Philosophen und Muslime
Fällt mir gerade so auf.
Ich habe es ja hier schon seit 20 Jahren böse mit den Geisteswissenschaftlern. Und ich habe reichlich „Philosophen“ und solche Leute kritisiert, die sich für unheimlich wichtig und unentbehrlich halten, oft aber gar nichts können und nur Kosten und Schaden verursachen.
Immer wieder hört man dabei von „Philosophen“ und angrenzenden Fächern die Argumentation, sowohl als Abwehr gegen Kritik, als auch proaktiv, dass wir heute ja gar nichts wären ohne die Philosophie, immer mit Bezug auf die alten Griechen, was die doch erfunden hätten und wo wären wir ohne sie – immer so die Argumentation, wenn X es nicht erfunden hätte, hätte es in zweitausend Jahren niemand sonst erfunden. Aristoteles, Plato, Sokrates und so weiter.
Oder machmmal eben auch auf die frühe Neuzeit, Kant, Descartes, Nietzsche. Als ob es uns ohne die einfach gar nicht geben würde.
Ich will jetzt gar nicht auf die Frage hinaus, ob diese Leute irgendwie wichtig oder einzigartig waren. Geschenkt. Mir geht es darum, dass diese Leute immer mit derselben Masche ankommen: Irgendein X, der vor x00 oder auch vor x000 Jahren gelebt hat und als bekannt und bei manchen auch als wichtig gilt, und sich entweder selbst Philosoph nannte – oder später von anderen so genannt wurde, sei der unwiderlegbare und völlig ausreichende Beweis dafür, dass jeder, sich irgendwie „Philosoph“ nennt, und sei es auch nur, sich an der Uni in den Studiengang „Philosophie“ einzuschreiben, mindestens genauso schlau und wichtig sei wie Pythagoras, Kant und Jesus zusammen.
Im Prinzip folgt das der sozialistisch kommunistischen Denkweise, Menschen in „Klassen“, in Kollektive einzuordnen, zu kategorisieren und dann ein Beispielexemplar – pars pro toto – als Repräsentant für alle anzusehen, im Positiven wie im Negativen: Das findet sich sowohl in deren „Sowjet/Räte“-Denkweise, wonach man keine demokratischen Wahlen mehr braucht, sondern „Räte“ baut, in denen „Repräsentanten“ von „Klassen“ sitzen. Deshalb meinen die ja auch ständig, dass in jedem Gremium eine Frau sitzen müsse, weil jede Frau alle Frauen repräsentiere. Und wenn ein „Rechter“ Mörder ist – dann sind alle Mörder, die man als „Rechte“ kategorisiert.
Dieses Sorten-Denken ist vermutlich eine Ausformung der Rudelmechanik. Und insofern auch kurios, weil sie ja gleichzeitig behaupten, dass alle Menschen gleich seien und identische Eigenschaften und Merkmale hätten, und sie in Kategorien mit unterschiedlicher Güte, unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten einteilen.
Und so machen sie es auch mit sich selbst: Sie ordnen sich selbst der Kategorie „Philosophen“ (oder ähnliche, Soziologen, Gender Studies,…) zu und meinen dann, dass sie mit der Beitrittserklärung automatisch Weisheit, Wichtigkeit und Nützlichkeit erreicht hätten – auch wenn sie mit Sokrates und Pythagoras außer der selbsternannten Bezeichnung „Philosoph“ einfach gar nichts gemein haben. Diese Überzeugung, automatisch gut, schlau und wichtig zu werden, wenn man sich nur selbst „Philosoph“ nennt, selbst wenn man es geistig nicht mit einer Parkuhr aufnehmen kann.
Ist Euch mal aufgefallen, wie oft Geisteswissenschaftler über Informatiker herziehen als die, die mit „Nullen und Einsen“ und sonst nichts rumhantieren? Es stimmt, Informatiker arbeiten mit Nullen und Einsen – aber für die meisten Informatiker spielt dies nur für gefühlt 1% der Arbeit eine Rolle. Für die meisten Dinge spielen Nullen und Einsen entweder gar keine Rolle oder sind nur Hintergrund- und Grundlagenwissen. Egal, für Geisteswissenschaftler sind die Philosophen total wichtig – auch wenn man nicht weiß, was die eigentlich lernen, können und machen, und was uns ohne sie fehlen würde – und andere nur irgendwelche Spinner, die auf umwelttödliche Verbrennungsmotoren abfahren, überflüssige Flugzeuge bauen oder eben mit Nullen und Einsen rumturnen.
