fuehren-wahlen-zur-demokratie
Diese Machtübertragung – und das ist ganz wesentlich – wird immer nur auf Zeit zugeteilt, sie wird verliehen und muss regelmäßig dem Volk zurückgegeben werden.

https://www.btg-bestellservice.de/pdf/20210500.pdf
Zugleich ist die Abwahl von Regierungen ein Kennzeichen offener Gesellschaften.

https://km.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-km/intern/PDF/Publikationen/Schulartuebergreifend/2023_Demokratiebildung.pdf
Auseinandersetzung mit Motiven zur Wahlteilnahme und Wahlabstinenz und den wesentlichen Funktionen von Wahlen: zeitliche Begrenzung von Macht und Verantwortung, Möglich
keit zum Austausch von Regierung und Opposition, Bestätigung oder Abwahl von Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern, mittelbarer Einfluss auf inhaltliche Ausrichtung von Politik

https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie
Als Indikatoren bzw. Messgrößen einer Annäherung der bestehenden Polyarchien an das Ideal einer vollständigen Demokratie, das Dahl nirgendwo verwirklicht sah, bestimmte er eine Reihe wichtiger Kriterien: Wahl und Abwahl der Amtsinhaber; regelmäßig stattfindende freie und faire Wahlen; aktive und passive Stimmberechtigung für alle mündigen Staatsangehörigen; freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit; ungehinderte Selbstorganisation in politischen Parteien und Interessengruppen.

Für Karl Popper als Begründer des Kritischen Rationalismus ging es bei demokratischen Grundlagen nicht so sehr um Herrschaftslegitimation und Volkssouveränität, sondern um eine wirksame Machtbegrenzung und Kontrolle von Regierungen durch eine Gewaltenteilung und die Absetzbarkeit als Folge einer Abwahl der Regierenden.

„Recht auf demokratischen Selbstmord“ / Liechtenstein

Hallo Herr Danisch,

Grok: “Rein demokratietheoretisch darf die Volksmehrheit alles entscheiden, auch die Abschaffung der Demokratie selbst. Das nennt man das „Recht auf demokratischen Selbstmord“ oder das „Paradoxon der Demokratie“. Das bekannteste historische Beispiel ist 1933. Das war also rechtlich möglich, weil die Weimarer Verfassung keine wirksame „Ewigkeitsklausel“ hatte. Nach 1945 haben fast alle ernsthaften Demokratien genau aus diesem Grund unveränderliche Kernprinzipien eingebaut. Die wichtigsten Beispiele: Deutschland (Grundgesetz Art. 79 Abs. 3 – die „Ewigkeitsgarantie“)”

Vielleicht finden Sie was Sie suchen mit den Stichwörtern Ewigkeitsklausel und Ewigkeitsgarantie.

Anmerkung: in Liechtenstein kann man auch die Monarchie abwählen: “Neu in die Verfassung eingefügt wurde ein Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden, ein Misstrauensantragsverfahren gegen den einzelnen Fürsten, ein Monarchieabschaffungsverfahren und die Nichtunterstellung des Fürsten und seines Stellvertreters unter die liechtensteinische Gerichtshoheit.”

https://fuerstundvolk.li/fuv/fuv.do?site=421172a26f221000996d610c1957690b

Deutscher Bundestag

Hallo Herr Danisch,
Sie wollten doch wissen, wo man etwas über die Abwahl von Regierungen in einer Demokratie findet. In der Publikation des Deutschen Bundestags

https://www.btg-bestellservice.de/pdf/20210500.pdf

steht auf Seite 5: “Zugleich ist die Abwahl von Regierungen ein Kennzeichen offener Gesellschaften.”

Hallo Herr Danisch,

in einem Text des wissenschaftlichen Dienstes wird die Ablösbarkeit der Regierung als Voraussetzung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufgeführt:

https://dserver.bundestag.de/btd/20/081/2008101.pdf

Die Schweiz

Hallo, Herr Danisch,

habe Texte über die Schweiz gefunden, aber die meinen Sie wohl eher nicht.

https://www.swissinfo.ch/ger/demokratie/schweiz-demokratie-macht-des-volkes-recht-auf-abwahl-sicherheitsventil/41901268

https://www.swissinfo.ch/ger/politik/demokratie-volksrecht-abberufung-recall-in-der-schweiz-nur-drohkulisse/47469518

Wikipedia: Kantonsverfassung „Die Kantone Bern, Solothurn, Uri, Schaffhausen und Thurgau kennen ausserdem ein Abberufungsrecht des Volkes gegenüber Parlament, die Regierung kann überdies noch im Tessin des Amtes enthoben werden.“

Carl Schmitt
„Aus: Carl Schmitt, Legalität und Legitimität“

Athen

Das gemeint?:

https://www.demokratiegeschichten.de/die-attische-demokratie-die-antike-als-modell-fuer-die-gegenwart-teil-2/