Genau dieselbe Denkweise fällt mir seit ein paar Tagen in den Social Media auf.
Auf einmal nämlich tauchen da einige islamische „Aktivisten“ auf, die darauf pochen, dass wir ohne den Islam keine Algebra, keine Zahlen und keine Medizin hätten und der Islam Grundlage und Herkunft aller Wissenschaft sei.
Belege? Keine.
Man betont aber immer wieder, dass die Wissenschaft und die Mathematik im 8. und 9. Jahrhundert vorangetrieben worden sei, die Muslime waren.
Ganz abgesehen davon, dass eine Koinzidenz keine Kausalität ist und nie erklärt wird, was der Islam damit zu tun hat und warum sie das nur als Muslim und sonst nicht getan hätten (und nicht etwa erörtert wird, warum sie ohne Islam nicht noch besser gewesen wären und sie nicht Wissenschaft trotz Islam betrieben haben), wieder diese Denkweise: Man benennt Leute wie al-Chwarizmi, der damals Algebra dokumentiert hat und nach dem der Algorithmus – wohl auch oder über den Umweg der Arithmetik – benannt ist, weil es um Rechenanleitungen ging, der laut irgendeinem Hinweis Muslim war. Inwieweit ihm das intellektuell geholfen hat, ist nicht bekannt. Der lebte die meiste Zeit seines Lebens in Bagdad und arbeitete im „Haus der Weisheit“, einer Art Akademie oder Hochschule, die im Jahr 825 von dem Abbasiden-Kalifen al-Ma’mūn in Bagdad gegründet wurde.
Es ist durchaus zutreffend, dass es dort eine Art von Universität gab, während als erste europäische die Universität Bologna, gegründet erst 1088, gilt.
Inwiefern der Islam diesem Haus der Weisheit zuträglich war oder inhaltlich dazu beigetragen hat, ist mir bisher nicht ersichtlich. Es ist aber denkbar, dass man dort nur als Muslim aufgenommen wurde und das deshalb nicht so ganz freiwillig war.
Allerdings ist durchaus richtig, dass es auch im Islam im 8. und 9. Jahrhundert eine Phase der Neugier, des wissenschaftlichen Interesses gab, und die meisten Erfindungen und Erkenntnisse, der sich der Islam heute rühmt, in dieser Zeit entstanden sind. Die Frage, warum danach nichts mehr kam, und ob es nicht eher umgekehrt etwas über den Islam sagt, dass man im 8. und 9. Jahrhundert noch wissenschaftlich interessiert wurde und dann das Licht ausging, ob also der Islam nicht für, sondern im Gegenteil gerade gegen Wissenschaft war, und der den Garaus gemacht hat, darf nicht angesprochen werden, obwohl gerade das doch augenfällig und damit auch bewiesen ist, dass sie mal Wissenschaftler hatten.
Wie auch immer, es wird jedenfalls gerade verstärkt so getan, dass der Islam ganz wichtig für die Wissenschaft sei, weil wir ja ohne Muslime wie al-Chwarizmi keine Algebra, keine Algorithmen, keine Computer hätten. Als ob nach dem nie wieder irgendwer auf die Idee gekommen wäre.
Dahinter steckt aber dieselbe Logik wie bei Philosophen: Man benennt jemanden, der a) bekannt ist und b) vor x00 oder x000 Jahren mal wichtig war – und schließt daraus, dass man selbst auch wichtig sei, weil man sich dieselbe Kategorienbezeichnung gibt, ohne einen inhaltlichen Zusammenhang herzustellen.
Sokrates war Philosoph, also sind alle, die sich 2000 Jahre später „Philosoph“ nennen, ohne das irgendwie zu definieren, so wichtig wie Sokrates und Erfinder der Wissenschaft schlechthin, haben die Oberaufsicht über alles wissenschaftliche Denken. Man wird klug und wichtig, indem man sich an der Uni einschreibt. Von konkreten Studieninhalten ist nicht die Rede.
Al-Chwarizmi war Wissenschaftler und Muslim, also sind alle, die sich 1200 später Muslime nennen, total wichtig für Wissenschaft und Mathematik. Man legt ein Glaubensbekenntnis ab und ist sofort Wissenschaftler und wichtig für die gesamte westliche Welt und deren Zukunft.
Diese Argumentationsweise ist aber nicht islamisch. Sie ist links.
Ich halte das deshalb nicht für islameigenen Aktivismus, sondern für eine linke Kampagne.