Attische Demokratie, Scherbengericht – Schutz vor zu viel Macht

„Den Athenern war es dabei besonders wichtig, dass kein Einzelner zu viel Macht im Staate innehatte. Damit hatten sie selbst schon einige schlechte Erfahrungen gemacht. Dafür, dass es so weit nicht mehr kam, sollte der Ostrakismos sorgen, das Scherbengericht. Eignete sich ein etwas zu ambitionierter Athener (vermeintlich) zu viel Macht an oder stand unter dem Verdacht, die Massen immer wieder etwas zu geschickt zu manipulieren, konnten die Athener mit diesem Instrument einmal im Jahr einen Bürger aus den eigenen Reihen aus der Stadt verbannen. Stimmte eine Mehrheit in Form von auf Scherben geritzten Namen für eine Person, musste diese Athen für zehn Jahre verlassen – und war damit in den Augen der Athener keine Gefahr mehr für die Demokratie.

Ab Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurde darüber hinaus die Macht der Volksversammlung durch weitere Kontrollinstanzen beschränkt. Auch dies sollte die Gefahr von Demagogen, die das Volk leicht verführen könnten, mindern und dem Staat als Ganzes Stabilität geben. Denn bereits während des Peloponnesischen Krieges gegen Sparta geriet die Demokratie kurzzeitig in eine tiefe Krise und wurde sogar durch eine Oligarchie ersetzt. Das demokratische Athen schaffte es aber, sich noch einmal zu berappeln, und bestand noch einige Jahrzehnte länger. Bis schließlich die Nachfolger Alexanders des Großen die Polis Athen ins makedonische Reich eingliederten.“

Hamburg

Hallo Herr Danisch,

wenn die Abwahl der Regierung durch Entzug der Parlamentsmehrheit in Folge einer Wahl eine Anforderung für eine Demokratie wäre, dann hätte es in Hamburg bis 1996 keine gegeben. Bis dahin gab es nämlich den ewigen Senat. Warum ewiger Senat? Nun, ein Senat konnt nur durch einen neuen Senat ersetzt werden, wenn es aber auf Grund der Parlamentszusammensetzung dafür keine Mehrheit gab, regierte der alte Senat einfach weiter.

1982 und 1986 kam zB der ewige Senat zum tragen.

siehe auch
https://www.welt.de/regionales/hamburg/article1714483/Auch-nach-einem-Patt-bleibt-Hamburg-handlungsfaehig.html

Manfred G. Schmidt

Hallo Herr Danisch,

zu Ihrer Frage “Wo steht das mit der Abwahl der Regierung?” kann ich Ihnen das Lehrbuch:

* Manfred G. Schmidt, “Demokratietheorien”, Springer, 2025 (7. Auflage)

empfehlen. Gleich in der Einleitung am Anfang findet sich, Zitat:

“„Demokratie“ ist ein Schlüsselbegriff der politischen und wissenschaftlichen Sprache. Er meint eine politische Ordnung, in der die Stimmberechtigten, ob männlich, weiblich oder direkt oder durch seine
gewählten Vertreter über Wahl und Abwahl ihrer politischen Führung entscheiden.”

Das Buch ist auch sonst ganz interessant, die in den letzten Auflagen eingeschlichene “Genderisierung” in den sonst sehr sachlichen Texten muss man halt ausblenden..

Wird auch in der Wikipedia als Quelle zitiert, steht dort auch so (etwas anders formuliert) im Abschnitt “Moderne Demokratie”

Danisch.de
Zum Unterschied zwischen Deutschland und Demokratie

Demokratie ist, wenn das Volk seine Regierung austauscht, weil sie ihm nicht passt.

Deutschland ist, wenn die Regierung ihr Volk austauscht, weil es ihr nicht passt.

Das hätte ich nicht gedacht, dass ich da so viele – gute – Antworten bekomme. Es waren ja noch viel mehr, aber ich habe die Mehrfachantworten zu denselben Quellen und reine Meinungs- oder „Schauen Sie doch mal bei …“ hier weggelassen.

Mir ist dann auch wieder eingefallen, wo ich das gelesen hatte und wonach ich suchte: Die Stelle im Strafgesetzbuch oder die gleichlautende im Verfassungsschutzgesetz. Ich wusste noch, irgendwo, in irgendeinem Gesetzes- oder ähnlichen Text.

Was mich jetzt aber doch frappiert: Wieviele Zuschriften ich bekommen haben, die eigentlich nur KI-Abfragen waren, was man schon an den stereotyp-freundlich-erklärenden Formulierungen erkennt. Auch hier waren aber wieder viele Angaben dabei, die sich plausibel und sehr gut – eigentlich zu gut und flüssig – formuliert lesen, und sogar eindrucksvolle Quellenangaben mitliefern, es in den Quellenangaben dann aber eben nicht steht. Die KI weiß nicht, was in den Quellen steht. Aber die KI hat gelernt, wie Juristen zu reden, ahmt deren Soziolekt nach, ohne ihn zu verstehen.

Im Prinzip funktioniert die KI damit wie Cargo Cult.

Wisst Ihr, was das heißt?

Es heißt, dass meine Leser viel, viel besser, schlauer, intelligenter als die KI sind.

Danke nochmal!